Urteil des BGH vom 03.07.2014

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 502/13
Verkündet am:
3. Juli 2014
K i e f e r
Justizangestellter
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 839 Cb, Fe; SGB VIII § 37 Abs. 1, § 92 Abs. 3 (F: 8. September 2005)
a) Die sich aus § 37 Abs. 1 SGB VIII ergebende Verpflichtung des Jugendamts,
die leiblichen Eltern über die Unterbringung des Kindes in einer Pflegefamilie
zu unterrichten, hat nicht den Zweck, den Kindesvater vor der Zahlung nicht
mehr geschuldeten Kindes- und Betreuungsunterhalts an seine geschiedene
Ehefrau zu schützen.
b) Die besondere, sich aus § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII ergebende Pflicht des
Jugendamts, eine unterhaltspflichtige Person über die Folgen für ihre Unter-
haltspflicht aufzuklären, besteht nur im Zusammenhang mit der Erhebung ei-
nes Kostenbeitrags.
BGH, Urteil vom 3. Juli 2014 - III ZR 502/13 - OLG Schleswig
LG Flensburg
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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 3. Juli 2014 durch den Vizepräsidenten Schlick und die Richter Dr. Herr-
mann, Hucke, Dr. Remmert und Reiter
für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 11. Zivilsenats des
Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom
30. Juli 2013 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsrechtszugs hat die Klägerin zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin ist die Erbin des im Laufe des Berufungsverfahrens verstor-
benen ursprünglichen Klägers (im Folgenden: Kindesvater). Dieser hat gegen
den beklagten Landkreis einen Amtshaftungsanspruch geltend gemacht, weil
ihn der zuständige Mitarbeiter des Jugendamts nicht zeitnah über die Unter-
bringung seiner beiden Kinder in einer Vollzeitpflegestelle informiert und er
deshalb zu Unrecht Ehegatten- und Kindesunterhalt gezahlt habe.
Nach der Trennung der Ehegatten übertrug das Familiengericht im April
1998 das alleinige Sorgerecht für die beiden ehelichen Kinder zunächst dem
Kindesvater. Nach einem Aufenthalt Ende Dezember 1998 bei der Mutter wur-
den die Kinder von dieser zu der befreundeten Familie S. gebracht. Ob-
wohl das Familiengericht die Herausgabe der Kinder angeordnet hatte, gelang
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es dem Kindesvater nicht, sie wieder zu sich zu nehmen, weil die Familie S.
nicht auffindbar war. Der Kontakt zu seinen Kindern, die in der Folgezeit wieder
bei ihrer Mutter lebten, brach ab. Schließlich wurde ihr die alleinige elterliche
Sorge übertragen. Auf ihren Antrag brachte das Jugendamt des beklagten
Landkreises die Kinder ab dem 1. Oktober 2001 in Vollzeitpflege bei der Familie
S. unter, ohne den Kindesvater hiervon in Kenntnis zu setzen. In den Jah-
ren 2000 bis 2006 erstritt die Mutter mehrere Unterhaltstitel gegen ihn, offenbar-
te den Aufenthaltsort der Kinder aber nicht. Mit Schreiben vom 26. Februar und
30. März 2004 teilte der beklagte Landkreis dem Kindesvater mit, dass für seine
beiden Kinder laufend Jugendhilfeleistungen nach §§ 27, 33 SGB VIII erbracht
würden und er verpflichtet sei, sich im Rahmen seiner Möglichkeiten an den
Kosten der Jugendhilfe zu beteiligen. Unter dem 13. April 2006 wies ihn der
Beklagte darauf hin, dass er mit der Festsetzung eines Kostenbeitrags zu rech-
nen habe, wobei im Betreff dieses Schreibens erstmals die Art der Hilfe (Voll-
zeitpflege) konkret beschrieben und der Zeitpunkt ihres Beginns (1. Oktober
2001) angegeben waren. Ein zu zahlender Kostenbeitrag wurde im Hinblick auf
die Angaben zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Kindesvaters nicht fest-
gesetzt. Am 30. Mai 2006 erwirkte er ein Anerkenntnisurteil des zuständigen
Familiengerichts, mit dem der letzte Unterhaltstitel zugunsten seiner geschie-
denen Ehefrau und der Kinder (Anerkenntnisurteil vom 6. April 2006) dahinge-
hend abgeändert wurde, dass er ab dem 15. Mai 2006 keinen Kindes- und
Ehegattenunterhalt mehr zu zahlen habe.
