Urteil des BGH vom 11.09.2014

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 S t R 1 4 8 / 1 4
vom
11. September 2014
BGHSt:
nein
BGHR:
ja
Nachschlagewerk:
ja
Veröffentlichung:
ja
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StGB § 56b
StPO § 257c, § 268a, § 305a
MRK Art. 6 Abs. 1
Die Verhängung einer Bewährungsauflage gemäß § 56b Abs. 1 Satz 1 StGB
verstößt gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens und unterliegt im Be-
schwerdeverfahren der Aufhebung, wenn der Angeklagte vor Vereinbarung ei-
ner Verständigung gemäß § 257c StPO, deren Gegenstand die Verhängung
einer zur Bewährung auszusetzenden Freiheitsstrafe ist, nicht auf konkret in
Betracht kommende Bewährungsauflagen hingewiesen worden ist (Fortführung
von BGH, Beschluss vom 29. Januar 2014
– 4 StR 254/13).
BGH, Beschluss vom 11. September 2014
– 4 StR 148/14 – LG Münster
in der Strafsache
gegen
wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des General-
bundesanwalts und des Beschwerdeführers am 11. September 2014 gemäß
§§ 305a, 349 Abs. 2, § 464 Abs. 3 StPO beschlossen:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Land-
gerichts Münster vom 22. Oktober 2013 wird als unbegrün-
det verworfen.
2. Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen die Kos-
ten- und Auslagenentscheidung in dem vorbezeichneten
Urteil wird verworfen.
3. Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss
des Landgerichts Münster vom 22. Oktober 2013 aufgeho-
ben, soweit dem Angeklagten mit diesem auferlegt worden
ist, „150 Sozialstunden“ zu erbringen; die Anordnung ent-
fällt.
Die weiter gehende Beschwerde wird verworfen.
4. Der Angeklagte hat die Kosten der Revision (Ziff. 1) und der
sofortigen Beschwerde (Ziff. 2) zu tragen. Die Kosten der
Beschwerde gegen den Beschluss vom 22. Oktober 2013
(Ziff. 3) und die dem Angeklagten in diesem Beschwerde-
verfahren entstandenen notwendigen Auslagen trägt die
Staatskasse.
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Gründe:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Münster vom 22. Oktober 2013 war als unbegründet zu verwerfen, da die
Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechts-
fehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
2. Die sofortige Beschwerde gegen die in dem vorbezeichneten Urteil ge-
troffene Kostenentscheidung ist unbegründet, weil diese Entscheidung der
Sach- und Rechtslage entspricht (§ 464 Abs. 3 StPO).
3. Die gemäß § 305a StPO zulässige Beschwerde gegen den Bewäh-
rungsbeschluss nach § 268a StPO ist überwiegend begründet.
a) Das Landgericht hat den Angeklagten mit Urteil vom 22. Oktober 2013
zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt und die
Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Im Anschluss an
die Urteilsverkündung hat es folgenden Beschluss verkündet:
„ 1.) Die Bewährungszeit beträgt 4 Jahre.
2.)
… (betrifft nicht den Angeklagten).
3.) Die Angeklagten K. , Kr. und R. werden ange-
wiesen Sozialstunden zu erbringen und zwar … R. : 150 Std.“
Dem Urteil liegt eine Verständigung zugrunde, nach deren Inhalt dem
Angeklagten R.
eine „Gesamtfreiheitsstrafe in einem Rahmen von einem
Jahr (Strafuntergrenze) und
einem Jahr und sechs Monaten (Strafobergrenze)“
bei Strafaussetzung zur Bewährung in Aussicht gestellt worden ist. Die Ange-
klagten sollten der Wirtschaftsstrafkamm
er „weiter für Fragen zur Verfügung
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stehen und die Taten, soweit nicht bereits geschehen, qualifiziert gestehen“.
