Urteil des BGH vom 11.04.2013

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 94/12
vom
11. April 2013
In dem Insolvenzverfahren
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
InsO § 290 Abs. 1 Nr. 1
Dem Schuldner kann die Restschuldbefreiung nach Durchführung des Schluss-
termins nur dann versagt werden, wenn seine Verurteilung wegen einer Insol-
venzstraftat spätestens zum Schlusstermin in Rechtskraft erwachsen ist.
InsO § 297 Abs. 1
Dem Schuldner kann die Restschuldbefreiung in der Wohlverhaltensperiode nur
dann versagt werden, wenn seine Verurteilung wegen einer Insolvenzstraftat spä-
testens zum Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung in Rechtskraft erwachsen
ist.
InsO § 300 Abs. 1
Ist über den Antrag eines Schuldners auf Restschuldbefreiung vor Abschluss des
Insolvenzverfahrens zu entscheiden, kann ihm diese wegen einer Insolvenzstraftat
nur
nach
§ 290
Abs. 1
Nr. 1
InsO
versagt
werden;
dies
setzt
voraus, dass die strafrechtliche Verurteilung bis zum Ende der Laufzeit der Abtre-
tungserklärung in Rechtskraft erwachsen ist.
BGH, Beschluss vom 11. April 2013 - IX ZB 94/12 - LG Halle
AG Halle
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Richter Vill, Raebel,
Dr. Pape, Grupp und die Richterin Möhring
am 11. April 2013
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer
des Landgerichts Halle vom 15. August 2012 wird auf Kosten der
Rechtsbeschwerdeführer zurückgewiesen.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000
€ festgesetzt.
Gründe:
I.
Auf Antrag des Schuldners wurde am 18. Februar 2005 das Insolvenz-
verfahren über sein Vermögen eröffnet. Durch Urteil vom 4. Mai 2011 - rechts-
kräftig seit dem 15. März 2012 - wurde er wegen vorsätzlichen Bankrotts (§ 283
StGB) zu einer Geldstrafe verurteilt. Das Insolvenzgericht hat vor Beendigung
des Insolvenzverfahrens den Beteiligten gemäß § 300 Abs. 1 InsO Gelegenheit
gegeben, schriftlich zum Restschuldbefreiungsantrag des Schuldners Stellung
zu nehmen. Zwei Gläubiger, die weiteren Beteiligten zu 1 und zu 2, haben die
Versagung der Restschuldbefreiung unter Hinweis auf die strafrechtliche Verur-
teilung des Schuldners beantragt. Das Insolvenzgericht hat die Restschuldbe-
freiung erteilt. Die sofortige Beschwerde der Gläubiger gegen diesen Beschluss
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ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechts-
beschwerde verfolgen sie ihre Versagungsanträge weiter.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statt-
haft und auch im Übrigen zulässig (§ 575 ZPO). Sie bleibt jedoch ohne Erfolg.
Dem Schuldner ist mit Recht die Restschuldbefreiung erteilt worden; der von
den Gläubigern geltend gemachte Versagungsgrund liegt nicht vor.
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, über die Erteilung der Rest-
schuldbefreiung sei nach §§ 300, 297 InsO zu entscheiden, weil die Laufzeit der
Abtretungserklärung am 17. Februar 2011 verstrichen gewesen sei. Danach sei
die Restschuldbefreiung zu gewähren, weil der Schuldner erst nach Ende der
Laufzeit der Abtretungserklärung rechtskräftig wegen einer Straftat nach §§ 283
bis 283c StGB verurteilt worden sei. Auf den Versagungstatbestand des § 290
Abs. 1 Nr. 1 InsO dürfe nicht zurückgegriffen werden.