Der Kindesvater hat vorgetragen, er sei bei seinen Unterhaltszahlungen
stets davon ausgegangen, dass seine Kinder weiter bei ihrer Mutter lebten.
Wegen der Unterbringung in einer Pflegefamilie habe seine geschiedene Ehe-
frau keinen Anspruch auf Ehegattenunterhalt gehabt. Mangels Leistungsfähig-
keit habe auch kein Anspruch auf Kindesunterhalt bestanden; er habe gleich-
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wohl gezahlt in der Hoffnung, irgendwann die entzogenen Kinder zurückzube-
kommen, und selbst am Existenzminimum gelebt, um sich nicht dem Vorwurf
auszusetzen, nicht für seine Kinder sorgen zu wollen. Die Mutter der Kinder sei
nicht in der Lage, die zu Unrecht erhaltenen Beträge zurückzuerstatten.
Das Landgericht hat die Schadensersatzklage über zunächst
44.240,02
€ abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung ist - nach teilwei-
ser Klagerücknahme - erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zuge-
lassenen Revision verfolgt die jetzige Klägerin einen Schadensersatzanspruch
von noch 35.734
€ nebst Zinsen weiter.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist unbegründet.
I.
Das Berufungsgericht (die Entscheidung ist in SchlHA 2014, 105 =
NordÖR 2014, 145 veröffentlicht) hat die Auffassung vertreten, der beklagte
Landkreis habe zwar eine Amtspflicht gegenüber dem Kindesvater verletzt,
weil dieser nicht zeitnah über den Wechsel seiner Kinder in eine Vollzeitpflege-
stelle zum 1. Oktober 2001 informiert worden sei. Eine solche Pflicht ergebe
sich bereits aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK, weil wegen
der Schwere eines derartigen Eingriffs die Anhörung beider Elternteile Voraus-
setzung für eine derartige Maßnahme sei. Darüber hinaus bestehe eine Ver-
pflichtung des Jugendamts nach §§ 33, 37 SGB VIII zur Zusammenarbeit mit
der Herkunftsfamilie, um einen das Kindeswohl gefährdenden Abbruch des
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Kontakts zu seinen leiblichen Eltern zu vermeiden. Dem sei das Jugendamt
nicht nachgekommen.
Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch sei gleichwohl nicht be-
gründet, weil mutmaßlich überhöhte Zahlungen auf Kindesunterhalt undrechts-
grundlose Zahlungen auf Betreuungsunterhalt nicht vom Schutzzweck der ver-
letzten Normen erfasst seien. Die Regelungen der §§ 32 ff SGB VIII verfolgten
das Ziel, die Rückkehr des Kindes in die Ursprungsfamilie zu ermöglichen. Das
Jugendamt sei grundsätzlich verpflichtet, zur Verbesserung der Erziehungsbe-
dingungen in der Familie sowie zur Förderung des Kontaktes zwischen Kindern
und Eltern beratend und unterstützend tätig zu werden, und dabei auch den
- vorliegend - nicht sorgeberechtigten Vater einzubeziehen. Ein Schutz der Kin-
deseltern vor möglichen Beeinträchtigungen ihrer finanziellen Verhältnisse re-
gele das Gesetz dagegen nicht. Zwar sei ein Rechtsreflex insoweit denkbar,
dass dem Kindesvater im Falle rechtzeitiger Informationserteilung praktisch fi-
nanzielle Mittel erhalten worden wären, die er unter Umständen auf anderem
Wege zu Gunsten der Kinder hätte einsetzen können, so dass sich sein Ver-
hältnis zu ihnen hätte stabilisieren und verbessern können. Dies sei jedoch nur
eine theoretische Erwägung, zumal der Kindesvater über Jahre keinen Kontakt
zu seinen Kindern gesucht habe. Die Statuierung einer grundsätzlichen Ver-
pflichtung des Jugendamts, bei der Amtsausübung die finanziellen Belange der
Kindeseltern jedenfalls mittelbar zu berücksichtigen, liefe dem Zweck des Ach-
ten Buchs Sozialgesetzbuch zuwider, da bei entsprechenden Informationen die
Gefahr weiterer Streitigkeiten bestünde. Eine Erweiterung des Pflichtenkreises
des beklagten Landkreises dahin, Informationen im Hinblick auf sich möglich-
erweise verändernde Unterhaltsansprüche zu erteilen, könne vorliegend auch
deshalb keine Haftung begründen, weil mögliche Schäden des Kindesvaters
ganz überwiegend auf das Verhalten der Kindesmutter zurückzuführen seien,
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die ihn nicht über den Wechsel des Aufenthaltsorts der Kinder informiert und die
an sie gezahlten Unterhaltsbeträge vereinnahmt habe.
