Urteil des BGH vom 23.07.2014

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
BESCHLUSS
X I I Z B 4 8 9 / 1 3
Verkündet am:
23. Juli 2014
Küpferle,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Familiensache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 1603
a) Verbleibt dem unterhaltspflichtigen Kind, das über geringere Einkünfte als
sein Ehegatte verfügt und dessen Leistungsfähigkeit zur Zahlung von Eltern-
unterhalt auf der Grundlage eines individuellen Familienbedarfs zu ermitteln
ist, von seinem Einkommen ein entsprechender Anteil des individuellen Fa-
milienbedarfs, bedarf es einer weiteren Absicherung in Höhe von 5 bis 7 %
des Familienselbstbehalts nicht mehr (im Anschluss an Senatsbeschluss
vom 5. Februar 2014 - XII ZB 25/13 - FamRZ 2014, 538).
b) Nur bei einem unterhalb von 5 bis 7 % des Familieneinkommens liegenden
Einkommen des Unterhaltspflichtigen ist auch ein ihm bis zu dieser Höhe zu-
stehendes Taschengeld einzusetzen und demgemäß der insoweit bestehen-
de Selbstbehalt zu beachten (im Anschluss an Senatsbeschluss vom
5. Februar 2014 - XII ZB 25/13 - FamRZ 2014, 538 und Senatsurteil BGHZ
196, 21 = FamRZ 2013, 363).
BGH, Beschluss vom 23. Juli 2014 - XII ZB 489/13 - OLG München
AG Nördlingen
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 23. Juli 2014 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Schil-
ling, Dr. Günter, Dr. Botur und Guhling
für Recht erkannt:
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss
des 30. Zivilsenats - Familiensenat - des Oberlandesgerichts
München vom 20. August 2013 im Kostenpunkt und insoweit auf-
gehoben, als die Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen
worden ist.
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des
Amtsgerichts - Familiengericht - Nördlingen vom 23. Januar 2013
abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst: Der Antragsgeg-
ner wird verpflichtet, an d
en Antragsteller 4.864 € nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
9. August 2012 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Antragsgegner zu tragen.
Von Rechts wegen
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Gründe:
I.
Der Antragsteller, der Bezirk Schwaben, begehrt von dem Antragsgegner
Elternunterhalt aus übergegangenem Recht für die Zeit vom 1. Januar 2011 bis
31. Juli 2012.
Seit Oktober 2006 gewährt der Antragsteller der in einem Heim lebenden
Mutter des Antragsgegners monatliche Sozialleistungen nach dem Zwölften
Buch des Sozialgesetzbuches mindestens in Höhe des geltend gemachten Be-
trages, die sich für den im Streit stehenden Zeitraum auf insgesamt 17.828,51
belaufen. Der Antragsteller wies den Antragsgegner u.a. im Januar 2007 auf die
Leistungserbringung und auf den gesetzlichen Übergang der Unterhaltsansprü-
che hin. Der Antragsgegner erzielte im hier maßgeblichen Zeitraum ein berei-
nigtes monatliches Nettoeinkommen von rund 1.585
€, seine Ehefrau von rund
2.261
€.
Der Antragsteller begehrt vom Antragsgegner Unterhalt von insgesamt
4.864
€, den er aus einer monatlichen Unterhaltsverpflichtung von 256 € (x
19 Monate) errechnet. Das Amtsgericht hat dem Antragsteller auf der Grundla-
ge einer monatlichen Unterhaltsverpflichtung von 18
€ einen Gesamtbetrag von
342
€ zugesprochen. Auf dessen Beschwerde hat das Oberlandesgericht dem
Antragsteller auf der Basis einer monatlichen Unterhaltsverpflichtung von 50
einen Gesamtunterhaltsbetrag in Höhe von 950
€ zugesprochen und die wei-
tergehende Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Antrag-
steller mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde.
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II.
Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
1. Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
Außer Streit stehe zwischen den Beteiligten die grundsätzliche Unter-
haltspflicht des Antragsgegners, die Bedürftigkeit der Mutter im maßgeblichen
Zeitraum, die Höhe der vom Antragsteller erbrachten Sozialhilfeleistung und der
Anspruchsübergang auf den Antragsteller. Unstreitig sei ferner, dass der An-
tragsgegner seinen Vermögensstamm nicht für den Elternunterhalt zu verwen-
den habe.
