Urteil des BGH vom 29.07.2014

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I I Z R 3 5 3 / 1 2
Verkündet am:
29. Juli 2014
Vondrasek
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
WpÜG §§ 30, 31; WpÜG-AngVO §§ 4, 5
a) Ist die vom Bieter im Rahmen eines Übernahmeangebots nach § 29 Abs. 1 WpÜG vor-
gesehene Gegenleistung nicht angemessen im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 1 WpÜG, so
haben die Aktionäre, die das Übernahmeangebot angenommen haben, einen Anspruch
gegen den Bieter auf Zahlung der angemessenen Gegenleistung.
b) Die Referenzzeiträume der §§ 4, 5 WpÜG-AngVO verlängern sich entsprechend, wenn
der Bieter bereits vor der Veröffentlichung seines Übernahmeangebots 30 % oder mehr
der Stimmrechte der Zielgesellschaft und damit die Kontrolle im Sinne des § 29 Abs. 2
WpÜG erwirbt und es dennoch unterlässt, ein Pflichtangebot - oder ein als freiwilliges
Übernahmeangebot nach § 29 Abs. 1 WpÜG bezeichnetes Angebot - innerhalb der Frist
des § 35 Abs. 2 Satz 1 WpÜG zu veröffentlichen.
c) Eine Zurechnung von Stimmrechten nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpÜG setzt voraus,
dass der Bieter die wesentlichen Risiken und Chancen aus den betreffenden Aktien trägt
und die Möglichkeit hat, auf die Stimmrechtsausübung des Eigentümers der Aktien Ein-
fluss zu nehmen.
d) Eine Zurechnung von Stimmrechten nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpÜG setzt voraus,
dass der Bieter das Eigentum an den entsprechenden Aktien durch eine einseitige Wil-
lenserklärung ohne Mitwirkung des Vertragspartners oder eines Dritten erwerben kann;
ein schuldrechtlicher Anspruch auf Übereignung der Aktien reicht dafür nicht aus.
BGH, Urteil vom 29. Juli 2014 - II ZR 353/12 - OLG Köln
LG Köln
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Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 20. Mai 2014 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bergmann, den
Richter Prof. Dr. Strohn, die Richterin Dr. Reichart und die Richter Dr. Drescher
und Born
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 13. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Köln vom 31.Oktober 2012 aufgeho-
ben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Beru-
fungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die beklagte Deutsche Bank AG veröffentlichte am 7. Oktober 2010 ein
freiwilliges Übernahmeangebot in Bezug auf die Aktien der Deutsche Postbank
AG (im Folgenden: Postban
k) zum Preis von 25 € je Aktie. Die Klägerin, die
150.000 Aktien der Postbank hielt, nahm dieses Angebot an. Sie ist jedoch der
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Meinung, die Beklagte sei verpflichtet gewesen, bereits im Jahr 2008 ein
Pflichtangebot zu einem Preis von 57,25 € je Aktie zu veröffentlichen.
Die damalige Muttergesellschaft der Postbank, die Deutsche Post AG (im
Folgenden: Post), hatte mit der Beklagten am 12. September 2008 einen Ver-
trag (im Folgenden: Ursprungsvereinbarung) geschlossen. Danach sollte die
Beklagte im ersten Quartal 2009 von der Post 29,75 % der Aktien der Postbank
zum Preis von je 57,25 € erwerben. Daneben wurde der Beklagten die Option
eingeräumt, im Zeitraum zwischen 12 und 36 Monaten nach dem Abschluss
des Erwerbs der Minderheitsbeteiligung weitere 18 % der Postbank-Aktien für
55 € je Aktie zu erwerben. Die Post erhielt die Option, im Zeitraum zwischen 21
und 36 Monaten nach dem Abschluss des Erwerbs der Minderheitsbeteiligung
20,25 % der Postbank-
Aktien plus einer Aktie für 42,80 € je Aktie an die Beklag-
te zu veräußern.
Im vierten Quartal 2008 führte die Postbank eine Kapitalerhöhung über
54,8 Mio. € durch. Die Anteile wurden überwiegend von der Post gezeichnet.
Deren Anteil an den Postbank-Aktien erhöhte sich dadurch von 50 % auf
62,35 %.
Ende 2008 vereinbarten die Beklagte und die Post, den Vollzug (closing)
der Ursprungsvereinbarung zu verschieben. Am 14. Januar 2009 schlossen sie
ein "Amendment Agreement regarding the Acquisition of Shares in Deutsche
Postbank AG" (im Folgenden: Nachtragsvereinbarung). Danach sollte der Er-
werb der Postbank-Beteiligung - anders als ursprünglich vorgesehen - in fol-
genden drei Stufen durchgeführt werden: In einem ersten Schritt sollte die Be-
klagte 50.000.000 Postbank-
Aktien (= 22,9 % des Grundkapitals) zu je 23,92 €
von der Post erwerben. Weitere 60.000.000 Postbank-Aktien (= 27,4 % des
Grundkapitals) sollte die Beklagte für je 45,45 € über eine Pflichtwandelanleihe
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mit Fälligkeit zum 25. Februar 2012 erwerben. Schließlich sollte die Beklagte
restliche 26.417.432 Postbank-Aktien (= 12,1 % des Grundkapitals) über Call-
und Put-
Optionen zum Preis von je 48,85 € für die Call-Option und je 49,42 €
für die Put-Option erwerben, wobei die Optionen im Zeitraum zwischen dem
28. Februar 2012 und dem 25. Februar 2013 sollten ausgeübt werden können.
In der Folgezeit erwarb die Beklagte - über eine Tochtergesellschaft - 22,9 %
der Postbank-Aktien und zeichnete die Wandelanleihe.
Mit ihrer Klage verlangt d
ie Klägerin zuletzt Zahlung von 4.837.500 €,
nämlich der Differenz zwischen der Gegenleistung aus dem freiwilligen Über-
nahmeangebot und der ihrer Meinung nach geschuldeten Gegenleistung aus
einem Pflichtangebot, das bereits aufgrund der Ursprungsvereinbarung aus
September 2008 zu veröffentlichen gewesen sei. Hilfsweise macht sie geltend,
dass die Beklagte jedenfalls aufgrund der Nachtragsvereinbarung aus Januar
2009 zur Veröffentlichung eines Pflichtangebots verpflichtet gewesen sei, und
zwar zu unterschiedlichen, hilfsweise gestaffelten Zeitpunkten, für die sich
sämtlich ein höherer Preis als der des freiwilligen Übernahmeangebots ergeben
würde.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen (LG Köln, ZIP 2012, 229),
das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (OLG
Köln, ZIP 2013, 1325). Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht - im Um-
fang streitig - zugelassene Revision der Klägerin.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Ur-
teils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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A. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ist das Rechtsmit-
tel nicht mangels Zulassung unzulässig, soweit mit ihm Ansprüche geltend ge-
macht werden, die nicht unmittelbar darauf beruhen, dass der Beklagten Stimm-
rechte der Post nach § 30 WpÜG zuzurechnen wären.
