Urteil des BGH vom 09.01.2014

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 103/13
Verkündet am:
9. Januar 2014
Kluckow
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
InsO § 174 Abs. 2, § 302 Nr. 1
Der Rechtsgrund der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung muss in der
Anmeldung so beschrieben werden, dass der aus ihm hergeleitete Anspruch in tat-
sächlicher Hinsicht zweifelsfrei bestimmt ist und der Schuldner erkennen kann, wel-
ches Verhalten ihm vorgeworfen wird; einer schlüssigen Darlegung des (objektiven
und subjektiven) Deliktstatbestands bedarf es nicht.
BGH, Urteil vom 9. Januar 2014 - IX ZR 103/13 - OLG Dresden
LG Bautzen
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 9. Januar 2014 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, den Rich-
ter Vill, die Richterin Lohmann, den Richter Dr. Pape und die Richterin Möhring
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 13. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Dresden vom 20. März 2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Über das Vermögen des Beklagten wurde am 9. März 2010 das Insol-
venzverfahren eröffnet. Unter dem 7. April 2010 meldete die Klägerin Darle-
hensforder
ungen von insgesamt 572.422,48 € an; dabei versah sie die Spalte
"Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung" mit einem
Kreuz. Mit Schreiben vom 28. Oktober 2010 erläuterte sie ihre Anmeldung da-
hingehend, gegen den Beklagten werde wegen Kreditbetruges ermittelt, insbe-
sondere wegen der Einreichung unrichtiger Bonitätsunterlagen, welche ihr zur
Ausreichung des beantragten Darlehens vorgelegt worden seien. Die Kreditakte
sei beschlagnahmt worden. Aus dem Klageverfahren gegen den Urkundsnotar
ergebe sich, dass der Beklagte aus den von der Klägerin ausgereichten Darle-
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hen Kick-Back-Zahlungen in Höhe von 56.000 DM und 51.000 DM erhalten ha-
be. Die Darlehensforderung wurde zur Tabelle festgestellt. Der Beklagte wider-
sprach jedoch dem Schuldgrund der vorsätzlich begangenen unerlaubten
Handlung.
Die Klägerin hat beantragt festzustellen, dass ihre (näher bezeichneten)
angemeldeten und zur Tabelle festgestellten Forderungen über insgesamt
572.422,48
€ auf dem Rechtsgrund der vorsätzlich begangenen unerlaubten
Handlung beruhten und dass der Widerspruch unbegründet sei. Das Landge-
richt hat die beantragte Feststellung ausgesprochen. Das Berufungsgericht hat
die Klage unter Aufhebung des landgerichtlichen Urteils als unzulässig abge-
wiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision will die Klägerin
die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils erreichen.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zu-
rückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat die Klage für unzulässig gehalten, weil der
Rechtsgrund der Forderungen nicht ordnungsgemäß angemeldet worden sei.
Die Anmeldung müsse Tatsachen enthalten, aufgrund derer der Rechtsgrund
der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung mindestens plausibel er-
scheine. Daran fehle es. Der Hinweis auf unrichtige Bonitätsunterlagen und
Kick-Back-Zahlungen lasse nicht erkennen, ob diese für die Klägerin von Be-
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deutung gewesen seien; es sei auch nicht dargelegt worden, dass die Kick-
Back-Zahlungen schon vor Vertragsschluss vereinbart gewesen seien. Dass
der Verwalter die Forderung festgestellt habe, ändere nichts an der unzulängli-
chen Anmeldung. Die fehlenden Angaben könnten weder gegenüber dem
Schuldner noch im sich anschließenden Feststellungsprozess nachgeholt wer-
den, weil § 174 Abs. 2 InsO die Anmeldung gegenüber dem Verwalter verlange.
Die Klägerin könne ihre Anmeldung diesem gegenüber berichtigen. Auf den
laufenden Rechtsstreit wirke sich dies jedoch nicht aus, weil es an den Sachur-
teilsvoraussetzungen der auf die geänderte Anmeldung bezogenen Prüfung
durch den Verwalter und des auf die Änderung bezogenen Schuldnerwider-
spruchs fehle. Eine allgemeine Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO komme
nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr in Betracht.