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis
stand.
a) Mit Recht hat das Insolvenzgericht über den Antrag des Schuldners
auf Erteilung der Restschuldbefreiung nach Ende der Laufzeit der Abtretungs-
erklärung gemäß § 287 Abs. 2 InsO vor Beendigung des Insolvenzverfahrens
entschieden, nachdem es die Beteiligten in einem besonderen Termin angehört
hat. Das Beschwerdegericht hat das gebilligt. Damit sind beide Tatsachen-
instanzen der Rechtsprechung des Senats gefolgt, wonach gemäß § 300 Abs. 1
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InsO nach Ablauf von sechs Jahren nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens
über den Antrag auf Restschuldbefreiung zu entscheiden ist, auch wenn das
Insolvenzverfahren noch nicht abschlussreif ist (Beschluss vom 3. Dezember
2009 - IX ZB 247/08, BGHZ 183, 258 Rn. 20, 28; vom 16. Februar 2012 - IX ZB
209/11, ZInsO 2012, 597 Rn. 7; vom 11. Oktober 2012 - IX ZB 230/09, ZInsO
2012, 2164 Rn. 8 mwN). Gemäß § 5 Abs. 2 InsO darf, wie vorliegend gesche-
hen, anstelle der Durchführung des besonderen Anhörungstermins das schriftli-
che Verfahren angeordnet werden (BGH, Beschluss vom 16. Februar 2012,
aaO Rn. 14 mwN; vom 11. Dezember 2012, aaO).
b) Zu Unrecht prüft das Beschwerdegericht jedoch die Versagung der
Restschuldbefreiung alleine anhand des nicht einschlägigen Versagungstatbe-
standes des § 297 InsO. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats können
die Gläubiger nach Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung vor Beendigung
des Insolvenzverfahrens nicht die Versagungsgründe der §§ 296, 295 InsO gel-
tend machen, weil der Schuldner die Obliegenheiten des § 295, § 296 Abs. 2
InsO nur in der Wohlverhaltensperiode zu beachten hat (vgl. BGH, Beschluss
vom 16. Februar 2012, aaO Rn. 7; vom 11. Oktober 2012, aaO mwN). Entspre-
chendes gilt für § 297 InsO (vgl. FK-InsO/Ahrens, aaO; Pape in Pape/Uhländer,
InsO, § 300 Rn. 30). Nach der Gesetzessystematik bezieht sich § 297 InsO nur
auf die Zeit nach dem Schlusstermin bis zum Ende der Laufzeit der Abtretungs-
erklärung (vgl. MünchKomm-InsO/Stephan, 2. Aufl., § 297 Rn. 13 f; FK-InsO/
Ahrens, aaO, § 297 Rn. 4 ff). Ein Schlusstermin hatte hier jedoch noch nicht
stattgefunden.
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c) Die Gläubiger konnten sich aber auf die Versagungsgründe des § 290
InsO berufen, die sich auf die Zeit vor und während des durchgeführten Insol-
venzverfahrens beziehen (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Februar 2012, aaO;
vom 11. Oktober 2012, aaO). Der einschlägige Versagungstatbestand ist mithin
§ 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Die Vorschrift ist aus gesetzessystematischen Grün-
den so auszulegen, dass die Verurteilung wegen einer Straftat nach §§ 283 bis
283c StGB bis zum Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung rechtskräftig
geworden sein muss. Demgegenüber ist das Strafurteil gegen den Schuldner
erst nach Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung ergangen und rechtskräftig
geworden.
aa) Nach § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO muss der Schuldner zum Zeitpunkt des
Schlusstermins wegen einer Straftat nach §§ 283 bis 283c StGB rechtskräftig
verurteilt sein. Tritt die Rechtskraft der strafrechtlichen Verurteilung erst nach
dem Schlusstermin, aber vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens oder noch
später während der Wohlverhaltensperiode bis zum Ende der Laufzeit der Ab-
tretungserklärung ein, kommt § 297 InsO zur Anwendung. Verurteilungen, die
am Ende der Wohlverhaltensperiode bereits verkündet, aber noch nicht rechts-
kräftig sind, unterfallen demgegenüber dem Versagungstatbestand des § 297
InsO nicht und führen nicht zu einer Versagung der Restschuldbefreiung (vgl.
