Urteil des BGH vom 16.05.2014

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 131/13
Verkündet am:
16. Mai 2014
Langendörfer-Kunz
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
WEG § 14 Nr. 2, § 15 Abs. 3; BGB § 1004 Abs. 1, § 1030
Ein Wohnungseigentümer, der an seinem Wohnungseigentum einen Nießbrauch
bestellt hat, kann grundsätzlich als mittelbarer Handlungsstörer von den übrigen
Wohnungseigentümern auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wenn
der Nießbraucher das Wohnungseigentum in einer Weise nutzt, die mit dem in der
Teilungserklärung vereinbarten Zweck unvereinbar ist.
BGH, Urteil vom 16. Mai 2014 - V ZR 131/13 - LG Hamburg
AG Hamburg-Wandsbek
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 16. Mai 2014 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richter
Dr. Czub und Dr. Roth, die Richterin Dr. Brückner und den Richter Dr. Kazele
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg - Zivil-
kammer 18 - vom 24. April 2013 wird auf Kosten des Beklagten
zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Beklagte ist Mitglied der klagenden Wohnungseigentümergemein-
schaft. Er ist Inhaber des Sondereigentums an der im Dachgeschoss gelegenen
Wohnung und an dem darüber liegenden Spitzboden, der in der Teilungserklä-
rung als eine nicht zu Wohnzwecken dienende Räumlichkeit bezeichnet wird.
Im Jahr 1984 ließ der Beklagte in dem Spitzboden, der über einen eigenen Zu-
gang verfügt, ein Duschbad, eine Toilette, eine Küche, eine Heizung und Fens-
ter einbauen und stattete diesen Bereich mit einem eigenen Strom- und Was-
serzähler aus. Er bestellte zugunsten seiner Eltern ein Nießbrauchsrecht an
seinem Sondereigentum sowie seinem Miteigentumsanteil. Die Nießbraucher
vermieteten die Wohnung einschließlich Spitzboden von 1985 bis 2009 an Drit-
te. Im Jahr 2010 schlossen sie zwei gesonderte Mietverträge über die Wohnung
und den Spitzboden, die seither als separate Wohneinheiten genutzt werden.
Der Antrag des Beklagten, ihm und den Nießbrauchern die Trennung des
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Spitzbodens von der darunter liegenden Wohnung und dessen eigenständige
Vermietung zu gestatten, wurde in der Eigentümerversammlung vom 26. Okto-
ber 2010 abgelehnt. Am 28. März 2011 beschlossen die Eigentümer mehrheit-
lich, Klage auf Unterlassung der Nutzung des Spitzbodens zu Wohnzwecken zu
erheben. Der Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung.
Das Amtsgericht hat den Beklagten verurteilt, es zu unterlassen, den
Spitzbodenbereich als selbständige Wohneinheit separat von seiner Dachge-
schosswohnung zu Wohnzwecken zu nutzen oder nutzen zu lassen. Die Beru-
fung des Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit der von dem Landgericht zuge-
lassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, will er die Ab-
weisung der Klage erreichen.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung unter anderem in ZMR
2013, 632 ff. veröffentlicht ist, bejaht einen Unterlassungsanspruch aus § 1004
Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 15 Abs. 3 WEG. Der Beklagte sei mittelbarer
Handlungsstörer, da er nach § 14 Nr. 2 WEG verpflichtet sei, auf die Nießbrau-
cher dahingehend einzuwirken, dass eine der in der Teilungserklärung vorge-
sehenen Zweckbestimmung entgegenstehende Nutzung des Spitzbodens als
Wohnraum unterbleibe. Insbesondere stehe nicht fest, dass der Beklagte einen
gegen ihn gerichteten Unterlassungsanspruch unter keinen Umständen durch-
setzen könne. Diesbezügliche Versuche, auf seine Eltern einzuwirken, seien
nicht ersichtlich; der Beklagte vertrete vielmehr die Auffassung, dass die sepa-
rate Vermietung des Spitzbodens zulässig sei. Der Anspruch sei nicht verjährt.