Der Entscheidungssatz des angefochtenen Urteils enthält keinen Zusatz,
der die dort zu Gunsten der Klägerin zugelassene Revision einschränkt. Die
Eingrenzung des Rechtsmittels kann sich zwar auch aus den Entscheidungs-
gründen des Berufungsurteils ergeben (BGH, Urteil vom 29. Januar 2003
- XII ZR 92/01, BGHZ 153, 358, 360 f.). Aus diesen muss dann aber mit ausrei-
chender Klarheit hervorgehen, dass das Berufungsgericht die Möglichkeit einer
revisionsrechtlichen Nachprüfung nur wegen eines - tatsächlich und rechtlich
selbständigen - abtrennbaren Teils seiner Entscheidung eröffnen wollte (BGH,
Urteil vom 27. September 2011 - XI ZR 182/10, ZIP 2011, 2237 Rn. 8, insoweit
in BGHZ 191, 119 nicht abgedruckt, mwN).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. In den Entscheidungs-
gründen des Berufungsurteils heißt es zwar, die Revision werde "im Hinblick auf
die Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Auslegung der Zurechnungstatbe-
stände des § 30 WpÜG zugelassen". Das lässt eine Beschränkung auf Ansprü-
che aus § 35 WpÜG nicht erkennen. Es ist schon zweifelhaft, ob Ansprüche aus
§ 35 WpÜG Gegenstand eines selbständigen Rechtsmittels sein können, also
einen abtrennbaren Teil der angefochtenen Entscheidung darstellen. Jedenfalls
kann aber die Frage der Zurechnung von Stimmrechten nicht nur für Ansprüche
aus § 35 WpÜG, sondern zumindest mittelbar auch für die übrigen geltend ge-
machten Ansprüche von Bedeutung sein.
B. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie
folgt begründet:
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Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Zahlung der Differenz zwischen
dem angemessenen und dem in dem Übernahmevertrag aufgrund des freiwilli-
gen Übernahmeangebots der Beklagten vereinbarten Preis für die Postbank-
Aktien. Denn der von der Klägerin angebotene Preis sei angemessen im Sinne
des § 31 Abs. 1 Satz 1 WpÜG in Verbindung mit §§ 4, 5 WpÜG-AngVO. Eine
Vorverlegung des maßgeblichen Referenzzeitraums für die Bemessung der
angemessenen Gegenleistung komme nicht in Betracht. Die Beklagte habe vor
der Veröffentlichung ihres freiwilligen Übernahmeangebots noch nicht die Kon-
trolle über die Postbank erworben gehabt und sei daher nicht zur Veröffentli-
chung eines Pflichtangebots mit einem entsprechend anderen Referenzzeit-
raum verpflichtet gewesen.
Durch die Ursprungsvereinbarung habe die Klägerin noch nicht die Kon-
trolle über die Postbank im Sinne des § 29 Abs. 2 WpÜG durch Zurechnung
nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpÜG erlangt. Denn eine nach dieser Vorschrift
gebotene Zurechnung von Stimmrechten, die der Bieter durch eine Willenser-
klärung erwerben könne, setze ein dingliches Erwerbsrecht voraus. Dass ein
solches in der Ursprungsvereinbarung begründet worden sei, könne dem Vor-
trag der Klägerin nicht entnommen werden.
Auch die Nachtragsvereinbarung führe nicht zu einer Zurechnung von
Stimmrechten. Für eine Zurechnung nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpÜG fehle
es an einem Halten für Rechnung des Bieters. Die Vereinbarung der Pflicht-
wandelanleihe und der Call-/Put-Optionen habe noch nicht zu einem Übergang
der Risiken und Chancen und zur Möglichkeit einer Stimmrechtsbeeinflussung
geführt, wie sie für den Tatbestand des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpÜG erfor-
derlich seien. Jedenfalls habe die Post ihr Dividendenrecht behalten, und für die
Vereinbarung einer Interessenschutzklausel in der Nachtragsvereinbarung liege
kein greifbarer Anhaltspunkt vor. Auch eine Zurechnung nach § 30 Abs. 1
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Satz 1 Nr. 5 WpÜG scheide aus, weil nicht davon ausgegangen werden könne,
dass mit der Pflichtwandelanleihe und den Call-/Put-Optionen bereits dingliche
Übereignungsangebote verbunden gewesen seien.
Die Stimmrechte der Post müssten der Beklagten auch nicht wegen
eines abgestimmten Verhaltens (acting in concert) im Sinne des § 30 Abs. 2
WpÜG zugerechnet werden. Die Vereinbarung, dass die Post für die der Ver-
einbarung zugrunde liegenden Postbank-Aktien kein freiwilliges Übernahmean-
gebot der Beklagten habe annehmen dürfen, reiche für ein abgestimmtes Ver-
halten im Sinne des § 30 Abs. 2 WpÜG nicht aus. Das Gleiche gelte für die
Verpflichtung der Post, im Falle der Kapitalerhöhung der Postbank neue Aktien
zu zeichnen, um die Beteiligungsquote der Beklagten unter 30 % zu halten.
Auch die übrigen von der Klägerin angeführten Umstände reichten nicht aus,
um ein abgestimmtes Verhalten annehmen zu können.
Die Nachtragsvereinbarung sei auch nicht preisbestimmend im Sinne
des § 31 Abs. 6 WpÜG in Verbindung mit § 4 Satz 2 WpÜG-AngVO. Der Begriff
"Vereinbarung" im Sinne des § 31 Abs. 6 WpÜG stelle nur auf den Zeitpunkt
des Vertragsschlusses, nicht aber auf den Zeitraum des Bestehens einer
schuldrechtlichen Verpflichtung ab. Das ergebe sich schon aus dem Wortlaut
der Norm, aber auch aus dem Sinn und Zweck der Regelung.
Ebenso wenig bestünden Ansprüche wegen Umgehung der §§ 30, 31,
35 WpÜG, nach § 823 Abs. 2 BGB, § 35 WpÜG wegen Nichtabgabe eines
Pflichtangebots und nach § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schä-
digung der Postbank-Aktionäre.
C. Diese Ausführungen sind in einem entscheidenden Punkt nicht frei
von Rechtsfehlern. Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an den Vortrag
der Klägerin, die Beklagte und die Post hätten eine Interessenschutzklausel
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vereinbart, überspannt und deshalb den dazu angebotenen Beweis nicht erho-
ben.
I. Die Klage ist nicht schon deshalb begründet, weil sich aus § 35 Abs. 2
WpÜG oder § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 35 Abs. 2 WpÜG ein Zah-
lungsanspruch ergäbe. Auch wenn die Beklagte verpflichtet gewesen sein soll-
te, schon im Jahr 2008 oder jedenfalls Anfang des Jahres 2009 ein Pflichtange-
bot nach § 35 Abs. 2 Satz 1 WpÜG zu veröffentlichen, führt die Unterlassung
eines solchen Angebots nicht zu einem Anspruch der Aktionäre auf Übernahme
der Aktien gegen eine auf den Zeitpunkt, zu dem die Voraussetzungen für ein
Pflichtangebot erfüllt waren, bezogene Gegenleistung. Wie der Senat mit Urteil
vom 11. Juni 2013 (II ZR 80/12, ZIP 2013, 1565 Rn. 9 ff. - BKN) entschieden
hat, stehen den Aktionären der Zielgesellschaft weder aus § 35 Abs. 2 WpÜG
oder dem mitgliedschaftlichen Schuldverhältnis noch aus § 823 Abs. 2 BGB in
Verbindung mit § 35 Abs. 2 WpÜG Zahlungsansprüche gegen den Kontroller-
werber zu, wenn dieser es pflichtwidrig unterlässt, ein Pflichtangebot zu veröf-
fentlichen.
II. Noch offene Zahlungsansprüche der Klägerin könnten sich aus dem
(freiwilligen) Übernahmeangebot der Beklagten vom 7. Oktober 2010 ergeben.