Mögliche Bewährungsauflagen waren nicht Gegenstand der Verständigungsge-
spräche. Nach Annahme der Verständigung haben sich „alle Angeklagten …
weiter geständig
zur Sache eingelassen“ (UA S. 32).
Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 14. Januar 2014 hat der Ange-
klagte gegen den Bewährungsbeschluss Beschwerde eingelegt, mit der er gel-
tend macht, dass insbesondere die dem Angeklagten erteilte Anweisung,
150 Sozialstunden zu erbringen, gesetzwidrig sei. Da die Auflage nicht in die
Verständigung einbezogen worden sei, verstoße das Vorgehen des Gerichts
gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens. Diese Beanstandung hat der An-
geklagte nur im Rahmen des Beschwerdeverfahrens erhoben. Das Landgericht
hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Der Generalbundesanwalt hat beantragt,
die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
b) Die Anordnung der Dauer der Bewährungszeit findet ihre Rechts-
grundlage in § 56a Abs. 1 StGB. Soweit die Wirtschaftsstrafkammer dem Ange-
klagten auferlegt hat, 150 Sozialstunden zu erbringen, ist die Anordnung jedoch
gesetzwidrig im Sinne des § 305a Abs. 1 Satz 2 StPO.
aa)
Die „Anweisung“ des Landgerichts stellt eine Auflage im Sinne des
§ 56b Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StGB dar, durch deren Verhängung der Beschwerde-
führer in seinem Anspruch auf ein faires Verfahren (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6
Abs. 1 EMRK) verletzt worden ist. Die Gesetzwidrigkeit einer Anordnung im
Sinne des § 305a StPO kann sich nicht nur aus ihrem Inhalt, sondern
– wie
hier
– auch aus der Art und Weise ihres Zustandekommens ergeben (OLG
Saarbrücken, NJW 2014, 238, 239; SK-StPO/Frisch, 4. Aufl., § 305a Rn. 13).
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Aus der Gewährleistung eines fairen Verfahrens ergibt sich, dass der
Angeklagte vor Vereinbarung einer Verständigung gemäß § 257c StPO, deren
Gegenstand die Verhängung einer zur Bewährung auszusetzenden Freiheits-
strafe ist, konkret auf in Betracht kommende Bewährungsauflagen hingewiesen
werden muss, die nach § 56b Abs. 1 Satz 1 StGB der Genugtuung für das
begangene Unrecht dienen und deren Erteilung Voraussetzung für die in Aus-
sicht gestellte Strafaussetzung ist (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Januar 2014
– 4 StR 254/13, NJW 2014, 1831; OLG Saarbrücken, NJW 2014, 238, 239;
OLG Köln, NJW 1999, 373; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 257c
Rn. 12; MüKoStGB/Groß, 2. Aufl., § 56b Rn. 35; Hubrach in LK-StGB, 12. Aufl.,
§ 56b Rn. 30; SK-StPO/Frisch, 4. Aufl., § 305a Rn. 13; aA OLG Dresden,
NStZ-RR 2007, 267; Stree/Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 56b
Rn. 28; Kaetzler, wistra 1999, 253, 255).
Die Verständigung im Strafverfahren ist nur dann mit dem Grundsatz des
fairen Verfahrens zu vereinbaren, wenn durch eine vorherige Belehrung sicher-
gestellt ist, dass der Angeklagte vollumfänglich über die Tragweite seiner Mit-
wirkung informiert ist. Nur in diesem Fall ist gewährleistet, dass er autonom
darüber entscheiden kann, ob er von seiner Freiheit, die Aussage zu verwei-
gern, Gebrauch macht oder sich auf eine Verständigung einlässt (BVerfG, NJW
2013, 1058, 1071; vgl. auch BT-Drucks. 16/12310, S. 14, 15). Diese Grundsät-
ze erfordern es, dass das Gericht vor Vereinbarung einer Verständigung offen-
legt, dass es die Verhängung einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe
allein nicht für ausreichend hält, sondern zur Verwirklichung der Genugtuungs-
funktion des Strafverfahrens Bewährungsauflagen in Betracht zieht. Denn nur
wenn der Angeklagte über den gesamten Umfang der Rechtsfolgenerwartung
bei der Verständigung informiert ist, kann er autonom eine Entscheidung über
seine Mitwirkung treffen (OLG Saarbrücken, NJW 2014, 238, 239).
