Urteil des BGH vom 12.08.2014

BGH: wohnung, abend, strafzumessung, polizei, mittäterschaft, einverständnis, bestrafung, anwendungsbereich, verfügung, vergleich

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 S t R 2 6 4 / 1 4
vom
12. August 2014
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12. Au-
gust 2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Prof. Dr. Sander,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dr. Berger,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Zwickau vom 28. Januar 2014 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen.
- Von Rechts wegen -
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverlet-
zung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und mit versuchter Nötigung zu einer
Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des
Angeklagten, die mit der näher ausgeführten Sachrüge begründet wird, hat kei-
nen Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der später Geschä-
digte M. mit den nichtrevidierenden Mitangeklagten G. , Gü. und
S. Streit wegen gegenseitiger Geldforderungen. Er selbst hatte seit länge-
rem seine Mitgliedsbeiträge für den Motorradclub „M. “ nicht bezahlt,
dem er und die drei Mitangeklagten sowie der Angeklagte angehörten, der als
„Präsident“ des Motorradclubs fungierte. Außerdem verlangte Gü. von ihm
noch die Bezahlung eines Tattoos und die Rückerstattung von Auslagen. Am
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Abend des 24. Februar 2012 entschlossen sich die drei Mitangeklagten, M.
zur Rede zu stellen und erforderlichenfalls mit Gewalt zur Schuldenbegleichung
zu zwingen. Sie suchten M. in dessen Wohnung auf und drängten ihn ins
Wohnzimmer, wo G. und Gü. ihm mehrere Faustschläge ins Gesicht
versetzten; zudem trat ihm Gü. zweimal mit dem Fuß gegen den Kopf. Wäh-
rend der Gewalttätigkeiten forderten G. und Gü. den Geschädigten wie-
derholt zur Begleichung seiner Schulden auf; S. sicherte unterdessen
durch seinen Verbleib an der Wohnungstür, dass der Geschädigte nicht fliehen
konnte. Weil M. den Forderungen nicht nachgab, zwangen ihn die drei Mit-
angeklagten dazu, mit ihnen in einem Pkw zur Club-Gaststätte des Motor-
radclubs zu fahren, damit er dort in einer Clubversammlung Rede und Antwort
stehe. Weil sie dort niemanden antrafen, fuhren sie nach einem Telefonat mit
dem Angeklagten in die Nähe von dessen Wohnung, wo dieser zustieg. Der
Angeklagte sah, dass M. bereits im Gesicht verletzt war, und erfuhr spätes-
tens jetzt gesprächsweise von dessen Weigerungshaltung. Um die Ausweglo-
sigkeit der Situation des Geschädigten M. noch zu verstärken, kamen der
Angeklagte und die Mitangeklagten überein, die Schuldenangelegenheit an ei-
nem ruhigeren Ort zu „klären“, und fuhren mit ihm zu einem abgelegenen Wald-
stück. Dort forderte der Angeklagte den Geschädigten M. auf, sich nieder-
zuknien, und versetzte ihm sodann einen schmerzhaften Kniestoß gegen das
Ohr, um den Geldforderungen weiteren Nachdruck zu verleihen; G. gab
dem Geschädigten einen wuchtigen Stoß in den Schulterbereich. Zu weiteren
Tätlichkeiten kam es nicht mehr, nachdem der Angeklagte einen Anruf erhalten
und den Mitangeklagten bedeutet hatte, aufbrechen zu müssen. Auf der Rück-
fahrt forderte der Angeklagte den Geschädigten M. erneut zur Zahlung auf
und verlangte von ihm, sich noch am selben Abend wegen einer Geldübergabe
zu melden. Hierzu kam es nicht mehr, weil sich M. an die Polizei wandte.
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Bei der rechtlichen Würdigung hat das Landgericht zur mittäterschaftli-
chen Tatbegehung ausgeführt, dass sich jeder der Angeklagten die Tatbeiträge
der anderen auch insoweit „als eigene zurechnen“ lassen müsse, als er „im
Konkreten nicht selbst gehandelt“ habe (UA S. 16 f.). Im Rahmen der Strafzu-
messung ist dem Angeklagten strafmildernd „zugutegehalten“ worden, dass er
am Geschehen in der Wohnung des
Geschädigten „nicht aktiv beteiligt war“
(UA S. 18).