Insoweit komme es nicht darauf an, ob der Klageantrag
– wie es das Amtsge-
richt angenommen habe - einschränkend dahingehend auszulegen sei, dass er
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nur auf die Unterlassung der separaten Nutzung des Spitzbodens als Wohn-
raum gerichtet sei. Selbst wenn allgemein die Nutzung zu Wohnzwecken unter-
sagt werden solle, trete die Verjährung nicht ein, solange die der Zweckbe-
stimmung widersprechende Nutzung fortdauere. Jedenfalls stelle die erneute
Vermietung der Räume bei wertender Betrachtung eine Zäsur dar, die zu einem
Neubeginn der Verjährung führe und auch eine Verwirkung des Anspruchs aus-
schließe.
II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung stand.
1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist allein der Anspruch der Klä-
gerin auf Unterlassung der Nutzung des Spitzbodens als selbständige, von der
Dachgeschosswohnung unabhängige Wohneinheit; dagegen geht es nicht all-
gemein um die Nutzung des Spitzbodens zu Wohnzwecken. Denn in diesem
Sinne hat das Amtsgericht den Klageantrag
– von der Klägerin unwiderspro-
chen
– ausgelegt und den Urteilstenor entsprechend gefasst. Das Berufungsge-
richt hat zwar Zweifel an dieser Auslegung des Klageantrags geäußert, die Be-
rufung des Beklagten aber zurückgewiesen, ohne den (für die Beschwer des
Beklagten maßgeblichen) Urteilstenor zu ändern.
2. Der danach maßgebliche Anspruch auf Unterlassung der Nutzung des
Spitzbodens als selbständige Wohneinheit gemäß § 1004 Abs. 1 BGB i.V.m.
§ 15 Abs. 3 WEG ist begründet; die Klägerin kann ihn im eigenen Namen gegen
den Beklagten geltend machen, weil sie die Geltendmachung der entsprechen-
den Individualansprüche der übrigen Wohnungseigentümer durch Mehrheitsbe-
schluss an sich gezogen hat (§ 10 Abs. 6 Satz 3 Alt. 2 WEG).
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a) Gemäß § 15 Abs. 3 WEG kann jeder Wohnungseigentümer u.a. einen
den Vereinbarungen entsprechenden Gebrauch der im Sondereigentum ste-
henden Gebäudeteile verlangen. Werden die in der Norm genannten Ge-
brauchsregelungen nicht eingehalten, liegt hierin eine Eigentumsbeeinträchti-
gung, die Voraussetzung für einen Unterlassungsanspruch gemäß § 1004
Abs. 1 BGB ist (vgl. Schultzky in Jennißen, WEG, 3. Aufl., § 15 Rn. 120). Von
Letzterem geht das Berufungsgericht zutreffend aus; die Regelung in der Tei-
lungserklärung, nach der der Spitzboden nicht zu Wohnzwecken dient, sieht es
als Zweckbestimmung mit Vereinbarungscharakter an. Infolgedessen ist die
Nutzung eines solchen Raums zu - wie hier - nicht nur vorübergehenden
Wohnzwecken nicht gestattet. Allerdings kann sich eine nach dem vereinbarten
Zweck ausgeschlossene Nutzung als zulässig erweisen, wenn sie bei typisie-
render Betrachtungsweise nicht mehr stört als die vorgesehene Nutzung (vgl.
Senat, Beschluss vom 16. Juni 2011
– V ZA 1/11, ZWE 2011, 396, 397 mwN).
Dies verneint das Berufungsgericht zu Recht. Denn die Wohnanlage erfährt
jedenfalls bei einer Vergrößerung um eine weitere Wohneinheit typischerweise
eine intensivere Nutzung, mit der eine erhöhte Aus- und Abnutzung verbunden
ist (vgl. BayObLG, ZMR 2004, 925 f.; OLG Hamm, NZM 1998, 873; OLGR Köln
1995, 163, 164, jeweils mwN).
b) Ferner hält es rechtlicher Nachprüfung stand, dass das Berufungsge-
richt den Beklagten als Störer im Sinne von § 1004 Abs. 1 BGB ansieht. Weil
die Nießbraucher den Spitzboden als separate Wohnung vermieten, kann der
Beklagte nur als mittelbarer Handlungsstörer zu der Unterlassung verpflichtet
sein. Als solcher wird angesehen, wer die Beeinträchtigung durch einen ande-
ren in adäquater Weise durch seine Willensbetätigung verursacht und in der
Lage ist, die unmittelbar auftretende Störung zu verhindern (vgl. Senat, Urteil
vom 7. April 2000
– V ZR 39/99, BGHZ 144, 200, 203 f. mwN; Urteil vom
27. Januar 2006
– V ZR 26/05, NJW 2006, 992 f.). Diese Voraussetzungen sind
erfüllt.