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Bewährungsauflagen sind Bestandteil dieser Rechtsfolgenerwartung. Sie
dienen gemäß § 56b Abs. 1 Satz 1 StGB der Genugtuung für das begangene
Unrecht und stellen damit eine strafähnliche Sanktion dar (Stree/Kinzig in
Schönke/Schröder, aaO, § 56b, Rn. 1, 2; Arloth, NStZ 1990, 148, 149). Ebenso
wie Geldauflagen können Arbeitsauflagen eine erhebliche Belastung für den
Angeklagten darstellen, zumal diese in Zahlungsauflagen umgewandelt werden
können. Erst die Kenntnis des Umstandes, dass ihm neben der zur Bewährung
ausgesetzten Freiheitsstrafe weitere Maßnahmen mit Vergeltungscharakter
drohen, versetzt den Angeklagten in die Lage, von seiner Entscheidungsfreiheit,
ob er auf das Angebot des Gerichts eingehen möchte, auf einer hinreichenden
tatsächlichen Grundlage Gebrauch zu machen.
bb) Diesen Anforderungen hat die Wirtschaftsstrafkammer nicht entspro-
chen. Das Gericht hat im Rahmen der Verständigungsgespräche nicht darauf
hingewiesen, dass nach seiner Auffassung die Verhängung einer Arbeitsauf-
lage erforderlich ist.
Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass der Angeklagte sich schon
vor Abschluss der Verständigung „weitgehend“ geständig eingelassen hatte.
Das Landgericht hat sich in der Verständigung zusichern lassen, dass der An-
geklagte „weiter für Fragen zur Verfügung stehen und die Taten, soweit noch
nicht geschehen, qualifiziert gestehen“ werde. Dies ist im Anschluss an die Ver-
ständigung auch geschehen (UA S. 32). Der Angeklagte stand deshalb vor der
Entscheidung, ob er sich auf diese Bedingung des Gerichts einlässt. Diese Ent-
scheidung konnte er nicht auf der Grundlage der Kenntnis der gesamten
Rechtsfolgenerwartung treffen, weil die Wirtschaftsstrafkammer ihn nicht zuvor
darauf hingewiesen hatte, dass Bewährungsauflagen in Betracht kommen.
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Maßstab für die Beschwerdeentscheidung ist allein, ob die getroffene
Anordnung rechtswidrig ist; daher kommt es auf die Frage, ob „eine Ursächlich-
keit der fehlenden Belehrung über etwaige Bewährungsauflagen für das Ge-
ständnis ausgeschlossen werden“ kann (vgl. die Zuschrift des Generalbundes-
anwalts vom 14. Mai 2014, S. 7, unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundes-
gerichtshofs vom 7. August 2013
– 5 StR 253/13, BGHR StPO § 257c Abs. 5
Belehrung 3), nicht an.
cc) Die Auflage in Ziff. 3 des Bewährungsbeschlusses muss daher entfal-
len (§ 309 Abs. 2 StPO).
c) Die Kosten- und Auslagenentscheidung hinsichtlich der Beschwerde
gegen den Bewährungsbeschluss beruht auf § 473 Abs. 4 StPO. Der Umstand,
dass die Beschwerde zurückzuweisen war, soweit sie sich gegen die Anord-
nung der Dauer der Bewährungszeit gerichtet hat, rechtfertigt keine Beteiligung
an den Kosten des Rechtsmittels.
Sost-Scheible
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Franke
Bender
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