2. Soweit sich die Revision gegen den Schuldspruch wendet, ist sie un-
begründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
3. Das Rechtsmittel führt auch nicht zur Aufhebung des Strafausspruchs.
a) Allerdings bestehen gegen den von der Strafkammer bei der Strafzu-
messung wohl unter Einbeziehung der Körperverletzungshandlungen des ers-
ten Handlungsabschnitts zugrunde gelegten Schuldumfang die bereits vom Ge-
neralbundesanwalt in der Antragsschrift geäußerten Bedenken. Die Feststel-
lungen des Landgerichts bieten keine Grundlage, auch schon die allein von den
Mitangeklagten in der Wohnung des Geschädigten begangene gemeinschaftli-
che gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB dem Ange-
klagten als Mittäter nach § 25 Abs. 2 StGB zuzurechnen. An dem diesbezügli-
chen gemeinsamen Tatentschluss war der Angeklagte nicht beteiligt. Für eine
(vom Landgericht auch nicht erörterte) Annahme sukzessiver Mittäterschaft des
Angeklagten ist hinsichtlich dieses Geschehensabschnitts
– ungeachtet der
konkurrenzrechtlichen Beurteilung der Taten durch das Landgericht als Tatein-
heit
– kein Raum. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
zieht bei einem Geschehen, welches schon vollständig abgeschlossen ist, das
Einverständnis des später Hinzutretenden trotz Kenntnis, Billigung oder Aus-
nutzung der durch andere Mittäter geschaffenen Lage eine strafbare Verantwor-
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tung für das bereits abgeschlossene Geschehen nicht nach sich (vgl. BGH, Ur-
teil vom 24. April 1952
– 3 StR 48/52, BGHSt 2, 344, 346; Beschlüsse vom
24. November 1993
– 2 StR 606/93, NStZ 1994, 123, vom 12. Februar 1997
– 2 StR 28/97, NStZ 1997, 272; Urteil vom 18. Dezember 2007 – 1 StR 301/07,
NStZ 2008, 280, und Beschluss vom 22. Mai 2013
– 2 StR 14/13, BGHR StGB
§ 25 Abs. 2 Mittäter 37).
b) Zwar ist nicht völlig auszuschließen, dass die Bemessung der gegen
den Beschwerdeführer erkannten Strafe auf der Zugrundelegung eines zu gro-
ßen Schuldumfangs beruht, den das Landgericht mit der Erwägung, der Ange-
klagte h
abe sich an dem Geschehen in der Wohnung „nicht aktiv“ beteiligt, frei-
lich strafmildernd nachhaltig relativiert hat; zudem war dem Angeklagten anzu-
lasten, dass er sich in Kenntnis der bereits erfolgten Misshandlungen an dem
weiteren Tatgeschehen beteiligt hatte. Das Urteil hat aber jedenfalls deshalb
Bestand, weil die vom Landgericht ausgesprochene Strafe mit Blick auf das
Tatbild auf der Grundlage der nicht von einem Rechtsfehler betroffenen Zumes-
sungserwägungen jedenfalls angemessen ist (§ 354 Abs. 1a Satz 1 StPO). Die
strengere Bestrafung des Angeklagten im Vergleich zu den Mitangeklagten und
die allein ihm versagte Strafaussetzung zur Bewährung sind maßgeblich der
unterschiedlichen Vorstrafensituation geschuldet.
Für seine Beurteilung steht dem Senat ein rechtsfehlerfrei ermittelter,
vollständiger und aktueller Strafzumessungssachverhalt zur Verfügung (vgl.
BGH, Beschlüsse vom 8. Oktober 2008
– 4 StR 226/08, StV 2009, 464, 465,
vom 13. Oktober 2009
– 5 StR 347/09, BGHR StPO § 354 Abs. 1a Anwen-
dungsbereich 9, und vom 21. Mai 2014
– 4 StR 144/14). Der Angeklagte hatte
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auch Gelegenheit, zu der beabsichtigten Entscheidung nach § 354 Abs. 1a
Satz 1 StPO Stellung zu nehmen, die sein Verteidiger für ihn genutzt hat.
Basdorf Sander Schneider
Berger Bellay