II.
Diese Beurteilung hält den Angriffen der Revision stand.
Ein Amtshaftungsanspruch (§ 839 Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 34 GG) ist
nicht begründet.
1.
Das Berufungsgericht hat im Ausgangspunkt zu Recht angenommen,
dass die Bediensteten des Jugendamts des beklagten Landkreises eine ihnen
gegenüber dem Kindesvater als Dritten bestehende Amtspflicht verletzt haben.
Nachdem die beiden Kinder auf Antrag ihrer Mutter ab dem 1. Oktober
2001 bei einer Pflegefamilie untergebracht worden waren, bestand für das
Jugendamt des beklagten Landkreises die Verpflichtung, einerseits darauf
hinzuwirken, dass die Pflegepersonen und die leiblichen Eltern zum Wohle der
Kinder zusammenarbeiten, andererseits auch beratend und unterstützend tätig
zu werden (§ 37 Abs. 1 Satz 1 bis 3 SGB VIII in der Fassung der Bekannt-
machung vom 19. Juni 2001, BGBl. I, S. 1046). Diese Aufgaben des Jugend-
amts sind vor dem Hintergrund und der primären Zielsetzung zu sehen, die
Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie zu verbessern und die Be-
ziehung des Kindes zu seinen leiblichen Eltern zu fördern, um eine Rückkehr
des Kindes in die Herkunftsfamilie und damit deren Refunktionalisierung zu
ermöglichen (vgl. MüKoBGB/Tillmanns, 6. Aufl., SGB VIII § 37 Rn. 1, 2; Schmid-
Oberkirchner in Wiesner, SGB VIII, 4. Aufl., § 37 Rn. 2, 14 f; v. Koppenfels-
Spies in jurisPK-SGB VIII, 1. Aufl., § 37 Rn. 14 f; Münder u.a., FK-SGB VIII,
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5. Aufl., § 37 Rn. 13; Stähr in Hauck/Haines, SGB VIII, Stand Juni 2012, § 37
Rn. 6, 9; Coester, FamRZ 1991, 253, 259). Die Regelung in § 37 Abs. 1 SGB
VIII berücksichtigt damit das trotz der Unterbringung der Kinder in einer
Pflegefamilie fortbestehende und nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte
Elternrecht (vgl. Schmid-Obkirchner aaO und Rn. 8) und setzt zudem das Recht
der Eltern auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK um (vgl.
EGMR, NJW 2005, 3401, 3403 Rn. 82). Hierbei handelt es sich um eine
Regelverpflichtung (vgl. MüKoBGB/Tillmanns aaO Rn. 2), von der nur unter
besonderen Umständen abgewichen werden kann. Solche sind hier nicht
erkennbar, zumal auch nicht sorgeberechtigte Elternteile mit in diese Regelung
einbezogen sind, weil die Pflege von Beziehungen und Kontakten zu beiden
Elternteilen im Vordergrund steht (vgl. v. Koppenfels-Spies aaO Rn. 11, 13;
Münder u.a. aaO Rn. 3, 5; Stähr aaO Rn. 5; DIJuF-Rechtsgutachten, JAmt
2003, 239).