Dieses Angebot hat die Klägerin angenommen. Damit war die Beklagte ver-
pflichtet, die in ihrem Übernahmeangebot bezeichnete Gegenleistung von 25 €
je Postbank-Aktie zu erbringen. Diesen Betrag hat sie gezahlt. Sie ist aber noch
zu einer weiteren Zahlung verpflichtet, wenn die angebotene Gegenleistung
nicht angemessen ist, weil sich die Referenzzeiträume der §§ 4, 5 WpÜG-
AngVO entsprechend verlängern, falls die Beklagte aufgrund der - für die recht-
liche Beurteilung in der Revisionsinstanz zu unterstellenden - Vereinbarung ei-
ner Interessenschutzklausel bereits vor der Veröffentlichung ihres Übernahme-
angebots die Kontrolle im Sinne des § 29 Abs. 2 WpÜG erworben hat.
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1. Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 WpÜG hat der Bieter den Aktionären eine
angemessene Gegenleistung anzubieten. Ob die Aktionäre gegen den Bieter
einen Anspruch auf Zahlung einer etwaigen Differenz zwischen der angebote-
nen und der angemessenen Gegenleistung haben, ist im Schrifttum streitig.
Teilweise wird angenommen, trotz des Merkmals "angemessen" habe der Akti-
onär immer nur einen Anspruch auf die angebotene Leistung und könne, wenn
diese Leistung nicht angemessen sei, nur Schadensersatz nach § 12 WpÜG
verlangen (Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 2. Aufl.,
§ 31 Rn. 166a; Noack in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar,
4. Aufl., § 31 Rn. 100 ff.; Lappe/Stafflage, BB 2002, 2185, 2189 ff.). Nach der
- mit unterschiedlichen dogmatischen Ansätzen begründeten - hM vermittelt §
31 Abs. 1 Satz 1 WpÜG in Verbindung mit §§ 3 ff. WpÜG-AngVO dagegen ei-
nen Zahlungsanspruch, wenn die angebotene Gegenleistung nicht angemessen
ist (für vertragsgestaltende Wirkung: Hecker, ZBB 2004, 503, 506; Mülbert/ Uwe
H. Schneider, WM 2003, 2301, 2302; Seibt, ZIP 2003, 1865, 1873 f.; Marsch-
Barner in Baums/Thoma, WpÜG, Stand: Oktober 2010, § 31 Rn. 128; Haar-
mann in Frankf.Komm.WpÜG, 3. Aufl., § 31 Rn. 157; Simon, Rechtsschutz im
Hinblick auf ein Pflichtangebot nach § 35 WpÜG, 2005, S. 228; Veil in
KölnerKomm.KapMuG, 1. Aufl., § 31 WpÜG Rn. 9 f.; für § 31 als Anspruchs-
grundlage: Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, WpÜG, § 31 Rn. 26; Verse,
ZIP 2004, 199, 202 ff.; vgl. auch ders. in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG,
2011, S. 276, 286 ff.; im Ergebnis ebenso, aber ohne dogmatische Festlegung:
Pohlmann, ZGR 2007, 1, 14 ff.; Ihrig, ZHR 167 [2003], 315, 346;
Tominski/Kuthe, BKR 2004, 10, 16; Süßmann in Geibel/Süßmann, WpÜG,
2. Aufl., § 31 Rn. 78; ähnlich Kremer/Oesterhaus in KölnerKomm.WpÜG,
2. Aufl., § 31 Rn. 107: vor Vertragsschluss Anspruch aus § 31 WpÜG, nach
Vertragsschluss Anspruch aus dem Vertrag in Verbindung mit § 31 WpÜG;
Santelmann/Nestler in Steinmeyer, WpÜG, 3. Aufl., § 31 Rn. 111: Nachbesse-
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rungsanspruch; für eine Überprüfung durch die ordentlichen Gerichte auch OLG
Frankfurt am Main, DB 2003, 1782, 1783).
Zutreffend ist die hM, die einen - zivilrechtlich durchsetzbaren - Anspruch
auf Zahlung des Differenzbetrags zwischen der angebotenen und der ange-
messenen Gegenleistung annimmt.
Für diese Auffassung spricht schon die Systematik des § 31 WpÜG.
Nach § 31 Abs. 4 und 5 WpÜG muss der Bieter bei Parallel- oder Nacherwer-
ben die Differenz zwischen dem Angebotspreis und dem bei dem Parallel- oder
Nacherwerb erzielten Preis an die Aktionäre zahlen. Dem zugrunde liegt nach
allgemeiner Meinung ein (zivilrechtlicher) Anspruch der Aktionäre, die das An-
gebot angenommen haben (s. nur Noack in Schwark/Zimmer, Kapi-
talmarktrechts-Kommentar, 4. Aufl., WpÜG § 31 Rn. 99). Es wäre nur schwer
verständlich, wenn in diesen Fällen ein zivilrechtlicher Anspruch besteht, nicht
aber dann, wenn die angebotene Gegenleistung von vornherein unangemessen
ist.
Auch die Systematik und der Zweck des Wertpapiererwerbs- und Über-
nahmegesetzes sprechen für einen zivilrechtlichen Anspruch. Zwar prüft die
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (im Folgenden: BaFin) das
Übernahmeangebot des Bieters. Dafür stehen ihr jedoch nach § 14 Abs. 2
Satz 1 Alt. 2, Satz 3 WpÜG nur zehn bis fünfzehn Werktage zur Verfügung, und
der Prüfmaßstab ist nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 WpÜG ein "offensichtlicher" Geset-
zesverstoß. Die Prüfung des Angebots durch die BaFin hat also nicht dieselbe
Tiefe wie eine Prüfung im Rahmen eines Rechtsstreits vor den Zivilgerichten.
Es kann für die Angemessenheit der Gegenleistung auf eine Unternehmensbe-
wertung ankommen (s. etwa § 5 Abs. 4 WpÜG-AngVO). Jedenfalls für diesen
Fall eignet sich das Prüfverfahren der BaFin aufgrund des zeitlich und inhaltlich
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eingeschränkten Prüfungsumfangs nicht. Auch der gegebenenfalls eingreifende
Schadensersatzanspruch aus § 12 WpÜG wegen unrichtiger oder unvollständi-
ger Angaben in der Angebotsunterlage spricht nicht gegen die Annahme einer
zivilrechtlichen Wirkung schon des § 31 Abs. 1 WpÜG. Zum einen unterschei-
det sich die Schutzrichtung des § 12 WpÜG von der des § 31 WpÜG. Im einen
Fall soll gewährleistet werden, dass die Aktionäre der Zielgesellschaft ange-
messen informiert werden, im anderen Fall soll ihnen ein - zumutbarer - Aus-
stieg aus der Gesellschaft bei einem drohenden oder schon eingetretenen Kon-
trollerwerb ermöglicht werden. Im Übrigen erfordert der Schadensersatzan-
spruch nach § 12 Abs. 2 WpÜG Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit und ist nach
§ 12 Abs. 3 Nr. 2 WpÜG ausgeschlossen, wenn der Anspruchsteller die Unrich-
tigkeit der Angaben der Angebotsunterlage bei der Abgabe der Annahmeerklä-
rung kannte. Das wären aber keine Gründe, dem Aktionär die angemessene
Gegenleistung vorzuenthalten.
Auch der Zweck des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes, eine
schnelle und für die Beteiligten möglichst rechtssichere Abwicklung öffentlicher
Marktransaktionen zu ermöglichen (s. BT-Drucks. 14/7034, S. 27), spricht nicht
gegen einen zivilrechtlichen Anspruch auf die angemessene Gegenleistung. Die
Durchführung der Transaktion an sich wird dadurch nicht gestört. Es können
lediglich Unsicherheiten bei der Bewertung auftreten, die noch dadurch ver-
stärkt werden, dass ein Spruchverfahren im Anwendungsbereich des Wertpa-
piererwerbs- und Übernahmegesetzes nicht vorgesehen ist (Marsch-Barner in
Baums/Thoma, WpÜG, Stand: Oktober 2010, § 31 Rn. 128). Im Regelfall wer-
den aber Streitigkeiten schon dadurch vermieden, dass in §§ 3 ff. WpÜG-
AngVO klare Regeln für die Bewertung aufgestellt sind. Im Übrigen können Ri-
siken bei der Festlegung des Angebotspreises schon wegen des möglichen
Schadensersatzanspruchs aus § 12 WpÜG nicht ausgeschlossen werden.
