Urteil des BGH vom 22.05.2014

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 430/13
vom
22. Mai 2014
Nachschlagewerk:
ja
BGHSt:
nein
Veröffentlichung:
ja
_______________________________
StGB § 263 Abs. 1; StPO § 267 Abs. 1, § 261
Zu den Anforderungen an die Feststellung und Darlegung des Irrtums beim Be-
trug im Zusammenhang mit routinemäßigen Massengeschäften (hier: Miss-
brauch des Einzugsermächtigungslastschriftverfahrens).
BGH, Urteil vom 22. Mai 2014 - 4 StR 430/13 - LG Bielefeld
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen Betrugs
- 2 -
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
24. April 2014 in der Sitzung vom 22. Mai 2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible
als Vorsitzende,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Franke,
Dr. Mutzbauer,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
in der Verhandlung am 24. April 2014,
bei der Verkündung am 22. Mai 2014
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt in der Verhandlung
als Verteidiger des Angeklagten M. W. ,
Rechtsanwalt in der Verhandlung
als Verteidiger des Angeklagten T S. ,
Rechtsanwältin in der Verhandlung
als Verteidigerin der Angeklagten D. S. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 3 -
1. Auf die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des
Landgerichts Bielefeld vom 12. September 2012 wird
a) die Strafverfolgung gemäß § 154a Abs. 2 StPO mit Zu-
stimmung des Generalbundesanwalts jeweils auf den Vor-
wurf des versuchten gewerbsmäßigen Bandenbetruges in
198.070 tateinheitlich zusammentreffenden Fällen be-
schränkt,
b) das Urteil in den Strafaussprüchen mit den zugehörigen
Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmit-
tel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückver-
wiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils des gewerbsmäßigen Ban-
denbetruges schuldig gesprochen. Den Angeklagten M. W. hat es
zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten, den Angeklagten
T. S. zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten
und die Angeklagte D. S. zu einer solchen von vier Jahren verurteilt.
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Ferner hat es eine Entscheidung nach § 111i Abs. 2 StPO i.V.m. § 73 Abs. 1
Satz 2 StGB getroffen, die sich gegen die AG richtet.
Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten jeweils mit der Rüge
der Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Revisionen haben den
aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg.
I.
Die von allen Angeklagten erhobene Rüge der Verletzung von § 275
Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 338 Nr. 7 StPO, mit der sie beanstanden, der Vorsitzen-
de der erkennenden Strafkammer, Vorsitzender Richter am Landgericht H.
, habe sich wegen seiner während des Laufs der Urteilsabsetzungsfrist in
einem Parallelverfahren erfolgten Zeugenvernehmung zu Unrecht gehindert
gesehen, das Urteil zu unterschreiben, weshalb es innerhalb dieser Frist nur
unvollständig zu den Akten gelangt sei, ist bereits unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz
2 StPO); ob sie in der Sache Erfolg haben könnte, bedarf daher keiner Ent-
scheidung.
1. Zur Begründung einer Verfahrensrüge sind die den Mangel begrün-
denden Tatsachen gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO so vollständig und genau
anzugeben, dass das Revisionsgericht allein auf Grund der Begründungsschrift
prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die bezeichneten Tatsa-
chen erwiesen werden (SSW-StPO/Momsen, § 344 Rn. 36; LR-StPO/Franke,
26. Aufl. § 344 Rn. 78, jeweils m.N. zur st. Rspr.).
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2. Gemessen daran vermag der Senat hier nicht zu prüfen, ob der Vor-
sitzende wegen seiner Vernehmung als Zeuge
„in der Sache“ im Sinne von
§ 22 Nr. 5 StPO von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen war.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bedeutet
Gleichheit der Sache gemäß § 22 Nr. 5 StPO nicht notwendig Verfahrensidenti-
tät; Sachgleichheit kann auch bei Vernehmung des Richters als Zeuge zu dem-
selben Tatgeschehen in einem anderen Verfahren in Betracht kommen (BGH,
Beschluss vom 22. Mai 2007
– 5 StR 530/06, BGHR StPO § 338 Nr. 2 Aus-
schluss 4, Tz. 6 mwN; vgl. auch LR-StPO/Siolek, 26. Aufl., § 22 Rn. 25; SSW-
StPO/Kudlich/Noltensmeier, § 22 Rn. 19). Insoweit fehlt es im Revisionsvortrag
der Angeklagten T. und D. S. schon an der Mitteilung des
Beweisthemas, zu dem der Strafkammervorsitzende in dem Verfahren gegen A.