Römermann in Nerlich/Römermann, InsO, 2011, § 290 Rn. 24, § 297 Rn. 3; FK-
InsO/Ahrens, aaO, § 290 Rn. 14, § 297 Rn. 7 f; Uhlenbruck/Vallender, InsO,
13. Aufl., § 297 Rn. 4; Fischer in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, § 290
Rn. 26; HmbKomm-InsO/Streck, 4. Aufl., § 297 Rn. 4; Pape, aaO, § 297 Rn. 4
und § 300 Rn. 12; BK-InsO/Ley, 2012, § 290 Rn. 20). Noch weniger können
Strafurteile, die nach Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung ergangen sind,
einen Versagungsgrund nach § 297 InsO begründen (MünchKomm-InsO/
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Stephan, 2. Aufl., § 297 Rn. 14; Wendland in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier,
aaO, § 297 Rn. 9; Pape, aaO, § 297 Rn. 4).
Demgegenüber wird in der Kommentarliteratur vertreten, die Rechtskraft
der Verurteilung müsse weder für den Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 1
InsO zum Schlusstermin (HK-InsO/Landfermann, 6. Aufl., § 290 Rn. 2; Münch-
Komm-InsO/Stephan, aaO, § 290 Rn. 30) noch für den Versagungsgrund des
§ 297 Abs. 1 InsO zum Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung (HK-InsO/
Landfermann, aaO, § 297 Rn. 5; wohl auch Uhlenbruck/Vallender, aaO, § 297
Rn. 5) vorliegen. Es wird sogar ausgeführt, dass die Restschuldbefreiung so-
wohl nach § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO wie auch nach § 297 InsO versagt werden
könne, wenn ein Schuldner noch nicht einmal zu den genannten Stichtagen
wegen einer Insolvenzstraftat verurteilt, eine solche Verurteilung jedoch mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei (Schmerbach in
Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsO, 2. Aufl., § 290 Rn. 34, § 297 Rn. 13).
Dem folgt der Senat nicht. Nach dem Wortlaut der Versagungstatbe-
stände und der Systematik des Gesetzes muss die strafrechtliche Verurteilung
spätestens zu den in den Versagungstatbeständen genannten Stichtagen in
Rechtskraft erwachsen sein. Die für die Gegenansicht angeführten verfahrens-
ökonomischen Gründe oder der Verweis auf § 1 Satz 2 InsO überzeugen nicht.
Allerdings ist Grund für die Versagung der Restschuldbefreiung das unredliche
Verhalten des Schuldners zum Nachteil seiner Gläubiger, welches die objekti-
ven und subjektiven Voraussetzungen eines Insolvenzstraftatbestandes erfüllt.
Das Erfordernis der Rechtskraft der strafgerichtlichen Verurteilung ist zur Ent-
lastung des Insolvenzgerichts in den Versagungstatbestand des § 290 Abs. 1
Nr. 1 StGB aufgenommen worden. Deswegen kann nur durch ein rechtskräfti-
ges Strafurteil nachgewiesen werden, dass der Schuldner eine Insolvenzstraftat
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begangen hat (BGH, Beschluss vom 16. Februar 2012 - IX ZB 113/11, NJW
2012, 1215 Rn. 11). Das bedeutet jedoch nicht, dass die rechtskräftige Verurtei-
lung nicht zu den Stichtagen vorliegen müsste. Bei § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO
spricht die Konzentrationsfunktion des Schlusstermins (Ahrens, aaO § 290
Rn. 85; Fischer, aaO § 290 Rn. 7) gegen eine solche erweiternde Auslegung;
wegen § 297 Abs. 1 InsO besteht hierfür auch kein Bedarf. Bei § 297 Abs. 1
InsO gilt es zu beachten, dass nach dem Willen des Gesetzgebers sechs Jahre
nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die Restschuldbefreiung zu ent-
scheiden ist. Der von § 287 Abs. 2 InsO verfolgte Zweck, dem redlichen
Schuldner sechs Jahre nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen wirt-
schaftlichen Neuanfang zu ermöglichen (BGH, Beschluss vom 3. Dezember
2009 - IX ZB 247/08, BGHZ 183, 258 Rn. 20, 21), würde verfehlt, wenn die
Rechtskraft der strafrechtlichen Verurteilung nicht bis zum Ende der Laufzeit
der Abtretungserklärung vorliegen müsste. Nur so erhalten die Verfahrensbetei-
ligten Rechtssicherheit, da klare, von der Dauer von Insolvenz- und Rest-
schuldbefreiungsverfahren unabhängige Termine gesetzt werden, bis wann die
Voraussetzungen der Versagungstatbestände vorliegen müssen.
