Urteil des BGH vom 21.05.2008

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 238/06
Verkündet
am:
21.
Mai
2008
Heinekamp
Justizhauptsekretär
als
Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB §§ 120, 133 C, VVG § 166
a) Die Erklärung des Versicherungsnehmers gegenüber seinem Lebensversicherer,
ein Dritter sei für die Todesfallleistung bezugsberechtigt, beinhaltet - bezogen auf
das Valutaverhältnis zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Dritten - re-
gelmäßig den konkludenten Auftrag, dem Dritten nach Eintritt des Versicherungs-
falles das Zuwendungsangebot des Versicherungsnehmers zu überbringen.
b) Ob der Dritte die Versicherungsleistung im Verhältnis zu den Erben des Versiche-
rungsnehmers behalten darf, beantwortet grundsätzlich allein des Valutaverhältnis
(Fortführung von BGHZ 157, 79, 82 f. und der Senatsurteile vom 25. April 1975
- IV ZR 63/74 - VersR 1975, 706 unter 1 a; 1. April 1987 - IVa ZR 26/86 - VersR
1987, 659 unter 2).
c) Erlangt der Dritte nach dem Tode des Versicherungsnehmers Kenntnis von seiner
Bezugsberechtigung und fordert er deshalb vom Versicherer die Todesfallleistung,
so wird ihm ein Schenkungsangebot des Versicherungsnehmers nicht schon da-
durch übermittelt, dass der Versicherer Unterlagen zur Prüfung des Sachverhalts
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(hier die Übersendung des Versicherungsscheins und einer Sterbeurkunde) anfor-
dert.
d) Zur Auslegung einer an den Versicherer gerichteten Erklärung, nach deren Wort-
laut die Erben des Versicherungsnehmers allein die im Deckungsverhältnis einge-
räumte Bezugsberechtigung des Dritten anfechten.
e) § 120 BGB ist nicht anzuwenden, wenn der dem Boten erteilte Auftrag vor Über-
mittlung der Erklärung an den Empfänger wirksam widerrufen wurde.
BGH, Urteil vom 21. Mai 2008 - IV ZR 238/06 - OLG Schleswig
LG Flensburg
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsit-
zenden Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Wendt, Felsch und
Dr. Franke auf die mündliche Verhandlung vom 21. Mai 2008
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 3. Zi-
vilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesge-
richts in Schleswig vom 15. August 2006 aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 2. Zivil-
kammer des Landgerichts Flensburg vom 30. März
2005 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren
einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Streit-
helfers der Beklagten.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Todesfallleistung aus einer Lebens-
versicherung.
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Der Ehemann der Beklagten (im Folgenden: Versicherungsneh-
mer) hatte bei der … Lebensversicherung AG (im Folgenden: Versi-
cherer) eine kapitalbildende Lebensversicherung gehalten und zunächst
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der Beklagten und dem im Oktober 2001 geborenen gemeinsamen Sohn
die Bezugsberechtigung für die Todesfallleistung eingeräumt.
Ab Februar 2004 lebte der Versicherungsnehmer mit der Klägerin
in nichtehelicher Lebensgemeinschaft zusammen. Er wollte sich von der
Beklagten scheiden lassen. Mit an den Versicherer gerichtetem Schrei-
ben vom 2. März 2004 widerrief er die ursprüngliche Bezugsberechtigung
und setzte stattdessen die Klägerin als Bezugsberechtigte für die Todes-
fallleistung ein, was ihm der Versicherer mit Schreiben vom 8. März 2004
bestätigte.
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Am Abend des 16. Mai 2004 verließ der Versicherungsnehmer
nach einer Aussprache mit der Klägerin, die sich von ihm trennen wollte,
gegen 22.30 Uhr die gemeinsame Wohnung. Um 22.58 Uhr stürzte er
sich von der über den Nordostseekanal führenden Brücke der Bundesau-
tobahn 23 (Rader Hochbrücke). In derselben Nacht erlag er den dabei
erlittenen inneren Verletzungen.
