Urteil des BGH vom 10.07.2014

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 192/13
Verkündet am:
10. Juli 2014
Preuß
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
InsO § 142, § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1; BGB § 286 Abs. 3, § 614 Satz 1
Ist der Arbeitnehmer vorleistungspflichtig, genießen Lohnzahlungen seines insolventen Ar-
beitgebers, die binnen 30 Tagen nach Fälligkeit bewirkt werden, das Bargeschäftsprivileg.
InsO § 133 Abs. 1
Die einen Benachteiligungsvorsatz und seine Kenntnis nahelegenden Beweisanzeichen
können zurücktreten, wenn der Schuldner eine kongruente Leistung Zug um Zug gegen eine
zur Fortführung seines eigenen Unternehmens unentbehrliche Gegenleistung erbracht hat,
die den Gläubigern im allgemeinen nützt. Zu den für die Unternehmensfortführung unver-
zichtbaren Gegenleistungen gehört auch die Tätigkeit der Arbeitnehmer.
InsO § 135 Abs. 1 Nr. 1
Wird eine Gehaltsforderung an einen Gesellschafter nach den Grundsätzen des Barge-
schäfts gedeckt, liegt darin keine Befriedigung einer einem Gesellschafterdarlehen wirt-
schaftlich entsprechende Forderung.
BGH, Urteil vom 10. Juli 2014 - IX ZR 192/13 - LG Siegen
AG Siegen
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 22. Mai 2014 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die Richter
Prof. Dr. Gehrlein, Vill, Dr. Fischer und Grupp
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landge-
richts Siegen vom 29. Juli 2013 wird auf Kosten des Klägers zu-
rückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger ist Verwalter in dem auf den Eigenantrag vom 24. März 2011
über das Vermögen der e. GmbH (nachfol-
gend: Schuldnerin) am 21. April 2011 eröffneten Insolvenzverfahren.
Der Beklagte war am Stammkapital der Schuldnerin über 25.000
€ mit
einem Geschäftsanteil von 8.250
€ beteiligt. Außerdem war er bei der Schuld-
nerin versehen mit einer Kontovollmacht als kaufmännischer Leiter für den Un-
ternehmensbereich zentrale Dienste zu einem nach dem Inhalt des Dienstver-
trages spätestens am zehnten Tag des Folgemonats fälligen Gehalt von
5.500
€ angestellt. Nachdem das Arbeitsentgelt für die Monate November und
Dezember 2010 nicht vollständig entrichtet worden war, überwies die Schuldne-
rin am 5. Januar 2011 einen Betrag von 2.000
€ an den Beklagten.
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Der Kläger nimmt den Beklagten im Wege der Insolvenzanfechtung auf
Erstattung dieser Zahlung in Anspruch. Das Amtsgericht hat der Klage in An-
wendung von § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO stattgegeben. Auf die Berufung
des Beklagten hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Mit der von dem Be-
rufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Revision ist nicht begründet.
Die Berufung des Beklagten gegen das Ersturteil war als Prozess-
voraussetzung des Revisionsverfahrens (BGH, Urteil vom 8. April 1991 - II ZR
35/90, NJW-RR 1991, 1186, 1187) zulässig. Den Begründungsanforderungen
ist noch genügt. Der Beklagte hat sich mit dem die Erstentscheidung selbstän-
dig tragenden Merkmal einer Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin
(§ 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO) in noch hinreichender Weise auseinanderge-
setzt.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die zugunsten des Beklagten be-
wirkte Zahlung unterliege als Bargeschäft (§ 142 InsO) nicht der Anfechtung
nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO. Nach der Rechtsprechung des Bundesar-
beitsgerichts sei ein Bargeschäft gegeben, wenn der Arbeitgeber in der Krise
Arbeitsentgelt für von dem Arbeitnehmer in den vorhergehenden drei Monaten
erbrachte Arbeitsleistungen zahle. Der Beklagte sei für die Schuldnerin noch im
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Dezember 2010 tätig gewesen. Die Zahlung für seine Arbeitsleistung im De-
zember habe er am 5. Januar 2011 im Wege eines Baraustauschs erhalten.
Auch eine Vorsatzanfechtung (§ 133 Abs. 1 InsO) greife nicht durch. Dabei
könne dahin stehen, ob die Schuldnerin im Zahlungszeitpunkt zahlungsunfähig
gewesen sei oder ihr Zahlungsunfähigkeit gedroht habe. Jedenfalls fehle es an
einem Benachteiligungsvorsatz. Ein Schuldner handele nicht mit Benachteili-
gungsvorsatz, wenn er eine kongruente Gegenleistung für die von ihm empfan-
gene Leistung erbringe, welche zur Fortführung seines Unternehmens nötig sei
und damit den Gläubigern allgemein nütze. Ebenso verhalte es sich bei kon-
gruenten Gehaltszahlungen, weil die im Gegenzug erbrachte Arbeitsleistung im
Interesse der Gläubiger zur Fortführung des Betriebs notwendig sei. Deshalb
könne hier aus einer behaupteten Zahlungsunfähigkeit nicht auf einen Benach-
teiligungsvorsatz der Schuldnerin geschlossen werden.
Diese Ausführungen halten im Ergebnis rechtlicher Prüfung stand.
II.
Die Klageforderung kann nicht auf § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO ge-
stützt werden. Dabei bedarf es keiner Prüfung, ob die Schuldnerin zahlungsun-
fähig war und der Beklagte dies erkannt hat, weil das Bargeschäftsprivileg des
§ 142 InsO durchgreift.
1. Unter dem Gesichtspunkt des Bargeschäfts (§ 142 InsO) werden Leis-
tungen der Anfechtung entzogen, für die unmittelbar eine gleichwertige Gegen-
leistung in das Schuldnervermögen gelangt ist. Dieser Ausnahmeregelung liegt
der wirtschaftliche Gesichtspunkt zugrunde, dass ein Schuldner, der sich in der
Krise befindet, praktisch vom Geschäftsverkehr ausgeschlossen würde, wenn
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selbst die von ihm abgeschlossenen wertäquivalenten Bargeschäfte der An-
fechtung unterlägen. In diesem Fall findet wegen des ausgleichenden Vermö-
genswertes keine Vermögensverschiebung zu Lasten des Schuldners, sondern
eine bloße Vermögensumschichtung statt (BGH, Urteil vom 23. September
2010 - IX ZR 212/09, WM 2010, 1986 Rn. 24).
2. Eine Bardeckung ist gemäß § 142 InsO eine Leistung des Schuldners,
für die unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in sein Vermögen gelangt.