Die vom Bundesgerichtshof entwickelte Methode zur Ermittlung der Leis-
tungsfähigkeit beim Elternunterhalt für den Fall, dass der Unterhaltspflichtige
über höheres Einkommen als sein Ehegatte verfüge, sei auf Fälle der vorlie-
genden Art nur eingeschränkt zu übertragen. Soweit die Einkünfte die Verpflich-
tung, zum Familienunterhalt beizutragen, überstiegen, sei dem Unterhaltspflich-
tigen hiervon ein Betrag in Höhe von 5 bis 7 % des Familienselbstbehalts zur
persönlichen Verwendung zu belassen. Von dem dann noch verbleibenden
Einkommen sei die Hälfte für den Elternunterhalt zu verwenden. Dies gewähr-
leiste, dass dem unterhaltspflichtigen Kind neben seinem zweckgebundenen
Beitrag zum Familienunterhalt aus seinem Einkommen ein Barbetrag zur Be-
friedigung seiner persönlichen Bedürfnisse belassen werde.
Ausgehend von einem Familieneinkommen in Höhe von 3.846
€ und
dem Familienmindestselbstbehalt von seinerzeit 2.700
€ ergebe sich ein indivi-
dueller Familienselbstbehalt von 3.216
€. Aufgrund des Einkommens des An-
tragsgegners betrage sein Anteil hieran 1.325
€; nach dessen Abzug verbleibe
ihm ein Einkommen von 260
€. Hiervon seien ihm 5 % des Familienselbstbe-
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halts, mithin 160
€ (0,05 x 3.216 €), zur persönlichen Verwendung zu belassen.
Der Restbetrag sei zur Hälfte, mithin in Höhe von 50
€ (1/2 x [260 € - 160 €]) für
den Unterhalt der Mutter zu verwenden. Dies ergebe eine Gesamtsumme für 19
Monate von 950
€.
2. Dies hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde nicht in jeder Hinsicht
stand.
a) Zwar ist die vom Beschwerdegericht vorgenommene Unterhaltsbe-
rechnung nicht zu beanstanden, soweit es hierfür die vom Senat entwickelte
Berechnungsmethode mit der Bildung eines individuellen Familienbedarfs für
die Ermittlung der Leistungsfähigkeit herangezogen hat. Entgegen der Auffas-
sung des Beschwerdegerichts ist dem Unterhaltspflichtigen aber kein zusätzli-
cher Selbstbehalt zu belassen.
aa) Der Senat hat nach Erlass des angegriffenen Beschlusses entschie-
den, dass die Leistungsfähigkeit zur Zahlung von Elternunterhalt auch dann auf
der Grundlage eines individuellen Familienbedarfs zu ermitteln ist, wenn der
Unterhaltspflichtige - wie hier - über geringere Einkünfte als sein Ehegatte ver-
fügt (Senatsbeschluss vom 5. Februar 2014 - XII ZB 25/13 - FamRZ 2014, 538).
Dabei hat der Senat die Berechnungsmethode übernommen, die er bereits für
den umgekehrten Fall, dass der Unterhaltspflichtige über höhere Einkünfte als
sein Ehegatte verfügt, angewandt hat (s. zur Berechnungsweise Senatsbe-
schluss vom 5. Februar 2014 - XII ZB 25/13 - FamRZ 2014, 538 Rn. 21 unter
Hinweis auf Senatsurteil BGHZ 186, 350 = FamRZ 2010, 1535).
bb) In seinem vorgenannten Beschluss vom 5. Februar 2014 hat sich der
Senat der Sache nach bereits mit den Einwendungen auseinandergesetzt, die
der Antragsgegner in seiner Rechtsbeschwerdeerwiderung gegen die Heran-
ziehung dieser Berechnungsweise geltend gemacht hat. Die Ermittlung des in-
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dividuellen Familienbedarfs stellt sicher, dass der Elternunterhalt nur aus dem
Einkommen des Unterhaltspflichtigen gespeist wird. Eine verdeckte Haftung
des besserverdienenden Schwiegerkindes ist damit ausgeschlossen. Dem un-
terhaltspflichtigen Kind verbleibt der Anteil, den es zum Familienbedarf beizu-
tragen hat; nur sein darüber hinausgehendes Einkommen ist für den Elternun-
terhalt einzusetzen. Mit dieser Berechnungsweise wird zudem der Haushaltser-
sparnis, die erfahrungsgemäß mit zunehmendem Einkommen steigt, hinrei-
chend Rechnung getragen. Zwar kann der dem unterhaltspflichtigen Kind zu
belassende anteilige individuelle Familienbedarf durch dessen proportionale
Anbindung an das Einkommen geringer sein als der Betrag, der einem allein-
stehenden unterhaltspflichtigen Kind verbleiben müsste. Dieses Ergebnis findet
seine Rechtfertigung indes in der zusätzlichen Absicherung des unterhalts-
pflichtigen Kindes durch den Familienunterhalt (Senatsbeschluss vom
5. Februar 2014 - XII ZB 25/13 - FamRZ 2014, 538 Rn. 27 mit Anm. Seiler; aA
Schürmann in jurisPR-FamR 14/2014 Anm. 6).
