Urteil des BGH vom 10.10.2013

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZB 181/12
vom
10. Oktober 2013
in dem Zwangsversteigerungsverfahren
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO § 139
Die zivilprozessuale Hinweispflicht gemäß § 139 ZPO gilt auch im Verfahren nach
dem Zwangsversteigerungsgesetz. Sie erfordert aber nicht allgemeine Ausführungen
über die Rechte der Beteiligten, sondern kommt in erster Linie zum Tragen, wenn
das Gericht Anlass zu der Annahme hat, dass ein Beteiligter die Rechtslage falsch
einschätzt und ihm deshalb ein Rechtsnachteil droht.
BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2013 - V ZB 181/12 - LG Karlsruhe
AG Bruchsal
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Oktober 2013 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, den Richter Dr. Czub, die Richterinnen
Dr. Brückner und Weinland und den Richter Dr. Kazele
beschlossen:
Den Beteiligten zu 4 und 5 wird für das Rechtsbeschwerdeverfah-
ren unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. von Plehwe Prozess-
kostenhilfe bewilligt.
Auf die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 2 wird der Beschluss
der
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Zivilkammer
des
Landgerichts
Karlsruhe
vom
18. September 2012 aufgehoben.
Die Beschwerden der Beteiligten zu 4 und 5 gegen den Zu-
schlagsbeschluss des Amtsgerichts Bruchsal vom 26. März 2012
werden zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
113.000 € für die Gerichtsgebühren, 164.743,83 € für die anwaltli-
che Vertretung der Beteiligten zu 2 und 170.000 € für die anwaltli-
che Vertretung der Beteiligten zu 4 und 5.
Gründe:
I.
Die Beteiligten zu 4 und 5 (fortan: der Schuldner und die Schuldnerin)
sind hälftige Miteigentümer des im Beschlusseingang bezeichneten Grund-
stücks, das mit einem Einfamilienhaus bebaut ist. Auf Antrag des Beteiligten zu
1 ordnete das Amtsgericht im Oktober 2009 die Zwangsversteigerung des Mit-
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eigentumsanteils des Schuldners an. Die Beteiligte zu 2 trat dem Verfahren bei.
Mit Beschluss vom 18. Mai 2010 wurde über das Vermögen des Schuldners
das Insolvenzverfahren eröffnet. Am 27. Oktober 2010 wurde der im Grundbuch
eingetragene Insolvenzvermerk wieder gelöscht.
Auf Antrag der Beteiligten zu 2 ordnete das Amtsgericht im August 2010
auch die Zwangsversteigerung des Miteigentumsanteils der Schuldnerin an. Die
Verfahren der beiden Schuldner wurden miteinander verbunden.
In dem Versteigerungstermin vom 26. März 2012, in dem nur der
Schuldner, nicht aber die Schuldnerin anwesend war, hat die Beteiligte zu 2
beantragt, die beiden Miteigentumshälften gemeinsam unter Verzicht auf Ein-
zelausgebote auszubieten. Nachdem der Schuldner dem Antrag zugestimmt
hatte, hat das Amtsgericht beschlossen, dass die Versteigerung der Miteigen-
tumshälften nur im Gesamtausgebot erfolgt. Dem meistbietenden Beteiligten zu
6 ist der Zuschlag erteilt worden. Auf die sofortige Beschwerde der Schuldner
hat das Landgericht den Zuschlagsbeschluss aufgehoben und dem Beteiligten
zu 6 den Zuschlag versagt. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt
die Beteiligte zu 2 die Wiederherstellung der Entscheidung des Amtsgerichts.
II.