Die Entscheidung des Senats vom 16. Februar 2012 (aaO Rn. 21) steht
nicht entgegen. Dort ist nur ausgeführt, dass gegebenenfalls neue Erkenntnisse
über das Vorliegen des Versagungstatbestandes des § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO
bis zum Abschluss der Beschwerdeinstanz berücksichtigt werden können. Zu
der Frage, auf welchen Stichtag die neuen Erkenntnisse bezogen sein müssen,
verhält sich die Entscheidung nicht (vgl. für das entsprechende Problem, dass
der Insolvenzgrund zum Zeitpunkt der Eröffnungsentscheidung nicht vorgele-
gen hat, BGH, Beschluss vom 27. Juli 2006 - IX ZB 204/04, BGHZ 169, 17,
19 ff; vom 27. März 2008 - IX ZB 144/07, NZI 2008, 391 Rn. 6).
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bb) Werden die Verfahrensbeteiligten, wie vorliegend, nach Ablauf der
Abtretungsfrist vor Beendigung des Insolvenzverfahrens in einem besonderen
Anhörungstermin nach § 300 Abs. 1 InsO zum Antrag des Schuldners auf Rest-
schuldbefreiung angehört, müssen die Gläubiger dort die Versagungsanträge
stellen und glaubhaft machen, der Schuldner muss dazu im Termin Stellung
nehmen. Ein erst nach diesem Termin gestellter oder begründeter Antrag ist
ebenso unbeachtlich wie eine erst danach abgegebene Stellungnahme des
Schuldners (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Februar 2012 - IX ZB 209/11, ZInsO
2012, 597 Rn. 11 f mwN; zur Erklärungspflicht des Schuldners vgl. BGH, Be-
schluss vom 22. September 2011 - IX ZB 133/10, ZInsO 2011, 2046 Rn. 7
mwN). Entsprechendes gilt im schriftlichen Verfahren.
Stellt ein Gläubiger in diesem Termin oder dem entsprechenden schriftli-
chen Verfahren wie die Rechtsbeschwerdeführer den Antrag, dem Schuldner
nach § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO die Restschuldbefreiung zu versagen, kommt zu-
sätzlich der Rechtsgedanke des § 297 InsO zum Tragen. Wenn in dem gesetz-
lich geregelten Normalverfahren dem Schuldner eine strafrechtliche Verur-
teilung nur dann zum Nachteil gereicht, wenn sie bis zum Ende der Laufzeit der
Abtretungserklärung rechtskräftig wird, kann für das hier vorliegende, vom
Normalverfahren abweichende Verfahren nichts Anderes gelten. Es würde
sonst zu einem nicht begründbaren Wertungswiderspruch bei der Behandlung
der strafrechtlichen Verurteilung eines Schuldners kommen, die erst nach Ende
der Laufzeit der Abtretungserklärung ergeht oder in Rechtskraft erwächst. Denn
der Schuldner hat regelmäßig keinen Einfluss auf die Dauer von Insolvenz- und
Restschuldbefreiungsverfahren. Auch hier würde eine Berücksichtigung spä-
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terer Verurteilungen dem von § 287 Abs. 2 InsO verfolgten Gesetzeszweck
widersprechen (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2009, aaO).
Vill
Raebel
Pape
Grupp
Möhring
Vorinstanzen:
AG Halle (Saale), Entscheidung vom 22.06.2012 - 59 IN 1446/04 -
LG Halle, Entscheidung vom 15.08.2012 - 3 T 17/12 -