Urteil des BGH vom 09.10.2012

BGH: daten, anwendungsbereich, drucksache, genehmigung, geldentwertung, entlastung, billigkeit, rücknahme, kauf, verfahrensablauf

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
EnVR 52/10
Verkündet am:
9. Oktober 2012
Bürk
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem energiewirtschaftsrechtlichen Verwaltungsverfahren
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
Gas-Union Transport GmbH & Co. KG
ARegV § 6 Abs. 2, § 34 Abs. 3 Satz 4
Basiert die Kostenprüfung, die der nach § 6 Abs. 2 ARegV maßgeblichen
letzten Genehmigung der Netzentgelte zugrunde liegt, auf der Datengrundla-
ge des Geschäftsjahres 2005, so ist das Ergebnis bei einem Netzbetreiber,
der nicht am vereinfachten Verfahren im Sinne von § 24 ARegV teilnimmt,
nicht in entsprechender Anwendung von § 34 Abs. 3 Satz 4 ARegV um einen
Inflationsfaktor anzupassen.
BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2012 - EnVR 52/10 - OLG Düsseldorf
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Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 9. Oktober 2012 durch den Präsidenten des Bundesgerichtshofs
Prof. Dr. Tolksdorf und die Richter Dr. Raum, Dr. Strohn, Dr. Grüneberg und
Dr. Bacher
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den am 24. März 2010 verkündeten
Beschluss des 3. Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf
wird zurückgewiesen.
Von den Gerichtskosten des Beschwerde- und des Rechtsbeschwer-
deverfahrens tragen die Betroffene zwei Drittel und die Bundesnetz-
agentur ein Drittel.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird für die Zeit bis zur
Teilrücknahme des Rechtsmittels auf 5.821.000 Euro und für die Zeit
danach auf 1.933.000 Euro festgesetzt.
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Gründe:
I.
Die Betroffene betreibt ein Gasfernleitungsnetz. Die Bundesnetz-
agentur eröffnete gegen sie von Amts wegen das Verfahren zur Festlegung der
Erlösobergrenzen für die Jahre 2009 bis 2012.
Mit Beschluss vom 12. Dezember 2008 legte die Bundesnetzagentur die
Erlösobergrenzen niedriger als von der Betroffenen begehrt fest. Sie nahm bei
der Ermittlung des Ausgangsniveaus nach § 6 ARegV Kürzungen beim Zinssatz
für Fremdkapital vor. Abweichend vom Begehren der Betroffenen stellte sie in
die Berechnung ferner den generellen sektoralen Produktivitätsfaktor nach § 9
ARegV ein. Eine Korrektur des - auf den Daten des Geschäftsjahres 2005 be-
ruhenden - Ausgangsniveaus durch Ansatz eines Inflationsfaktors entsprechend
§ 34 Abs. 3 Satz 3 und 4 ARegV lehnte sie ab.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Betroffenen hat das Beschwer-
degericht zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Betroffene mit der vom
Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde. Während des Rechtsbe-
schwerdeverfahrens haben die Beteiligten über die Ermittlung des Ausgangs-
niveaus und den Ansatz des generellen sektoralen Produktivitätsfaktors eine
außergerichtliche Einigung getroffen. Die Betroffene verfolgt seitdem nur noch
ihr Begehren auf Ansatz eines Inflationsfaktors weiter. Die Bundesnetzagentur
tritt dem Rechtsmittel entgegen.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist in dem nach der außergericht-
lichen Einigung noch anhängigen Umfang unbegründet.
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1.