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Nach Sichtung der Versicherungsunterlagen wies der Vater des
Versicherungsnehmers die Klägerin im Laufe des 17. Mai 2004 auf ihre
Bezugsberechtigung für die Todesfallleistung hin. Die Klägerin beauf-
tragte ihn daraufhin, diese gegenüber dem Versicherer geltend zu ma-
chen. In einem vom Vater noch am selben Tage mit dem Versicherer ge-
führten Telefonat forderte der zuständige Sachbearbeiter zunächst die
Übersendung der Versicherungspolice und einer Sterbeurkunde. Letztere
wurde dem Versicherer vom Vater des Versicherungsnehmers am
28. Mai 2004 zugestellt.
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Die Beklagte und ihr Sohn sind aufgrund gesetzlicher Erbfolge je
zur Hälfte Erben des Versicherungsnehmers. Mit anwaltlichem Schreiben
vom 19. Mai 2004 wandte sich der Streithelfer der Beklagten in deren
Auftrag an den Versicherer. Wörtlich heißt es darin unter anderem:
"Hiermit fechte ich die rechtsgeschäftliche Erklärung des
[Versicherungsnehmers], mit welcher dieser [die Klägerin]
als Begünstigte seiner Lebensversicherung eingesetzt hat,
im Namen meiner Mandantin an.
Das Recht zur Anfechtung steht meiner Mandantin als Er-
bin und Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehegatten
zu. …
Ob Sie die Lebensversicherungssumme an [die Klägerin]
zur Auszahlung bringen, steht natürlich in Ihrem Ermessen.
Allerdings besteht das Risiko einer zweiten Inanspruch-
nahme. Sollte die Abänderung der Begünstigung wegen der
Anfechtung oder wegen Geschäftsunfähigkeit nichtig sein,
so wird meine Mandantin auf ihre Rechte aus dem Lebens-
versicherungsvertrag bestehen."
Das Schreiben erreichte den Versicherer spätestens am 25. Mai
2004. Dieser wies die Beklagte mit Schreiben vom 16. Juni 2004 darauf
hin, dass er sich für verpflichtet halte, die Versicherungsleistung an die
Klägerin auszuzahlen, weil deren Bezugsberechtigung durch den Versi-
cherungsfall unwiderruflich geworden sei und er der Klägerin zudem mit
Schreiben vom 9. Juni 2004 das Schenkungsangebot des Versiche-
rungsnehmers überbracht habe. Dennoch hinterlegte der Versicherer die
Versicherungssumme sodann beim Amtsgericht Wiesbaden unter Ver-
zicht auf das Recht zur Rücknahme.
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Mit Klage und Widerklage fordern die Parteien wechselseitig die
Freigabe des hinterlegten Betrages. Unter Abweisung des jeweils entge-
gengerichteten Begehrens haben das Landgericht der Widerklage und
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das Berufungsgericht der Klage stattgegeben. Mit der Revision erstrebt
der Streithelfer der Beklagten die Wiederherstellung des landgerichtli-
chen Urteils.
Entscheidungsgründe:
Das Rechtsmittel hat Erfolg.
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I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht der Klägerin die
Todesfallleistung aus der Lebensversicherung zu.
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Der
Versicherungsnehmer habe sie noch zu Lebzeiten nach § 166
VVG zur Bezugsberechtigten bestimmt. Nach der Bestätigung durch den
Versicherer sei insoweit ein Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall
zustande gekommen, kraft dessen die Klägerin im Zeitpunkt des Todes
des Versicherungsnehmers außerhalb des Erbganges einen unmittelba-
ren, unwiderruflichen Anspruch gegen den Versicherer auf Auszahlung
der Versicherungsleistung erworben habe. Dieses mit dem Eintritt des
Versicherungsfalls unentziehbare Recht der Klägerin habe durch rechts-
geschäftliche Erklärungen der Erben des Versicherungsnehmers nicht
mehr entfallen können.