II.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Die Klage ist zulässig.
1. Nach § 174 Abs. 1 InsO haben die Insolvenzgläubiger ihre Forderun-
gen schriftlich beim Insolvenzverwalter anzumelden. Bei der Anmeldung sind
der Grund und der Betrag der Forderung anzugeben sowie die Tatsachen, aus
denen sich nach Einschätzung des Gläubigers ergibt, dass ihr eine vorsätzlich
begangene unerlaubte Handlung des Schuldners zugrunde liegt (§ 174 Abs. 2
InsO). Der Begriff des Grundes der Forderung entspricht demjenigen in § 253
Abs. 2 Nr. 2 ZPO, bezeichnet also den Sachverhalt, aus dem die Forderung
entspringt. Welchen Anforderungen der in § 174 Abs. 2 InsO verlangte Tatsa-
chenvortrag genügen muss, ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz. So-
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weit die Anmeldung Grundlage der Teilnahme am Insolvenzverfahren ist, hat
der Gläubiger nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einen
Lebenssachverhalt darzulegen, der in Verbindung mit einem - nicht notwendig
ebenfalls vorzutragenden - Rechtssatz die geltend gemachte Forderung als be-
gründet erscheinen lässt (BGH, Urteil vom 22. Januar 2009 - IX ZR 3/08, NZI
2009, 242 Rn. 10; vom 21. Februar 2013 - IX ZR 92/12, NZI 2013, 388 Rn. 15).
Diese strengen Anforderungen hat der Senat aus den Funktionen der Anmel-
dung im Insolvenzverfahren hergeleitet. Die Feststellung einer Forderung zur
Tabelle kann nach Grund, Betrag und Rang nur in der Weise begehrt werden,
wie die Forderung in der Anmeldung (oder im Prüfungstermin) bezeichnet wor-
den ist (§ 181 InsO). Die Anmeldung ist damit Grundlage der Eintragung, aus
welcher der Gläubiger nach Aufhebung des Verfahrens die Zwangsvollstre-
ckung betreiben kann (§ 178 Abs. 3, § 201 Abs. 2 InsO). Es muss daher mög-
lich sein, die Reichweite der Rechtskraft dieses Titels zu bestimmen. Außerdem
müssen der Verwalter und die anderen Gläubiger prüfen können, ob die Forde-
rung bestritten werden soll oder nicht (§ 178 Abs. 1 Satz 1, § 179 Abs. 1 InsO).
2. Wenn und soweit die vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung zum
Grund des angemeldeten Anspruchs gehört, gelten die vorstehenden Ausfüh-
rungen auch für sie. Welche Darlegungsanforderungen dagegen in denjenigen
Fällen gelten, in denen die Kennzeichnung der Forderung als auf einer vorsätz-
lich begangenen unerlaubten Handlung beruhend nur im Hinblick auf die späte-
re Restschuldbefreiung (§ 302 Nr. 1 InsO) Bedeutung erlangt, wird in Recht-
sprechung und Literatur unterschiedlich beurteilt. Teils wird die schlichte, etwa
im Ankreuzen des im Anmeldeformular hierfür vorgesehenen "Kästchens" lie-
gende Behauptung des Gläubigers, die Forderung stamme aus einer vorsätz-
lich begangenen unerlaubten Handlung, für ausreichend gehalten (Mäusezahl,
ZInsO 2002, 462 ff, Beispiel 3). Nach anderer Ansicht reicht es aus, den nach
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Ansicht des Gläubigers maßgeblichen Vorgang hinreichend zu individualisieren
(Kolbe, Deliktische Forderungen und Restschuldbefreiung, S. 45; Gaul in Ge-
dächtnisschrift für Meinhard Heinze, 2005, S. 193, 199). Mehrheitlich wird Tat-
sachenvortrag verlangt, der eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung
als "plausibel" (AG Strausberg, DGVZ 2004, 159; MünchKomm-InsO/Stephan,
2. Aufl., § 302 Rn. 11; K. Schmidt/Jungmann, InsO, 18. Aufl. § 174 Rn. 54;
Pape/Schaltke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2011, § 184 Rn. 58; FK-InsO/
Ahrens, 7. Aufl., § 302 Rn. 15; wohl auch Uhlenbruck/Vallender, InsO, 13. Aufl.,
§ 302 Rn. 15) erscheinen lässt oder sogar schlüssig darlegt (AG Köln, ZVI
2013, 150; Uhlenbruck/Sinz, aaO, § 174 Rn. 38; Wagner in Ahrens/Gehrlein/
Ringstmeier, InsO, § 174 Rn. 14 f; Hain, ZInsO 2011, 1193, 1194). Was sich
hinter den Begriffen "individualisierbar", "plausibel" oder "schlüssig" verbirgt, ist
nicht eindeutig.