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aa) Die Beeinträchtigung wird adäquat durch Willensbetätigung des Be-
klagten verursacht.
(1) Allerdings liegt der Schwerpunkt seines Verhaltens in einem Unter-
lassen, weil er gegen das Verhalten der Nießbraucher nicht einschreitet. Im
Hinblick auf den unmittelbaren Handlungsstörer ist anerkannt, dass dessen Haf-
tung nur durch ein pflichtwidriges Unterlassen begründet wird (Senat, Urteil vom
1. Dezember 2006
– V ZR 112/06, NJW 2007, 432 Rn. 9); mit anderen Worten
muss den in Anspruch Genommenen eine Handlungspflicht treffen (vgl. für den
Zustandsstörer Senat, Urteil vom 1. Dezember 2006
– V ZR 112/06, aaO
Rn. 17). Dies gilt auch für den mittelbaren Handlungsstörer. Für diesen kann
sich eine derartige Handlungspflicht aus der Rechtsstellung als Eigentümer
(Senat, Urteil vom 7. April 2000
– V ZR 39/99, BGHZ 144, 200, 204 mwN) oder
als Betriebsinhaber (Senat, Urteil vom 30. Oktober 1981
– V ZR 191/80, NJW
1982, 440 f.) ergeben.
(2) Geht es
– wie hier - um das Verhältnis von Wohnungseigentümern
untereinander, ist eine spezielle Rechtspflicht zum Handeln in § 14 Nr. 2 WEG
normiert; nach der zweiten Alternative dieser Bestimmung hat jeder Wohnungs-
eigentümer für einen den Vereinbarungen entsprechenden Gebrauch des Son-
dereigentums durch die Personen zu sorgen, denen er die Benutzung der im
Sondereigentum stehenden Gebäudeteile überlassen hat. Hiervon wird auch
die Besitzübertragung aufgrund eines Nießbrauchs erfasst (ebenso BeckOK-
WEG/Dötsch, Ed. 19, § 14 Rn. 100). Denn vorausgesetzt wird grundsätzlich nur
die bewusste Überlassung der Nutzung durch den Eigentümer, ohne dass sich
dies auf bestimmte Arten der Nutzungsüberlassung - wie etwa die Vermietung
oder Verpachtung - beschränkte. Zweck der Norm ist es nämlich, im Verhältnis
der Wohnungseigentümer zueinander die Erfüllung der wechselseitigen Pflich-
ten sicherzustellen (vgl. KG, NZM 2000, 681; Hogenschurz in Jennißen, WEG,
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3. Aufl., § 14 Rn. 15; Klein in Bärmann, WEG, 12. Auflage, § 14 Rn. 43; Spiel-
bauer in Spielbauer/Then, WEG, 2. Aufl., § 14 Rn. 51). Wegen dieser Zielset-
zung ist die Bestimmung - entgegen der Ansicht der Revision - unabhängig da-
von anwendbar, ob der Eigentümer den Nießbrauch bestellt oder ob ihm das
Eigentum von vornherein nur unter Vorbehalt des Nießbrauchs übertragen wird;
nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist hier ohnehin ersteres anzu-
nehmen.
bb) Auch ist davon auszugehen, dass der Beklagte in der Lage ist, die
unmittelbar auftretende Störung zu verhindern. Die Haftung aus § 1004 Abs. 1
BGB scheidet nämlich nur aus, wenn feststeht, dass der Kläger einen ihm zuer-
kannten Unterlassungsanspruch unter keinen Umständen durchzusetzen ver-
mag; denn zu einer Leistung, die unstreitig nicht möglich ist - oder der der Ein-
wand des § 275 Abs. 3 BGB entgegensteht -, darf niemand verurteilt werden
(vgl. Senat, Urteile vom 7. April 2000
– V ZR 39/99, BGHZ 144, 200, 204 f., und
vom 21. Juni 1974
– V ZR 164/72, BGHZ 62, 388, 393). Entgegen der Ansicht
der Revision liegen diese Voraussetzungen nicht vor.
