Urteil des BGH vom 15.01.2014

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XII ZR 83/13
Verkündet am:
15. Januar 2014
Küpferle,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
SchuldRAnpG § 12
a) Bei der Verkehrswertermittlung nach § 12 Abs. 3 SchuldRAnpG ist auch der
Wert des Bauwerks zu berücksichtigen, soweit dem Grundstückseigentü-
mer im Hinblick auf seine Dispositionsfreiheit über die weitere Grund-
stücksnutzung hinaus durch das Bauwerk ein tatsächlich für ihn realisierba-
rer Wert zufließt.
b) Eine Entschädigung nach § 12 SchuldRAnpG kann nicht beansprucht wer-
den, bevor das Grundstück zurückgegeben ist.
BGH, Urteil vom 15. Januar 2014 - XII ZR 83/13 - LG Potsdam
AG Brandenburg an der Havel
- 2 -
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 15. Januar 2014 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richterin
Weber-Monecke und die Richter Schilling, Dr. Nedden-Boeger und Guhling
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des Landge-
richts Potsdam vom 8. Mai 2013 wird auf Kosten der Klägerin zu-
rückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin verlangt von der beklagten Gemeinde eine Entschädigung
nach dem Schuldrechtsanpassungsgesetz für ein auf deren Grundstück errich-
tetes Bauwerk.
Die Beklagte ist Rechtsnachfolgerin der Gemeinde R. Diese überließ in
der früheren DDR mit schriftlichem Vertrag vom 15. Februar 1978 Herrn R. eine
Fläche von 445 qm zur unbefristeten gärtnerischen Nutzung gegen Zahlung
einer jährlichen Pacht von 17,80 Mark, ferner genehmigte sie die Aufstellung
einer Gartenlaube. Am 6. September 1989 erteilte die staatliche Bauaufsicht
beim Rat der Gemeinde eine Zustimmung zur Errichtung einer massiven Gar-
1
2
- 3 -
tenlaube, woraufhin Herr R. das Grundstück mit einem Bungalow, einer Toilette
und einer Garage bebaute.
Durch Vereinbarung vom 20. September 2002 trat der frühere Nutzungs-
inhaber R. sämtliche Nutzungsrechte aus dem Pachtvertrag an die Klägerin ab
und veräußerte an sie die vorhandenen Baulichkeiten mit weiterem Vertrag vom
15. September 2002. Seitdem wurde das Grundstück von der Klägerin genutzt,
die fortan auch das jährliche Nutzungsentgelt an die Beklagte zahlte. Die Be-
klagte erhöhte das jährliche Nutzungsentgelt gegenüber der Klägerin auf
Grundlage der Nutzungsentgeltverordnung und zog sie auch zu Grundbesitz-
abgaben heran.
Die Klägerin kündigte das Nutzungsverhältnis zum 1. Juni 2011. Seitdem
hält sie das Grundstück weiterhin in Besitz und zahlt an die Beklagte eine Nut-
zungsentschädigung. Die Rückgabe des Grundstücks hat die Klägerin Zug um
Zug gegen Zahlung einer Entschädigung für die vorhandenen Bauwerke in Hö-
he von 50.307
€ angeboten.
Das Amtsgericht hat die auf Zahlung einer Entschädigung von 50.300
nebst Zinsen gerichtete Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat
das Landgericht die Beklagte zur Zahlung von 5.300
€ nebst Zinsen verurteilt
und die weitergehende Berufung, mit der die Klägerin eine Entschädigung in
Höhe von noch weiteren 21.700
€ verlangt hat, zurückgewiesen. Hiergegen
wendet sich die Klägerin mit der vom Landgericht zugelassenen Revision.
Entscheidungsgründe:
Das Rechtsmittel ist nicht begründet.
3
4
5
6
- 4 -
1. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie
folgt begründet: Die Vorschriften des Schuldrechtsanpassungsgesetzes seien
anzuwenden, da das überlassene Grundstück sowohl vom früheren Nutzer als
auch von der Klägerin nicht für landwirtschaftliche Zwecke, sondern als Erho-
lungsgrundstück genutzt worden sei. Durch Vereinbarung vom 20. September
2002 sei die Klägerin in das Nutzungsverhältnis eingetreten; dem habe die Ge-
meinde zumindest konkludent zugestimmt.