Durch die Worte "für die" wird ausgedrückt, dass eine Bardeckung nur vorliegt,
wenn Leistung und Gegenleistung durch Parteivereinbarung miteinander ver-
knüpft sind. Nur eine der Parteivereinbarung entsprechende Leistung ist kon-
gruent und geeignet, den Bargeschäftseinwand auszufüllen (BGH, Urteil vom
23. September 2010, aaO Rn. 26).
Im Streitfall entspricht die Zahlung der Schuldnerin der Parteiabrede.
Nach dem Inhalt des Arbeitsvertrages stand dem Beklagten ein monatlicher
Vergütungsanspruch von 5.500 € gegen die Schuldnerin zu. Tatsächlich hat die
Schuldnerin auf die Lohnforderung für den Monat Dezember 2010 am 5. Januar
2011 einen Teilbetrag von 2.000 € gezahlt. Diese Teilzahlung steht mit der Par-
teivereinbarung in Einklang.
3. Die für ein Bargeschäft erforderliche Gleichwertigkeit von Leistung und
Gegenleistung ist ebenfalls gegeben. Voraussetzung eines Bargeschäfts ist,
dass der Leistung des Schuldners eine gleichwertige Gegenleistung gegen-
übersteht. Nur dann ist das Geschäft für die (spätere) Masse wirtschaftlich neut-
ral (BGH, Urteil vom 11. Oktober 2007 - IX ZR 195/04, WM 2008, 222 Rn. 9).
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Die von der Schuldnerin geleistete Zahlung glich die von dem Beklagten
während des abgelaufenen Monats erbrachte Arbeitstätigkeit aus. Diese hatte
für die Schuldnerin, die ihren Geschäftsbetrieb im fraglichen Zeitraum fortsetzte,
praktischen Nutzen. Dabei ist davon auszugehen, dass der Beklagte als kauf-
männischer Leiter des Unternehmens mit 5.500
€ monatlich angemessen ver-
gütet wurde. Anzeichen dafür, dass die geschuldete Vergütung in einem Miss-
verhältnis zu dem übertragenen Verantwortungsbereich stand, sind nicht er-
sichtlich (vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 2006 - IX ZR 67/02, BGHZ 166, 125
Rn. 48). Überdies hat die Schuldnerin auf das dem Beklagten monatlich ge-
schuldete Entgelt in Höhe von 5.500
€ lediglich einen Teilbetrag über 2.000 €
erbracht. Mit Rücksicht auf den Gesetzeszweck des § 142 InsO ist es unschäd-
lich, falls der Schuldnerin infolge der über den gesamten Monat erbrachten Ar-
beitstätigkeit des Beklagten im Vergleich zu der von ihr erbrachten Teilzahlung
ein höherer Wert zugeflossen sein sollte (MünchKomm-InsO/Kirchhof, 3. Aufl.,
§ 142 Rn. 9; HK-InsO/Kreft, 7. Aufl., § 142 Rn. 7; Ehricke in Küb-
ler/Prütting/Bork, InsO, 2008, § 142 Rn. 4; HmbKomm-InsO/Rogge/Leptien,
4. Aufl., § 142 Rn. 10; Gehrlein in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 2. Aufl.,
§ 142 Rn. 18; Ganter, ZIP 2012, 2037, 2038). Der Behauptung des Beklagten,
während der Monate November und Dezember 2010 durchgängig gearbeitet zu
haben, ist der Kläger nicht substantiiert entgegengetreten.
4. Der für ein Bargeschäft notwendige enge zeitliche Zusammenhang
von Leistung und Gegenleistung ist im Streitfall gegeben.
a) Unter dem Gesichtspunkt des Bargeschäfts werden gemäß § 142
InsO Leistungen privilegiert, für die unmittelbar eine gleichwertige Gegenleis-
tung in das Schuldnervermögen gelangt ist. Leistung und Gegenleistung müs-
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sen beim Bargeschäft zwar nicht Zug um Zug erbracht werden. Allerdings setzt
das in der Vorschrift enthaltene Tatbestandsmerkmal "unmittelbar" voraus, dass
Leistung und Gegenleistung in einem engen zeitlichen Zusammenhang ausge-
tauscht werden (BT-Drucks. 12/2443 S. 167). Der Gesichtspunkt der bloßen
Vermögensumschichtung greift nur, wenn der Leistungsaustausch in einem
unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang vorgenommen wird (BGH, Urteil vom
19. Dezember 2002 - IX ZR 377/99, WM 2003, 524, 528). Der hierfür unschäd-
liche Zeitraum lässt sich nicht allgemein festlegen. Er hängt wesentlich von der
Art der ausgetauschten Leistungen und davon ab, in welcher Zeitspanne sich
der Austausch nach den Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs vollzieht
(BGH, Urteil vom 13. April 2006 - IX ZR 158/05, BGHZ 167, 190 Rn. 31; vom
21. Juni 2007 - IX ZR 231/04, WM 2007, 1616 Rn. 51; vom 11. Februar 2010
- IX ZR 104/07, WM 2010, 711 Rn. 31). Eine sich in "verspäteten Entgeltzah-
lungen" (BAG, Urteil vom 6. Oktober 2011 - 6 AZR 262/10, BAGE 139, 235
Rn. 15) ausdrückende Kreditgewährung schließt, weil es notwendigerweise an
einem engen zeitlichen Zusammenhang des Leistungsaustausches mangelt,
ein Bargeschäft aus (BGH, Urteil vom 19. Dezember 2002, aaO; vom 16. No-
vember 2006 - IX ZR 239/04, WM 2007, 170 Rn. 15). Danach fehlt es jedenfalls
an einem unmittelbaren Leistungsaustausch, wenn monatlich fällige Lohnzah-
lungen zwei Monate nach Beendigung der damit korrespondierenden Arbeitstä-
tigkeit erbracht werden (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 2002 - IX ZR 480/00, WM
2002, 1808, 1809).