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Auch der Gesetzgeber des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes ist
offenbar davon ausgegangen, dass insoweit Streitigkeiten über zivilrechtliche
Ansprüche entstehen können. Denn der Anwendungsbereich dieses Gesetzes
erstreckt sich nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 KapMuG (= § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
KapMuG aF) auf Erfüllungsansprüche aus Verträgen, die auf einem Angebot
nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz beruhen (BT-
Drucks. 15/5091, S. 20). Dementsprechend nimmt die ganz hM zu § 1 KapMuG
an, dass davon nicht nur Ansprüche aus Parallel- und Nacherwerben erfasst
werden, sondern auch Ansprüche aus Verträgen, denen von Anfang an keine
angemessene Gegenleistung im Sinne der §§ 3 ff WpÜG-AngVO zugrunde liegt
(s. etwa Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79, 86; Reuschle, WM 2004, 2334,
2336; Kruis in KölnerKomm.KapMuG, 2. Aufl., § 1 Rn. 111).
Schließlich steht die Annahme eines zivilrechtlich durchsetzbaren An-
spruchs auf Zahlung einer angemessenen Gegenleistung auch nicht im Wider-
spruch zur Senatsrechtsprechung. Der Senat hat zwar angenommen, dass die
Aktionäre der Zielgesellschaft keine Ansprüche gegen einen Kontrollerwerber
haben, wenn dieser es unterlässt, ein Pflichtangebot nach § 35 Abs. 2 WpÜG
zu veröffentlichen (BGH, Urteil vom 11. Juni 2013 - II ZR 80/12, ZIP 2013, 1565
Rn. 9 ff. - BKN). Dieser Fall ist aber nicht vergleichbar mit dem vorliegenden, in
dem es um die Angemessenheit eines abgegebenen Angebots geht. Denn das
Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz enthält spezielle Regelungen für
den Fall, dass pflichtwidrig ein Angebot nicht abgegeben wird. Dann kann der
"Bieter" nach § 59 WpÜG keine Rechte aus seinen Aktien ausüben. Damit ist
der Zweck des Gesetzes, die Aktionäre vor einem Kontrollerwerb zu schützen,
erreicht. Wenn der "Bieter" keine Rechte aus seinen Aktien ausüben kann, hat
er auch keine Kontrolle über die Gesellschaft. Diese erlangt er erst dann, wenn
er das Übernahmeangebot veröffentlicht hat, sei es auch mit einer nur unange-
messenen Gegenleistung (Kremer/Oesterhaus in KölnerKomm.WpÜG, 2. Aufl.,
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§ 59 Rn. 41 ff.). Nur dann müssen auch die Aktionäre im Hinblick auf die ange-
messene Gegenleistung für ihren Austritt geschützt werden.
2. Die von der Beklagten angebotene und gezahlte Gegenleistung ist al-
lerdings bezogen auf die gesetzlichen Referenzzeiträume angemessen im Sin-
ne des § 31 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 bis 7 WpÜG in Verbindung mit
§§ 3, 4 und 5 WpÜG-AngVO.
a) Sie entspricht dem Wert der höchsten von der Beklagten oder einem
ihr nach § 4 Satz 1 WpÜG-AngVO zurechenbaren Unternehmen gewährten
oder vereinbarten Gegenleistung für den Erwerb von Aktien der Postbank in-
nerhalb der letzten sechs Monate vor der Veröffentlichung des Übernahmean-
gebots. Weiter erfüllt sie die Anforderung des § 5 WpÜG-AngVO, der auf die
Postbank anwendbar ist, da ihre Aktien zum Handel an einer inländischen Bör-
se zugelassen sind. Danach muss die Gegenleistung mindestens dem gewich-
teten durchschnittlichen inländischen Börsenkurs dieser Aktien während der
letzten drei Monate vor der Veröffentlichung des Übernahmeangebots entspre-
chen. Auch dem wird
der Preis von 25 € je Aktie gerecht, wie das Berufungsge-
richt durch Bezugnahme auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts
festgestellt hat.
b) Die Revision beruft sich demgegenüber, gestützt auf einen Privatgut-
achter, auf § 31 Abs. 6 WpÜG, § 4 Satz 2 WpÜG-AngVO. Danach wird für die
Berechnung der Gegenleistung dem Erwerb von Aktien eine Vereinbarung
gleichgestellt, aufgrund derer die Übereignung von Aktien verlangt werden
kann. Die Revision meint, es komme im Falle einer derartigen Vereinbarung für
die Bestimmung der angemessenen Gegenleistung nach § 4 WpÜG-AngVO in
Verbindung mit § 31 Abs. 6 WpÜG nicht allein auf den Zeitpunkt des Abschlus-
ses der Vereinbarung an. Preisbestimmend sei vielmehr der gesamte Zeitraum
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zwischen dem Abschluss der Vereinbarung und ihrem Vollzug. Danach sei im
vorliegenden Fall die Vereinbarung der Rechte aus der Pflichtwandelanleihe
und den Optionen in der Nachtragsvereinbarung vom 14. Januar 2009, die mit
Fälligkeit zum 25. Februar 2012 bzw. zwischen dem 28. Februar 2012 und dem
25. Februar 2013 ausgeübt werden konnten, preisbestimmend für das Über-
nahmeangebot der Beklagten vom 7. Oktober 2010, weil dieses innerhalb des
Zeitraums zwischen dem Abschluss der Vereinbarung und der Übereignung der
Aktien aufgrund der Wandelanleihe und der Optionen veröffentlicht worden sei.
Dem ist nicht zu folgen.
Wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, verstößt diese
Auslegung des Begriffs der "Vereinbarung" schon gegen den Wortlaut der
Norm. Aber auch nach dem Sinn und Zweck und dem gesetzgeberischen Motiv
können § 4 Satz 2 WpÜG-AngVO und § 31 Abs. 6 WpÜG nicht derart erwei-
ternd ausgelegt werden. Mit diesen Vorschriften wollte der Gesetzgeber einer
Umgehung der auf den dinglichen Erwerb bezogenen Regeln durch schuld-
rechtliche Vereinbarungen über ein Erwerbsrecht vorbeugen (BT-Drucks.
14/7034, S. 56). Wenn statt eines Erwerbs innerhalb des Sechs-Monats-
Zeitraums des § 4 Satz 1 WpÜG-AngVO eine schuldrechtliche Vereinbarung
geschlossen wird, nach welcher der dingliche Erwerb später erfolgen soll, ist bei
der Bestimmung des Vorerwerbspreises auf diese Vereinbarung abzustellen
und nicht auf den späteren dinglichen Erwerb. Damit wird der (dingliche) Erwerb
durch die (schuldrechtliche) Vereinbarung eines Erwerbsrechts ersetzt. Einen
Zeitraum neben der gesetzlichen Sechs-Monats-Frist sieht das Gesetz dagegen
nicht vor. Er würde auch dem Zweck der Begrenzung des Vorerwerbszeitraums
durch § 4 WpÜG-AngVO widersprechen. Damit soll sichergestellt werden, dass
der Bieter an dem Preis festgehalten wird, den er im zeitlichen Zusammenhang
mit dem Übernahmeangebot selbst als angemessen angesehen hat. Das aber
kann nur den Erwerb oder die diesen ersetzende schuldrechtliche Vereinbarung
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betreffen, nicht dagegen einen Zeitraum, der beliebig lange vor der Sechs-
Monats-Frist des § 4 WpÜG-AngVO beginnen kann (vgl. Regierungsentwurf
des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Par-
laments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote -
Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz -, BT-Drucks. 16/1003, S. 14 Nr. 2).