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Die Zuwendung der Todesfallleistung sei auch nicht ohne Rechts-
grund erfolgt. Vielmehr bestehe ein Valutaverhältnis zwischen dem ver-
storbenen Versicherungsnehmer, bzw. seinen Erben, und der Klägerin,
welches allein dafür entscheidend sei, dass sie die ihr im versicherungs-
rechtlichen Deckungsverhältnis zugewendete Leistung auch behalten
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dürfe. Mangels Anhaltspunkten für einen anderen Rechtsgrund spreche
nach der Lebenserfahrung regelmäßig eine Vermutung dafür, dass ein
Versicherungsnehmer mit der Einräumung der Bezugsberechtigung die
davon erfasste Versicherungsleistung dem Begünstigten schenken wolle.
So sei es auch hier.
Zwar sei der Schenkungsvertrag zwischen der Klägerin und dem
Versicherungsnehmer nicht zu dessen Lebzeiten geschlossen worden,
letzterer habe jedoch bei Änderung der Bezugsberechtigung den Versi-
cherer zugleich damit beauftragt, der nunmehr begünstigten Klägerin das
entsprechende Schenkungsangebot zu übermitteln. Wenngleich Beden-
ken gegen die Annahme der Klägerin bestünden, die Schenkung sei be-
reits unter Vermittlung des Vaters des Versicherungsnehmers am 17. Mai
2004 zustande gekommen, habe der Versicherer ihr jedenfalls mit dem
Schreiben vom 9. Juni 2004 ein wirksames Schenkungsangebot über-
bracht, das sie stillschweigend angenommen habe. Da der Rechtserwerb
im Deckungsverhältnis mit dem Versicherungsfall unwiderruflich einge-
treten sei, sei die Schenkung auch wirksam vollzogen und scheitere mit-
hin nicht an der Formvorschrift des § 518 Abs. 1 BGB.
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Mit dem Anwaltsschreiben vom 19. Mai 2004 hätten die Erben des
Versicherungsnehmers dessen Auftrag an den Versicherer zur Übermitt-
lung des Schenkungsangebots nicht widerrufen. Das Schreiben beziehe
sich seinem klaren Wortlaut nach allein auf die im Deckungsverhältnis
mit Schreiben vom 2. März 2004 eingeräumte Bezugsberechtigung. Al-
lein darauf sei die Anfechtungserklärung gerichtet. Irgendwelche Erklä-
rungen zum Widerruf eines dem Versicherer erteilten Botenauftrages
enthalte das Schreiben dagegen nicht.
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Im Übrigen sei der Klägerin mit Schreiben vom 9. Juni 2004 selbst
dann ein wirksames Schenkungsangebot unterbreitet worden, wenn das
Schreiben vom 19. Mai 2004 einen konkludenten Widerruf des Botenauf-
trages enthalten hätte. Denn nach §§ 120, 130 Abs. 1 Satz 2 BGB trage
der Erklärende das Risiko der falschen Übermittlung einer Willenserklä-
rung durch einen Boten, solange - wie hier nicht - dem Erklärungsgegner
nicht vor oder zeitgleich mit der Übermittlung ein Widerruf des Erklären-
den zugehe. Eine bewusste Falschübermittlung liege angesichts der Un-
klarheit des Anwaltsschreibens vom 19. Mai 2004 nicht vor.