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts liegt hingegen
bereits ein Bargeschäft vor, wenn der Arbeitgeber in der Krise Arbeitsentgelt für
Arbeitsleistungen zahlt, die der Arbeitnehmer in den vorhergehenden drei Mo-
naten erbracht hat (Urteil vom 6. Oktober 2011, aaO Rn. 15 ff). Dieser im insol-
venzrechtlichen Schrifttum - soweit ersichtlich - einhellig kritisierten Auslegung
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des § 142 InsO (vgl. Huber, EWiR 2011, 817; ders., ZInsO 2013, 1049 ff;
Ganter, ZIP 2012, 2037 ff; Plathner/Sajogo, ZInsO 2012, 581 ff; Jacobs/
Doebert, ZInsO 2012, 618 ff; Brinkmann, ZZP 125 (2012), 197, 208 f; Smid,
DZWIR 2013, 89, 110 f vermag der Senat nicht zuzustimmen.
aa) Soweit sich das Bundesarbeitsgericht darauf beruft, „dass in nicht
wenigen Branchen eine verzögerte Zahlung der Vergütung schon fast die Regel
ist“ (Urteil vom 6. Oktober 2011, aaO Rn. 17), wird diese Würdigung schon im
Ansatz dem Gesetzeszweck des § 142 InsO nicht gerecht, weil selbst ein ver-
breiteter Verstoß gegen Fälligkeitszeitpunkte nicht geeignet sein kann, die da-
ran anknüpfenden Rechtsfolgen zu beseitigen. Die bei der Beurteilung eines
Bargeschäfts zugrunde zu legenden allgemeinen geschäftlichen Gepflogenhei-
ten beurteilen sich nach den Gebräuchen solventer Partner und werden nicht
durch verspätete Zahlungen insolvenzgefährdeter Unternehmen beeinflusst, die
unter Liquiditätsengpässen leiden (Jacobs/Doebert, aaO S. 622; Ganter, aaO
S. 2038, 2043). Andernfalls wäre jeder Leistungsaustausch in der Krise als
Bargeschäft zu bewerten, weil liquiditätsschwache Unternehmen typischerweise
verzögert zahlen (Brinkmann, aaO S. 208 f).
bb) Davon abgesehen wird der Befund branchenübergreifender Zah-
lungsverzögerungen nicht durch verifizierbare Tatsachen - anhand von empiri-
schem Material oder auch nur anhand von Medienberichten - untermauert (vgl.
Brinkmann, aaO; Plathner/Sajogo, aaO S. 584). Es fehlt nicht nur jede Konkre-
tisierung, um welche Branchen es sich handelt (Jacobs/Doebert, aaO S. 623);
überdies wird der festgestellte Zeitraum der Zahlungsverzögerungen nicht nä-
her präzisiert. Schließlich ist der von dem Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil
vom 6. Oktober 2011, aaO Rn. 17) angeführte Beleg (Bandte in FS Beuthien,
2009, S. 401, 405) inhaltlich unergiebig. Ein allgemein verbreiteter Missstand
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verspäteter Lohnzahlung wäre von den über die Verhältnisse am Arbeitsmarkt
wohl unterrichteten Gewerkschaften sicherlich längst öffentlichkeitswirksam an-
geprangert worden. Bei dieser Sachlage kann nicht davon ausgegangen wer-
den, dass sich innerhalb des Arbeitslebens die allgemeine Gepflogenheit einer
um drei Monate verspäteten Lohnzahlung herausgebildet hätte. Im Gegenteil
begleichen die den Geschäftsverkehr prägenden wirtschaftlich gesunden Un-
ternehmen, deren Zahl die in einer Krise befindlichen Betriebe im Gemein-
wohlinteresse erfreulicherweise weit übersteigt, die Arbeitslöhne in aller Regel
bei Fälligkeit.
cc) Die weitere Erwägung des Bundesarbeitsgerichts, durch die Zahlung
rückständigen Lohns werde "erkauft", dass Arbeitnehmer zwecks Aufrechterhal-
tung des Geschäftsbetriebs "bei der Stange bleiben" (BAG, Urteil vom 6. Okto-
ber 2011, aaO Rn. 18), vermag die Annahme eines Bargeschäfts ebenfalls
nicht zu tragen. In der Fortsetzung ihrer Arbeitstätigkeit liegt keine berücksichti-
gungsfähige Gegenleistung der Arbeitnehmer, weil die künftigen Leistungen
ihrerseits wieder in Rechnung gestellt werden (BGH, Urteil vom 30. Januar
1986 - IX ZR 79/85, BGHZ 97, 87, 94; vom 23. September 2010 - IX ZR 212/09,
WM 2010, 1986 Rn. 33; Ganter, aaO S. 2043 f).
c) Die Arbeitnehmer einseitig begünstigende Auslegung des § 142 InsO
durch das Bundesarbeitsgericht ist zudem mit der Bindung der Gerichte an
Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) nicht vereinbar (vgl. Huber, ZInsO 2013,
1049, 1054 f; Kreft, ZIP 2013, 241, 250 f).
aa) Der Gesetzgeber hat mit der Schaffung der Insolvenzordnung - wie
bereits das Vorblatt der Gesetzesbegründung betont - die allgemeinen Kon-
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kursvorrechte einschließlich derjenigen der Arbeitnehmer ausdrücklich beseitigt
(BT-Drucks. 12/2443 Vorblatt B. 6.).
(1) Aufgrund dieser Gesetzesänderung waren nach Auffassung des Ge-
setzgebers für Arbeitnehmer keine sozialen Härten zu erwarten, weil für die
Lohnausfälle der letzten drei Monate vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
Ausfallgeld gezahlt wird (BT-Drucks., aaO, sowie S. 90). Lohnrückstände der
Arbeitnehmer sollten durch das für die letzten drei Monate des Arbeitsverhält-
nisses vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gewährte Ausfallgeld gesichert
werden (BT-Drucks., aaO S. 96). Bei der Streichung der Konkursvorrechte ließ
sich der Gesetzgeber von der allgemeinen Erwägung leiten, dass sich die Ent-
scheidung über den Vor- oder Nachrang einer Gläubigerklasse nicht auf hinrei-
chend überzeugende soziale Gesichtspunkte stützen lässt (BT-Drucks.
12/2443, S. 90). Wörtlich hat er insoweit ausgeführt (BT-Drucks., aaO):
"Eine dem sozialen Schutzbedürfnis im Einzelfall gemäße Einordnung
von Gläubigerklassen in einen Privilegienkatalog erscheint unmöglich.
Jeder Vorrechtskatalog ist letztlich willkürlich. Schon das geltende Kon-
kursrecht räumt keineswegs allen anerkanntermaßen sozial schutzwür-
digen Gruppen ein Vorrecht ein. Anders als im Recht der Einzelvollstre-
ckung in das Arbeitseinkommen (§§ 850 d, 850 f Abs. 2 ZPO) sind bei-
spielsweise Unterhalts- und Deliktsgläubiger im Konkursverfahren nicht
privilegiert. Das Bundesverfassungsgericht hat die Fragwürdigkeit jedes
Privilegienkatalogs in seinem Beschluss zum Vorrecht für Sozialplanfor-
derungen (BVerfGE 65, 182) nachdrücklich herausgearbeitet."
