Urteil des BGH vom 17.06.2014

Rabattvereinbarungen II Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X Z B 8 / 1 3
vom
17. Juni 2014
in dem Kostenfestsetzungsverfahren
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
Rabattvereinbarungen II
GWB § 128 Abs. 4; ZPO §§ 103 ff.; RVG VV Nr. 2300
Die für die Vertretung im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren vor der
Vergabekammer zur Festsetzung begehrte Geschäftsgebühr ist auf die Verfah-
rensgebühr des Beschwerdeverfahrens auch dann anzurechnen, wenn der an-
waltliche Vertreter des Erstattungsberechtigten für diesen auf der Grundlage
einer Stundenhonorarvereinbarung tätig geworden ist.
BGH, Beschluss vom 17. Juni 2014 - X ZB 8/13 - OLG Düsseldorf
Vergabekammer des Bundes
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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. Juni 2014 durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, den Richter Gröning, die Richte-
rin Schuster, den Richter Dr. Deichfuß und die Richterin Dr. Kober-Dehm
beschlossen:
Die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des
Rechtspflegers beim Oberlandesgericht Düsseldorf vom 24. Juli
2012 wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
Gründe:
I.
Die Divergenzvorlage bezieht sich auf die Kostenfestsetzung in
einem Nachprüfungsverfahren, das den Abschluss einer Rabattvereinbarung
gemäß § 130a Abs. 8 SGB V zum Gegenstand hatte. Die Antragstellerin nahm
ihren Nachprüfungsantrag zurück, nachdem die Vergabekammer des Bundes
diesen zurückgewiesen und der Vergabesenat die Verlängerung der aufschie-
benden Wirkung der gegen die Entscheidung der Vergabekammer gerichteten
sofortigen Beschwerde nach § 118 Abs. 1 GWB abgelehnt hatte.
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Nach dem Beschluss des Vergabesenats vom 13. Februar 2012 hat die
Antragstellerin den Antragsgegnerinnen die zu ihrer zweckentsprechenden
Rechtsverteidigung im Verfahren vor der Vergabekammer entstandenen not-
wendigen Auslagen einschließlich der Kosten für die Hinzuziehung eines an-
waltlichen Verfahrensbevollmächtigten zu erstatten und ihre im Beschwerdever-
fahren entstandenen außergerichtlichen Kosten zu tragen.
Die Antragsgegnerinnen, deren Verfahrensbevollmächtigte für sie auf der
Grundlage einer zeitbezogenen Honorarvereinbarung tätig waren, beantragten,
soweit hier von Interesse, die Festsetzung einer 1,1-Geschäftsgebühr für das
Verfahren vor der Vergabekammer nach §§ 2, 13 RVG, Nr. 2301 RVG VV so-
wie einer 1,6-Verfahrensgebühr und einer 0,9-Erhöhungsgebühr für das Verfah-
ren vor dem Oberlandesgericht (§§ 2, 13 RVG, Nr. 3200 und 1008 RVG VV).
Der Rechtspfleger beim Oberlandesgericht hat die Geschäftsgebühr zur
Hälfte auf die Verfahrensgebühr des Beschwerdeverfahrens angerechnet und
sie dementsprechend um 744,70
€ gekürzt. Dagegen haben die Antragsgegne-
rinnen fristgerecht Erinnerung eingelegt, mit der sie die Anrechnung der Ge-
schäftsgebühr unter Hinweis auf die getroffene Honorarvereinbarung bekämp-
fen und geltend machen, im Falle des Abschlusses einer solchen Vereinbarung
schulde der Auftraggeber des Rechtsanwalts nicht die gesetzliche Gebühr,
sondern die aufgrund der Vereinbarung entstandene Vergütung. Der vorlegen-
de Vergabesenat möchte die Erinnerung zurückweisen, sieht sich daran aber
durch die Rechtsprechung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts gehin-
dert und hat die Sache deshalb dem Bundesgerichtshof vorgelegt.
II.
Die Divergenzvorlage ist zulässig.
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1.
Wie der Senat bereits entschieden hat, ist § 124 Abs. 2 GWB auf
Erinnerungen gegen Kostenfestsetzungsbeschlüsse des Rechtspflegers beim
Oberlandesgericht entsprechend anzuwenden, um eine planwidrige Lücke im
Anwendungsbereich von § 124 Abs. 2 GWB zu vermeiden. Der Sinn und Zweck
dieser Regelung, eine bundeseinheitliche Rechtsprechung in Vergabesachen
zu gewährleisten, gilt auch für Entscheidungen über vergaberechtsbezogene
Gebührenfragen (BGH, Beschluss vom 29. September 2009 - X ZB 1/09,
VergabeR 2010, 66 Rn. 5 - Gebührenanrechnung im Nachprüfungsverfahren).
