Urteil des BGH vom 27.03.2014

BGH: aussetzen, beendigung, wiederherstellung, verfahrensbeteiligter, verfügung, einzelrichter, übertragung, zwangsvollstreckung, post, telekommunikation

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 52/13
vom
27. März 2014
in dem Insolvenzeröffnungsverfahren
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Kayser und die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Dr. Pape, Grupp und die
Richterin Möhring
am 27. März 2014
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten wird der Be-
schluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Neubrandenburg
vom 6. Juni 2013 aufgehoben.
Auf die sofortige Beschwerde der Schuldnerin wird der Kosten-
festsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Neubrandenburg vom
8. April 2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten
der Rechtsmittelverfahren, an den Rechtspfleger des Amtsgerichts
Neubrandenburg zurückverwiesen.
Gerichtskosten für das Beschwerde- und Rechtsbeschwerde-
verfahren gegen den genannten Kostenfestsetzungsbeschluss
des Amtsgerichts Neubrandenburg werden nicht erhoben (§ 21
Abs. 1 Satz 1 GKG).
Der Wert des Rechtsb
eschwerdeverfahrens wird auf 311 € festge-
setzt.
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Gründe:
I.
Die weitere Beteiligte, eine gesetzliche Krankenversicherung, beantragte
mit der Begründung, die Schuldnerin habe Gesamtsozialversicherungsbeiträge
in Höhe von 6.293,35
€ über einen Zeitraum von acht Monaten nicht entrichtet
und die Zwangsvollstreckung sei erfolglos versucht worden, das Insolvenzver-
fahren über deren Vermögen zu eröffnen. Die anwaltlich vertretene Schuldnerin
bestritt die behaupteten Forderungen. Daraufhin nahm die weitere Beteiligte
den Insolvenzantrag zurück. Auf Antrag der Schuldnerin erlegte das Insolvenz-
gericht der weiteren Beteiligten die Kosten des Verfahrens auf.
Nunmehr hat die Schuldnerin beantragt, die ihr entstandenen Rechtsan-
waltskosten - berechnet aus einem Gegenstandswert von 25.000
€ - in Höhe
von 706
€ festzusetzen (1,0 Verfahrensgebühr für das Eröffnungsverfahren
Nr. 3313 VV RVG zuzüglich Pauschale für Post- und Telekommunikation
Nr. 7002 VV RVG). Die Rechtspflegerin des Amtsgerichts hat die von der weite-
ren Beteiligten an die Schuldnerin zu erstattenden Kosten auf 395
€ nebst Zin-
sen festgesetzt, wobei sie einen Gegenstandswert von 6.293,35
€ zugrunde
gelegt hat. Auf die form- und fristgerechte Beschwerde der Schuldnerin hat das
Landgericht - nach Übertragung der Sache durch den Einzelrichter auf die
Kammer (§ 568 Satz 2 ZPO) - die der Schuldnerin zu erstattenden Kosten auf
weitere 311
€, insgesamt auf 706 €, nebst Zinsen festgesetzt. Mit der vom
Landgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde möchte die weitere Beteiligte die
Wiederherstellung der amtsgerichtlichen Entscheidung erreichen.
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II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 104 Abs. 3 Satz 1, § 574 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 ZPO, § 4 InsO) und auch im Übrigen zulässig (§ 575 ZPO, § 4
InsO). Sie hat in der Sache Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen
Beschlüsse und zur Zurückverweisung der Sache an die Rechtspflegerin des
Insolvenzgerichts (§ 577 Abs. 4 Satz 1, § 572 Abs. 3 ZPO, § 4 InsO). Weder die
Rechtspflegerin beim Insolvenzgericht noch das Beschwerdegericht waren zu
einer Entscheidung der streitentscheidenden Rechtsfrage berufen (BGH, Be-
schluss vom 20. März 2014 - IX ZB 288/11 zVb).
Die Schuldnerin hat sich nämlich gegen den angefochtenen Kostenfest-
setzungsbeschluss ausschließlich mit der Begründung gewandt, die Rechts-
pflegerin habe ihrer Entscheidung zu den Anwaltsgebühren einen unzutreffen-
den Gegenstandswert zugrunde gelegt. Sie hat diesen Einwand bereits in ihrer
Stellungnahme zu dem Hinweis der Rechtspflegerin erhoben, die den Gegen-
standswert gemäß § 28 Abs. 1 RVG in Verbindung mit § 58 Abs. 2 GKG (so
auch OLG Dresden, MDR 1994, 1253 für § 77 BRAGO; Mayer in Gerold/
Schmidt/Müller-Rabe/Mayer/Burhoff, RVG, 21. Aufl., § 28 Rn. 4) nach dem Be-
trag der Forderung und nicht, wie von der Schuldnerin beantragt, nach dem
Wert der Masse zur Zeit der Beendigung des Verfahrens gemäß § 28 Abs. 1
RVG in Verbindung mit § 58 Abs. 1 GKG (Römermann in Hartung/
Römermann/Schons, Praxiskommentar zum RVG, 2. Aufl., § 28 Rn. 15; Sabel,
Münchener Anwaltshandbuch Vergütungsrecht, 2. Aufl., § 35 Rn. 75 f; Riedel/
Sußbauer/Keller, RVG, 9. Aufl., § 28 Rn. 4; so wohl auch Mayer/Kroiß/Gierl,
RVG, 6. Aufl., § 28 Rn. 8, 10; Wolf in Schneider/Wolf, AnwK RVG, 6. Aufl., § 28
Rn. 5; v. Seltmann/Sommerfeldt/Sommerfeldt, BeckOK, RVG, 2012, § 28 Rn. 3;
Herget/Schneider/Onderka, Streitwertkommentar, 13. Aufl. Rn. 3186; Wolf/
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Mock in Schneider/Wolf, RVG, 7. Aufl., § 28 Rn. 4; Hergenröder in Baumgärtel/
Hergenröder/Houben, RVG, 16. Aufl., § 28 Rn. 5) berechnet hat. Hierin liegt ein
konkludenter Antrag auf förmliche Wertfestsetzung für die Rechtsanwaltsgebüh-
ren gemäß § 33 Abs. 1 Alt. 1 RVG (vgl. KG, KGR Berlin 2009, 799, 800). Über
diesen Antrag hätte die Rechtspflegerin mangels eigener Zuständigkeit nicht im
Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens selbst entscheiden dürfen, sondern
sie hätte dieses entsprechend § 11 Abs. 4 RVG, § 148 ZPO aussetzen und eine
richterliche Entscheidung des Insolvenzrichters über den Antrag auf Wertfest-
setzung für die Rechtsanwaltsgebühren anregen müssen. Erst auf der Grundla-
ge eines derart festgesetzten Gegenstandswerts hätte über den Kostenfestset-
zungsantrag der Schuldnerin entschieden werden können (vgl. OLG Düssel-
dorf, AGS 2010, 568, 569).