u.a. geladen und vernommen wurde. Aber auch dem Vortrag des Angeklagten
W. kann das betreffende Beweisthema allenfalls mittelbar entnommen
werden, da er das Schreiben des Präsidenten des Landgerichts Bielefeld vom
31. Oktober 2012 über die Erteilung einer Aussagegenehmigung für den Vorsit-
zenden Richter vorgelegt hat. Danach hatte der Angeklagte A. in der gegen ihn
geführten Hauptverhandlung beantragt, den Vorsitzenden Richter am Landge-
richt H. dazu zu vernehmen, dass sich seine (des A.) in einer polizeili-
chen Vernehmung getätigte Aussage in dem Verfahren gegen die hiesigen An-
geklagten als wahr herausgestellt habe. Aber auch dieses Rügevorbringen ge-
nügt den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht. Um dem Senat
die Überprüfung der Sachgleichheit im Sinne von § 22 Nr. 5 StPO zu ermögli-
chen, hätte zumindest noch vorgetragen werden müssen, welchen Inhalt diese
polizeiliche Aussage hatte, inwiefern sie im vorliegenden Verfahren Gegenstand
der Hauptverhandlung war, was der als Zeuge benannte Vorsitzende Richter
am Landgericht H. im dortigen Verfahren dazu bekundet hat und ferner,
welchen Zusammenhang und welche Bedeutung dies für die gegen die Ange-
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klagten des vorliegenden Verfahrens erhobenen Tatvorwürfe hatte (vgl. Se-
natsbeschluss vom 22. Januar 2008
– 4 StR 507/07, StV 2008, 283, Tz. 5 f. m.
Anm. Leu StV 2009, 507 zu den Voraussetzungen des § 22 Nr. 5 StPO in der-
artigen Fällen). Das ist hier jedoch nicht geschehen; auch aus den auf die
Sachrüge heranzuziehenden Urteilsgründen ergeben sich dafür keine Anhalts-
punkte.
II.
Der Senat beschränkt die Strafverfolgung mit Zustimmung des General-
bundesanwalts gemäß § 154a Abs. 2 StPO jeweils auf den Vorwurf des ver-
suchten gewerbsmäßigen Bandenbetruges. Dies führt zur Aufhebung des ange-
fochtenen Urteils in den Strafaussprüchen. Im verbleibenden Umfang hat die
Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Sachrügen keinen die
Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getrof-
fen:
a) Die Angeklagten schlossen sich Anfang 2008 aufgrund einer zumin-
dest stillschweigend getroffenen Vereinbarung zusammen, um spätestens ab
Juli 2008 von einer Vielzahl von Personen unter Vorspiegelung eines tatsäch-
lich nicht bestehenden Vertragsverhältnisses im Wege des Lastschriftverfah-
rens Geldbeträge einzuziehen. Das von den Angeklagten im arbeitsteiligen Zu-
sammenwirken im Folgenden in die Tat umgesetzte Geschäftsmodell bestand
in einer Variante darin, eine möglichst große Zahl von Personen durch entspre-
chend angeleitete Callcenter-Mitarbeiter anzurufen und bei diesen den Eindruck
eines
– tatsächlich nicht bestehenden – Vertragsverhältnisses über die Teil-
nahme an Gewinnspielen hervorzurufen. Auf diese Weise wollten die Angeklag-
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ten an die Kontodaten der Angerufenen gelangen und von diesen Konten Last-
schriften vornehmen, wobei sie davon ausgingen, dass die Angerufenen infolge
der Annahme, es bestehe tatsächlich ein Vertragsverhältnis und die Lastschrift
sei daher rechtmäßig erfolgt, den Lastschrifteinzügen nicht widersprechen wür-
den. Bei einer weiteren Tatvariante, bei der die Kontodaten bereits bekannt und