Da die Klägerin das Vertragsverhältnis gekündigt habe, könne sie gemäß
§ 12 Abs. 3 SchuldRAnpG nur eine Entschädigung in dem Umfang verlangen,
in dem der Verkehrswert des Grundstücks durch das Bauwerk im Zeitpunkt der
Rückgabe erhöht sei. Hierbei sei dem Verkehrswert des Grundstücks bei Rück-
gabe derjenige Wert gegenüberzustellen, den das Grundstück im Zeitpunkt der
Rückgabe (fiktiv) ohne die vom Nutzer veranlasste Bebauung hätte. Dabei wer-
de der Grundstückswert nicht durch den Sachwert der vorhandenen Bebauung,
sondern nur dadurch erhöht, dass der mit dem Bauwerk verbundene Bestands-
schutz den Bodenwert erhöhe. Anhand des von der Klägerin vorgelegten Gut-
achtens könne diese Wertsteigerung auf 5.300
€ geschätzt werden.
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nur im Er-
gebnis stand.
a) Die Ausführungen des Landgerichts, dass die Klägerin bei Rückgabe
des Grundstücks keine weitergehende Entschädigung beanspruchen könne,
wiedersprechen § 12 SchuldRAnpG und der dazu ergangenen Rechtsprechung
des Senats. Insbesondere ist die Annahme des Landgerichts unzutreffend,
dass der Substanzwert des Bauwerks nicht geeignet sei, den Verkehrswert des
Grundstücks i.S.d. § 12 Abs. 3 SchuldRAnpG zu erhöhen.
7
8
9
10
- 5 -
aa) Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde durch den Vertrag
vom 15. Februar 1978 und die nachfolgende faktische Grundstücksnutzung zu
Erholungszwecken ein Rechtsverhältnis nach den §§ 312 ff. ZGB-DDR mit dem
Rechtsvorgänger der Klägerin begründet. Auf dieses Nutzungsverhältnis, in das
die Klägerin eingetreten ist, sind gemäß § 6 Abs. 1 SchuldRAnpG die Bestim-
mungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs über den Miet- oder den Pachtvertrag
anzuwenden, soweit das Schuldrechtsanpassungsgesetz nichts anderes be-
stimmt.
bb) Soweit der frühere Nutzungsinhaber R. das Grundstück in Überein-
stimmung mit der am 6. September 1989 erteilten Zustimmung bebaut hat,
wurde Baulichkeiteneigentum nach dem Recht der DDR begründet (§§ 296
Abs. 1 Satz 1, 313 Abs. 2 ZGB-DDR, § 19 Abs. 2 SchuldRAnpG, Art. 231 § 5
Abs. 1 EGBGB). Mit der Beendigung des Vertragsverhältnisses ging das Bau-
lichkeiteneigentum kraft Gesetzes auf die Beklagte als Grundstückseigentüme-
rin über (§ 11 Abs. 1 SchuldRAnpG). Als Ausgleich für den Rechtsverlust hat
die Beklagte der Klägerin gemäß § 12 Abs. 1 SchuldRAnpG eine Entschädi-
gung für das Bauwerk zu leisten. Da die Klägerin als Nutzerin den Vertrag
selbst gekündigt hat, kann sie gemäß § 12 Abs. 3 SchuldRAnpG eine Entschä-
digung (nur) verlangen, soweit der Verkehrswert des Grundstücks durch das
Bauwerk im Zeitpunkt der Rückgabe erhöht ist.
cc) Da § 12 Abs. 1 und 3 SchuldRAnpG keine Regeln enthält, wie die
Verkehrswerterhöhung festzustellen ist, kann auf die Immobilienwertermitt-
lungsverordnung vom 19. Mai 2010 (ImmoWertV, BGBl. I S. 639) zurückgegrif-
fen werden, die anerkannte Grundsätze für die Ermittlung des Verkehrswerts
von Grundstücken enthält. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesge-
richtshofs liegt die Wahl der Ermittlungsmethode im pflichtgemäßen Ermessen
des Tatrichters. Die von ihm gewählte Wertermittlungsmethode muss jedoch
11
12
13
- 6 -
nach den Besonderheiten des konkreten Falles geeignet sein, den vollen Ver-
kehrswert für den zu bewertenden Gegenstand zu erfassen, ohne das Wertbild
zu verzerren. Auf das Ertragswertverfahren abzustellen ist sinnvoll und damit
sachgerecht, wenn das zu bewertende Grundstück dazu bestimmt ist, nach-
haltige Erträge zu erzielen wie etwa bei Mietwohnhäusern, Geschäfts- und Ge-
werbegrundstücken. Dem Käufer eines derartigen Grundstücks kommt es
nämlich in erster Linie darauf an, welche Rendite ihm das eingesetzte Kapital in
Gestalt der durch die Vermietung oder Verpachtung erzielten Erträge erwirt-
schaftet. Demgegenüber eignet sich das Sachwertverfahren für Grundstücke,
die nach der Art ihrer Bebauung vornehmlich nicht auf eine möglichst hohe
Rendite im Verhältnis zu den aufgewandten Kosten ausgelegt sind (Senatsurteil
vom 12. März 2008 - XII ZR 156/05 - NJW-RR 2008, 1047 Rn. 25 mwN).