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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Im Streit zweier Forderungsprätendenten über die Auszahlung hin-
terlegten Geldes steht dem wirklichen Rechtsinhaber gegen den anderen
Prätendenten ein bereicherungsrechtlicher Anspruch auf Einwilligung in
die Herausgabe zu, denn letzterer hat auf Kosten des wahren Gläubigers
rechtsgrundlos die Stellung eines Hinterlegungsbeteiligten erlangt (BGH,
Urteil vom 15. Oktober 1999 - V ZR 141/98 - NJW 2000, 291 unter V 1 a
m.w.N.). Wer wirklicher Rechtsinhaber ist, entscheidet das materielle
Recht. Danach kann die Klägerin hier ungeachtet ihrer im Versiche-
rungsverhältnis begründeten Stellung als Bezugsberechtigte für die To-
desfallleistung von der Beklagten die Freigabe der hinterlegten Todes-
fallleistung aus der Lebensversicherung des verstorbenen Ehemannes
der Beklagten nicht verlangen. Stattdessen stand der aus der Beklagten
und ihrem Sohn bestehenden Erbengemeinschaft nach dem verstorbe-
nen Versicherungsnehmer der Anspruch auf die Versicherungsleistung
gegen den Versicherer zu, von dem sich dieser durch Hinterlegung be-
freit hat (§ 378 BGB).
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Nach § 2039 BGB ist die Beklagte als Miterbin befugt, den Freiga-
beanspruch im eigenen Namen mit dem Ziel einer Leistung an alle Erben
geltend zu machen.
1. Wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, ist bei Ver-
fügungen unter Lebenden zugunsten Dritter auf den Todesfall zwischen
dem Deckungsverhältnis - hier dem im Rahmen des Lebensversiche-
rungsvertrages abgeschlossenen Vertrag zugunsten der Klägerin
(§§ 328, 331 BGB), kraft dessen ihr das Bezugsrecht für die Todesfall-
leistung eingeräumt wurde - und dem Zuwendungsverhältnis (Valutaver-
hältnis) zwischen dem Verfügenden und dem Begünstigten (der Klägerin)
zu unterscheiden. Beide Rechtsverhältnisse unterliegen sowohl hinsicht-
lich der durch sie begründeten Rechtsbeziehungen als auch mit Blick auf
die Anfechtung von Willenserklärungen dem Schuldrecht. Erbrechtliche
Bestimmungen finden insoweit keine Anwendung (vgl. dazu BGHZ 157,
79, 82 f. m.w.N.; Senatsurteile vom 30. Oktober 1974 - IV ZR 172/73 -
NJW 1975, 382, 383 jeweils für eine Bankanweisung; vom 14. Juli 1976
- IV ZR 123/75 - WM 1976, 1130 unter I für die Zuwendung von Wertpa-
piererlösen mittels Anweisung an eine Bank; vom 25. April 1975 - IV ZR
63/74 - VersR 1975, 706 unter 1 a; vom 1. April 1987 - IVa ZR 26/86 -
VersR 1987, 659 unter 2; OLG Hamm NJW-RR 2002, 1605 jeweils für die
Bezugsberechtigung aus einer Lebensversicherung).
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a) Die von einem Verstorbenen zu Lebzeiten begründete Bezugs-
berechtigung für die Todesfallleistung aus einer Lebensversicherung
verschafft dem Begünstigten im Versicherungsfall eine im Deckungsver-
hältnis jedenfalls insoweit unentziehbare Rechtsstellung, als die Erben
des Versicherungsnehmers die Bezugsberechtigung nicht mehr ändern
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oder widerrufen können (Senatsurteil vom 14. Juli 1993 - IV ZR 242/92 -
VersR 1993, 1219 unter 4).
b) Ob der von einer Bezugsberechtigung Begünstigte die Versiche-
rungsleistung im Verhältnis zu den dem Versicherungsnehmer nachfol-
genden Erben behalten darf, beantwortet grundsätzlich allein das Valu-
taverhältnis. § 2301 BGB ist insoweit nicht anzuwenden (BGHZ aaO
S. 82). Als Valutaverhältnis kommt hier, wie das Berufungsgericht unan-
gegriffen festgestellt hat, allein eine Schenkung in Betracht. Die Erklä-
rung des Versicherungsnehmers gegenüber dem Versicherer, es werde
der Klägerin eine Bezugsberechtigung für die Todesfallleistung einer Le-
bensversicherung eingeräumt, ist - bezogen auf das Valutaverhältnis -
zugleich als konkludenter Auftrag an den Lebensversicherer zu verste-
hen, ihr nach Eintritt des Versicherungsfalles das Schenkungsangebot
des Versicherungsnehmers zu überbringen.
