Urteil des BGH vom 14.05.2013

BGH: ausschluss der öffentlichkeit, räumung, zuhörer, polizeibeamter, unterlassen, mangel, landfriedensbruch, rüge, entscheidungsformel, ausnahme

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 122/13
vom
14. Mai 2013
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung u.a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Mai 2013 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Nürnberg-Fürth vom 14. November 2012 gemäß § 349
Abs. 4 StPO im Strafausspruch aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an
eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen, § 349 Abs. 2 StPO.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen von ihm als Teilnehmer an
einer Demonstration am 31. März 2012 begangenen Widerstands gegen Voll-
streckungsbeamte in Tateinheit mit Landfriedensbruch und versuchter gefährli-
cher Körperverletzung in zwei Fällen - zum Nachteil von zwei Polizeibeamten -
schuldig gesprochen. Es hat ihn deswegen zu einer Jugendstrafe von zwei Jah-
ren und sechs Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Hiergegen
richtet sich die auf eine Beanstandung des Verfahrens und die Sachrüge ge-
stützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat mit der Rüge der Ver-
letzung sachlichen Rechts den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teil-
erfolg; im Übrigen ist es aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbun-
desanwalts unbegründet.
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Zu den erhobenen Verfahrensrügen bemerkt der Senat ergänzend:
Soweit die Revision die sitzungspolizeilich angeordnete Entfernung
sämtlicher Zuhörer mit Ausnahme der Pressevertreter als Ausschluss der Öf-
fentlichkeit beanstandet, da insoweit auch „Nichtstörer“ von der Räumung be-
troffen gewesen seien, stellt dies wegen der Berührung des Grundsatzes der
Öffentlichkeit eine sachleitende Maßnahme im Sinne des § 238 Abs. 2 StPO
dar (BGH, Beschluss vom 29. Mai 2008 - 4 StR 46/08, NStZ 2008, 582;
Schneider in KK StPO, 6. Aufl., § 238 Rn. 14; Becker in Löwe/Rosenberg,
StPO, 26. Aufl., § 238 Rn. 21). Die Verteidigung wäre daher gehalten gewesen,
die Anordnungen des Vorsitzenden zu beanstanden und eine Entscheidung
des Gerichts nach § 238 Abs. 2 StPO herbeizuführen. Indem sie dies auch in
Bezug auf die Entfernung der Mutter des Angeklagten unterlassen hat, hat sie
sich insoweit der Rügemöglichkeit begeben.
Soweit die Revision jedoch die behauptete faktische Versagung des Zu-
gangs zum Sitzungssaal für potentielle „neue Zuhörer“ angreift, wird entgegen
§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO schon nicht vorgetragen, dass diese von der Räu-
mung zu differenzierend
e „Abriegelung“ vom Gericht oder vom Vorsitzenden zu
vertreten oder ihnen überhaupt bekannt war (vgl. zur dahingehenden Vortrags-
pflicht Franke in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 338 Rn. 113, 139 mwN).
Allein der Vortrag, es habe „lautstarke gruppendynamische Prozesse“ gegeben,
genügt hierfür nicht, da dies auch im Zusammenhang mit der Räumung ge-
standen haben kann. Soweit die Revision nunmehr vorträgt, das Gericht hätte
das laute mechanische Schließgeräusch der Tür wahrnehmen müssen, erfolgte
dieser Vortrag - ungeachtet seiner Erweisbarkeit - schon nicht innerhalb der
Frist des § 345 Abs. 1 StPO, in der die den geltend gemachten Mangel begrün-
denden Tatsachen angegeben werden müssen.
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Der Strafausspruch hält der sachlich-rechtlichen Prüfung jedoch nicht
stand. Bei der Bemessung der verhängten Jugendstrafe hat das Landgericht
zum Nachteil des Angeklagten gewertet, dass sein Bruder Polizeibeamter sei
und „von daher hätte erwartet werden können, dass der Angeklagte für andere
Polizeibeamte, die pflichtgemäß das tun, was ihnen befohlen wird, etwas Ver-
ständnis aufbringt“. Diese Erwägung erweist sich als rechtsfehlerhaft, weil sich
aus dem Umstand, dass der Bruder des Angeklagten ebenso Polizeibeamter ist
wie die vom Angeklagten angegriffenen Geschädigten, keine gesteigerten
Pflichten des Angeklagten für das verletzte Rechtsgut ergeben und sich dieser
daher auf das Maß der der Tat innewohnenden Pflichtwidrigkeit nicht auswirkt
(vgl. BGH, Beschluss vom 28. September 2010 - 4 StR 371/10, NStZ-RR 2011,
5).
Angesichts dessen kann der Senat letztlich nicht ausschließen, dass das
Landgericht ohne Berücksichtigung der zu beanstandenden Erwägung auf eine
noch mildere Jugendstrafe erkannt hätte. Der Strafausspruch bedarf daher ei-
ner erneuten tatrichterlichen Prüfung und Entscheidung. Die von dem Wer-
tungsfehler nicht betroffenen tatsächlichen Feststellungen können jedoch be-
stehen bleiben. Ergänzende, zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehende
Feststellungen durch den Tatrichter sind möglich.
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Der Senat weist darauf hin, dass Ausführungen zur Verwertbarkeit von
Beweismitteln, auf die letztlich „vorsorglich … verzichtet“ wird, nicht veranlasst
sind.
Wahl Graf Jäger
Cirener Radtke
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