(2) In der angeführten Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht
die Einordnung von Sozialplanabfindungen als Konkursforderungen im Range
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vor § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO kraft Richterrechts als mit der Verfassung (Art. 20
Abs. 3 GG) unvereinbar beanstandet (BVerfGE 65, 182, 190 ff.). Dabei hat es
betont, dass jedes Konkursvorrecht eine Ausnahme vom Gebot der Gleichbe-
handlung aller Konkursgläubiger bildet. Soweit ein Vorrecht nicht gesetzlich be-
gründet ist, muss es deshalb nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts
bei der Regelung bleiben, dass Forderungen gegen den Gemeinschuldner ein-
fache Konkursforderungen im Range des § 61 Abs. 1 Nr. 6 KO sind (BVerfGE
65, aaO S. 191). Da die Regelung nach Wortlaut, Systematik und Sinn ab-
schließend ist, besteht keine verfassungsrechtlich anzuerkennende Regelungs-
lücke, die es dem Richter erlaubt, für bestimmte Forderungen eine Privilegie-
rung außerhalb dieses geschlossenen Systems zu begründen (BVerfGE 65,
aaO S. 191 f).
bb) Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts setzt sich aus sozi-
alpolitischen Gründen (vgl. bereits BVerfGE 65, aaO S. 194) - wie nicht zuletzt
die Gesetzesinitiativen, sie durch eine Änderung des Insolvenzanfechtungs-
rechts zu legalisieren, belegen (Huber, ZInsO 2013, 1049, 1054 f) - über die
Schranken richterlicher Rechtsfortbildung hinweg, indem sie Arbeitnehmern
unter Verzicht auf das Tatbestandsmerkmal "unmittelbar" mit Hilfe einer vom
Wortlaut des § 142 InsO nicht mehr getragenen Auslegung im Gewand des
Bargeschäftsprivilegs das vom Gesetzgeber ausdrücklich beseitigte Konkurs-
vorrecht gewährt. Eine eindeutige gesetzgeberische Entscheidung darf der
Richter nicht nach eigenen rechtspolitischen Vorstellungen durch eine abwei-
chende judikative Lösung ersetzen (vgl. Kreft, ZIP 2013, 241, 250). Da § 142
InsO eine Ausnahmeregelung darstellt, ist aus rechtsmethodischen Gründen für
eine erweiternde Auslegung von vornherein kein Raum (vgl. BGH, Urteil vom
23. September 2010 - IX ZR 212/09, WM 2010, 1986 Rn. 35; Ganter, ZIP 2012,
2037, 2038).
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(1) Infolge der Beseitigung jeglicher Vorrechte einzelner Gläubiger durch
die Insolvenzordnung sind Arbeitnehmer und sonstige Gläubiger uneinge-
schränkt gleich zu behandeln (Huber, aaO S. 1051, 1054; Lütcke, NZI 2014,
350, 351). Das Gebot der Gleichbehandlung als "Magna carta des Insolvenz-
rechts" (Huber, aaO) hat allgemeine Geltung und ist darum ebenfalls im Rah-
men der Insolvenzanfechtung zu beachten (vgl. Huber, aaO S. 1054; Jacobs/
Doebert, ZInsO 2012, 618, 627; Plathner/Sajogo, ZInsO 2012, 581, 584;
Lütcke, aaO). Die aus wohl erwogenen Gründen entfallenen Vorrechte können
nicht in der Weise wiederbegründet werden, dass einzelnen Gläubigern wie
Arbeitnehmern ein vom Gesetz nicht vorgesehener Schutz gegen Ansprüche
aus Insolvenzanfechtung eröffnet wird, um contra legem durch Ausbildung ei-
nes "Sonderinsolvenzrechts für Arbeitnehmer" (Brinkmann, ZZP 125 (2012),
197, 201) den Rechtszustand der früheren Konkursordnung wiederherzustellen
(Brinkmann, aaO S. 212). Ein bevorrechtigter Zugriff auf das Schuldnervermö-
gen kann einzelnen Gläubigern nur von Gesetzes wegen eingeräumt werden
(vgl. BT-Drucks. 12/2443 S. 90), wie dies etwa durch die Umsetzung einer EU-
Richtlinie geschieht, welche die bevorrechtigte Behandlung von Versicherungs-
forderungen bei Insolvenz eines Versicherungsunternehmens vorsieht (vgl.
BGH, Beschluss vom 14. Juli 2011 - IX ZR 210/10, WM 2011, 1483 Rn. 7).
Würde den Gerichten gestattet, die Anfechtungsvoraussetzungen im Blick auf
unterschiedliche Gläubigergruppen jeweils zu differenzieren, liefe dies letztlich
auf eine Zuteilung der Masse aufgrund richterlicher Billigkeitsentscheidung hin-
aus.
(2) Jede Ausweitung der Rangordnung und jedes Mehr an Forderungen
in vorgehenden Rangstellen bewirkt - wie das Bundesverfassungsgericht zu
§ 61 Abs. 1 KO überzeugend ausgeführt hat - eine Minderung der den nach-
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rangigen, insbesondere letztrangigen Gläubigern verbleibenden Haftungsmas-
se, die regelmäßig schon durch ausgedehnte Sicherungsrechte der Geld- und
Warenkreditgeber geschmälert ist. Deshalb ist zu betonen, dass jede Bevorzu-
gung einzelner Forderungen zwangsläufig zu Lasten anderer Gläubiger geht
und regelmäßig auch zu neuen Unstimmigkeiten bei der Verfahrensabwicklung
führt (BVerfGE 65, 182, 192). Die Insolvenzanfechtung beruht auf dem Gerech-
tigkeitsgebot, das Ausfallrisiko solidarisch und gleichmäßig auf sämtliche Gläu-
biger einschließlich der Arbeitnehmer zu verteilen (Ries, ZInsO 2007, 1037).
Folgerichtig kann es auch im Verhältnis
zu Arbeitnehmern nicht Aufgabe des
Insolvenzverfahrens sein,
werthaltige Rechte einzelner Beteiligter
zu Gunsten
von Arbeitnehmern in Frage zu stellen (BT-Drucks. 12/2443 S. 96).