Dass bei einem in die Vorerwerbsfrist fallenden Erwerb die Gegenleistung
schon vor dem Fristbeginn vereinbart worden sein kann, steht dem nach der
Systematik des Gesetzes nicht entgegen (vgl. Begründung zum Regierungs-
entwurf des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes, BT-Drucks. 14/7034,
S. 57; Kremer/Oesterhaus in KölnerKomm.WpÜG, 2. Aufl., § 31 Rn. 99; Krause
in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 2. Aufl., § 31 Rn. 154).
Diese Auslegung, die ebenso für Parallelerwerbe nach § 31 Abs. 4, 6
WpÜG gilt, steht im Einklang mit Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 1 der Richtlinie
2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004
betreffend Übernahmeangebote (ABl. Nr. L 142 vom 30. April 2004, S. 12 ff., im
Folgenden: Übernahmerichtlinie), ohne dass es einer Vorlage an den Gerichts-
hof der Europäischen Union bedürfte. Nach Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 1 Übernah-
merichtlinie gilt als angemessener Preis der höchste Preis, der vom Bieter in
einem vom nationalen Gesetzgeber festzulegenden Zeitraum vor dem Angebot
oder parallel zu dem Angebot gezahlt worden ist. Der Begriff "Zahlung" markiert
ein punktuelles Ereignis. Damit stimmt überein, auf den Zeitpunkt der Vereinba-
rung abzustellen und nicht auf den Zeitraum zwischen Vereinbarung und dingli-
chem Erwerb. Es kommt hinzu, dass die Unterscheidung zwischen kaufrechtli-
chem Erwerb und dinglicher Übereignung eine Besonderheit des in Deutsch-
land geltenden Abstraktionsprinzips ist und somit auf das Unionsrecht nicht
übertragen werden kann.
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- 16 -
c) Parallelerwerbe nach § 31 Abs. 4 WpÜG oder Nacherwerbe nach § 31
Abs. 5 WpÜG, welche die angemessene Gegenleistung erhöhen würden, sind
nicht festgestellt.
3. Die Referenzzeiträume der §§ 4, 5 WpÜG-AngVO verlängern sich
aber entsprechend, wenn der Bieter bereits vor der Veröffentlichung seines
Übernahmeangebots 30 % oder mehr der Stimmrechte der Zielgesellschaft und
damit die Kontrolle im Sinne des § 29 Abs. 2 WpÜG erwirbt und es dennoch
unterlässt, ein Pflichtangebot - oder ein als freiwilliges Übernahmeangebot nach
§ 29 Abs. 1 WpÜG bezeichnetes Angebot - innerhalb der Frist des § 35 Abs. 2
Satz 1 WpÜG zu veröffentlichen. Im vorliegenden Fall kommt ein Kontrollerwerb
der Beklagten vor ihrem Übernahmeangebot vom 7. Oktober 2010 in Betracht,
wenn ihr wegen Vorliegens eines Zurechnungstatbestands des § 30 WpÜG
schon zum Zeitpunkt der Ursprungsvereinbarung vom 12. September 2008
oder der Nachtragsvereinbarung vom 14. Januar 2009 mindestens 30 % der
Stimmrechte der Post zuzurechnen waren.
a) Die Referenzzeiträume sind jedenfalls dann zu verlängern, wenn der
Durchschnittskurs - wie hier - in der Zeit zwischen dem Kontrollerwerb und der
(verspäteten) Veröffentlichung des Übernahmeangebots sinkt oder wenn Vor-
erwerbe in der Zeit vor dem Kontrollerwerb stattgefunden haben, die bei einer
rechtzeitigen Veröffentlichung eines Übernahmeangebots zu einer höheren Ge-
genleistung geführt hätten, aufgrund der Verspätung aber an sich nicht zu be-
rücksichtigen sind (Noack in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar,
4. Aufl., WpÜG § 31 Rn. 13, 25; Baums/Hecker in Baums/Thoma, WpÜG,
Stand: Mai 2004, § 39 Rn. 37; ohne die Differenzierung: Süßmann in Geibel/
Süßmann, WpÜG, 2. Aufl., § 31 Rn. 87; Santelmann/Nestler in Steinmeyer/
Häger, WpÜG, 2. Aufl., § 31 Rn. 19; Pötzsch/Assmann in Assmann/
Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 2. Aufl., § 39 Rn. 46; a.A. von Falkenhau-
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sen, NZG 2010, 1213, 1214 f. bei Handeln ohne Vorsatz; ohne diese Differen-
zierung: Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 2. Aufl., § 31
Rn. 76; Tyrolt/Cascante in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 110,
138). Denn es kann dem Bieter nicht zugutekommen, dass er sein Angebot
verspätet veröffentlicht. Dass der Wortlaut der §§ 4, 5 WpÜG-AngVO nur den
Zeitpunkt der (tatsächlichen) Veröffentlichung erwähnt, steht dem nicht entge-
gen. Zwar bietet dieses Merkmal eine hohe Rechtssicherheit, die in der Be-
gründung zum Regierungsentwurf des Wertpapiererwerbs- und Übernahmege-
setzes für öffentliche Markttransaktionen als wünschenswert bezeichnet wird
(BT-Drucks. 14/7034, S. 55). Das allein kann aber nicht dazu führen, dass der
Bieter die Angemessenheit des Angebotspreises durch ein rechtswidriges Ver-
halten beeinflussen kann. Eine Differenzierung zwischen vorsätzlichem und
nicht vorsätzlichem Handeln erscheint unpraktikabel, weil die Feststellung des
Vorsatzes im Regelfall eine Beweisaufnahme in einem Gerichtsverfahren vo-
raussetzt.
b) Maßgebend für den Kontrollerwerb nach § 29 Abs. 2 WpÜG ist grund-
sätzlich das Eigentum an den Aktien, wobei dem Bieter die von seinen Tochter-
gesellschaften gehaltenen Aktien nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WpÜG zuzu-
rechnen sind. Denn das Stimmrecht folgt aus der mitgliedschaftlichen Stellung
des Aktionärs, die ihm über das Eigentum an der Aktie vermittelt wird (Dauner-
Lieb in KölnerKomm.AktG, 3. Aufl., § 12 Rn. 6; von Bülow in
KölnerKomm.WpÜG, 2. Aufl., § 29 Rn. 94). Deshalb muss - sieht man von einer
möglichen Zurechnung nach § 30 WpÜG ab - ein (Pflicht-) Angebot nach § 35
Abs. 2, § 29 Abs. 2 WpÜG nur veröffentlichen, wer das Eigentum an mindes-
tens 30 % der Aktien der Zielgesellschaft hält. Ein lediglich schuldrechtlicher
Anspruch auf Übereignung von 30 % oder mehr der Aktien reicht dagegen
grundsätzlich nicht aus (vgl. BT-Drucks. 14/7034 S. 54), auch wenn dieser An-
spruch aus einer Pflichtwandelanleihe (zum Begriff s. MünchKomm
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- 18 -
AktG/Habersack, 3. Aufl., § 221 Rn. 52; Gelhausen/Rimmelspacher, AG 2006,
729, 730 f.) oder einer Optionsvereinbarung folgt. Die bereits erwähnte Sonder-
regel der § 4 Satz 2 WpÜG-AngVO und § 31 Abs. 6 WpÜG betrifft lediglich die
Berechnung des Referenzzeitraums, nicht dagegen die Feststellung, ob der
Bieter eine Kontrolle anstrebt oder schon innehat.