2.
Die Vorlage ist auch im Übrigen zulässig. Die Voraussetzungen für
eine Divergenzvorlage nach § 124 Abs. 2 GWB sind nach ständiger Rechtspre-
chung erfüllt, wenn das vorlegende Oberlandesgericht seiner Entscheidung als
tragende Begründung einen Rechtssatz zugrunde legen will, der mit einem die
Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts tragenden Rechtssatz nicht
vereinbar ist (BGH, VergabeR 2010, 66 - Gebührenanrechnung im Nachprü-
fungsverfahren). So verhält es sich hier; die vom vorlegenden Oberlandesge-
richt ins Auge gefasste Entscheidung wäre mit der von ihm angeführten Recht-
sprechung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts nicht in Einklang zu
bringen.
III. In der Sache tritt der Senat der Auffassung des vorlegenden Verga-
besenats bei. Die Geschäftsgebühr ist entsprechend RVG VV Vorbemerkung 3
Abs. 4 zu Teil 3 auf die Verfahrensgebühr des Beschwerdeverfahrens anzu-
rechnen. Die Erinnerung bleibt deshalb ohne Erfolg.
1.
Der Vergabesenat ist unausgesprochen zutreffend davon ausge-
gangen, dass die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300, 2301 RVG VV für die Vertre-
tung im Verfahren vor der Vergabekammer in dem Kostenfestsetzungsverfah-
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ren beim Oberlandesgericht, das sich an das sofortige Beschwerdeverfahren
(§§ 116 ff. GWB) anschließt, berücksichtigt werden kann.
Soweit eine vorprozessual zur Anspruchsabwehr angefallene Geschäfts-
gebühr nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs prinzipiell nicht zu
den Kosten des Rechtsstreits gehört und deshalb im Allgemeinen nicht Gegen-
stand einer Kostenfestsetzung gemäß §§ 103 ff. ZPO ist (vgl. BGH, Beschluss
vom 27. April 2006
– VII ZB 116/05, NJW 2006, 2560; Beschluss vom 22. Ja-
nuar 2008
– VIII ZB 57/07, NJW 2008, 1323), erleidet dieser Grundsatz im
vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren aufgrund der hier bestehenden Be-
sonderheiten eine Durchbrechung. Bei dem Verfahren vor der Vergabekammer
handelt es sich einerseits zwar um ein in die Exekutive eingebettetes Verwal-
tungsverfahren, das kostenrechtlich, wie sich aus der Regelung in § 128 Abs. 4
Satz 4 GWB ergibt, dem verwaltungsrechtlichen Widerspruchsverfahren gleich-
gesetzt ist (BGH, VergabeR 2010, 66 Rn. 18 mwN - Gebührenanrechnung im
Nachprüfungsverfahren). Deshalb entstehen für die Vertretung in diesem Ver-
fahren keine Gebühren nach RVG VV Teil 3, sondern Geschäftsgebühren nach
Teil 2 Abschnitt 3 (RVG VV Nr. 2300, 2301). Dieses Verfahren ist andererseits
aber gerichtsähnlich als kontradiktorisches Streitverfahren zwischen Auftragge-
ber- und Auftragnehmerseite ausgestaltet. Es hat naturgemäß stets die Gel-
tendmachung der Verletzung des Anspruchs der Unternehmen auf Einhaltung
der Bestimmungen über das Vergabeverfahren durch den Auftraggeber zum
Gegenstand (§ 97 Abs. 7 GWB), und die mit der Geschäftsgebühr abgegoltene
Tätigkeit des Rechtsanwalts im Nachprüfungsverfahren weist typischerweise
gewisse Bezüge zur Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren auf. Deshalb begegnet
die Praxis der Vergabesenate (vgl. zu den Unterschieden Losch in: Zie-
kow/Völlink, Komm. zum Vergaberecht, 2. Aufl., § 128 GWB Rn. 45 f.), in der
das Beschwerdeverfahren betreffenden Kostenfestsetzung auch die Geschäfts-
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gebühr für die Vertretung von der Vergabekammer zu berücksichtigen, keinen
rechtlichen Bedenken. Das gilt auch, nachdem § 128 Abs. 4 GWB in der durch
das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20. April 2009 (BGBl. I
S. 790) erhaltenen Fassung bestimmt, dass ein gesondertes Kostenfestset-
zungsverfahren vor der Vergabekammer nicht mehr stattfindet. Denn bei dieser
Regelung ging es nicht darum, die Titulierung von im erstinstanzlichen Nach-
prüfungsverfahren entstandenen Kosten durch Kostenfestsetzungsbeschlüsse
generell zu untersagen, sondern nur darum, der Gefahr von Ungleichbehand-
lungen der Unternehmen auf der einen und der öffentlichen Auftraggeber auf
der anderen Seite vorzubeugen (vgl. Reider in: MünchKommBeihVgR, Band 3,
§ 128 GWB Rn. 18).