Telefonanrufe daher entbehrlich waren, sollte den Betroffenen allein durch die
durchgeführte Lastschrift ein bestehendes Vertragsverhältnis vorgespiegelt
werden, um diese von einem Widerspruch abzuhalten. Dabei nahmen die An-
geklagten einerseits billigend in Kauf, dass die Kontoinhaber von den Last-
schriftabbuchungen durch Lektüre ihrer Kontoauszüge Kenntnis erhalten, sich
den Zugriff auf ihr Konto aber nicht anders erklären würden, als dass der jewei-
ligen Abbuchung ein wirksamer Vertrag zu Grunde lag, sei es auch nur in der
Form, dass sie sich insoweit unsicher waren und/oder die Sache wegen des
relativ geringen Betrages auf sich beruhen ließen. Andererseits handelten die
Angeklagten auch in der Erwartung, die Betroffenen würden in zahlreichen Fäl-
len mangels ausreichend sorgfältiger Kontrolle ihrer Kontoauszüge die Abbu-
chungen nicht bemerken oder einfach übersehen.
Zur Verwirklichung des Tatplans bedienten sich die Angeklagten insbe-
sondere der in der S. ansässigen AG, die vom Angeklagten W.
vertreten wurde. Dieser schloss für die AG zahlreiche Verträge unter
anderem mit Callcentern, Zahlungsdienstleistern sowie mit Banken ab, über die
die Lastschrifteneinzüge erfolgen sollten und später auch tatsächlich erfolgten.
Auch mit dem von der Angeklagte D. S. betriebenen Callcenter
GmbH & Co KG, bei dem der Angeklagte T.
S. angestellt war, schloss der Angeklagte W. sog. Vertriebs-
partnerverträge ab. Insgesamt waren für die Angeklagten im Tatzeitraum min-
destens 66 Callcenter mit etwa 400 bis 600 Mitarbeitern in der sog. Gewinn-
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spielvermittlung tätig. Die Callcenter erhielten für jeden Fall, in dem sie die Kon-
todaten erlangten, einen Betrag in Höhe von 45 bis 60 Euro.
Die zur Erschwerung von Nachforschungen meist unter falschen Namen
handelnden Mitarbeiter der Callcenter gaben bei ihren Anrufen (1. Tatvariante)
entsprechend den Vorgaben eines ihnen auf Veranlassung der Angeklagten
ausgehändigten sog. Negativleitfadens für die Gesprächsführung vor, sie hätten
die Möglichkeit, einen vermeintlich bestehenden Gewinnspielvertrag entweder
unbefristet weiterlaufen zu lassen oder ihn zum Ablauf von drei Monaten zu be-
enden, wobei für die letzten drei Monate, sollten Gewinne ausbleiben, eine
„Geld-zurück-Garantie“ bestehe. Tatsächlich war die Übernahme einer solchen
Garantie zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt; in keinem Fall wurden zuvor abge-
buchte Geldbeträge zurückerstattet. Der durch den Leitfaden im Einzelnen vor-
gegebene Erstanruf diente dazu, die Angerufenen jeweils zur Kündigung eines
in Wirklichkeit nicht bestehenden Vertrages und
– abwicklungshalber – zur Her-
ausgabe ihrer Kontodaten zu veranlassen. Widersprachen die angerufenen
Personen
– wie in der weit überwiegenden Zahl der Fälle – der Behauptung an
einem derartigen Gewinnspiel teilgenommen zu haben, bemühten sich die von
den Angeklagten angewiesenen Callcenter-Mitarbeiter dies
– wahrheitswidrig –
zu widerlegen und behaupteten beispielsweise, auf die Kontodaten aus Daten-
schutzgründen keinen Zugriff zu haben, sie aber nun zu benötigen, etwa um
den Betroffenen aus dem Vertrag „herauszuhelfen“.