(1) Soweit nicht
– wie hier – ein Nießbraucher, sondern ein Mieter des
Wohnungseigentümers unmittelbarer Störer ist, entspricht es ständiger Recht-
sprechung, dass ein gegen den Wohnungseigentümer gerichteter Unterlas-
sungsanspruch nicht an dessen mietvertraglichen Bindungen scheitert. Die
wechselseitigen Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer werden da-
durch, dass der in Anspruch genommene Wohnungseigentümer mietvertraglich
gebunden ist, weder erweitert noch beschränkt. Vielmehr muss der vermietende
Wohnungseigentümer alles in seiner Macht Stehende unternehmen, damit sein
Mieter einem berechtigten Unterlassungsbegehren der anderen Eigentümer
Folge leistet. Alles weitere kann dem Vollstreckungsverfahren überlassen wer-
den (Senat, Beschluss vom 4. Mai 1995
– V ZB 5/95, BGHZ 129, 329, 335 f.
mwN). Selbst bei einem unkündbaren Gebrauchsüberlassungsverhältnis ist es
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nicht ausgeschlossen, dass sich der Eigentümer mit den Mietern gütlich einigt
und sie - erforderlichenfalls unter finanziellen Opfern - zu einer Aufgabe der zu
unterlassenden Nutzung veranlasst (vgl. Senat, Urteile vom 7. April 2000
- V ZR 39/99, BGHZ 144, 200, 204 f.; vom 21. Juni 1974
- V ZR 164/72, BGHZ
62, 388, 393 f.; vom 11. November 1966
- V ZR 191/63, NJW 1967, 246).
(2) Nichts anderes gilt für eine Überlassung aufgrund eines Nießbrauchs.
Ebenso wenig wie durch das Eingehen einer langfristigen mietvertraglichen
Bindung kann sich der Wohnungseigentümer seinen aus dem Gemeinschafts-
verhältnis erwachsenden Pflichten durch die Bestellung eines Nießbrauchs ent-
ziehen. Das gilt auch, wenn die Nießbraucher das Wohnungseigentum vermie-
tet haben, weil nicht ausgeschlossen ist, dass sie das Mietverhältnis - jedenfalls
im Verhandlungswege - beenden könnten. Dabei kann hier dahinstehen, ob der
Wohnungseigentümer als Besteller des Nießbrauchs seinerseits den Nießbrau-
cher gemäß § 1053 i.V.m. § 1036 Abs. 2 BGB auf Unterlassung in Anspruch
nehmen könnte. Denn nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat der
Beklagte keine Bemühungen unternommen, um die Nießbraucher zu der Been-
digung der gesonderten Vermietung des Spitzbodens als selbständige
Wohneinheit zu veranlassen; im Gegenteil erachtet er sie selbst für zulässig
und macht sich damit die Rechtsposition der Nießbraucher zu eigen. Aus die-
sem Grund steht schon nicht fest, dass der Beklagte die Nießbraucher nicht im
Verhandlungswege zu der Beendigung der gesonderten Vermietung des Spitz-
bodens bewegen könnte. Entgegen der Auffassung der Revision ergibt sich
dies insbesondere nicht aus dem Umstand, dass die Nießbraucher ihrerseits in
einem Parallelprozess von der Wohnungseigentümergemeinschaft auf Unter-
lassung in Anspruch genommen werden. Denn es steht nicht fest, dass sie
auch nach einer Verurteilung des hiesigen Beklagten an ihrer bisherigen
Rechtsauffassung festhalten und sich Verhandlungen verschließen werden.
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3. Der Anspruch ist schon deshalb nicht verjährt, weil der Spitzboden
erstmals aufgrund der Neuvermietung im Jahr 2010 als gesonderter Wohnraum
genutzt wurde und die Klage bereits im Jahr 2011 erhoben wurde; aus dem
gleichen Grund scheidet eine Verwirkung des Anspruchs von vornherein aus.
Soweit sich die Revision insoweit auf eine dauerhafte Nutzung zu Wohnzwe-
cken vor dem Jahr 2010 stützt, verkennt sie bereits, dass ein darauf bezogener
Unterlassungsanspruch nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens ist.
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III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Stresemann
Czub
Roth
Brückner
Kazele
Vorinstanzen:
AG Hamburg-Wandsbek, Entscheidung vom 20.03.2012 - 740 C 76/11 -
LG Hamburg, Entscheidung vom 24.04.2013 - 318 S 49/12 -
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