3. Der Rechtsgrund der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung
ist wirksam angemeldet, wenn der geltend gemachte Anspruch in tatsächlicher
Hinsicht zweifelsfrei bestimmt ist und der Schuldner erkennen kann, welches
Verhalten der Gläubiger ihm vorwirft. Eines Vortrags, der sämtliche objektive
und subjektive Tatbestandsmerkmale der behaupteten unerlaubten Handlung
ausfüllt, bedarf es nicht.
a) Der Wortlaut der Vorschrift des § 174 Abs. 2 InsO ist unklar. Der
Gläubiger hat bei der Anmeldung seiner Forderung diejenigen Tatsachen anzu-
geben, aus denen sich seiner Einschätzung nach ergibt, dass ihr eine vorsätz-
lich begangene unerlaubte Handlung zugrunde liegt. Die Formulierung "seiner
Einschätzung nach" könnte bedeuten, dass es ausschließlich auf die Ansicht
des Gläubigers ankommt, während eine Schlüssigkeitsprüfung entbehrlich ist
(so Kolbe, aaO, S. 44); sie könnte aber auch umgekehrt die deutliche Angabe
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des deliktischen Haftungsgrundes verlangen, um den Schuldner rechtzeitig vor
den Wirkungen derartiger Anmeldungen im Hinblick auf die beantragte Rest-
schuldbefreiung (§ 302 Nr. 1 InsO) zu warnen (so Gaul, aaO). In der Begrün-
dung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Insolvenzord-
nung und anderer Gesetze vom 28. März 2001 (BT-Drucks. 14/5680) wird der
genannte Begriff nicht näher erläutert. Aus ihr ergibt sich allerdings der Beweg-
grund für die Anmeldepflicht als solcher. Der Schuldner soll frühzeitig einschät-
zen können, ob er sich im Hinblick auf die angemeldete, nicht der Restschuld-
befreiung unterfallende Forderung dem Insolvenzverfahren mit anschließender
Restschuldbefreiung überhaupt unterwerfen will (aaO, S. 27 zu Nummer 12).
Die Vorschrift des § 302 Nr. 1 InsO wurde folgerichtig dahingehend geändert,
dass eine Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung
nur dann von der Restschuldbefreiung ausgenommen wird, wenn sie unter An-
gabe dieses Rechtsgrundes angemeldet worden war.