Im Anschluss an den Erstanruf erfolgte sodann ein Zweitanruf (sog. Qua-
lity Call), der zum Teil elektronisch aufgezeichnet wurde und dazu diente, mit-
tels geschickter Gesprächsführung von den Betroffenen eine telefonisch erteilte
Einzugsermächtigung zu erhalten, um die Betroffenen selbst, aber auch die be-
teiligten Banken oder im Fall von Nachforschungen die Strafverfolgungsbehör-
den über den auf diesem Weg dokumentierten angeblichen Vertragsschluss zu
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täuschen. Im Anschluss daran erhielten die Angerufenen
– auch diejenigen, die
den vermeintlichen Vertrag gekündigt hatten
– von der GmbH, die von
der
AG mit der „technischen Abwicklung“ beauftragt worden war, sog. Be-
grüßungsschreiben
, in denen behauptet wurde, die Empfänger hätten „die
Chance, bei 200 Internet-Gewinnspielen mo
natlich eingetragen zu werden“;
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iese Leistung sei „ebenfalls in Ihrem Servicebetrag … enthalten, den wir wie
besprochen jeden Monat im vo
raus automatisch von Ihrem Konto… abbuchen“.
Tatsächlich war ab dem Jahr 2008 - wie die Angeklagten wussten
– eine Ein-
tragung in 200 Gewinnspiele monatlich je Kunde nicht mehr möglich, sondern
erfolgte „in einem deutlich geringeren Umfang“.
Der Einzug der vermeintlichen Forderungsbeträge in Höhe von jeweils
zwischen 55 und 79,80 Euro erfolgte im Tatzeitraum vom 9. März 2009 bis zum
22. Januar 2010 mittels Einzugsermächtigungslastschriftverfahren. Die auf dem
jeweiligen Kontoauszug der Betroffenen wiedergegebene Belastungsbuchung
enthielt den Namen des Zahlungsdienstleisters, den Namen des „Produkts“,
den abgebuchten Betrag sowie eine zwölfstellige ID-Nummer. Es wurden bei
insgesamt 136.890 Betroffenen (teilweise mehrfach) Beträge im Lastschriftver-
fahren eingezogen, die im angefochtenen Urteil auf 4.885 Seiten im Einzelnen
in Tabellenform aufgeführt sind. In 198.070 Fällen wurde die Lastschrift nicht
zurückgegeben, so dass das Geld bei den Angeklagten verblieb. Dagegen er-
folgte in 129.708 Fällen eine Rückgabe der Lastschriften. Die Angeklagten er-
zielten durch ihr Vorgehen
einen Gewinn „im deutlich siebenstelligen Bereich“.
b) Zur Beweiswürdigung hat das Landgericht lediglich mitgeteilt, dass die
Angeklagten im Rahmen einer nach § 257c StPO durchgeführten Verständi-
gung den Anklagevorwurf gestanden und weitere Fragen der Kammer glaub-
haft, ausführlich und nachvollziehbar beantwortet hätten. Von der Richtigkeit
der geständigen Einlassungen
sei die Strafkammer überzeugt, da sie „mit dem
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Ermittlungsergebnis sowie auch mit dem übrigen Ergebnis der nach Maßgabe
des Hauptverhandlungsprotokolls durchgeführten umfassenden Beweisauf-
nahme im Einklang“ stünden. Weitere Ausführungen hierzu enthält das Urteil
nicht.
2. Die Verurteilung der Angeklagten wegen gewerbsmäßigen
Bandenbetruges begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil offen
bleibt, auf welche Weise sich die Strafkammer auch unter Berücksichtigung der
umfassenden Geständnisse der Angeklagten die Überzeugung verschafft hat,
die Betroffenen hätten die Lastschriften in den 198.070 festgestellten Fällen
hingenommen, weil sie sich über das Bestehen einer Zahlungspflicht im Irrtum
befanden.