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Ein insoweit mit Botendiensten beauftragter Versicherer erfüllt die-
sen Auftrag in der Regel durch Auszahlung der Versicherungssumme an
den Begünstigten, weil darin konkludent das Schenkungsangebot des
verstorbenen Versicherungsnehmers zum Ausdruck kommt. Dieses An-
gebot kann der Begünstigte durch Annahme des Geldes konkludent an-
nehmen (vgl. für eine Bankanweisung: Senatsurteil vom 30. Oktober
1974 aaO).
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2. Im hier zu entscheidenden Fall ist ein wirksamer Schenkungs-
vertrag zwischen dem Versicherungsnehmer und der Klägerin allerdings
nicht zustande gekommen.
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a) Das Telefonat, das der Vater des Versicherungsnehmers im
Auftrage der Klägerin am 17. Mai 2004 mit einem Sachbearbeiter des
Versicherers geführt hat, konnte einen solchen Vertragsschluss noch
nicht herbeiführen. Zwar mag der Vater in Kenntnis der Bezugsberechti-
gung der Klägerin dem Versicherer bereits an diesem Tage deren Bereit-
schaft, die Versicherungssumme entgegenzunehmen, mitgeteilt und so
konkludent bereits im Voraus die Annahme der erwarteten Angebots-
übermittlung durch den Versicherer erklärt haben. Auch bestehen keine
rechtlichen Bedenken dagegen, dass eine wirksame Annahme bereits
vor Abgabe des entsprechenden Angebots erklärt werden kann (vgl. da-
zu BGHZ 149, 129, 134). Jedenfalls konnte ein Schenkungsvertrag erst
dann zustande kommen, wenn seitens des Versicherers am 17. Mai 2004
ein inhaltlich mit der Annahmeerklärung übereinstimmendes Schen-
kungsangebot des Versicherungsnehmers übermittelt worden wäre.
aa) Der Versicherer hat der Klägerin das Schenkungsangebot des
verstorbenen Versicherungsnehmers am 17. Mai 2004 noch nicht unter-
breitet. Er hat weder die Versicherungssumme ausgezahlt noch ander-
weitig eine Erklärung des Versicherungsnehmers übermittelt. Vielmehr
hat er lediglich Belege zur Prüfung des seitens der Klägerin erhobenen
Anspruchs (Versicherungspolice, Sterbeurkunde) angefordert. Er hat
damit zum Ausdruck gebracht, dass er erst nach Prüfung der Sachlage
bereit war, weitere Erklärungen zu übermitteln (vgl. Senatsurteil vom
14. Juli 1976 - IV ZR 123/75 - WM 1976, 1130 unter II 3). Dass er sein
Verhalten noch nicht als Übermittlung des Schenkungsangebots verstan-
den wissen wollte, zeigt auch der Umstand, dass er dieses Angebot der
Klägerin erst mit Schreiben vom 9. Juni 2004 übersandt hat. Soweit die
Revisionserwiderung behauptet, der Vater des Versicherungsnehmers
habe als Empfangsbote der Klägerin das Schenkungsangebot bereits am
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17. Mai 2004 vom Versicherer unterbreitet bekommen, findet dies im bis-
herigen Vortrag der Klägerin keine Stütze.
bb) Die Klägerin hat sich außerdem darauf berufen, sie habe am
17. Mai 2004 durch den Vater des Versicherungsnehmers von ihrer Be-
zugsberechtigung erfahren. Das ersetzt die Übermittlung des Schen-
kungsangebots an die Klägerin aber nicht (vgl. dazu BGH, Urteil vom
11. Mai 1979 - V ZR 177/77 - NJW 1979, 2032 unter II 1).
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3. Das Schenkungsangebot des Versicherungsnehmers hat der
Versicherer der Klägerin erst mit Schreiben vom 9. Juni 2004 übersandt.