Das Beschwerdegericht hat hierzu ausgeführt:
Eine entsprechende Anwendung von § 34 Abs. 3 Satz 4 ARegV sei schon
deshalb nicht möglich, weil es an einer planwidrigen Regelungslücke fehle. Der
Verordnungsgeber habe den Ansatz eines Inflationsfaktors nur für das verein-
fachte Verfahren gemäß § 24 Abs. 1 ARegV vorgesehen. Es gebe keine An-
haltspunkte dafür, dass er eine vergleichbare Regelung für das Regelverfahren
irrtümlich vergessen habe. Die hier zu beurteilende Konstellation, dass die für
die Bestimmung des Ausgangsniveaus maßgebliche letzte Kostenprüfung auf
der Datengrundlage des Geschäftsjahres 2005 stattgefunden habe, sei viel-
mehr in § 6 Abs. 2 ARegV ausdrücklich geregelt. Von einer atypischen und
ausgleichsbedürftigen Situation könne auch nicht im Hinblick auf den Verlauf
des der letzten Entgeltgenehmigung zugrunde liegenden Verwaltungsverfah-
rens die Rede sein.
2.
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung stand.
Entgegen der Auffassung der Betroffenen kann der Anreizregulierungs-
verordnung kein geschlossenes Regelungskonzept des Inhalts entnommen
werden, dass das Ausgangsniveau für die Bestimmung der Erlösobergrenzen
stets auf der Datengrundlage des Geschäftsjahres 2006 zu bestimmen und Da-
ten aus früheren Geschäftsjahren deshalb in jedem Fall durch Ansatz eines
Inflationsfaktors anzupassen seien.
Der Verordnungsgeber hat in § 6 Abs. 2 ARegV zwar bestimmt, dass
grundsätzlich die Daten des Geschäftsjahrs 2006 maßgeblich sind. Er hat aber
ausdrücklich auch den Fall geregelt, dass es in den vorangegangenen Entgelt-
genehmigungsverfahren nicht zu einer Kostenprüfung auf der Datengrundlage
dieses Geschäftsjahres gekommen ist. Für diese Konstellation hat der Verord-
nungsgeber die Daten aus einem früheren Geschäftsjahr für maßgeblich erklärt.
Den Ansatz eines Inflationsfaktors hat er in diesem Zusammenhang nicht vor-
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gesehen. Für das vereinfachte Verfahren gemäß § 24 ARegV ist in § 34 Abs. 3
Satz 1 und 2 ARegV vorgeschrieben, dass das Ausgangsniveau auf der Daten-
grundlage eines vor 2006 liegenden Geschäftsjahrs zu bestimmen ist, wenn der
Netzbetreiber auf der Datengrundlage des Geschäftsjahrs 2006 keine Erhöhung
der Netzentgelte beantragt hat. Nur für die zuletzt genannte Konstellation ist in
§ 34 Abs. 3 Satz 3 und 4 ARegV der Ansatz eines Inflationsfaktors von
1,7 Prozent für das Jahr 2006 und gegebenenfalls für das Jahr 2005 vorgese-
hen. Die sich daraus ergebende Konsequenz, dass die Datengrundlage eines
vor 2006 liegenden Geschäftsjahres nur im Anwendungsbereich von § 34
Abs. 3 ARegV, nicht aber im Anwendungsbereich von § 6 Abs. 2 ARegV mittels
eines Inflationsfaktors zu modifizieren ist, begründet keine Regelungslücke,
sondern entspricht der vom Verordnungsgeber vorgenommenen Differenzie-
rung, die auch in den Materialien zu den beiden Vorschriften (BR-Drucksache
417/07, S. 47 und 74) Niederschlag gefunden hat.