a) In welchem Umfang der Tatrichter seine Überzeugungsbildung in den
Urteilsgründen mitzuteilen hat, hängt von den Gegebenheiten des jeweiligen
Falles ab. Zwar sind, wenn sich die Angeklagten
– wie hier – auf der Grundlage
einer Absprache geständig einlassen, an die Überprüfung dieser Einlassungen
und deren Darlegung im Urteil regelmäßig keine strengeren Anforderungen zu
stellen als bei einem in herkömmlicher Verfahrensweise abgegebenen Ge-
ständnis (BVerfG, Urteil vom 19. März 2013
– 2 BvR 2628/10 u.a., NJW 2013,
1058, 1063, Tz. 71; BGH, Beschluss vom 25. Juni 2013
– 1 StR 163/13); es gibt
auch keine forensische Erfahrung dahin, dass bei einem Geständnis im Rah-
men einer Verständigung regelmäßig mit einer wahrheitswidrigen Selbstbelas-
tung zu rechnen ist (BGH, Beschluss vom 23. Mai 2012
– 1 StR 208/12, NStZ
2012, 584). Aber auch in einem solchen Fall müssen die Urteilsgründe erken-
nen lassen, dass die Würdigung der Beweise auf einer tragfähigen, verstan-
desmäßig einsichtigen Tatsachengrundlage beruht, die dem Revisionsgericht
eine Überprüfung nach den Maßstäben rationaler Argumentation ermöglicht (st.
Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 24. November 1992
– 5 StR 456/92, BGHR
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StPO § 261 Vermutung 11; Beschluss vom 15. September 1999
– 2 StR
373/99, BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 34; Beschluss vom 31. Janu-
ar 2012
– 3 StR 285/11, StV 2012, 653, Tz. 4, Beschluss vom 25. September
2012
– 5 StR 372/12, NStZ-RR 2012, 361; vgl. Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl.
§ 261 Rn. 2a).
Da der Betrugstatbestand voraussetzt, dass die Vermögensverfügung
durch den Irrtum des Getäuschten veranlasst worden ist, und das gänzliche
Fehlen einer Vorstellung für sich allein keinen tatbestandsmäßigen Irrtum be-
gründen kann, muss der Tatrichter insbesondere mitteilen, wie er sich die Über-
zeugung davon verschafft hat, dass der Verfügende einem Irrtum erlegen ist
(BGH, Urteile vom 5. Dezember 2002
– 3 StR 161/02, NJW 2003, 1198, 1199 f;
vom 22. November 2013
– 3 StR 162/13, NStZ 2014, 215, Tz. 8; zu den Darle-
gungsanforderungen bei einem „uneigentlichen Organisationsdelikt“ vgl. BGH,
Beschluss vom 31. Januar 2012 aaO, Tz. 6; Beschluss vom 29. Juli 2009
– 2 StR 160/09, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 15; Be-
schluss vom 2. November 2007
– 2 StR 384/07, NStZ 2008, 89, Tz. 5). In ein-
fach gelagerten Fällen mag sich dies von selbst verstehen. Im Bereich gleich-
förmiger, massenhafter oder routinemäßiger Geschäfte, die von selbstverständ-
lichen Erwartungen geprägt sind, kann der Tatrichter befugt sein, auf die täu-
schungsbedingte Fehlvorstellung auf der Grundlage
eines „sachgedanklichen
Mitbewusstseins“ indiziell zu schließen, wobei er dies im Urteil darzulegen hat.
Ist das Vorstellungsbild des Verfügenden normativ geprägt, kann bei einem
Tatvorwurf, dem zahlreiche Einzelfälle zu Grunde liegen, die Vernehmung we-
niger Zeugen ausreichen; wenn deren Angaben das Vorliegen eines Irrtums (in
den sie betreffenden Fällen) belegen, kann auf die Erregung eines Irrtums auch
bei anderen Verfügenden geschlossen werden (BGH, Urteil vom 22. November
2013
– 3 StR 162/13; Beschluss vom 6. Februar 2013 – 1 StR 263/12, NJW
2013, 1545, 1546; Beschluss vom 17. Juli 2009
– 5 StR 394/08, Tz. 15, inso-
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weit in BGHSt 54, 44 nicht abgedruckt). In komplexeren Fällen wird es regel-
mäßig erforderlich sein, die betreffenden Personen über ihr tatrelevantes Vor-
stellungsbild als Zeugen zu vernehmen sowie deren Bekundungen im Urteil
mitzuteilen und zu würdigen (BGH, Beschluss vom 6. Februar 2013
– 1 StR
263/12, NJW 2013, 1545, Tz. 15, Urteil vom 22. November 2013
– 3 StR
162/13, NStZ 2014, 215, Tz. 8 f.).