Ein wirksamer Schenkungsvertrag konnte hierdurch nicht mehr begrün-
det werden. Denn die Beklagte hatte mit anwaltlichem Schreiben ihres
Streithelfers vom 19. Mai 2004 den dem Versicherer erteilten Übermitt-
lungsauftrag widerrufen. Da die Beklagte das alleinige Sorgerecht für
den einzigen Miterben neben ihr, ihren minderjährigen Sohn, ausübt, be-
stehen auch keine rechtlichen Bedenken gegen die Annahme, dass sie
bei Beauftragung des Streithelfers zugleich als gesetzliche Vertreterin ih-
res Sohnes und mithin für alle Erben handelte.
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Die Auslegung des Schreibens durch das Berufungsgericht ist, so-
weit dieses einen Widerruf des Botenauftrags verneint, rechtsfehlerhaft.
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a) Zwar unterliegt die tatrichterliche Auslegung rechtsgeschäftli-
cher Willenserklärungen einer nur eingeschränkten Revisionskontrolle,
die lediglich prüft, ob gesetzliche Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB)
oder Verfahrensvorschriften verletzt, Denk- oder Erfahrungssätze miss-
achtet und vom Tatrichter selbst festgestellte, entscheidungserhebliche
Tatsachen nicht gebührend berücksichtigt worden sind (vgl. dazu BGHZ
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24, 39, 41; BGH, Urteile vom 25. Februar 1992 - X ZR 88/90 - VersR
1993, 593 unter II 3 a m.w.N.; vom 8. Dezember 1989 - V ZR 53/88 -
NJW-RR 1990, 455 unter 2 m.w.N.; Gummer in Zöller, ZPO 26. Aufl.
§ 546 Rdn. 9). Doch auch gemessen daran kann das Berufungsurteil
keinen Bestand haben.
Das Schreiben vom 19. Mai 2004 enthält eine einseitige Willenser-
klärung. Insofern gilt § 133 BGB, wonach "der wirkliche Wille des Erklä-
renden zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Aus-
drucks zu haften ist." Gegen diese Auslegungsregel hat das Berufungs-
gericht verstoßen. Der Tatrichter hat eine einseitige, empfangsbedürftige
Willenserklärung so auszulegen, wie der Erklärungsempfänger sie nach
Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte von sei-
nem Empfängerhorizont aus verstehen musste (vgl. dazu die Rechtspre-
chungsnachweise bei Heinrichs/Ellenberger in Palandt, BGB 67. Aufl.
§ 133 Rdn. 9; BGHZ 157, 79, 83). Innerhalb dieses normativen Rahmens
kommt es darauf an, was der Erklärende gewollt und inwieweit er seinen
Willen für den Erklärungsempfänger erkennbar zum Ausdruck gebracht
hat. Der Empfänger darf der Erklärung dabei nicht einfach den für ihn
günstigsten Sinn beilegen, sondern muss unter Berücksichtigung aller
ihm bekannten Umstände mit gehöriger Aufmerksamkeit prüfen, was der
Erklärende gemeint hat (vgl. dazu Senatsurteil vom 12. Februar 1981
- IVa ZR 103/80 - NJW 1981, 2295 unter II 3; Heinrichs/Ellenberger
aaO). Das gilt insbesondere dann, wenn - wie hier - erkennbar eine von
zwei möglichen Auslegungen für den Erklärenden wirtschaftlich wenig
Sinn macht.