Aus dem Gesagten ergibt sich ohne Weiteres, dass die Einschaltung und
zeitnahe Unterrichtung des Kindesvaters bei der Anordnung und Durchführung
der Vollzeitpflege der Kinder auch seinem Interesse diente, er mithin geschütz-
ter Dritter im Sinne des § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB ist (s. allgemein dazu nur
Senatsurteile vom 6. Juni 2013 - III ZR 196/12, NJW 2013, 3370, 3371 Rn. 14
mwN und vom 8. November 2012 - III ZR 151/12, BGHZ 195, 276, 283 Rn. 15
mwN).
2.
Das Berufungsgericht hat trotz Nichtbeachtung dieser dem Kindesvater
gegenüber bestehenden Amtspflicht eine Haftung des beklagten Landkreises
verneint und dies damit begründet, dass der geltend gemachte Schaden in
Form der Zahlung von Kindesunterhalt und nachehelichem Betreuungsunterhalt
an die geschiedene Ehefrau nicht vom Schutzbereich der verletzten Normen
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und den sich daraus ergebenden Pflichten des Jugendamts umfasst sei. Dies
hält der revisionsgerichtlichen Nachprüfung stand.
a) Nach der Rechtsprechung des Senats bedeutet die Feststellung, dass
der Geschädigte zum Kreis der geschützten Dritten gehört, nicht, dass er Aus-
gleich aller ihm durch die verletzte Amtspflicht zugefügten Nachteile verlangen
kann. Es kommt vielmehr darauf an, ob gerade das im Einzelfall berührte Inte-
resse nach dem Zweck und der rechtlichen Bestimmung des Amtsgeschäfts
geschützt werden soll. Entscheidend ist demnach, ob der Schutzzweck der ver-
letzten Amtspflicht auch den jeweils geltend gemachten Schaden erfasst (vgl.
nur Senatsurteile vom 6. Juni 2013 - III ZR 196/12, NJW 2013, 3370, 3371
Rn. 14 mwN; vom 8. November 2012 - III ZR 151/12, BGHZ 195, 276, 283
Rn. 15 mwN; vom 13. Oktober 2011 - III ZR 231/10, BGHZ 191, 187, 193
Rn. 13, vom 22. Januar 2009 - III ZR 197/08, NJW 2009, 1207, 1208 Rn. 11
und vom 10. März 1994 - III ZR 9/93, BGHZ 125, 258, 269). Von einer derarti-
gen Sachlage kann im Streitfall nicht ausgegangen werden.
b) Die Pflicht des Jugendamts aus § 37 Abs. 1 SGB VIII, auf eine ent-
sprechende Zusammenarbeit hinzuwirken, zu beraten und zu unterstützen und
damit einhergehend die notwendigen Informationen zu erteilen, hat nicht den
Zweck, den Unterhaltspflichtigen, hier den Kindesvater, vor der Zahlung gege-
benenfalls nicht mehr geschuldeten Unterhalts an seine Kinder oder seine ge-
schiedene Ehefrau zu bewahren.
Die mit dieser gesetzlichen Regelung in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2
Satz 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK vorgesehene gemeinsame Gestaltung des Hil-
feprozesses dient vor allem dem Interesse des Kindes oder Jugendlichen, um
damit den bestehenden Beziehungen und Bindungen zur Pflegeperson und zu
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den leiblichen Eltern Rechnung zu tragen, Loyalitätskonflikten entgegen zu wir-
ken und die Ressourcen von Eltern und Erziehungspersonen nutzbar zu ma-
chen (vgl. Schmid-Obkirchner § 37 Rn. 8; MüKoBGB/Tillmanns aaO § 37 Rn. 2;
Münder u.a. aaO § 37 Rn. 4, 14 f). Der Schutzzweck der sich danach ergeben-
den Pflichten des Jugendamts ist somit aus Sicht der Eltern allein darauf ausge-
richtet, diesen die Möglichkeit zu geben, das (fortbestehende) Elternrecht sowie
die elterliche Erziehungsverantwortung aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 8
EMRK in einer am Kindeswohl orientierten Weise wahrzunehmen und daran
mitzuwirken, dass durch eine Verbesserung der Erziehungsbedingungen die
Voraussetzungen für eine Rückkehrperspektive geschaffen werden. Zwar mö-
gen die finanziellen Verhältnisse grundsätzlich einen Beitrag dazu leisten kön-
nen, eine Rückkehr zu fördern. Die beschriebenen Pflichten des Jugendamts,
die eine Einbeziehung und Information des Kindesvaters umfassen, haben je-
doch nicht die finanziellen Auswirkungen dieser Maßnahme im Blick. Die anzu-
strebende sachgerechte Zusammenarbeit und die Aufrechterhaltung der emoti-
onalen Bindung zwischen dem Kind oder Jugendlichen und seiner Herkunfts-
familie während der Zeit der Unterbringung bei einer Pflegestelle sind auf das
Recht der Eltern ausgerichtet, das Kind erziehen und mit ihm Umgang pflegen
zu können. Die Beachtung zivilrechtlicher Unterhaltsverpflichtungen eines El-
ternteils steht damit in keinem unmittelbaren Zusammenhang, vielmehr ist die
Regelung derartiger Ansprüche grundsätzlich Sache der Kindeseltern unterei-
nander.