Dass die Beklagte vor ihrem Übernahmeangebot das Eigentum an min-
destens 30 % der Postbank-Aktien erworben hätte, macht die Revision zu
Recht nicht geltend. Allerdings weist sie - in anderem Zusammenhang - darauf
hin, dass die Unterscheidung zwischen einem schuldrechtlichen Anspruch auf
Übereignung und der dinglichen Erfüllung dieses Anspruchs eine Folge des in
Deutschland geltenden Abstraktionsprinzips sei, dass andere Länder der Euro-
päischen Union diese Unterscheidung nicht vornehmen würden und dass des-
halb eine an der dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz zugrunde lie-
genden Übernahmerichtlinie orientierte Gesetzesauslegung dazu führen müsse,
dass auch der schuldrechtliche Anspruch für einen Kontrollerwerb genüge. Dem
ist jedoch nicht zu folgen. Vielmehr kommt es auch in den anderen europäi-
schen Staaten auf den Eigentumserwerb an, wie die Revisionserwiderung zu-
treffend ausführt. Ob dieser - wie in Deutschland - rechtsdogmatisch von dem
zugrunde liegenden Kausalgeschäft unterschieden wird, spielt dagegen keine
Rolle.
c) Von dem Grundsatz, dass die Kontrolle an einem Zielunternehmen nur
durch das - unbedingte - Eigentum an den Aktien erworben werden kann, gilt
- abgesehen von der Zurechnung der Stimmrechte aus den einer Tochterge-
sellschaft gehörenden Aktien - nur dann eine Ausnahme, wenn ein (weiterer)
Zurechnungstatbestand aus § 30 WpÜG erfüllt ist.
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aa) Aus der Ursprungsvereinbarung vom 12. September 2008 ergeben
sich keine Zurechnungstatbestände. Insbesondere sind die Voraussetzungen
des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpÜG nicht erfüllt.
(1) Nach dieser Vorschrift sind dem Bieter - hier also der Be-klagten -
Stimmrechte aus Aktien zuzurechnen, die er durch eine Willenserklärung er-
werben kann. Darunter ist die Möglichkeit zu verstehen, durch einseitige Wil-
lenserklärung ohne Mitwirkung des Vertragspartners oder eines Dritten das Ei-
gentum an den Aktien zu erwerben. Ein schuldrechtlicher Anspruch auf Über-
eignung der Aktien reicht dagegen für eine Zurechnung nach § 30 Abs. 1 Satz 1
Nr. 5 WpÜG nicht aus (Veil, Festschrift K. Schmidt, 2009, S. 1645, 1650;
Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 4. Aufl.,
WpÜG § 30 Rn. 14; Walz in Frankfurter Kommentar zum WpÜG, 3. Aufl., § 30
Rn. 57; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, WpÜG, § 30 Rn. 16; Steinmey-
er in Steinmeyer, WpÜG, 3. Aufl., § 30 Rn. 40 f.; Süßmann in Geibel/Süßmann,
WpÜG, 2. Aufl., § 30 Rn. 22 f.; von Bülow in KölnerKomm.WpÜG, 2. Aufl., § 30
Rn. 162, 164; Dieckmann in Baums/Thoma, WpÜG, Stand: November 2011,
§ 30 Rn. 55 f.; a.A. Uwe H. Schneider in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider,
WpÜG, 2. Aufl., § 30 Rn. 114 ff.). Für diese enge Auslegung sprechen die Ge-
setzesmaterialien (BT-Drucks. 14/7034, S. 54) und der Sinn und Zweck des
Gesetzes. Danach soll die scharfe Rechtsfolge eines Pflichtangebots nur den
treffen, der, wenn schon kein Eigentum an den Aktien, so doch jedenfalls eine
dem Eigentum gleichkommende gesicherte Erwerbsmöglichkeit hat. Eine sol-
che gesicherte Erwerbsmöglichkeit verschafft ihm nur eine dingliche Anwart-
schaft und nicht schon ein schuldrechtlicher Anspruch auf Übereignung. Denn
einem schuldrechtlichen Anspruch kann der Anspruchsgegner Einwendungen
wie etwa einen Rücktritt entgegensetzen oder er kann die Erfüllung aus sonsti-
gen Gründen verweigern. Auch systematische Erwägungen stehen der engen
Auslegung nicht entgegen. Im Gegenteil wird so eine gleiche Auslegung wie bei
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dem im Wesentlichen wortgleichen § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpHG sicherge-
stellt (vgl. von Bülow in KölnerKomm.WpHG, 2. Aufl., § 22 Rn. 138). Schließlich
ist auch keine gegenteilige Auslegung im Hinblick auf die Übernahmerichtlinie
geboten, wie die Revision meint. Zwar sollen nach dem zweiten Erwägungs-
grund der Richtlinie die Interessen der Inhaber von Wertpapieren einer Zielge-
sellschaft geschützt werden. Das bedeutet aber nicht, dass ein Kontrollerwerb
bereits dann angenommen werden müsste, wenn der Bieter noch keine dem
Eigentum vergleichbare gefestigte Position erlangt hat. Wie die Revision selbst
sieht, bestimmen sich nach Art. 5 Abs. 3 Übernahmerichtlinie der prozentuale
Anteil der Stimmrechte, der eine Kontrolle im Sinne der Richtlinie begründet,
und die Art der Berechnung dieses Anteils nach den Vorschriften des jeweiligen
Mitgliedstaats.
(2) Dass die Beklagte im Rahmen der Ursprungsvereinbarung ein dingli-
ches Anwartschaftsrecht an den Aktien erworben hätte, die die Post seinerzeit
gehalten oder die sie bei der Kapitalerhöhung der Postbank im vierten Quartal
2008 gezeichnet hat, so dass die Beklagte damit schon die Kontrolle über die
Postbank erlangt hätte, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Die dagegen
gerichteten Rügen der Revision sind unbegründet.
Das Berufungsgericht brauchte den Anträgen der Klägerin auf Zeugen-
vernehmung und Anordnung der Vorlage der Ursprungsvereinbarung nach
§ 142 Abs. 1 ZPO nicht nachzugehen. Denn die Klägerin hat insoweit keinen
schlüssigen Vortrag gehalten. Das ist indes Voraussetzung nicht nur für die
Zeugenvernehmung, sondern auch für die Anordnung einer Urkundenvorlegung
(BGH, Urteil vom 26. Juni 2007 - XI ZR 277/05, BGHZ 173, 23, 32;
Zöller/Greger, ZPO, 30. Aufl., § 142 Rn. 7).
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- 21 -
Allerdings behandelt die Rechtsprechung im Prozessrecht einfache
Rechtsbegriffe, die jedem Teilnehmer am Rechtsverkehr geläufig sind - etwa
den Begriff des Eigentums -, wie Tatsachen (BGH, Urteil vom 2. Juni 1995
- V ZR 304/93, ZIP 1995, 1633; vgl. ferner Urteil vom 29. Oktober 1979 - VIII ZR
293/78, WM 1980, 193, 194; Urteil vom 2. Februar 1990 - V ZR 245/88, juris
Rn. 11). Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Herleitung der Eigentümerstel-
lung rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten begegnet (BGH, Urteil vom
2. Juni 1995 - V ZR 304/93, ZIP 1995, 1633). Damit genügt eine Partei ihrer
Darlegungslast in der Regel, wenn sie in entsprechendem Zusammenhang be-
hauptet, eine Sache gehöre einer bestimmten Person.