(3) Viele Kleinunternehmer, etwa handwerkliche Familienbetriebe, befin-
den sich in einer Arbeitnehmern vergleichbaren wirtschaftlichen Lage, ohne
- bei zutreffendem Verständnis - der auf § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO gestütz-
ten Anfechtung von verspätet erlangten Werklohnzahlungen mit dem Hinweis
auf einen Baraustausch (§ 142 InsO) begegnen zu können. In ihrer Branche
gesuchte Arbeitnehmer werden einen vorübergehenden Lohnausfall vielfach
leichter verkraften können als etwa ein (Klein-)Unternehmen Umsatzausfälle,
die auf der Insolvenz eines langjährigen Hauptabnehmers beruhen. Dies gilt
umso mehr für unterhalb des Vorstands als Arbeitnehmer angesiedelte Füh-
rungskräfte, die durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts - will man
nicht innerhalb der Gruppe der Arbeitnehmer rechtsschöpferisch differenzieren -
ebenfalls geschützt werden. Sachgerechte Gründe für die unterschiedliche Be-
handlung dieser Gläubigergruppen sind nicht ersichtlich (vgl. BVerfGE 65, aaO
S. 194). Mit der einseitigen Bevorzugung der Arbeitnehmer ist außerdem zwin-
gend eine Verminderung der auf die sonstigen Gläubiger entfallenden Insol-
venzquote verknüpft. Wie die Erfahrung lehrt, können insolvenzbedingte Forde-
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rungsausfälle Folgeinsolvenzen auslösen, die als Kettenreaktion für die Arbeit-
nehmer der nun betroffenen Unternehmen zu Lohnausfällen führen. Diese Kon-
sequenz ist stets zu bedenken, wenn eine Beschränkung des Insolvenzanfech-
tungsrechts ins Auge gefasst wird.
cc) Aus den vorstehenden Erwägungen kann entgegen der Auffassung
des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 29. Januar 2014 - 6 AZR 345/12,
ZIP 2014, 628 Rn. 15 ff) auch ein etwaiges Existenzminimum des Arbeitneh-
mers nicht mittels einer beschränkenden Auslegung der §§ 129 ff InsO anfech-
tungsfrei gestellt werden.
(1) Es ist nicht Aufgabe der Gläubigergemeinschaft, sondern des Staa-
tes, etwaige durch eine Insolvenz zu Lasten bestimmter Gläubiger hervorgeru-
fene unzumutbare Härten auszugleichen (vgl. Vollrath, ZInsO 2011, 1665,
1675; Ganter, ZIP 2012, 2037, 2044; Plathner/Sajogo, ZInsO 2012, 581, 584;
Jacobs/Doebert, ZInsO 2012, 618, 627; Huber, ZInsO 2013, 1049, 1053;
Lütcke, NZI 2014, 350, 351). Zum Nachteil der Arbeitnehmer bestehende sozi-
alrechtliche Schutzlücken sind innerhalb dieses Regelungswerks durch ergän-
zende Vorschriften etwa zum Bezug von Insolvenzgeld zu schließen (Brink-
mann, ZZP 125 (2012), 197, 215 f). Hingegen können nicht der Gläubiger-
gesamtheit sich in einer Quotenminderung manifestierende Sonderopfer, wovon
der Gesetzgeber selbst Gesellschafter verschont (BT-Drucks. 16/9737 S. 59),
zugunsten von Mitgläubigern ohne gesetzliche Grundlage im Wege richterlicher
Rechtsfortbildung aufgebürdet werden (vgl. BT-Drucks. 12/2443 S. 96; Huber,
aaO S. 1054). Das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes enthält infolge seiner
Weite und Unbestimmtheit keine unmittelbaren Handlungsanweisungen, die
durch die Gerichte ohne gesetzliche Grundlage in einfaches Recht umgesetzt
werden könnten (BVerfGE 65, 182, 193). Darum ist es den Gläubigern nicht
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zumutbar (Brinkmann, ZZP 125 (2012), 197, 209; Lütcke, aaO), durch einen
Quotenverzicht Lücken der Insolvenzgeldzahlung zugunsten von Arbeitneh-
mern als Mitgläubigern aufzufüllen (in diesem Sinne BAG, Urteil vom 6. Oktober
2011 - 6 AZR 262/10, BAGE 139, 235 Rn. 15 ff) oder deren Existenzminimum
zu sichern (in diesem Sinne BAG, Urteil vom 29. Januar 2014 - 6 AZR 345/12,
ZIP 2014, 628 Rn. 15 ff). Scheidet ein Schutz der Arbeitsplatzinteressen gegen
den Markt aus (BT-Drucks. 12/2443, aaO), kann ihnen auch im Verhältnis zu
anderen Gläubigern nicht einfach kraft Richterrechts der Vorrang eingeräumt
werden (Jacobs/Doebert, ZInsO 2012, 618, 623).
(2) Die Argumentation des Bundesarbeitsgerichts läuft bei lebensnaher
Betrachtung auf das Ergebnis hinaus, die Anfechtung generell zu versagen,
wenn das damit verbundene Ergebnis für den Arbeitnehmer wirtschaftlich un-
tragbar ist. Das Sozialstaatsprinzip
kann bereits im Ansatz nicht zur Korrektur
jeglicher hart oder unbillig erscheinenden Einzelregelungen dienen (BVerfGE
66, 234, 248; 67, 231, 239; 69, 272, 315). Davon abgesehen lässt die Würdi-
gung die Interessen der vor Verfahrenseröffnung nicht befriedigten, regelmäßig
die Mehrheit bildenden Gläubiger des Schuldners außer Betracht, die durch
einen vollständigen Forderungsausfall ebenfalls untragbare Härten erleiden
können (vgl. Ries, ZInsO 2007, 1037, 1038; Lütcke, aaO S. 352). Hier schafft
die Insolvenzanfechtung den gebotenen Ausgleich, indem Zahlungen zur Mas-
se gezogen und zur anteiligen Befriedigung sämtlicher - unzumutbar belaste-
ter - Gläubiger einschließlich des Anfechtungsgegners verwendet werden (Ries,
aaO S. 1037; Lütcke, aaO S. 351). Zahlt ein Arbeitgeber etwa nur an bestimm-
te, für die Produktion besonders wichtige Arbeitnehmer Lohn, erscheint es
sachgerecht, die weggegebenen Mittel durch eine Anfechtung für sämtliche Ar-
beitnehmer gleichmäßig verfügbar zu machen. Muss sich ein Arbeitnehmer
mangels eines Vorrechts nach Verfahrenseröffnung ohne Rücksicht auf die Be-
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friedigung seines Existenzminimums mit der Quote abfinden, so leuchtet nicht
ein, dass er eine anfechtbar erworbene Zahlung unter dem Gesichtspunkt des
Existenzminimums behalten darf (vgl. BVerfGE 65, 182, 194).