Das „Wächteramt“ des Staates geht nicht soweit, dass er bei familiären
Konfliktsituationen die Beteiligten generell dabei zu unterstützen hat, berechtig-
te Unterhaltsforderungen durchzusetzen oder unberechtigte Unterhaltsforde-
rungen abzuwehren. Dies findet auch in den einschlägigen Bestimmungen des
Unterhaltsrechts seinen Niederschlag. Danach wird das Jugendamt nur dann
Beistand eines Kindes für die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen und
damit - ausnahmsweise - zu einem Verfahrensbeteiligten, wenn dies von einem
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Elternteil beantragt wird (vgl. § 1712 Abs. 1 Nr. 2 BGB; § 53a ZPO aF = § 234
FamFG).
c) Entgegen der Auffassung der Revision ergibt sich aus den maßgebli-
chen gesetzlichen Regelungen für die Heranziehung von Eltern und anderen
Verpflichteten zu den für die Hilfe zur Erziehung, hier in Form der Vollzeitpflege
nach § 33 SGB VIII, erbrachten Leistungen und entstehenden Kosten nichts
anderes; insbesondere kann diesen Bestimmungen nicht entnommen werden,
dass die den Eltern gegenüber obliegenden Informations- und Unterrichtungs-
pflichten des Jugendamts allgemein (auch) den Zweck verfolgen, einen unter-
haltspflichtigen Elternteil vor nicht (mehr) berechtigten Unterhaltszahlungen zu
schützen.
aa) Die bis zum 30. September 2005 geltende Vorschrift des § 94 Abs. 3
Satz 2 SGB VIII in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. Dezember 1998
(BGBl. I S. 3546) regelte die Heranziehung der Eltern eines unterhaltsberechtig-
ten Kindes zum Ersatz der Kosten unter anderem bei auswärtiger Unterbrin-
gung dahin, dass unter den dort genannten Voraussetzungen ein gesetzlicher
Unterhaltsanspruch des Kindes oder Jugendlichen kraft Gesetzes, begrenzt
durch die Höhe der geleisteten Aufwendungen, auf den Träger der öffentlichen
Jugendhilfe überging (vgl. dazu auch Münder u.a., aaO, § 94 Rn. 7 f). Diese
Bestimmung betraf damit lediglich den gesetzlichen Übergang des Unterhalts-
anspruchs des Kindes gegen einen barunterhaltspflichtigen Elternteil, nicht je-
doch die materiell-rechtliche Unterhaltsverpflichtung eines oder beider Elterntei-
le als solche. Da somit die Jugendhilfeleistungen auf die Unterhaltspflicht ge-
genüber einem Kind dem Grunde und der Höhe nach keine Auswirkungen hat-
ten, konnte sich unter diesem Gesichtspunkt ein Informationsinteresse des Kin-
desvaters nichtergeben Soweit in § 94 Abs. 3 Satz 3 SGB VIII aF eine Mittei-
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lungspflicht über die Gewährung von Jugendhilfe normiert war, handelte es sich
lediglich um eine notwendige Voraussetzung für eine Inanspruchnahme von
erstattungspflichtigen Personen für die Vergangenheit (vgl. Münder u.a. aaO
Rn. 10). Diese Regelung diente deshalb allein dem Interesse des Jugendamts-
trägers an der Durchsetzung der auf ihn von Gesetzes wegen übergegangenen
Unterhaltsansprüche, jedoch nicht dem Schutz eines Elternteils vor möglicher-
weise nicht (mehr) gerechtfertigten Zahlungen von Kindesunterhalt.