cc) Gleichzeitig hat der Senat entschieden, dass das unterhaltspflichtige
Kind, dem von seinem Einkommen ein entsprechender Anteil des individuellen
Familienbedarfs verbleibt, einer weiteren Absicherung in Höhe von 5 bis 7 %
des Familienselbstbehalts nicht mehr bedarf, weil damit auch die persönlichen
Bedürfnisse abgedeckt sind (Senatsbeschluss vom 5. Februar 2014 - XII ZB
25/13 - FamRZ 2014, 538 Rn. 29). Nur bei einem unterhalb von 5 bis 7 % des
Familieneinkommens liegenden Einkommen des Unterhaltspflichtigen ist auch
ein ihm bis zu dieser Höhe zustehendes Taschengeld einzusetzen und dem-
gemäß der insoweit bestehende Selbstbehalt zu beachten (Senatsbeschluss
vom 5. Februar 2014 - XII ZB 25/13 - FamRZ 2014, 538 Rn. 29 unter Hinweis
auf Senatsurteil BGHZ 196, 21 = FamRZ 2013, 363 und Dose FamRZ 2013,
993, 1000).
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b) Gemessen hieran ist der vom Beschwerdegericht eingeschlagene Be-
rechnungsweg zwar nicht zu beanstanden, soweit es nach Abzug des auf den
Antragsgegner entfallenden anteiligen individuellen Familienbedarfs ein ihm
verbleibendes Einkommen von 260
€ errechnet hat. Nicht gefolgt werden kann
dem Beschwerdegericht nach dem oben Gesagten indes, soweit es dem An-
tragsgegner hiervon weitere 5 % des Familienselbstbehalts in Abzug gebracht
und von dem Restbetrag nur die Hälfte für den Unterhalt eingesetzt hat. Über-
dies hätte das Beschwerdegericht - worauf die Rechtsbeschwerde zutreffend
hinweist
- bei konsequenter Umsetzung seiner Auffassung den fünfprozentigen
Abschlag nicht anhand des individuellen Familienbedarfs (hier 3.216
€), son-
dern anhand des Familienselbstbehalts (seinerzeit 2.700
€) errechnen müssen.
c) Nach den nicht im Streit stehenden Feststellungen des Beschwerde-
gerichts zum bereinigten Einkommen der Ehegatten ergibt sich folgende Unter-
haltsberechnung:
Einkommen Antragsgegner
1.585,00
Einkommen Ehegatte
2.261,00
Familieneinkommen
3.846,00
abzgl. damaliger Familienselbstbehalt
2.700,00 €
verbleiben
1.146,00
abzgl. 10 % Haushaltsersparnis
114,60 €
Zwischensumme
1.031,40
davon verbleiben 1/2
515,70
zzgl. Familienselbstbehalt
2.700,00 €
indiv. Familienbedarf rund
3.216,00
Anteil Antragsgegner rund
1.325,00
Einkommen Antragsgegner
1.585,00
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abzgl. Anteil des Antragsgegners am
indiv. Familienbedarf
1.325,00
für Elternunterhalt einsetzbar
260,00 €
Die Ausführungen des Oberlandesgerichts zur Ermittlung des bereinigten
Einkommens des Antragsgegners und seiner Ehefrau insbesondere bei der Be-
handlung der Tilgungsanteile enthalten jedenfalls keine Rechtsfehler zu Lasten
des Antragsgegners.
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3. Gemäß § 74 Abs. 5 FamFG ist der Beschluss des Beschwerdegerichts
aufzuheben, soweit darin die Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen
wurde. Der Senat kann in der Sache abschließend entscheiden, weil diese zur
Endentscheidung reif ist. Denn es sind alle für eine Entscheidung erforderlichen
Feststellungen getroffen, § 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG.
Dose Schilling Günter
Botur Guhling
Vorinstanzen:
AG Nördlingen, Entscheidung vom 23.01.2013 - 1 F 409/12 -
OLG München, Entscheidung vom 20.08.2013 - 30 UF 504/13 -
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