d) Im Streitfall sind die Voraussetzungen eines Bargeschäfts (§ 142
InsO) gegeben, weil die monatlich geschuldete Lohnzahlung innerhalb von
30 Tagen nach Fälligkeit erfolgte.
aa) Unter welchen zeitlichen Voraussetzungen verspätete Entgeltzahlun-
gen des Arbeitgebers das Bargeschäftsprivileg genießen, wird im Schrifttum
unterschiedlich beantwortet. Vereinzelt wird ein Bargeschäft bereits dann aus-
geschlossen, wenn die Vergütung nicht nur einige Tage verspätet (Zwanziger,
BB 2007, 42, 43) oder nicht einigermaßen pünktlich (Klinck, AP InsO § 130
Nr. 1 unter III.)gezahlt wird. Als zeitliche Grenze des Bargeschäftscharakters
einer verspäteten Lohnzahlung wird ferner eine Frist von drei Wochen genannt
(Huber, NJW 2009, 1928, 1929; Vollrath, ZInsO 2011, 1665, 1666; Wegener,
NZI 2009, 225).
Bei länger währenden Vertragsbeziehungen ist nach der Rechtspre-
chung des Senats für die Annahme eines Bargeschäfts zu verlangen, dass die
jeweiligen Leistungen und Gegenleistungen zeitlich oder gegenständlich teilbar
sind und zeitnah - entweder in Teilen oder abschnittsweise - ausgetauscht wer-
den. Wenn zwischen dem Beginn einer anwaltlichen Tätigkeit und der Erbrin-
gung einer Gegenleistung mehr als 30 Tage liegen, ist ein Bargeschäft zu ver-
neinen. Bei Anforderung eines Vorschusses ist eine anfechtungsrechtliche Bar-
geschäftsausnahme anzunehmen, wenn in regelmäßigen Abständen Vorschüs-
se eingefordert werden, die in etwa dem Wert einer zwischenzeitlich entfalteten
oder in den nächsten 30 Tagen noch zu erbringenden Tätigkeit entsprechen.
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Ferner kann vereinbart werden, Teilleistungen gegen entsprechende Vergütun-
gen zu erbringen (BGH, Urteil vom 13. April 2006 - IX ZR 158/05, BGHZ 167,
190 Rn. 34 ff.; vom 6. Dezember 2007 - IX ZR 113/06, WM 2008, 229 Rn. 20;
Beschluss vom 18. September 2008 - IX ZR 134/05, NZG 2008, 902 Rn. 2; Ur-
teil vom 15. Dezember 2011 - IX ZR 118/11, WM 2012, 276 Rn. 25).
bb) Diese aus § 286 Abs. 3 BGB für die Annahme eines Bargeschäfts bei
der Zahlung der Anwaltsvergütung hergeleiteten Grundsätze können mit der
Modifizierung, dass die Frist von 30 Tagen nicht ab Beginn der Tätigkeit, son-
dern ab Fälligkeit der Vergütung zu berechnen ist, auf die Gewährung von Ar-
beitsentgelten bei monatlicher Lohnzahlung übertragen werden.
(1) Die Vergütung der Arbeitnehmer ist gemäß § 614 Satz 1 BGB nach
Leistung der Dienste zu entrichten. Ist die Vergütung nach Zeitabschnitten be-
messen, muss sie gemäß § 614 Satz 2 BGB nach dem Ablauf jedes einzelnen
Zeitabschnitts beglichen werden. Bei monatlicher Vergütungist dies grundsätz-
lich der erste Tag des Folgemonats (MünchKomm-BGB/Müller-Glöge, 6. Aufl.,
§ 614 Rn. 11) Allerdings kann der Fälligkeitszeitpunkt durch Tarifvertrag oder
Betriebsvereinbarung kollektivvertraglich abweichend - etwa auf den fünfzehn-
ten Tag des Folgemonats (Jacobs/Doebert, ZInsO 2012, 618, 622) - bestimmt
werden (MünchKomm-BGB/Müller-Glöge, aaO § 614 Rn. 2). Dem allgemeinen
Rechtsverkehr entsprechen - wie auch im Streitfall - monatliche Lohnzahlungen,
die ebenfalls monatlich abzurechnen und auszuführen sind (Jacobs/Doebert,
aaO S. 623 mwN; Wagner in Kummer/Schäfer/Wagner, Insolvenzanfechtung,
2. Aufl., Rn. O 83).
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(2) Die Rechtsprechung zum Unmittelbarkeitserfordernis bei der Vergü-
tung anwaltlicher Dienstleistungen kann nicht unbesehen auf Arbeitnehmer
übertragen werden. Arbeitnehmer unterliegen gemäß § 614 Satz 1 BGB regel-
mäßig einer Vorleistungspflicht (Jacobs/Doebert, aaO S. 622; Lütcke, NZI 2014,
350, 352) und haben nach § 614 Satz 2 BGB bei entsprechender Bemessung
Anspruch auf eine Vergütung nach Zeitabschnitten (Ganter, ZIP 2014, 2037,
2040, 2044). Im Falle einer Vorleistungspflicht kann im Blick auf den engen zeit-
lichen Zusammenhang von Leistung und Gegenleistung nicht auf den Beginn
der Tätigkeit des Arbeitnehmers abgestellt werden, weil ihm zu diesem Zeit-
punkt noch kein Vergütungsanspruch zusteht (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli
2002 - IX ZR 480/00, WM 2002, 1808, 1809). Für diese Bewertung spricht die
weitere Erwägung, dass eine Vergütung nach Zeitabschnitten von einer Woche
oder einem Monat ihrer Natur nach einen Baraustausch nahelegt (Ganter,
aaO).
(3) Da der Vorleistung des Arbeitnehmers keine Kreditfunktion zukommt
(Staudinger/Richardi, BGB, 2005, § 614 Rn. 11), beurteilt sich die Unmittelbar-
keit der Lohnzahlung nach dem Zeitraum zwischen der Fälligkeit des Vergü-
tungsanspruchs und seiner tatsächlichen Erfüllung (Wagner in Kum-
mer/Schäfer/Wagner, aaO; Jacobs/Doebert, aaO; Lütcke, NZI 2014, 350, 352).