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Das Berufungsgericht hat entgegen § 133 BGB von vorn herein
den Wortlaut des Anwaltsschreibens in den Mittelpunkt seiner Betrach-
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tung gestellt. Es hat nicht danach gefragt, welchen Willen der Streithelfer
namens der Beklagten kundtun wollte und sich damit den Blick dafür ver-
stellt, dass dieser Wille darauf gerichtet war, umfassend zu verhindern,
dass die Klägerin in den Genuss der Versicherungsleistung kommt. Ein
nur begrenzter Erklärungswille dahingehend, dass zwar im Deckungs-
verhältnis die Bezugsberechtigung für die Todesfallleistung mittels An-
fechtung beseitigt werden, es aber gleichwohl bei dem Auftrag bleiben
sollte, der Klägerin die Versicherungsleistung schenkweise anzubieten,
wäre in sich widersprüchlich gewesen. Es besteht kein Grund zu der An-
nahme, dass der Versicherer das Schreiben so verstehen konnte. Denn
der Lebensversicherer verfügte hier über besondere Kenntnisse tatsäch-
licher und rechtlicher Art, die er im Bemühen um das Verständnis des
Schreibens vom 19. Mai 2004 einzusetzen verpflichtet war. Zum einen
war er - anders als der verstorbene Versicherungsnehmer und die Par-
teien - mit der rechtlichen Problematik der Zuwendung einer Todesfall-
leistung mittels Bezugsberechtigung und insbesondere der Trennung von
Deckungs- und Valutaverhältnis vertraut. Er hatte infolge dieser beson-
deren Rechtskenntnis bereits das Schreiben des Versicherungsnehmers
vom März 2004, in welchem die Änderung der Bezugsberechtigung zu-
gunsten der Klägerin erklärt worden war, zutreffend als gleichzeitig kon-
kludent erteilten Auftrag verstanden, im Versicherungsfalle das mit der
Bezugsrechtsänderung verbundene Schenkungsangebot des Versiche-
rungsnehmers an die Klägerin weiterzuleiten. Das ergibt sich schon dar-
aus, dass er der Klägerin im Juni 2004 tatsächlich ein solches Angebot
unterbreitete.
Schon wegen dieses zutreffenden Vorverständnisses der Erklärung
des Versicherungsnehmers war der Versicherer ebenso in der Lage zu
erkennen, dass auch die Erben des Versicherungsnehmers, soweit sie
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am 19. Mai 2004 lediglich eine Erklärung abgaben, die ihrem Wortlaut
nach auf eine vollständige Beseitigung der Bezugsberechtigung der Klä-
gerin gerichtet war, damit konkludent auch auf das Valutaverhältnis ziel-
ten und den ursprünglich vom Versicherungsnehmer ebenfalls nur kon-
kludent erteilten Übermittlungsauftrag für das Schenkungsangebot wider-
rufen wollten. Insbesondere konnte der Versicherer erkennen, dass dem
unmissverständlichen Willen der Erben, eine Zuwendung der Versiche-
rungssumme an die Klägerin zu unterbinden, vor allem dadurch Geltung
verschafft werden konnte, dass das Schenkungsangebot an die Klägerin
unterblieb. Soweit sich das Berufungsgericht darauf stützt, die Beklagte
habe selbst eingeräumt, ihr sei die rechtliche Problematik des Valutaver-
hältnisses (und des zu seiner Begründung dem Versicherer erteilten Auf-
trags) nicht bewusst gewesen, unterscheidet sich ihr Bewusstsein nicht
von demjenigen, welches Versicherungsnehmer bei Änderung einer Be-
zugsberechtigung regelmäßig haben. Auch ihnen ist die rechtliche Prob-
lematik des erst unter Vermittlung des Versicherers zu schaffenden Valu-
taverhältnisses (meist einer Schenkung) nicht bewusst, was die Versi-
cherer aber infolge ihrer überlegenen Rechtskenntnisse regelmäßig nicht
daran hindert, solche Erklärungen zugleich als konkludenten Botenauf-
trag zu verstehen.