2.
Das Oberlandesgericht hat die Geschäftsgebühr zu Recht auch
ungeachtet dessen in der Kostenfestsetzung berücksichtigt, dass die Verfah-
rensbevollmächtigten der Antragsgegnerinnen für diese auf der Grundlage einer
wirksamen, privaten Vergütungsvereinbarung tätig geworden sind. Soweit der
Bundesgerichtshof entschieden hat, dass der vorgerichtlich auf der Grundlage
einer Honorarvereinbarung für den Auftraggeber tätig gewordene Rechtsanwalt
grundsätzlich nicht die Geschäftsgebühr beanspruchen kann, sondern sein
Vergütungsanspruch auf dieser vertraglichen Vereinbarung beruht (BGH, Be-
schluss vom 18. August 2009
– VIII ZB 17/09, NJW 2009, 3364 Rn. 6 ff.; Be-
schluss vom 9. September 2009
– Xa ZB 2/09, NJW-RR 2010, 359 Rn. 7), be-
traf dies jeweils Pauschalhonorarvereinbarungen. Es ist schon fraglich, ob Glei-
ches für Stundenhonorarvereinbarungen zu gelten hat, weil das Honorar hier,
anders als bei einer pauschalen Vergütung, zweifelsfrei dem jeweiligen Auftrag
zugeordnet werden kann. Dies bedarf jedoch keiner abschließenden Beurtei-
lung, weil die Festsetzung der Geschäftsgebühr bei der angezeigten wertenden
Betrachtung sachgerecht und geboten erscheint. Müsste der Erstattungsbe-
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rechtigte seinen aus einer Vergütungsvereinbarung hergeleiteten Erstattungs-
anspruch klageweise geltend machen, weil das Nachprüfungsverfahren nicht in
die Beschwerdeinstanz gelangt ist, und entstünde Streit über die Angemessen-
heit der Höhe des erstattungsfähigen Honorars, würde die gerichtliche Ent-
scheidung darüber sich an dem § 632 Abs. 2 BGB zugrunde liegenden Rechts-
gedanken orientieren und die Bestimmung des angemessenen Erstattungsbe-
trages wiederum an der Höhe der Geschäftsgebühr ausrichten, die im jeweili-
gen Fall zu erstatten wäre, wenn der erstattungsberechtige Verfahrensbeteiligte
keine private Vergütungsvereinbarung mit seinem Rechtsanwalt getroffen hätte.
Im Hinblick darauf wäre es sinnwidrig, dem Erstattungsberechtigten, der von
vornherein die Geschäftsgebühr als maßgeblichen Parameter für seine Forde-
rung wählt, den Weg der Festsetzung dieser Gebühr im Kostenfestsetzungsver-
fahren zu verwehren, zumal dies aus prozessökonomischen Gründen ohnehin
dem Klageweg vorzuziehen ist.
3.
Das Oberlandesgericht hat die Geschäftsgebühr zu Recht ent-
sprechend RVG VV Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu Teil 3 im dort vorgesehenen
Umfang auf die Verfahrensgebühr des Beschwerdeverfahrens angerechnet.
Wie der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat, ist die das erstinstanzliche
Nachprüfungsverfahren betreffende Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr
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des Beschwerdeverfahrens anzurechnen (BGH, VergabeR 2010, 66 - Gebüh-
renanrechnung im Nachprüfungsverfahren). Nach dem vorstehend (III 1 und 2)
Ausgeführten ist eine Ausnahme von der gesetzlich vorgesehenen Anrechnung
allein aufgrund des Umstands, dass eine Honorarvereinbarung geschlossen
wurde, nicht veranlasst.
Meier-Beck
Gröning
Schuster
Deichfuß
Kober-Dehm
Vorinstanz:
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 07.05.2013 - VII Verg 103/11 -