Entsprechend wurde auch im Gesetzgebungsverfahren darauf hingewiesen
(BT-Drucks. 12/7135 S. 47), dass sich bei Bauwerken, die Erholungszwecken
dienen, die Bewertung in aller Regel am Sachwert orientieren muss. Beide
Wertermittlungsverfahren beziehen allerdings die Restnutzungsdauer der bauli-
chen Anlagen ein (§ 6 Abs. 5, 6 ImmoWertV), entweder nach ihrem Ertragsni-
veau (§§ 18 Abs. 1, 19 ImmoWertV) oder nach dem Sachwert (§ 21 Abs. 2
ImmoWertV).
dd) Entgegen der Auffassung des Landgerichts führt die danach gebote-
ne Einbeziehung der baulichen Anlagen nicht dazu, dass der schutzwürdige
Nutzer in den Fällen des § 12 Abs. 2 SchuldRAnpG regelmäßig eine geringere
Entschädigung erhielte als der nicht schutzwürdige Nutzer in den Fällen des
§ 12 Abs. 3 SchuldRAnpG.
Zwar trifft es zu, dass der Nutzer, der durch sein eigenes Verhalten An-
lass zur Kündigung aus wichtigem Grund gibt, eine unter Umständen höhere
Entschädigung erhalten kann, als wenn er sich pflichtgemäß verhalten hätte.
14
15
- 7 -
Erhöht nämlich wegen des bauplanungsrechtlichen Bestandsschutzes die vor-
handene Bebauung den Bodenwert ausnahmsweise über den Wert der bauli-
chen Anlage hinaus, so führt die Kündigung des Vermieters bei pflichtwidrigem
Verhalten des Nutzers (§ 12 Abs. 2 Satz 2 SchuldRAnpG) zu einer höheren
Entschädigung als dann, wenn der Vermieter aus sonstigen Gründen kündigt
und nur der Zeitwert des Bauwerks zu ersetzen ist. Dieser Widerspruch beruht
aber - wie der Senat bereits entschieden hat (Senatsurteil vom 12. März 2008
- XII ZR 156/05 - NJW-RR 2008, 1047 Rn. 21) - auf einer Entscheidung des
Gesetzgebers, nach dessen Vorstellung die durch das Bauwerk eingetretene
Erhöhung des Verkehrswerts im Regelfall geringer ist als der Wert des Gebäu-
des. Wie der Entwurfsbegründung zu entnehmen ist (BT-Drucks. 12/7135
S. 47), liegt dem die Einschätzung zugrunde, dass der zu entschädigende
Wertzuwachs wesentlich von der künftigen Art der Nutzung des zurück-
gegebenen Grundstücks abhängt. Auch kann unter Beibehaltung der bisherigen
Grundstücksnutzung ein nicht mehr in ordnungsgemäßem Zustand befind-
liches Bauwerk unter Kostenbeteiligung des Nutzers abgerissen (vgl. § 15
SchuldRAnpG) und durch ein neues ersetzt werden. In diesen Fällen fließt dem
Grundstückseigentümer durch das Bauwerk kein tatsächlich für ihn realisierba-
rer Wert zu, so dass ein nicht fortzunutzendes Bauwerk den Verkehrswert nach
den Maßstäben des § 12 Abs. 3 SchuldRAnpG nicht erhöht (vgl. BT-Drucks.