b) Gemessen daran vermögen
– jedenfalls im vorliegenden Fall – weder
der
Hinweis auf das „Ermittlungsergebnis“ noch die ebenfalls nicht näher beleg-
te Bezugnahme auf die „umfassende Beweisaufnahme“ und die „umfassende
geständ
ige Einlassung der Angeklagten“ eine Irrtumserregung bei den von den
Lastschrifteinzügen betroffenen Bankkunden zu belegen.
aa) Den Urteilsgründen ist nicht zu entnehmen, dass die Strafkammer
Geschädigte als Zeugen vernommen hat oder dass deren Angaben auf andere
Weise in die Hauptverhandlung eingeführt worden sind.
bb) Die Annahme eines täuschungsbedingten Irrtums und einer dadurch
kausal hervorgerufenen Vermögensverfügung versteht sich hier auch nicht von
selbst. Denn nach den Feststellungen der Strafkammer wurde bei den Betroffe-
nen im Rahmen der Telefonanrufe durch die Callcenter-Mitarbeiter der Eindruck
erweckt, sie hätten die Möglichkeit, einen bestehenden Vertrag entweder unbe-
fristet weiterlaufen zu lassen oder ihn zum Ablauf von drei Monaten zu been-
den. In der „weit überwiegenden Anzahl“ der Fälle hatten die Betroffenen je-
doch der Behauptung widersprochen, sie hätten einen derartigen Vertrag abge-
schlossen. Danach liegt es
– auch soweit dem Bestehen eines Vertragsverhält-
nisses nicht ausdrücklich widersprochen wurde
– nicht auf der Hand, dass die
Betroffenen die Rückforderung der abgebuchten Beträge gerade aufgrund der
irrtümlichen Annahme unterließen, sie seien aufgrund eines bestehenden Ver-
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tragsverhältnisses verpflichtet, die Abbuchung dieser Beträge (dauerhaft) als
rechtmäßig zu dulden.
Was die Fälle betrifft, in denen die Täter bereits über die Bankdaten ver-
fügten und Anrufe bei den jeweiligen Kontoinhabern daher entbehrlich waren,
vermögen die Urteilsgründe ebenfalls nicht hinreichend zu vermitteln, auf wel-
cher Grundlage sich das Landgericht die Überzeugung gebildet hat, die Bank-
kunden hätten sich gegen die Lastschriften nicht zur Wehr gesetzt, weil ihnen
das Bestehen eines Vertragsverhältnisses oder die Erteilung einer Einzugser-
mächtigung vorgespiegelt wurde. Diese Annahme ist schon mit der von der
Strafkammer festgestellten, ausweislich der Urteilsgründe aber nicht näher
überprüften Erwartung der Angeklagten unvereinbar, die Kontoinhaber würden
die Lastschriften gar nicht bemerken, möglicherweise also noch nicht einmal
einer täuschungsbedingten Fehlvorstellung im Sinne eines sog. sachgedankli-
chen Mitbewusstseins unterliegen.
3. Der Senat nimmt deshalb gemäß § 154a Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1
StPO mit Zustimmung des Generalbundesanwalts die aus der Urteilsformel er-
sichtliche Beschränkung vor.
a) Die Feststellungen und die im Urteil mitgeteilte Beweiswürdigung be-
legen für beide Tatvarianten insbesondere, dass die Angeklagten nach ihrer
Vorstellung als Mittäter im Wege eines uneigentlichen Organisationsdelikts Be-
trugshandlungen im Sinne von § 263 Abs. 1 StGB in 198.070 tateinheitlich zu-
sammentreffenden Fällen zum Nachteil der Kontoinhaber begehen wollten und
hierzu auch unmittelbar angesetzt haben (§ 22 StGB).
