Urteil des BGH vom 11.03.2014

BGH: wiedereinsetzung in den vorigen stand, akustisches signal, nummer, übermittlung, anweisung, behandlung, kontrolle, fax, briefkasten, prozess

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VIII ZB 52/13
vom
11. März 2014
in dem Rechtsstreit
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Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. März 2014 durch die
Richterin Dr. Milger als Vorsitzende, die Richterin Dr. Hessel, den Richter
Dr. Achilles, die Richterin Dr. Fetzer sowie den Richter Kosziol
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluss der Zivil-
kammer 63 des Landgerichts Berlin vom 6. August 2013 wird als unzu-
lässig verworfen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens.
Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde: 900 €.
Gründe:
Die Klägerin hat gegen das ihr am 28. März 2013 zugestellte Urteil des
Amtsgerichts rechtzeitig Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung ist am
11. Juni 2013 beim Berufungsgericht zusammen mit einem Antrag auf Wieder-
einsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der am 28. Mai 2013
abgelaufenen Berufungsbegründungsfrist eingegangen.
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat die Prozessbevoll-
mächtigte der Klägerin ausgeführt, dass sie die ausgefertigte und unterzeichne-
te Berufungsbegründung am Nachmittag des 28. Mai 2013 in die Unterschrif-
tenmappe gelegt und die Büroangestellte H. beauftragt habe, den Schrift-
satz vorab an das Berufungsgericht zu faxen. Die Angestellte H. habe dies
auf dem Schriftsatz vermerkt und die im Abendsekretariat eingesetzte, für die
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Überwachung der Fristen zuständige Angestellte M. mit der Fristen-
kontrolle und Übermittlung der Berufungsbegründung an das Berufungsgericht
betraut. Frau M. habe gegen 19 Uhr die Unterschriftsmappe bei der
sachbearbeitenden Prozessbevollmächtigten der Klägerin eingesammelt und
die darin befindlichen Schriftstücke danach sortiert, ob sie mit normaler Post
verschickt, als Gerichtspost übermittelt oder vorab gefaxt werden sollten. Die
Berufungsbegründung habe Frau M. nach Entnahme aus der Unter-
schriftsmappe beiseite gelegt, um die angeordnete Übermittlung vorab per Fax
sicherzustellen. Gegen 19.50 Uhr habe sie die Gerichtspost zu dem nahegele-
genen Briefkasten der Berliner Justizboten gebracht, die bei einem Einwurf vor
20 Uhr eine Zustellung noch am selben Tag durchführten.
Die zu diesem Zeitpunkt noch nicht per Fax an das Berufungsgericht
übermittelte Berufungsbegründung habe Frau M. nicht zu der Ge-
richtspost gegeben, sondern auf dem Stapel der noch zu faxenden Schriftsätze
belassen. Bei der später veranlassten Faxübermittlung seien Frau M.
weitere Fehler unterlaufen. Sie habe statt der ihr gut bekannten Nummer des
Berufungsgerichts eine andere Nummer angewählt. Da das Faxgerät nicht
durch ein akustisches Signal eine fehlgeschlagene Übersendung angezeigt ha-
be, habe Frau M. den Sendebericht ohne weitere Kontrolle in den
Posteingang der für den nächsten Vormittag zuständigen Angestellten H.
gelegt und den Originalberufungsschriftsatz zu der am Folgetag abgehenden
Gerichtspost gegeben. Weiter habe sie aus unerfindlichen Gründen eine Kon-
trolle des Fristenkalenders unterlassen, so dass die an diesem Tag ablaufende
Berufungsbegründungsfrist nicht gestrichen worden sei. In der Kanzlei der Pro-
zessbevollmächtigten der Klägerin bestehe die allgemeine Anweisung, Fristen
erst dann zu streichen, wenn sichergestellt sei, dass der fristgebundene Schrift-
satz rechtzeitig bei Gericht eingehe, das Schriftstück also die Kanzlei auf ge-
eignete Weise verlassen habe. Der Prozessbevollmächtigten der Klägerin habe
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sie auf deren Nachfrage vor dem Verlassen des Büros um 23.10 Uhr geantwor-
tet, alle Fristsachen des Tages seien erledigt.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522
Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 ZPO). Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die Voraus-
setzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die Rechtssache wirft weder
entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf noch er-
fordert sie eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung
des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Das Beru-
fungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung zu Recht versagt und die
Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen, weil die Versäumung der Frist
zur Berufungsbegründung auf einem Organisationsverschulden ihrer Prozess-
bevollmächtigten beruht (§ 233 ZPO), das der Klägerin nach § 85 Abs. 2 ZPO
zuzurechnen ist.