12/7135 S. 47; Kühnlein VIZ 2000, 578, 582). Dadurch ist dem Verkehrswert im
Sinne des § 12 Abs. 3 SchuldRAnpG eine von § 194 BauGB abweichende Be-
deutung beigegeben, da diese Vorschrift allein auf den Veräußerungswert
(Marktwert) abstellt.
ee) Ein möglicher Anspruch der Klägerin auf Entschädigung nach dem
Schuldrechtsanpassungsgesetz hängt somit davon ab, ob das Bauwerk für die
Beklagte weiter nutzbar ist. Mit Schreiben vom 7. Februar 2012 hat diese darauf
hingewiesen, dass sie noch nicht wisse, wie sie mit der Grundstücksfläche wei-
16
- 8 -
ter verfahren werde, zumal bereits zwei weitere Bungalows in unmittelbarer Nä-
he leer stünden und keine neuen Pächter/Nutzer zu finden seien. Nach den in
der Gesetzesbegründung dargelegten Maßstäben könnte unter solchen Um-
ständen ein durch das Bauwerk realisierbarer Wertzuwachs entfallen.
b) Der geltend gemachte Anspruch ist allerdings noch nicht entstanden,
da das Grundstück noch nicht an die Beklagte zurückgegeben worden ist.
aa) Durch die von der Klägerin erklärte Kündigung wurde das Vertrags-
verhältnis beendet. Nach Beendigung des Vertragsverhältnisses war die Kläge-
rin verpflichtet, das Grundstück an die Beklagte zurückzugeben (§ 546 Abs. 1
BGB).
Der Entschädigungsanspruch nach § 12 Abs. 3 SchuldRAnpG knüpft an
die Rückgabe des bebauten Grundstücks an, also an die tatsächliche Erlan-
gung des unmittelbaren Besitzes durch den Grundstückseigentümer (Kiethe/
Bultmann Schuldrechtsanpassungsgesetz § 21 Rn. 21, 25). Wertveränderun-
gen in der Zeit zwischen der Beendigung des Vertragsverhältnisses und der
Rückgabe des Grundstücks sind daher bei der Berechnung des Entschädi-
gungsanspruchs zu berücksichtigen. Dasselbe gilt für zwischenzeitliche Ände-
rungen in Bezug auf die Eignung des Grundstücks für anderweitige Folgenut-
zungen, soweit diese sich auf die Wertbemessung auswirken (vgl. BT-Drucks.
12/7135 S. 47). Der Rückgabezeitpunkt bildet den Stichtag für die Wertermitt-
lung, nach der sich der Entschädigungsanspruch bemisst. Solange das Grund-
stück - wie hier - noch nicht zurückgegeben ist, stehen die Wertermittlungs-
grundlagen nicht fest und kann die Entschädigung weder errechnet noch bean-
sprucht werden (aA LG Berlin ZOV 2003, 183).
17
18
19
- 9 -
Hinzu kommt, dass der Nutzer nach § 12 Abs. 4 SchuldRAnpG grund-
sätzlich zur Wegnahme des Bauwerks berechtigt ist. Auch deshalb kann er vor
der Rückgabe keine Entschädigung verlangen.
bb) Ob die tatsächlich bewirkte Rückgabe als Anknüpfungspunkt für die
Wertermittlung nach § 12 SchuldRAnpG durch einen Annahmeverzug des
Grundstückseigentümers ersetzt werden könnte, indem der Nutzer die Rückga-
be anbietet und der Grundstückseigentümer diese ablehnt (vgl. § 293 BGB),
braucht im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden. Denn die Klägerin
hat die Übergabe nicht in einer den Annahmeverzug begründenden Weise an-
geboten, sondern nur Zug um Zug gegen Zahlung einer Entschädigung für das
Bauwerk in Höhe von 50.307
€.
20
21
- 10 -
Zwar kommt der Gläubiger einer Zug um Zug zu erbringenden Leistung
auch dann in Verzug, wenn er zwar die angebotene Leistung anzunehmen be-
reit ist, die verlangte Gegenleistung aber nicht anbietet (§ 298 BGB). Hier liegt
jedoch ein Fall der Zug um Zug zu erbringenden Leistung nicht vor. Denn weder
steht der Rückgabeanspruch des Grundstückseigentümers in einem Gegensei-
tigkeitsverhältnis (vgl. Staudinger/Rolfs BGB [2011] § 546 Rn. 37) noch steht
dem Nutzer wegen des Entschädigungs- oder eines sonstigen Anspruchs ein
Zurückbehaltungsrecht gegen den Rückgabeanspruch des Grundstückseigen-
tümers zu (vgl. §§ 570, 578 Abs. 1 BGB; LG Zwickau WuM 2009, 304).
Dose
Weber-Monecke
Schilling
Nedden-Boeger
Guhling
Vorinstanzen:
AG Brandenburg an der Havel, Entscheidung vom 18.09.2012 - 31 C 171/11 -
LG Potsdam, Entscheidung vom 08.05.2013 - 6 S 46/12 -
22