b) Wegen des Schutzzwecks dieser Änderungen wird in der Literatur an-
genommen, der in rechtlichen Dingen unerfahrene Schuldner müsse schon
aufgrund des Tatsachenvortrags des Gläubigers in der Lage sein zu entschei-
den, ob es sinnvoll und notwendig sei, Widerspruch gegen den Rechtsgrund zu
erheben (Graf-Schlicker, InsO, 3. Aufl., § 174 Rn. 17). Der Schuldner bedarf
des in einer ausführlichen Begründung liegenden Schutzes indes nicht. Auf
Vorschlag des Rechtsausschusses wurde im Insolvenzrechtsänderungsgesetz
vom 28. März 2001 neben § 174 Abs. 2 InsO und § 302 Nr. 1 InsO auch § 175
InsO geändert (vgl. hierzu BT-Drucks. 14/6468, S. 17). Nach § 175 Abs. 1 InsO
in der Fassung dieses Gesetzes hat das Insolvenzgericht den Schuldner auf die
Rechtsfolgen des § 302 InsO und die Möglichkeit des Widerspruchs hinzuwei-
sen, wenn ein Gläubiger eine Forderung aus einer vorsätzlich begangenen un-
erlaubten Handlung angemeldet hat. Es reicht daher aus, wenn der Schuldner
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weiß, um welche Forderung es geht und welches Verhalten ihm als vorsätzlich
begangene unerlaubte Handlung vorgeworfen wird. Weil der Widerspruch nicht
begründet werden muss, braucht dem Schuldner in dieser Phase des Verfah-
rens nicht die Möglichkeit eröffnet zu werden, den Vortrag des Gläubigers ge-
zielt anzugreifen. Erst in einem sich anschließenden Klageverfahren (§ 184
InsO), in welchem Gläubiger und Schuldner über den Grund der angemeldeten
Forderung streiten, muss der Gläubiger den behaupteten Rechtsgrund nach
den allgemeinen Regeln des Zivilprozesses darlegen und gegebenenfalls be-
weisen. Das Erfordernis der qualifizierten Anmeldung gemäß § 174 Abs. 2 InsO
dient nicht dazu, dem Schuldner das Prozessrisiko des sich an den Wider-
spruch möglicherweise anschließenden Feststellungsrechtsstreit abzunehmen.
c) Die Interessen der übrigen Verfahrensbeteiligten verlangen gleichfalls
keinen substantiierten Tatsachenvortrag des Gläubigers in der Anmeldung.
Dem Insolvenzverwalter steht, wenn der Bestand der Forderung nicht vom Vor-
liegen einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung abhängt, kein auf
den Rechtsgrund der angemeldeten Forderung beschränktes Widerspruchs-
recht zu, weil dieser keinen Einfluss auf die Abwicklung des Insolvenzverfah-
rens hat (BGH, Urteil vom 17. Januar 2008 - IX ZR 220/06, NZI 2008, 250
Rn. 13; vom 12. Juni 2008 - IX ZR 100/07, NZI 2008, 569 Rn. 7). Nach der
Konzeption des Insolvenzrechtsänderungsgesetzes 2001 hat die Klärung des
Rechtsgrundes außerhalb des Insolvenzverfahrens und ohne Beteiligung des
Verwalters zu erfolgen (vgl. BT-Drucks. 14/5680, S. 27). Auch die anderen In-
solvenzgläubiger haben kein eigenes Interesse daran, dass die beantragte
Feststellung unterbleibt; ihre Quotenaussichten werden hiervon nicht beein-
trächtigt.
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4. Die Anmeldung vom 7. April 2010 erfüllte in Verbindung mit dem
Schreiben vom 28. Oktober 2010 ohne weiteres die Anforderungen, die an eine
Anmeldung nach § 174 Abs. 2 InsO zu stellen sind. Die Klägerin wirft dem Be-
klagten vor, unrichtige Bonitätsunterlagen vorgelegt und Kick-Back-Zahlungen
erhalten und damit einen Betrug (§ 263 StGB), eine vorsätzliche Straftat, zu
ihrem Nachteil begangen zu haben. Dass die Klägerin - wie das Berufungsge-
richt beanstandet - damit die Möglichkeit offen lassen wollte, die Bonitätsunter-
lagen seien für die Vergabe des Darlehens gleichgültig gewesen und die Kick-
Back-Zahlungen seien ohne vorherige Absprache mit dem Schuldner geleistet
worden, liegt fern.
III.
Das angefochtene Urteil kann daher keinen Bestand haben. Es ist auf-
zuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist,
ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsge-
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richt zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), welches sich nunmehr mit
dem Anspruch selbst zu befassen haben wird.
Kayser
Vill
Lohmann
Pape
Möhring
Vorinstanzen:
LG Bautzen, Entscheidung vom 13.09.2012 - 3 O 43/12 -
OLG Dresden, Entscheidung vom 20.03.2013 - 13 U 1700/12 -