Die in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Klägerin getroffenen
Vorkehrungen zur Behandlung von Fristensachen genügen nicht den organisa-
torischen Anforderungen, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts-
hofs einzuhalten sind. Der Rechtsanwalt muss durch organisatorische Maß-
nahmen gewährleisten, dass die für den Postversand vorgesehenen Schriftstü-
cke zuverlässig auf den Postweg gebracht werden. Zu einer wirksamen Aus-
gangskontrolle gehört dabei unter anderem die Anordnung, dass die Erledigung
der fristgebundenen Sachen am Abend jedes Arbeitstages anhand des Fristen-
kalenders überprüft wird (BGH, Beschlüsse vom 17. Januar 2012 - VI ZB 11/11,
NJW-RR 2012, 427 Rn. 9; vom 16. Februar 2010 - VIII ZB 76/09, NJW 2010,
1378 Rn. 7). Dass eine entsprechende Anordnung in der Kanzlei der Prozess-
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bevollmächtigten der Klägerin besteht, lässt sich dem Vorbringen im Wiederein-
setzungsgesuch indes nicht entnehmen. Im Übrigen ist die Ausgangskontrolle
auch deshalb unzureichend, weil die allgemein gehaltene Anordnung, eine Frist
erst zu streichen, wenn sichergestellt sei, dass das Schriftstück rechtzeitig beim
Gericht eingehe, es der Beurteilung der jeweiligen Angestellten überlässt, wann
sie diese Voraussetzung als erfüllt ansieht. Erforderlich ist eine konkrete Anwei-
sung - etwa in dem Sinne, dass die Frist erst gestrichen wird, wenn der frist-
wahrende Schriftsatz in ein Postausgangsfach der Kanzlei gelegt wird, von wo
aus er unmittelbar zum Briefkasten gebracht wird (BGH, Beschluss vom
12. April 2011 - VI ZB 6/10, NJW 2011, 2051 Rn. 7).
Auf diese Mängel der allgemeinen Ausgangskontrolle käme es allerdings
nicht an, wenn die Prozessbevollmächtigte der Klägerin eine konkrete Einzel-
weisung erteilt hätte, deren Befolgung die Einhaltung der Frist sichergestellt
hätte (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03, NJW 2004,
367 unter II 2). Die hier erteilte Anweisung, die Berufungsbegründung vorab an
das Berufungsgericht zu faxen, erfüllt diese Voraussetzungen indes schon des-
halb nicht, weil die in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Klägerin ge-
troffenen Vorkehrungen zur Faxübermittlung fristgebundener Schriftsätze eben-
falls unzureichend sind. Denn der Rechtsanwalt muss durch geeignete Anord-
nungen sicherstellen, dass die richtige Nummer des Empfangsgerichts - vor-
zugsweise anhand des letzten in der Handakte befindlichen Schreibens dieses
Gerichts oder eines gebräuchlichen Verzeichnisses - ermittelt und nicht etwa
aus dem Gedächtnis abgerufen wird (BGH, Beschlüsse vom 17. August 2011
- VIII ZB 39/10; NJW-RR 2011, 1557 Rn. 11; vom 19. März 1997 - IV ZB 14/96,
NJW-RR 1997, 952; vom 6. Juni 2005 - II ZB 9/04, NJW-RR 2005, 1373 unter II
1 b). Außerdem muss der Sendebericht daraufhin überprüft werden, ob die rich-
tige Nummer des Empfangsgerichts angewählt wurde und die Sendung voll-
ständig übermittelt worden ist (BGH, Beschluss vom 7. Juli 2010 - XII ZB 59/10,
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NJW-RR 2010, 1648 Rn. 12 ff.). Dass in der Kanzlei der Prozessbevollmächtig-
ten der Klägerin derartige (umfassende) Anordnungen zur Behandlung von
Faxsendungen bestehen, lässt sich dem Wiedereinsetzungsgesuch nicht ent-
nehmen.
Die genannten organisatorischen Mängel sind für die Fristversäumung
ursächlich geworden, da nicht auszuschließen ist, dass ohne sie eine fristge-
rechte Übermittlung erfolgt wäre.
Schließlich entfällt ein Verschulden der Prozessbevollmächtigten der
Klägerin entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde auch nicht deshalb,
weil die Prozessbevollmächtigte, bevor sie das Büro am Tage des Fristablaufs
verlassen hat, bei der Büroangestellten noch einmal nachgefragt hat, ob alle
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Fristen des Tages erledigt waren. Eine derartige Nachfrage kann eine ord-
nungsgemäße Ausgangskontrolle nicht ersetzen.
Dr. Milger
Dr. Hessel
Dr. Achilles
Dr. Fetzer
Kosziol
Vorinstanzen:
AG Berlin-Pankow/Weißensee, Entscheidung vom 26.03.2013 - 9 C 195/12 -
LG Berlin, Entscheidung vom 06.08.2013 - 63 S 158/13 -