Daraus ergibt sich im vorliegenden Fall aber noch nicht, dass das Beru-
fungsgericht die Darlegungslast der Klägerin überspannt hätte. Zum einen geht
es hier nicht allein um das Eigentum, sondern zumindest auch um die Frage, ob
die Beklagte ein Anwartschaftsrecht an den Aktien erworben hat. Zum anderen
hat die Klägerin an den von der Revision in Bezug genommenen Aktenstellen
gar nicht die Behauptung aufgestellt, an den von der Post gehaltenen und bei
der Kapitalerhöhung gezeichneten Aktien wären sogleich dingliche Anwart-
schaften begründet worden. An den benannten Stellen trägt die Klägerin viel-
mehr nur vor, die Beklagte sei aufgrund der Ursprungsvereinbarung verpflichtet
gewesen, alle Aktien aus dem Bestand und aus der Zeichnung der Post zu
übernehmen. Es fehlt die weitere Behauptung, dass die Beklagte die Aktien so
übernommen habe, dass sie durch einseitige Erklärung das Eigentum daran
hätte erwerben können. Zu der Frage, was unter "Übernahme" zu verstehen ist
- eine kaufrechtliche Vereinbarung oder schon ein dinglicher Vertrag, gegebe-
nenfalls mit der Abrede einer aufschiebenden, aber vom Erwerber herbeizufüh-
renden Bedingung - wird an den genannten Aktenstellen nichts ausgeführt.
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Das Berufungsgericht hat daher zu Recht in dem Vortrag der Klägerin le-
diglich eine Aufzählung verschiedener Indizien gesehen und ist bei der Bewer-
tung dieser Indizien zu dem Ergebnis gelangt, dass sie keinen zwingenden
Schluss auf die Haupttatsache - ein Ende 2008 begründetes Eigentumsanwart-
schaftsrecht der Beklagten - zulassen. Einen Indizienbeweis muss der Richter
nur erheben, wenn er davon ausgehen kann, dass die Gesamtheit der Sach-
verhaltsumstände und der vorgetragenen Indizien, ihre Richtigkeit unterstellt,
ihn von der Wahrheit der Haupttatsache überzeugen würden (BGH, Urteil vom
17. Februar 1970 - III ZR 139/67, BGHZ 53, 245, 260 f.; Urteil vom 29. Juni
1982 - VI ZR 206/80, NJW 1982, 2447). Diese Frage hat das Berufungsgericht
verneint. Gegen diese mögliche tatrichterliche Würdigung bringt die Revision
keine erheblichen Einwände vor.
bb) Aus der Nachtragsvereinbarung vom 14. Januar 2009 kann sich je-
doch eine Zurechnung von Stimmrechten nach § 30 WpÜG ergeben. Insoweit
hat das Berufungsgericht den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt, indem
es angenommen hat, die Vereinbarung einer Interessenschutzklausel sei "ins
Blaue hinein" behauptet.
(1) Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht allerdings angenommen,
die Voraussetzungen für eine Zurechnung von Stimmrechten nach § 30 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 WpÜG seien nicht erfüllt.
Danach sind dem Bieter Stimmrechte aus Aktien zuzurechnen, die einem
Dritten gehören und von ihm für Rechnung des Bieters gehalten werden.
(a) Aus dem Merkmal "für Rechnung" ergibt sich, dass der Bieter die we-
sentlichen Risiken und Chancen aus den betreffenden Aktien tragen muss. Da-
zu gehören etwa die Risiken und Chancen einer Veränderung des Börsenkur-
ses, die Chancen einer Dividendenzahlung und das Insolvenzrisiko der Zielge-
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sellschaft (Süßmann in Geibel/Süßmann, WpÜG, 2. Aufl., § 30 Rn. 6). Dass
dagegen, wie die Revision meint, primär auf die Risiken abzustellen wäre, hat
das Berufungsgericht zu Recht nicht angenommen (ebenso von Bülow in
KölnerKomm.WpÜG, 2. Aufl., § 30 Rn. 97; Uwe H. Schneider in Assmann/
Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 2. Aufl., § 30 Rn. 60 mwN). Dagegen
spricht schon der Wortlaut der Norm ("für Rechnung des Bieters").
Da ein bloß wirtschaftliches Verständnis des Begriffs "für Rechnung"
dem Zweck des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpÜG, die Stimmrechtsmacht zu er-
fassen, nicht gerecht würde, muss die Möglichkeit hinzukommen, auf die
Stimmrechtsausübung des Eigentümers der Aktien Einfluss zu nehmen
(Noack/Zetzsche, Festschrift Schwark, 2009, S. 569, 575; W. Meilicke/
F. Meilicke, ZIP 2010, 558, 562; Uwe H. Schneider in Assmann/Pötzsch/
Uwe H. Schneider, WpÜG, 2. Aufl., § 30 Rn. 62; Heidel/Sohbi, Aktienrecht und
Kapitalmarktrecht, 4. Aufl., WpÜG § 30 Rn. 4; ebenso für § 22 Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 WpHG BGH, Urteil vom 16. März 2009 - II ZR 302/06, BGHZ 180, 154
Rn. 34).
(b) Das Berufungsgericht hat angenommen, es fehle schon an einem
Halten der Aktien für Rechnung des Bieters, weil die Chance auf mögliche Divi-
dendenzahlungen bis zum Jahr 2012 bei der Post verblieben sei. Die Revision
meint dagegen, das Berufungsgericht hätte dem beweisbewehrten Vortrag der
Klägerin nachgehen müssen, das Dividendenrecht habe nur noch formal be-
standen, tatsächlich habe die Postbank bis zur vollständigen Übertragung der
Aktien im Jahr 2012 keine Gewinne ausschütten wollen. Es sei - wie der Vor-
standsvorsitzende der Post auf der Hauptversammlung vom 25. Mai 2011 er-
klärt habe - bereits bei Abschluss der Nachtragsvereinbarung gemeinsames
Verständnis der Vertragsparteien gewesen, dass bis zum "Exit" der Post keine
Dividenden der Postbank gezahlt würden, was auch so praktiziert worden sei.
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Damit greift die Revision die Auslegung der Nachtragsvereinbarung
durch das Berufungsgericht an. Die Auslegung ist jedoch grundsätzlich Sache
des Tatrichters. Das Revisionsgericht prüft nur nach, ob gesetzliche oder all-
gemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze ver-
letzt sind oder wesentlicher Auslegungsstoff außer Acht gelassen wurde (st.
Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 8. November 2004 - II ZR 300/02, ZIP 2005,
82, 83). Das ist hier nicht der Fall. Das Berufungsgericht hat sich mit dem Vor-
trag der Klägerin in den Entscheidungsgründen seines Urteils ausführlich be-
fasst. Es ist dabei ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gekommen, dass der
Vortrag nicht ausreichend sei, weil daraus nicht hervorgehe, dass dem "ge-
meinsamen Verständnis", keine Gewinne auszuschütten, eine rechtliche Bin-
dungswirkung zugekommen sei.
(2) Auch eine Zurechnung nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpÜG im Rah-
men der Nachtragsvereinbarung scheidet - ebenso wie schon bei der Ur-
sprungsvereinbarung - aus.
Das Berufungsgericht hat auch hinsichtlich der Nachtragsvereinbarung
nicht feststellen können, dass die Beklagte dadurch dingliche, an keine weiteren
Voraussetzungen geknüpfte Erwerbsrechte hinsichtlich der Aktien aus der
Pflichtwandelanleihe und den Optionsvereinbarungen erlangt hat, wie es § 30
Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpÜG voraussetzt (s. Rn. 39). Diese dem Tatrichter vorbe-
haltene und nur eingeschränkt revisionsrechtlich zu überprüfende Würdigung
lässt keine Rechtsfehler erkennen.