Mit dieser Maßgabe kann die Rechtsprechung zum Baraustausch bei anwaltli-
chen Beratungsleistungen auf Arbeitnehmer übertragen werden. Danach ist der
für ein Bargeschäft erforderliche Unmittelbarkeitszusammenhang noch gege-
ben, wenn im Falle einer monatlichen Vorleistungspflicht die Entgeltzahlung
innerhalb von 30 Tagen nach Fälligkeit vorgenommen wird (Bork, ZIP 2007,
2337, 2338 f; Ries, ZInsO 2007, 1037, 1038; Pieper, ZInsO 2009, 1425, 1431;
Laws, ZInsO 2009, 1465, 1470; Ganter, aaO S. 2040, 2044; Brinkmann, ZZP
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125 (2012), 197, 208; Jacobs/Doebert, aaO S. 624; Wagner in Kummer/Schä-
fer/Wagner, aaO; ErfK/Müller-Glöge, 11. Aufl., InsO, Einführung Rn. 24; anders
im Sinne des BAG nunmehr ders., aaO 14. Aufl., Rn. 24 b). Für die Beurteilung
als Bargeschäft ist es unschädlich, wenn der Fälligkeitszeitpunkt entsprechend
den tarifvertraglichen Übungen anstelle des ersten Tages nicht länger als bis
zum fünfzehnten Tag des Folgemonats hinausgeschoben wird (Ja-
cobs/Doebert, aaO S. 622). Ist die Vergütung nach kürzeren Zeitabschnitten zu
leisten, scheidet ein Bargeschäft aus, wenn zum Zeitpunkt der Zahlung bereits
der Lohn für den nächsten Zeitabschnitt fällig war (Ries, aaO; Bork aaO; Ja-
cobs/Doebert, aaO S. 623; Pieper, aaO; Ganter, aaO S. 2044; Lütcke, NZI
2014, 350, 352).
cc) Nach diesen Grundsätzen liegt im Streitfall eine Bardeckung (§ 142
InsO) vor.
Die monatliche Vergütung des Beklagten war von der Schuldnerin ver-
tragsgemäß bis zum zehnten Tag des Folgemonats zu begleichen. Im Zeitpunkt
der durch die Schuldnerin am 5. Januar 2011 bewirkten Zahlung standen die
Gehälter des Beklagten für die Monate November und Dezember 2010 teilwei-
se offen. Im Falle einer Zahlung auf das Gehalt für den Monat Dezember 2010,
die noch vor dem spätesten Fälligkeitszeitpunkt des 10. Januar 2011 erfolgt
wäre, läge ohne weiteres ein Bargeschäft vor. Nicht anders verhielte es sich,
wenn mit der Zahlung das Gehalt für den Monat November 2010 getilgt werden
sollte. Infolge der für dieses Gehalt zum 10. Dezember 2010 begründeten Fäl-
ligkeit wäre auch bei einer am 5. Januar 2011 erfolgten Begleichung der für ein
Bargeschäft unschädliche Zeitraum von 30 Tagen noch nicht verstrichen. Vor
diesem Hintergrund bedarf es nicht der Prüfung, ob die bei der Zahlung vom
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5. Januar 2011 auf den Monat Dezember 2010 gerichtete Tilgungsbestimmung
(§ 366 Abs. 1 BGB) selbständig anfechtbar ist.
III.
Sonstige Anfechtungstatbestände greifen ebenfalls nicht durch.
1. Soweit das Berufungsgericht eine Vorsatzanfechtung aus § 133 Abs. 1
InsO abgelehnt hat, ist seine Würdigung revisionsrechtlich jedenfalls im Ergeb-
nis nicht zu beanstanden.
a) Es konnte davon ausgehen, dass die Zahlung der Schuldnerin, ohne
nähere Feststellungen zu einer tatsächlich bestehenden Zahlungsunfähigkeit
treffen zu müssen, nicht von einem Benachteiligungsvorsatz getragen war.
aa) Dem Beweisanzeichen der erkannten Zahlungsunfähigkeit ist - wie
das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat - im Streitfall keine ausschlag-
gebende Bedeutung beizumessen. Die Indizwirkung der Kenntnis der Zah-
lungsunfähigkeit wie auch der Inkongruenz kann im Einzelfall ausgeschlossen
sein, wenn die Umstände ergeben, dass der Schuldner von einer anfech-
tungsrechtlich unbedenklichen Willensrichtung geleitet war und das Bewusst-
sein der Benachteiligung anderer Gläubiger infolgedessen in den Hintergrund
getreten ist. Dies kann einmal gelten, wenn die Rechtshandlung Bestandteil
eines ernsthaften, letztlich aber gescheiterten Sanierungsversuchs war (BGH,
Urteil vom 8. Dezember 2011 - IX ZR 156/09, WM 2012, 146 Rn. 11, 18; vom
21. Februar 2013 - IX ZR 52/10, WM 2013, 763 Rn. 11; vom 3. April 2014
- IX ZR 201/13, WM 2014, 1009 Rn. 40).
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bb) Zum anderen kann dem Schuldner im Falle einer bargeschäftsähnli-
chen Lage infolge des gleichwertigen Leistungsaustauschs die dadurch eintre-
tende mittelbare Gläubigerbenachteiligung nicht bewusst geworden sein
(Kayser, WM 2013, 293, 298; NJW 2014, 422, 427). Darum handelt ein Schuld-
ner in der Regel nicht mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz, wenn er eine kon-
gruente Leistung Zug um Zug gegen eine zur Fortführung seines eigenen Un-
ternehmens unentbehrliche Gegenleistung erbracht hat, die den Gläubigern im
allgemeinen nützt (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 1997 - IX ZR 234/96, ZIP 1997,
1551, 1553; Beschluss vom 16. Juli 2009 - IX ZR 28/07, NZI 2009, 723 Rn. 2;
vom 6. Februar 2014 - IX ZR 221/11, ZInsO 2014, 496 Rn. 3). Zu den für die
Betriebsfortführung unverzichtbaren Gegenleistungen gehört auch die Tätigkeit
der Arbeitnehmer, deren Mitwirkung für jede betriebliche Wertschöpfung unab-
dingbar ist. Deswegen scheidet regelmäßig ein Benachteiligungsvorsatz aus,
wenn durch Gehaltszahlungen im Zuge eines Baraustauschs die für die Be-
triebsfortführung unerlässliche Gegenleistung der Arbeitstätigkeit entgolten wird
(BAG, Urteil vom 29. Januar 2014 - 6 AZR 345/12, ZIP 2014, 628 Rn. 84 ff, 89).