Im Kostenfestsetzungsverfahren nach den §§ 104 ff ZPO wird lediglich
geprüft, ob die geltend gemachten Kosten das diesem zugrundeliegende Ver-
fahren betreffen, entstanden sind und notwendig waren (vgl. MünchKomm-
ZPO/Schulz, 4. Aufl., § 104 Rn. 24; Musielak/Lackmann, ZPO, 10. Aufl., § 104
Rn. 5; Vorwerk/Wolf/Jaspersen, BeckOK-ZPO, 2014, § 104 Rn. 15). Der
Rechtspfleger ist in diesem Verfahren zu einer selbständigen Wertfestsetzung
nicht befugt, vielmehr hat die Festsetzung des Gegenstandswerts durch ver-
bindliche Entscheidung im Verfahren nach § 63 GKG, § 33 RVG zu erfolgen
(MünchKomm-ZPO/Schulz, aaO Rn. 33; Zöller/Herget, ZPO, 30. Aufl., § 104
Rn. 21 unter dem Stichwort Streitwert). Zumindest wenn ein Verfahrensbeteilig-
ter gegen den dem Kostenfestsetzungsantrag zugrundeliegenden oder gegen
den vom Rechtspfleger in den Raum gestellten Gegenstandswert Beanstan-
dungen erhebt, muss dieser seine Entscheidung über den Kostenfestsetzungs-
antrag bis zu einer Festsetzung des Gebührenstreitwerts zurückstellen, gege-
benenfalls muss er das Kostenfestsetzungsverfahren entsprechend § 148 ZPO,
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§ 11 Abs. 4 RVG aussetzen (OLG Koblenz, Beschluss vom 5. Juni 2001 - 14 W
384/01 juris Rn. 7 ff; OLG Düsseldorf, AGS 2010, 568, 569; Vor-
werk/Wolf/Jaspersen, BeckOK, ZPO, 2014, § 104 Rn. 26; Lappe in v. Eicken/
Hellstab/Lappe/Madert/Dörndorfer, Die Kostenfestsetzung, 21. Aufl. Rn. A 32).
Entgegen einer in der Literatur vertretenen Ansicht darf der Rechtspfleger zu-
mindest in den Fällen, in denen zwischen den Verfahrensbeteiligten unter-
schiedliche Auffassungen über die Höhe des Gegenstandswerts bestehen, den
Gebührenstreitwert nicht selbst ermitteln (Prütting/Gehrlein/Schmidt, ZPO,
5. Aufl., § 104 Rn. 14; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 104 Rn. 13) und kann
der vom Rechtspfleger angenommene Gegenstandswert im Beschwerde-
rechtszug gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss nicht überprüft werden (so
aber Stein/Jonas/Bork, aaO).
Der Gesetzgeber hat den Beteiligten Verfahren zur verbindlichen Fest-
setzung des Gebührenstreitwerts zur Verfügung gestellt mit einem Beschwer-
deverfahren, das jedenfalls nicht zu einem obersten Gerichtshof des Bundes
führt (§ 33 Abs. 4 Satz 3, Abs. 6 Satz 3 RVG; § 68 Abs. 1 Satz 5 iVm § 66
Abs. 3 Satz 3, Abs. 4 Satz 3 GKG). Diesem gesetzgeberischen Willen würde es
widersprechen, den Gebührenstreitwert im Rahmen eines Kostenfestsetzungs-
verfahrens mit einem Beschwerderechtszug bis zum Bundesgerichtshof (§ 104
Abs. 3 Satz 1, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) überprüfen zu lassen. Weiter
spricht gegen die Zulassung der Prüfung des Gegenstandswerts im Kostenfest-
setzungsverfahren, dass die Wertfestsetzung ohnehin nicht bindend wäre. Das
nach § 63 GKG, § 33 RVG zuständige Gericht könnte gegebenenfalls auf ent-
sprechenden Antrag den Streitwert ohne Bindung an die Annahmen des
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Rechtspflegers und der hierzu ergangenen Beschwerdeentscheidungen fest-
setzen.
Kayser
Gehrlein
Pape
Grupp
Möhring
Vorinstanzen:
AG Neubrandenburg, Entscheidung vom 08.04.2013 - 701 IN 316/12 -
LG Neubrandenburg, Entscheidung vom 06.06.2013 - 4 T 87/13 -