bb) Auch der ab dem 1. Oktober 2005 geltenden Vorschrift des § 92 SGB
VIII in der Fassung des Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetzes
vom 8. September 2005 (BGBl. I, S. 2729) lässt sich ein derartiger Schutz-
zweck nicht entnehmen. Nach Abs. 3 Satz 1 dieser Regelung kann ein Beitrag
zu den Kosten von Leistungen und vorläufigen Maßnahmen nach § 91 SGB VIII
unter anderem bei den Eltern des Kindes von dem Zeitpunkt an erhoben wer-
den, ab welchem dem Pflichtigen die Gewährung der Jugendhilfeleistung mitge-
teilt und er über die Folgen für seine Unterhaltspflicht gegenüber dem jungen
Menschen aufgeklärt worden ist. Diese Bestimmung bezieht sich damit eben-
falls allein auf den Kindesunterhalt und regelt lediglich, von welchem Zeitpunkt
an ein Kostenbeitrag bei dem Kostenschuldner erhoben werden darf. Deshalb
handelt es sich lediglich um eine materiell-rechtliche Voraussetzung hierfür (vgl.
Krome in jurisPK-SGB VIII, 2014, § 92 Rn. 35).
Das Jugendamt wird zwar zusätzlich verpflichtet, über die Folgen der
Jugendhilfeleistung für eine bestehende Unterhaltspflicht aufzuklären. Diese
Pflicht wurde im Hinblick auf die in das Gesetz eingefügte Regelung des § 10
Abs. 2 SGB VIII geschaffen (vgl. Krome aaO, Rn. 20; Stähr, aaO, § 92 Rn. 22).
Nach der bisher geltenden Vorschrift des § 94 Abs. 3 SGB VIII hatte die aus-
wärtige Unterbringung eines Kindes keine Auswirkungen auf die Höhe seines
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Unterhaltsanspruchs gegenüber einem barunterhaltspflichtigen Elternteil. Mit
den neu geschaffenen Bestimmungen wird dagegen geregelt, dass der Bedarf
des Kindes durch die Jugendhilfe ganz oder teilweise gedeckt werden kann und
dementsprechend seine Unterhaltsberechtigung in Höhe der Bedarfsdeckung
entfällt (vgl. BT-Drucks. 15/3676, S. 31, 41; Münder u.a., aaO, § 92, Rn. 22).
Der Revision ist zuzugeben, dass nunmehr - im Unterschied zur früheren
Rechtslage - die Unterrichtung der kostenbeitragspflichtigen Person nicht mehr
nur dem Interesse des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe dient, seinen An-
spruch auf Erhebung des Kostenbeitrags zu sichern; vielmehr soll darüber hin-
aus auch die kostenbeitrags- und unterhaltspflichtige Person davor geschützt
werden, sowohl unterhaltsrechtlich als auch öffentlich-rechtlich in Anspruch ge-
nommen zu werden (vgl. BT-Drucks. 15/3676, S. 41; vgl. Degener in Jans/
Happe/Saurbier/Maas, aaO, § 92 Rn. 8; Stähr, aaO; Münder u.a., aaO, Rn. 20,
23; Wiesner, aaO, § 92 Rn. 13). Daraus folgt jedoch nicht, dass die Verpflich-
tung zur Information über eine Jugendhilfemaßnahme, hier die auswärtige Un-
terbringung, (auch) allgemein dem Zweck dienen würde, den unterrichteten El-
ternteil in die Lage zu versetzen, die Berechtigung eines geltend gemachten
Unterhaltsanspruchs zu überprüfen. Vielmehr steht die besondere Belehrungs-
und Hinweispflicht des § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII in untrennbarem Zusam-
menhang mit der Erhebung eines Kostenbeitrags. Auch soweit die Bestimmung
dem Kostenbeitragspflichtigen die Möglichkeit zu Vermögensdispositionen er-
öffnen soll, ist dies nur in Bezug auf eine mögliche Kostenbeitragspflicht zu se-
hen (vgl. BVerwGE 144, 313, 316 f Rn. 12, 13). Die nach § 92 Abs. 3 Satz 1
SGB VIII vorgesehene Mitteilung über die Jugendhilfeleistungen bezieht sich
damit nicht auf die Verpflichtung zu einer Unterhaltszahlung für das Kind oder
den Jugendlichen schlechthin; sie hat insbesondere nicht den Zweck, den Un-
terhaltspflichtigen vor den finanziellen Nachteilen zu bewahren, die ihm durch
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das prozessbetrügerische Verhalten desjenigen entstehen können, der Unter-
haltsansprüche geltend macht.