Das Berufungsgericht hat insoweit für die Rücknahme des Boten-
auftrags strengere Maßstäbe aufgestellt als für dessen Begründung. Das
erscheint angesichts des identischen, rechtlich versierten Erklärungs-
empfängers widersprüchlich, zumal das Berufungsgericht zwar dem
Wortlaut des Schreibens vom 19. Mai 2004 keine Hinweise auf einen Wi-
derruf des Übermittlungsauftrages entnehmen konnte, andererseits aber
einen solchen Widerruf mit Blick auf die Rechtslage als nahe liegend be-
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zeichnet. Auch das belegt, dass dem Wortlaut des Schreibens entgegen
§ 133 BGB ein zu großes Gewicht beigemessen worden ist.
b) Die Hilfserwägung des Berufungsgerichts, es komme auf einen
möglichen Widerruf des Auftrags durch die Erben gar nicht an, weil das
Risiko unrichtiger Übermittlung einer Nachricht durch einen Boten nach
§ 120 BGB ohnehin der Erklärende bzw. hier seine Erben, trügen, trifft
nicht zu. Ein Fall der falschen Übermittlung einer Willenserklärung im
Sinne von § 120 BGB liegt hier nicht vor, weil der Auftrag zur Überbrin-
gung des Schenkungsangebots vor dessen Abgabe wirksam widerrufen
wurde. Der Versicherer hat dies bei seinem Schreiben an die Klägerin
vom 9. Juni 2004 nicht beachtet.
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Die Gleichstellung einer falschen Übermittlung durch einen Boten
mit einem Irrtum des Erklärenden in § 120 BGB beschränkt sich nach
herrschender Meinung auf Fälle, in denen ein Bote die von ihm zu über-
bringende Erklärung unbewusst verändert. Nur dann erscheint es ge-
rechtfertigt, den Erklärenden, der den Boten als Übermittlungshilfe ein-
setzt, für das damit übernommene Risiko haften zu lassen (vgl. zum
Meinungsstand Staudinger/Singer, BGB [2004] § 120 Rdn. 1, 2; Palandt/
Heinrichs/Ellenberger, BGB 67. Aufl. § 120 Rdn. 4; Gruber in juris-PK-
BGB Buch 1, 3. Aufl. 2006 § 120 Rdn. 10; OLG Koblenz BB 1994, 819,
820; OLG Oldenburg NJW 1978, 951, 952). Teilweise wird zwar gefor-
dert, die Haftung des Erklärenden auch auf die Fälle zu erstrecken, in
denen der Bote die ihm anvertraute Erklärung bewusst oder sogar ab-
sichtlich verändert, weil sich auch dies noch im Rahmen des vom Absen-
der übernommenen Risikos bewege (Staudinger/Singer aaO;
MünchKomm-BGB/Kramer, 5. Aufl. § 120 Rdn. 4; Marburger AcP 173,
137 ff.). Einigkeit besteht aber darüber, dass § 120 BGB jedenfalls dann
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keine Anwendung findet, wenn der Bote vom angeblich Erklärenden
überhaupt nicht beauftragt worden ist oder - wie hier - der Übermitt-
lungsauftrag noch vor Weiterleitung der Willenserklärung widerrufen
worden ist (Staudinger/Singer aaO; Gruber aaO; OLG Koblenz aaO).
Dem schließt sich der Senat an. Ist § 120 BGB auf das am 9. Juni
2004 übermittelte Angebot nicht anzuwenden, so kann im Weiteren offen
bleiben, ob - wie vielfach angenommen wird (OLG Oldenburg aaO; Pa-
landt/Heinrichs/Ellenberger aaO; Palandt/Heinrichs aaO § 177 Rdn. 2;
Staudinger/Singer aaO jeweils m.w.N.) - analog § 177 Abs. 1 BGB eine
schwebend unwirksame Erklärung im Raume stand (die die Erben des
Versicherungsnehmers hier nicht genehmigt haben), oder ob überhaupt
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keine dem Erklärenden zurechenbare Willenserklärung vorlag (OLG Kob-
lenz aaO; Gruber aaO Rdn. 11). Ein Schenkungsvertrag ist in keinem
Falle zustande gekommen.
Terno Dr. Schlichting Wendt
Felsch Dr. Franke
Vorinstanzen:
LG Flensburg, Entscheidung vom 30.03.2005 - 2 O 392/04 -
OLG Schleswig, Entscheidung vom 15.08.2006 - 3 U 45/05 -