Der Regelung in § 34 Abs. 3 Satz 3 und 4 ARegV kann kein übergeordne-
tes Konzept entnommen werden, zu dem die abweichende Regelung in § 6
Abs. 2 ARegV in Widerspruch stünde. Die Übergangsregelung in § 34 Abs. 3
ARegV dient dem Zweck, kleine Netzbetreiber von den umfassenden Daten-
lieferungspflichten im Rahmen einer erneuten Kostenprüfung zu entlasten,
wenn sie sich für das vereinfachte Verfahren entschieden und auf der Daten-
grundlage des Geschäftsjahres 2006 keine Erhöhung der Netzentgelte be-
antragt haben (BR-Drucksache 417/07, S. 74). Die Regelung führt auch zu
einer Entlastung der Regulierungsbehörde, die von der Durchführung einer er-
neuten Kostenprüfung befreit wird. Der Verordnungsgeber hat vor diesem Hin-
tergrund in Kauf genommen, dass die als Grundlage für die Bestimmung der
Erlösobergrenzen herangezogenen Kosten aufgrund des relativ langen zeit-
lichen Abstandes nicht in allen Einzelheiten mit der tatsächlichen Kostensituati-
on in der Regulierungsperiode übereinstimmen (BGH, Beschluss vom 18. Okto-
ber 2011 - EnVR 13/10, N&R 2012, 94 Rn. 11 - PVU Energienetze GmbH). Der
in § 34 Abs. 3 Satz 3 und 4 ARegV vorgesehene Inflationsausgleich trägt dem
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Umstand Rechnung, dass die Kosten bei ansonsten unveränderter Situation
schon durch die Geldentwertung ansteigen, und bewirkt für den Netzbetreiber
einen gewissen Anreiz, den Weg des vereinfachten Verfahrens zu beschreiten,
wenn sich bei ihm in den Geschäftsjahren von 2004 bis 2006 neben den Folgen
der Geldentwertung keine wesentlichen Kostensteigerungen ergeben haben.
Im Anwendungsbereich des § 6 Abs. 2 ARegV unterliegt es hingegen
grundsätzlich nicht der Entscheidung des Netzbetreibers, ob eine erneute Kos-
tenprüfung auf der Datengrundlage des Jahres 2006 vorzunehmen ist. Eine
solche Prüfung war im Regelfall durchzuführen und ist nur dann unterblieben,
wenn Besonderheiten im Verfahrensablauf aufgetreten sind. Im Streitfall ist es
zu Verzögerungen gekommen, nachdem die Betroffene sich zunächst dagegen
verwahrt hatte, einen Antrag auf Genehmigung von Netzentgelten gemäß § 23a
EnWG zu stellen, weil sie die Netzentgelte gemäß der Sonderregelung in § 3
Abs. 2 GasNEV bilden wollte, und deswegen ein - im Ergebnis erfolgloses (vgl.
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. November 2007 - 3 Kart 441/06) - Rechts-
mittel eingelegt hat. In derartigen Konstellationen ist für einen zusätzlichen An-
reiz, eine Kostenprüfung auf der Datengrundlage des Geschäftsjahres 2006 zu
vermeiden, kein Raum. Auch vor diesem Hintergrund begründet der Umstand,
dass ein Inflationsausgleich nur in § 34 Abs. 3 Satz 3 und 4 ARegV, nicht aber
in § 6 Abs. 2 ARegV vorgesehen ist, keine Regelungslücke.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 EnWG.
Soweit sich die Beteiligten über Teile des Streitgegenstandes außerge-
richtlich geeinigt haben, wurden die Gerichtskosten des Beschwerde- und des
Rechtsbeschwerdeverfahrens antragsgemäß gegeneinander aufgehoben. Dem
steht nicht entgegen, dass die Betroffene die Rechtsbeschwerde insoweit zu-
rückgenommen hat. Die Rücknahme erfolgte aufgrund der außergerichtlichen
Einigung, die im Ergebnis zu einer Abänderung der angefochtenen Regulie-
rungsentscheidung geführt hat. Der restliche Teil der Gerichtskosten fällt der
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Betroffenen zur Last. Eine Erstattung von außergerichtlichen Kosten entspräche
im Hinblick auf die außergerichtliche Einigung nicht der Billigkeit.
Tolksdorf
Raum
Strohn
Grüneberg
Bacher
Vorinstanz:
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 24.03.2010 - VI-3 Kart 51/09 (V) -