Nach Auffassung des Beschwerdegerichts ist der Zuschlag nach § 83
Nr. 6 ZVG zu versagen. Der Verzicht des Schuldners auf Einzelausgebote be-
ruhe auf einer Verletzung der dem Vollstreckungsgericht obliegenden Hinweis-
und Aufklärungspflicht, da es ihn nicht auf den gesetzlichen Grundsatz des Ein-
zelausgebots hingewiesen habe. Das Zwangsversteigerungsgesetz räume der
Einzelausbietung den Vorrang ein, weil ein bestmöglicher Verwertungserlös
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regelmäßig nur unter Beibehaltung auch des Einzelausgebots zu erwarten sei.
Der Schuldner habe daher auf ein ihm nach der gesetzlichen Regelung grund-
sätzlich zustehendes Recht verzichtet. Über diese rechtliche Wirkung seines
Verzichts sei er nicht aufgeklärt worden.
III.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Die
nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige
(§ 575 ZPO) Rechtsbeschwerde ist begründet.
1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde geht das Beschwer-
degericht allerdings zu Recht davon aus, dass der Schuldner gemäß § 97
Abs. 1 ZVG i.V.m. § 9 ZVG beschwerdeberechtigt ist.
Zwar wurde im Laufe des Zwangsversteigerungsverfahrens über das
Vermögen des Schuldners das Insolvenzverfahren eröffnet. Dies hat grundsätz-
lich die Folge, dass das Verwaltungs- und Verfügungsrecht gemäß § 80 Abs. 1
InsO auf den Insolvenzverwalter übergeht und der Schuldner die ihm zustehen-
den Rechtsbehelfe nicht mehr selbst einlegen kann (Senat, Beschluss vom
18. Oktober 2007 - V ZB 141/06, NJW-RR 2008, 360, 361; Beschluss vom
29. Mai 2008 - V ZB 3/08, WM 2008, 1789, 1790). Der im Grundbuch eingetra-
gene Insolvenzvermerk ist einige Monate später aber, wie das Grundbuchamt
dem Vollstreckungsgericht unter Vorlage eines Grundbuchauszugs mitgeteilt
hat, gelöscht worden. Rechtsfehlerfrei nimmt das Beschwerdegericht an, dass
der Schuldner damit die Befugnis zur Verwaltung und Verfügung über den Mit-
eigentumsanteil an dem Grundstück wiedererlangt hat und erneut Beteiligter im
Sinne von § 9 ZVG war. Denn der Insolvenzvermerk wird gelöscht, wenn ein
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zur Insolvenzmasse gehörender, im Grundbuch eingetragener Vermögensge-
genstand aus der beschlagnahmten Masse - sei es durch Freigabe oder Ver-
äußerung eines einzelnen Gegenstandes durch den Verwalter (§ 32 Abs. 3
InsO) oder durch allgemeine Aufhebung des Insolvenzbeschlags - ausscheidet
(MünchKomm-InsO/Schmahl/Busch, 3. Aufl., § 33 Rn. 76, 79; Uhlenbruck,
InsO, 13. Aufl., § 32 Rn. 25).
2. Rechtsfehlerhaft ist dagegen die Annahme des Beschwerdegerichts,
das Vollstreckungsgericht habe seine Hinweispflicht verletzt.
a) Bei der Versteigerung waren Einzelausgebote auf die beiden hälftigen
Miteigentumsanteile der Schuldner ausgeschlossen worden. Das ist, wie das
Beschwerdegericht zutreffend ausführt, nur zulässig, wenn die anwesenden
Beteiligten, deren Rechte bei der Feststellung des geringsten Gebots nicht zu
berücksichtigen sind, auf die Einzelausgebote nach § 63 Abs. 4 ZVG verzichtet
haben; dies gilt auch, wenn es sich - wie hier - um ein Grundstück handelt, das
mit einem einheitlichen Bauwerk bebaut ist, § 63 Abs. 1 Satz 2 ZVG (Senat,
Beschluss vom 1. Juli 2010 - V ZB 94/10, NJW-RR 2010, 1458). Nach den
Feststellungen des Beschwerdegerichts lag der erforderliche Verzicht der Betei-
ligten, insbesondere auch der des Schuldners vor.
b) Zu Unrecht meint das Beschwerdegericht aber, die Rechtspflegerin
habe den Schuldner im Zusammenhang mit dem von ihm erklärten Verzicht auf
Einzelausgebote nicht hinreichend aufgeklärt.