Nach den hier getroffenen Feststellungen fehlt es an einem Benachteiligungs-
vorsatz der Schuldnerin, weil diese dem Beklagten Gehaltszahlungen im Rah-
men eines bargeschäftlichen Leistungsaustauschs gewährt hat.
b) Überdies hat der Kläger nicht den Nachweis geführt, dass der Beklag-
te eine auch nur drohende Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin und damit de-
ren Benachteiligungsvorsatz erkannt hat (§ 133 Abs. 1 Satz 2 InsO). Nach den
tatrichterlichen Feststellungen war der Beklagte nicht mit der Wahrnehmung
von Geschäftsführungsaufgaben betraut, die ihm nähere Einblicke in die Ver-
mögenslage der Schuldnerin verschafft hätte (vgl. BGH, Urteil vom 15. Novem-
ber 2012 - IX ZR 205/11, WM 2012, 2343 Rn. 7). Ferner hat er zugunsten der
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Schuldnerin eine selbstschuldnerische Bürgschaft über 55.000
€ übernommen
und durch Klage vom 16. Februar 2010 gegenüber der Schuldnerin seine offe-
nen Lohnrückstände vor dem Arbeitsgericht verfolgt. Die ein erhebliches Risiko
bergende Bereitschaft, eine selbstschuldnerische Bürgschaft einzugehen,
spricht nachdrücklich gegen eine Kenntnis des Beklagten von einer Zahlungs-
unfähigkeit der Schuldnerin, sondern deutet vielmehr darauf hin, dass er nicht
von ihrer existenziellen Gefährdung ausging. Ebenso liegt fern, dass der
Schuldner eine Klage gegen das als insolvent erkannte Unternehmen gerichtet
hätte, die von vornherein keinen wirtschaftlichen Erfolg versprochen, sondern
durch das Ingangsetzen eines aussichtslosen Verfahrens lediglich eine zusätz-
liche Kostenbelastung hervorgerufen hätte.
2. Ein Anfechtungsanspruch folgt auch nicht aus § 133 Abs. 2 Satz 1
InsO. Nach dieser Vorschrift ist ein von dem Schuldner mit einer nahestehen-
den Person (§ 138 InsO) geschlossener entgeltlicher Vertrag anfechtbar, durch
den die Insolvenzgläubiger unmittelbar benachteiligt werden.
a) Da es sich bei der Schuldnerin um eine GmbH handelt, ist der zu mehr
als ein Viertel an ihrem Kapital beteiligte Beklagte gemäß § 138 Abs. 2 Nr. 1
InsO als nahestehende Person anzusehen. Der Vertragsbegriff des § 133
Abs. 2 InsO ist weit auszulegen (BGH, Urteil vom 1. Juli 2010 - IX ZR 58/09,
NZI 2010, 738 Rn. 9). Auch reine Erfüllungsgeschäfte werden zu den entgeltli-
chen Verträgen gerechnet. Bei ihnen besteht das Entgelt in der Befreiung von
der Schuld (BGH, Urteil vom 12. Juli 1990 - IX ZR 245/89, BGHZ 112, 136, 138;
Urteil vom 15. Februar 1990 - IX ZR 149/88, ZIP 1990, 459, 460).
b) Jedoch fehlt es an der weiteren Voraussetzung einer unmittelbaren
Gläubigerbenachteiligung. Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn die
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Rechtshandlung des Schuldners die Zugriffsmöglichkeiten der Gläubiger-
gesamtheit unmittelbar verschlechtert, ohne dass weitere Umstände hinzutreten
müssen (BGH, Urteil vom 20. Dezember 2012 - IX ZR 130/10, WM 2013, 333
Rn. 27). Durch einen Vertrag, auf Grund dessen der Schuldner für das, was er
aufgibt, eine vollwertige Gegenleistung erhält, werden die Gläubiger auch dann
nicht unmittelbar benachteiligt, wenn diese Gegenleistung infolge eines weite-
ren, nicht zu dem Gesamttatbestand des Rechtsgeschäfts gehörenden Um-
standes in dem Zeitpunkt nicht mehr in dem Vermögen des Schuldners vorhan-
den ist, in dem die von ihm zu erbringende Leistung endgültig aus seinem Ver-
mögen herausgeht (BGH, Urteil vom 9. Februar 1955 - IV ZR 173/54, WM
1955, 404, 406; RGZ 116, 134, 137 f). Mithin scheidet bei einem Baraustausch,
wie er hier gegeben ist, schon mit Rücksicht auf die zuvor erbrachte Arbeitsleis-
tung eine unmittelbare Gläubigerbenachteiligung aus (vgl. MünchKomm-InsO/
Kayser, 3. Aufl., § 133 Rn. 41; Gehrlein in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO,
2. Aufl., § 133 Rn. 42).
3. Schließlich ist eine Anfechtung nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO nicht be-
gründet. Mit der Lohnzahlung wurde keine einem Darlehen wirtschaftlich ent-
sprechende Forderung befriedigt.
a) Die Anfechtbarkeit nach dieser Vorschrift erfasst sowohl die Befriedi-
gung von Gesellschafterdarlehen als auch ihnen wirtschaftlich entsprechender
Forderungen. Ungeachtet des Entstehungsgrundes sind einem Darlehen alle
aus Austauschgeschäften herrührende Forderungen gleich zu achten, die der
Gesellschaft rechtlich oder rein faktisch gestundet wurden, weil jede Stundung
bei wirtschaftlicher Betrachtung eine Darlehensgewährung bewirkt (Münch-
Komm-InsO/Ehricke, aaO § 39 Rn. 43; MünchKomm-InsO/Gehrlein, aaO § 135
Rn. 18; Preuß in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2013, § 39 Rn. 81). Stehen gelas-
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sene Gehaltsansprüche eines Gesellschafters können darum wirtschaftlich ei-
nem Darlehen entsprechen (BGH, Urteil vom 16. Februar 2009 - II ZR 120/07,
BGHZ 180, 38 Rn. 24; BAG, Urteil vom 27. März 2014 - 6 AZR 204/12, ZIP
2014, 927 Rn. 30 ff).
b) Im Streitfall ist weder eine Stundung noch ein Stehenlassen einer
Lohnforderung gegeben. Vielmehr wurde die Lohnzahlung an den Beklagten
bargeschäftlich (§ 142 InsO) abgewickelt. In diesem Fall kommt eine Stun-
dungswirkung nicht in Betracht (vgl. Preuß in Kübler/Prütting/Bork, aaO, § 39
Rn. 81; Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 2. Aufl., § 39 Rn. 36).
Kayser Gehrlein Vill
Fischer Grupp
Vorinstanzen:
AG Siegen, Entscheidung vom 05.04.2012 - 14 C 2967/11 -
LG Siegen, Entscheidung vom 29.07.2013 - 3 S 35/12 -
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