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aa) In den sog. Anruffällen ging es den Angeklagten darum, bei den Te-
lefonanrufen und durch die Übersendung der Begrüßungsschreiben den Emp-
fängern das Bestehen eines Vertragsverhältnisses vorzuspiegeln, um sie auf
diese Weise zu veranlassen, auf einen Widerspruch gegen die spätere Abbu-
chung zu verzichten. Hierin liegt ein versuchter Betrug (vgl. BGH, Urteil vom
22. Januar 2014
– 5 StR 468/12, Tz. 17).
bb) Aber auch in den Fällen, in denen die Lastschrifteinzüge ohne vorhe-
rige telefonische Kontaktaufnahme erfolgten und die Übersendung von Begrü-
ßungsschreiben unterblieb, ein direkter Kundenkontakt also nicht stattfand, war
der Tatplan der Angeklagten auf die Begehung eines Betruges gerichtet.
(1) Den Angeklagten war bewusst, dass die betroffenen Kunden von ih-
rer jeweiligen Bank einen Kontoauszug erhalten würden, in dem die von ihnen
veranlasste Abbuchung ausgewiesen war. Nach den Feststellungen des Land-
gerichts enthielt die jeweilige Kontoinformation auf dem Auszug nicht nur den
Namen des Zahlungsdienstleisters, den abgebuchten Betrag und eine sog. ID-
Nummer, sondern auch einen Produktnamen. Dabei entsprach es der Vorstel-
lung der Angeklagten, dass den betroffenen Bankkunden unter Berücksichti-
gung des insoweit maßgeblichen Empfängerhorizonts im Hinblick auf die Mittei-
lung einer derartigen Produktbezeichnung ein wirksames Kausalgeschäft vor-
gespiegelt werden sollte.
(2) Der Ablauf des im Wesentlichen durch Allgemeine Geschäftsbedin-
gungen geregelten Einzugsermächtigungslastschriftverfahrens (vgl. Nr. 9 AGB-
Banken i.d. bis zum 30. Oktober 2009 gültigen Fassung sowie die Sonderbe-
dingungen für den Lastschriftverkehr im Einzugsermächtigungsverfahren i.d.F.
v. Oktober 2009 und die Bedingungen für den Lastschrifteinzug vom November
2009), dessen sich die Angeklagten hier zur Tatausführung bedienten, bestätigt
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diese rechtliche Beurteilung. Dieses Verfahren wird durch die Übermittlung ei-
nes vom Zahlungsempfänger
– hier also von den Angeklagten – mit den erfor-
derlichen Informationen versehenen Lastschriftdatensatzes
– regelmäßig in
elektronischer Form
– über dessen Bank an das Geldinstitut des Schuldners
ohne dessen Einschaltung in Gang gesetzt. Dessen Institut belastet seinerseits
ohne eigene Sachprüfung das Konto des Kunden mit dem genannten Betrag
(vgl. Nr. 2.1.2 sowie 2.3.1 der Sonderbedingungen; vgl. dazu BGH, Urteil vom
24. Juni 1985
– II ZR 277/84, BGHZ 95, 103, 106). Der zahlungspflichtige
Bankkunde erhält sodann von seiner Zahlstelle entsprechend dem vom Zah-
lungsempfänger an dessen Bank übermittelten Lastschriftdatensatz eine Mittei-
lung über die erfolgte Belastung auf seinem Kontoauszug (Lastschriftabkom-
men Abschnitt 1 Nr. 7 Abs. 1). Da dieses Verfahren den Zahlungsempfänger in
die Lage versetzt, von sich aus ohne Mitwirkung des Zahlungspflichtigen den
Zeitpunkt des Zahlungsflusses zu bestimmen (BGH, Urteil vom 29. Mai 2008
IX ZR 42/07, ZIP 2008, 1241, Tz. 15), und der Schuldner auf die (nachträgliche)
Verweigerung der Genehmigung verwiesen wird (Nr. 2.4 der Sonderbedingun-
gen), muss der Zahlungsempfänger, um Forderungen einzuziehen, gegenüber
seiner Bank versichern, dass ihm eine schriftliche Ermächtigung des Zahlungs-
pflichtigen vorliegt (vgl. dazu Lastschriftabkommen Abschnitt I Nr. 3; Einzelhei-
ten bei Ellenberger in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch,
4. Aufl., § 58 Rn. 11). Auch diese Erklärung über das Vorliegen einer Einzugs-
ermächtigung gibt die Gläubigerbank über die Schuldnerbank als Boten an den
vermeintlichen Schuldner weiter.