Zwar gilt die zivilprozessuale Hinweispflicht gemäß § 139 ZPO auch im
Verfahren nach dem Zwangsversteigerungsgesetz. Sie erfordert aber nicht all-
gemeine Ausführungen über die Rechte der Beteiligten, sondern kommt in ers-
ter Linie zum Tragen, wenn das Gericht Anlass zu der Annahme hat, dass ein
Beteiligter die Rechtslage falsch einschätzt und ihm deshalb ein Rechtsnachteil
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droht (vgl. BVerfG, NJW-RR 2012, 302 Rn. 28; NJW-RR 2005, 936, 937). Für
eine Aufklärung des Schuldners über die rechtliche Wirkung seiner Zustimmung
zu dem Antrag der Beteiligten zu 2, die beiden Miteigentumshälften nur ge-
meinsam unter Verzicht auf Einzelausgebote auszubieten, bestand hiernach
kein Anlass. Den Feststellungen des Beschwerdegerichts lässt sich nicht ent-
nehmen, dass dem Vollstreckungsgericht Anhaltspunkte vorlagen, die darauf
hindeuteten, dem Schuldner könnte der Unterschied zwischen einem Einzel-
ausgebot und einem Gesamtausgebot nicht bekannt gewesen sein oder er
könnte sich darüber im Unklaren gewesen sein, dass seine Zustimmung zu
dem Antrag der Beteiligten zu 2 das Unterbleiben eines Einzelausgebots zur
Folge hat. Ebenso wenig ergibt sich aus den Feststellungen des Beschwerde-
gerichts, dass der Schuldner irrtümlich davon ausging, seine auf Nachfrage des
Vollstreckungsgerichts ausdrücklich erklärte Zustimmung zu einem Verzicht auf
ein Einzelausgebot sei rechtlich unbeachtlich, und dass er daher über die Wir-
kungen eines Verzichts hätte aufgeklärt werden müssen. Soweit das Be-
schwerdegericht meint, das Vollstreckungsgericht müsse einen Schuldner dar-
über aufklären, dass das Zwangsversteigerungsgesetz vom Vorrang der Ein-
zelausbietung ausgehe - mithin ein Verzicht auf ein Einzelausgebot ein Abwei-
chen von diesem Grundsatz bedeute -, überspannt es die Aufklärungsanforde-
rungen. Das Vollstreckungsgericht muss dem Schuldner vor Abgabe einer Ver-
zichtserklärung i.S.d. § 63 Abs. 4 ZVG nicht die Systematik der gesetzlichen
Regelung erläutern.
IV.
Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht. Die Beteiligten in dem Verfah-
ren über die Zuschlagsbeschwerde stehen sich grundsätzlich nicht als Parteien
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im Sinne der Zivilprozessordnung gegenüber (Senat, Beschluss vom 14. Juli
2011 - V ZB 25/11, juris Rn. 11, insoweit nicht abgedruckt in NJW-RR 2011,
1434; Beschluss vom 25. Januar 2007 - V ZB 125/05, BGHZ 170, 378, 381
Rn. 7 mwN).
Der Gegenstandswert bestimmt sich nach dem Wert des Zuschlags § 54
Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG. Die Wertfestsetzung für die Vertretung
der Beteiligten beruht auf § 26 Nr. 1 RVG (Beteiligte zu 2) bzw. auf § 26 Nr. 2
RVG (Beteiligte zu 4 und 5).
Stresemann
Czub
Brückner
Weinland
Kazele
Vorinstanzen:
AG Bruchsal, Entscheidung vom 26.03.2012 - 3 K 114/09 -
LG Karlsruhe, Entscheidung vom 18.09.2012 - 11 T 199/12 -
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