cc) Im Streitfall kam die besondere Aufklärungspflicht des § 92 Abs. 3
Satz 1 SGB VIII hinsichtlich des gezahlten Kindesunterhalts deshalb nicht zum
Tragen, weil es wegen der fehlenden Leistungsfähigkeit des Kindesvaters zu
keinem Zeitpunkt zur Festsetzung eines Kostenbeitrags gekommen ist. Die Ge-
fahr einer doppelten Inanspruchnahme stand damit ohnehin nicht im Raum.
dd) Da § 94 Abs. 3 SGB VIII aF und § 92 Abs. 3 SGB VIII lediglich Un-
terhaltsansprüche von Kindern und Jugendlichen gegenüber unterhaltspflichti-
gen Personen zum Gegenstand haben, wird der Schaden, der dem Kindesvater
durch den zu Unrecht an die geschiedene Ehefrau weiter gezahlten Betreu-
ungsunterhalt (vgl. § 1570 BGB) entstanden ist, von vorneherein nicht vom
Schutzzweck der Vorschriften erfasst.
3.
Eine Haftung des beklagten Landkreises lässt sich vorliegend auch nicht
aus der Verletzung einer im Zusammenhang mit den Angaben des Kindesva-
ters zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen Anfang April 2004 stehenden Auf-
klärungs- oder Hinweispflicht des zuständigen Mitarbeiters des Jugendamts
herleiten. Dies kann der Senat, da insoweit weitere Feststellungen nicht zu er-
warten sind, selbst entscheiden.
a) Eine derartige Belehrungspflicht ergäbe sich allerdings - entgegen der
Auffassung der Revision - nicht aus der (entsprechenden) Heranziehung ver-
tragsrechtlicher Haftungsgrundsätze, sondern wäre allenfalls nach Maßgabe
der ständigen Rechtsprechung des Senats anzuerkennen, nach der sich auf
Grund der besonderen tatsächlichen Lage und der bestehenden Verhältnisse
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im Einzelfall eine Hinweis- und Aufklärungspflicht ergeben kann. Insbesondere
darf ein Beamter nicht "sehenden Auges" zulassen, dass der bei ihm vorspre-
chende Bürger Schaden erleidet, der durch einen kurzen Hinweis, eine Beleh-
rung mit wenigen Worten oder eine entsprechende Aufklärung hätte vermieden
werden können (vgl. etwa Senatsurteile vom 5. April 1965 - III ZR 11/64, NJW
1965, 1226, 1227; vom 24. Juni 1982 - III ZR 19/81, BGHZ 84, 285, 291; vom
5. Mai 1994 - III ZR 78/93, NJW 1994, 2415, 2417 vom 7. Dezember 1995
- III ZR 141/94, NVwZ 1996, 512, 514; vom 20. Juli 2000 - III ZR 64/99, VersR
2001, 1108, 1110, zusammenfassend Senatsurteil vom 2. Oktober 2003 - III ZR
420/02, VersR 2005, 1730, 1731, jeweils mwN; Staudinger/Wöstmann,
Neubearb. 2013, § 839 Rn. 157 ff).
Unter Zugrundelegung der nach dieser Rechtsprechung zu beachtenden
Grundsätze ist ein maßgeblicher Gesichtspunkt für einen derartigen Amtshaf-
tungsanspruch vor allem, dass der Amtsträger das besondere Interesse des
Betroffenen an der jeweiligen Information und das aus der Verletzung einer
Hinweis- und Aufklärungspflicht resultierende Schadensrisiko erkennt oder je-
denfalls erkennen kann. Daran fehlt es im Streitfall.