(3) Danach war der Tatplan der Angeklagten darauf gerichtet, die be-
troffenen Bankkunden sowohl über das Bestehen eines Vertragsverhältnisses
als auch über die Berechtigung zur Vornahme des Lastschrifteinzugs zu täu-
schen. Dies geschah mit dem Ziel, die Bankkunden bis zum endgültigen Eintritt
der Genehmigungswirkung von der Geltendmachung von Einwendungen ge-
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genüber der kontoführenden Bank und damit von der Möglichkeit der Rückbu-
chung der vereinnahmten Geldbeträge abzuhalten.
(4) Die Angeklagten haben auch unmittelbar im Sinne des § 22 StGB zur
Begehung dieser Tat angesetzt. Indem sie den Lastschrifteinzug bei ihrer Bank
einreichten und damit das Einzugsermächtigungslastschriftverfahren in Gang
setzten, gaben sie das Geschehen aus der Hand (vgl. Senatsurteil vom 26. Ja-
nuar 1982
– 4 StR 631/81, BGHSt 30, 363, 365; vgl. auch SSW-StGB/
Kudlich/Schuhr, 2. Aufl., § 22 Rn. 40).
b) Auch die Voraussetzungen für eine Beschränkung der Strafverfolgung
gemäß § 154a Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 StPO liegen vor (vgl. BGH, Beschluss
vom 22. Januar 2013
– 1 StR 416/12, BGHSt 58, 119, Tz. 13, 51, m. abl. Anm.
Heghmanns ZJS 2013, 423; i.E. ebenso schon BGH, Beschluss vom 12. Sep-
tember 1990
– 3 StR 277/90, HFR 1991, 496). Schon im Hinblick auf die Viel-
zahl der Fälle und die Komplexität des Tatgeschehens würde die weitere Auf-
klärung mit dem Ziel der Feststellung eines vollendeten Delikts einen unverhält-
nismäßigen Aufwand bedeuten.
III.
Die Beschränkung der Strafverfolgung führt zu der aus der Urteilsformel
ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs für alle drei Angeklagten. § 265
StPO steht nicht entgegen, da ausgeschlossen werden kann, dass sich die um-
fassend geständigen Angeklagten anders als geschehen verteidigt hätten.
Die Strafaussprüche können jedoch nicht bestehen bleiben, da die Mög-
lichkeit besteht, dass die Strafen auf der Grundlage des geänderten Schuld-
spruchs dem gemäß §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen
entnommen worden wären. Über diese Frage wird der zu neuer Verhandlung
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und Entscheidung berufene Tatrichter nunmehr auf der Grundlage einer Ge-
samtwürdigung der Täterpersönlichkeiten und der Tatumstände unter besonde-
rer Berücksichtigung der versuchsbezogenen Gesichtspunkte, insbesondere
der Vollendungsnähe, zu entscheiden haben (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Feb-
ruar 2013
– 1 StR 263/12, NJW 2013, 1545, Tz. 21).
IV.
Ob die vom Landgericht gemäß § 111i Abs. 2 StPO i.V.m. § 73 Abs. 1
Satz 2 StGB getroffene Entscheidung in der Sache durchgreifenden rechtlichen
Bedenken begegnet, hat der Senat nicht zu entscheiden. Die Angeklagten sind
von dieser Entscheidung weder betroffen noch durch sie beschwert.
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin
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