Dass der Preis für die Rechte aus der Pflichtwandelanleihe und die Opti-
onen von der Beklagten nach der Behauptung der Klägerin schon im Voraus
gezahlt worden ist und dass mit der Ausübung mindestens einer der beiden
Optionen zwingend zu rechnen gewesen sein soll - wie die Revision einwen-
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det -, besagt noch nichts über die Frage, ob der Beklagten schon ein dingliches
Erwerbsrecht eingeräumt war. Dass sich ein solches Erwerbsrecht nicht aus der
Pflichtwandelanleihe ergab, liegt im Übrigen schon in dem Rechtscharakter ei-
ner Wandelanleihe begründet, die nur das zukünftige Recht zur "Wandlung"
verbrieft, diese Wandlung aber noch nicht vorwegnimmt (MünchKomm
AktG/Habersack, 3. Aufl., § 221 Rn. 52). Auch der Umstand, dass die Beklagte
die Rechte aus der Wandelanleihe und der Call-Option schon in ihrer Bilanz
ausgewiesen hat, spricht nicht für eine schon dingliche Übertragung. Denn da-
bei handelt es sich um Schuldtitel, die regelmäßig zum Erwerb von Aktien be-
rechtigen und schon deshalb zu aktivieren sind (Kozikowski/Kreher in
Beck'scher Bilanz-Kommentar, 9. Aufl., § 266 Rn. 80; speziell zu Pflichtwandel-
anleihen s. Gelhausen/Rimmelspacher, AG 2006, 729, 743 f.). Schließlich hat
die Klägerin im Berufungsverfahren auch nicht behauptet, die Post habe im
Rahmen der Nachtragsvereinbarung schon ein Übereignungsangebot abgege-
ben. An der dazu von der Revision angegebenen Aktenstelle heißt es lediglich,
die Post sei zur Abgabe eines Übereignungsangebots - schuldrechtlich - ver-
pflichtet gewesen.
(3) Von einem Rechtsfehler beeinflusst ist aber die Feststellung des Be-
rufungsgerichts, auch eine Zurechnung nach § 30 Abs. 2 WpÜG wegen eines
abgestimmten Verhaltens (acting in concert) komme nicht in Betracht.
(a) Nach § 30 Abs. 2 WpÜG in der ab dem 19. August 2008 geltenden
Fassung werden dem Bieter Aktien eines Dritten - hier der Post - zugerechnet,
mit dem der Bieter sein Verhalten in Bezug auf die Zielgesellschaft - abgesehen
von Einzelfällen - durch eine Vereinbarung oder in sonstiger Weise abstimmt.
Ein derart abgestimmtes Verhalten setzt voraus, dass der Bieter und der Dritte
sich über die Ausübung des Stimmrechts verständigen oder mit dem Ziel einer
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dauerhaften und erheblichen Änderung der unternehmerischen Ausrichtung der
Zielgesellschaft in sonstiger Weise zusammenwirken.
(b) Eine Verständigung der Beklagten und der Post über die Ausübung
des Stimmrechts im Rahmen der Nachtragsvereinbarung hat das Berufungsge-
richt nicht festzustellen vermocht. Während das Landgericht ausgeführt hat,
eine solche Verständigung habe die Klägerin nicht dargelegt, hat sich das Beru-
fungsgericht damit im Zusammenhang mit § 30 Abs. 2 WpÜG nicht mehr aus-
drücklich befasst. Es hat aber eine solche Verständigung der Sache nach schon
dadurch verneint, dass es im Rahmen des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpÜG kei-
nen Einfluss der Beklagten auf die Stimmrechtsausübung der Post festgestellt
hat.
Die Klägerin hat dazu unter Beweisantritt vorgetragen, die Post habe sich
willentlich und auf Basis der mit der Beklagten getroffenen Vereinbarungen bei
der Stimmrechtsausübung in den Hauptversammlungen der Postbank bis zum
25. Februar 2012 den Zielen der Beklagten untergeordnet. Das sei abgesichert
worden durch eine "regelmäßig vereinbarte" Interessenschutzklausel, wonach
die Post bis zum Vollzug der Zwangsumtauschanleihe am 25. Februar 2012 die
ihr zustehenden aktienrechtlichen Rechte nur unter angemessener Berücksich-
tigung der Interessen der Beklagten habe ausüben dürfen. Das Berufungsge-
richt hat diesen Vortrag so verstanden, dass damit behauptet werden soll, die
Beklagte und die Post hätten eine Interessenschutzklausel vereinbart. Dieser
Behauptung ist es aber nicht nachgegangen, weil für die Vereinbarung einer
Interessenschutzklausel "kein greifbarer Anhaltspunkt" vorliege und diese Be-
hauptung ersichtlich "ins Blaue hinein" aufgestellt worden sei.
Damit hat das Berufungsgericht - wie die Revision zu Recht geltend
macht - die Anforderungen an die Substanziierungslast der Klägerin über-
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spannt. Die Klägerin hatte keinen Einblick in die Nachtragsvereinbarung der
Beklagten und der Post. Damit konnte sie keine Einzelheiten aus dieser Verein-
barung vortragen. Andererseits war offenkundig, dass die Beklagte und die Post
den Übergang der Kontrolle über die Postbank, so wie in der Nachtragsverein-
barung vorgesehen, aktiv betreiben wollten und betrieben haben. Dann aber
liegt es nicht fern, dass die Post sich - in Konkretisierung ihrer allgemeinen ver-
traglichen Nebenpflicht, die Erreichung des Vertragszwecks nicht zu gefähr-
den - verpflichtet haben könnte, von ihrem Stimmrecht nur unter Berücksichti-
gung der Interessen der Beklagten Gebrauch zu machen. Das ist keine Be-
hauptung "ins Blaue hinein". Deshalb hätte das Berufungsgericht den dafür an-
gebotenen Beweis erheben müssen. Das nachzuholen, hat es in der wiederer-
öffneten mündlichen Verhandlung Gelegenheit.
(c) Dieser Verfahrensfehler des Berufungsgerichts ist entscheidungser-
heblich. Sieht man den Vortrag der Klägerin insoweit als substantiiert an, kann
sich aus der dann veranlassten Beweisaufnahme ergeben, dass der Beklagten
aufgrund eines acting in concert seit Abschluss der Nachtragsvereinbarung die
Stimmrechte der Post nach § 30 Abs. 2 WpÜG zuzurechnen sind und deshalb
die in dem Übernahmeangebot der Beklagten enthaltene Gegenleistung, da die
Referenzzeiträume der §§ 4, 5 WpÜG-AngVO dann entsprechend vorzuverle-
gen wären, nicht angemessen im Sinne des § 31 Abs. 1 WpÜG ist.
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III. Das Berufungsgericht wird weiter gegebenenfalls zu prüfen haben, ob
der Klägerin ein Zinsanspruch nach § 38 Nr. 1, § 35 Abs. 1 Satz 1 WpÜG oder
§ 38 Nr. 2, § 35 Abs. 2 Satz 1 WpÜG zusteht (vgl. dazu BGH, Urteil vom
11. Juni 2013 - II ZR 80/12, ZIP 2013, 1565 Rn. 25 ff. - BKN).
Bergmann Strohn Reichart
Drescher Born
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 29.07.2011 - 82 O 28/11 -
OLG Köln, Entscheidung vom 31.10.2012 - 13 U 166/11 -
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