Dass den Mitarbeitern des Jugendamts des Beklagten die Unterhaltszah-
lungen des Kindesvaters bekannt gewesen sind, ist weder durch das Beru-
fungsgericht festgestellt worden noch sonst ersichtlich. Auch die Revision stützt
sich nicht auf eine entsprechende dem beklagten Landkreis zurechenbare
Kenntnis bezüglich der Unterhaltszahlungen. Sie meint allerdings, eine Aufklä-
rungspflicht habe sich ab Mai 2004 auf Grund des Umstands ergeben, dass der
Kindesvater auf das Schreiben des Beklagten vom 30. März 2004 seine wirt-
schaftlichen Verhältnisse in einem so genannten Wirtschaftsfragebogen erläu-
tert und dabei einen "Selbstbehalt"
in Höhe von ca. 720 € monatlich erwähnt
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habe. Daraus habe das Jugendamt des beklagten Landkreises erkennen kön-
nen und müssen, dass der Kindesvater Unterhalt für seine beiden Kinder leiste;
dies hätte den sofortigen Hinweis darauf erforderlich gemacht, dass durch die
mittlerweile vollzogene Vollzeitpflege Unterhaltszahlungen hinfällig geworden
seien.
Dem kann nicht gefolgt werden. Allein aus der vom Kindesvater gewähl-
ten Formulierung in dem von ihm ausgefüllten Formular, es liege eine Gehalts-
pfändung bis auf den "Selbsterhalt"
von ca. 720 € vor, konnte nicht ohne weite-
res auf eine Zahlung von Unterhalt an seine beiden in einer Vollzeitpflegestelle
untergebrachten Kinder geschlossen werden. Unabhängig von der Verwendung
des - vom Kindesvater ersichtlich so gemeinten - Begriffs "Selbstbehalt" erga-
ben sich insoweit Unklarheiten im Hinblick darauf, dass er ein weiteres unter-
haltsberechtigtes Kind in seiner Erklärung über seine wirtschaftlichen Verhält-
nisse angegeben hatte. Auch spricht gegen das von der Revision zugrunde ge-
legte Verständnis der Angaben des Kindesvaters, dass in dem Wirtschaftsfra-
gebogen ausdrücklich die Frage nach Unterhaltszahlungen gestellt wurde, die
betragsmäßig aufzuschlüsseln waren, er hierzu jedoch keine Angaben gemacht
hat. Schließlich ergaben sich weitere Zweifel schon deshalb, weil die Kindes-
mutter in ihrem Antrag auf Gewährung von Jugendhilfeleistungen die Unter-
haltszahlungen durch den Kindesvater verschwiegen hatte, obwohl gerade sie
als Empfängerin der Unterhaltsleistungen dazu verpflichtet gewesen wäre. Der
Beklagte ist im Übrigen nach den unklaren Angaben des Kindesvaters auch
nicht gänzlich untätig geblieben, sondern hat ihn mit Schreiben vom 13. April
2004 um Ergänzung seiner Angaben zu der mitgeteilten Pfändung aufgefordert.
Eine Antwort ist jedoch ausgeblieben. Bei dieser Sachlage war für den zustän-
digen Mitarbeiter des Jugendamts nicht ausreichend erkennbar, dass der Kin-
desvater ohne Rechtsgrund weiterhin Unterhalt für seine Kinder und seine ge-
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schiedene Ehefrau zahlt. Nochmalige Nachfragen und Nachforschungen waren
unter den gegebenen Umständen nicht erforderlich, zumal ein Kostenbeitrag im
Hinblick auf die angegebenen wirtschaftlichen Verhältnisse des Kindesvaters
ohnehin nicht festgesetzt worden ist.
Danach ergibt sich entgegen der Auffassung der Revision auch nicht
hinsichtlich der durch den Kindesvater zwischen Mai 2004 und Mai 2006 geleis-
teten Unterhaltszahlungen ein Schadensersatzanspruch gegen den beklagten
Landkreis.
Schlick
Herrmann
Hucke
Remmert
Reiter
Vorinstanzen:
LG Flensburg, Entscheidung vom 15.06.2010 - 2 O 367/08 -
OLG Schleswig, Entscheidung vom 30.07.2013 - 11 U 100/10 -
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