Urteil des BGH vom 25.06.2013

BGH: gespräch, meinung, akteneinsichtsrecht, erlass, anfechtungsklage, entstehungsgeschichte, überprüfung, beurteilungsspielraum, pauschal, gegendarstellung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
AnwZ 1/13
vom
25. Juni 2013
in dem einstweiligen Anordnungsverfahren
wegen Zulassung als Rechtsanwalt bei dem Bundesgerichtshof (hier: Akteneinsicht)
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Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch den Vorsitzenden
Richter Basdorf, den Richter Seiters, die Richterin Dr. Fetzer sowie die Rechts-
anwälte Prof. Dr. Quaas und Dr. Braeuer
am 25. Juni 2013
beschlossen:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurück-
gewiesen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Gegenstandswert wird auf 5.000
€ festgesetzt (§ 194 Abs. 1
Satz 1 BRAO, § 52 Abs. 2 GKG).
Gründe:
I.
Der Antragsteller gehört zum Kreis der von der Bundesrechtsanwalts-
kammer (§ 166 Abs. 2 Nr. 1 BRAO) für die am 29. Juli 2013 anstehende Wahl
von Rechtsanwälten beim Bundesgerichtshof vorgeschlagenen Personen. Zur
Vorbereitung der Wahl bestellte der Wahlausschuss aus seinen Mitgliedern je-
weils einen Erst- und Zweitberichterstatter (§ 167 Abs. 2 BRAO), die jeden Be-
werber persönlich anhörten. Der Antragsteller führte am 25. Februar 2013 mit
den für ihn zuständigen Berichterstattern entsprechende Gespräche. Diese fer-
tigten in der Folgezeit schriftliche Beurteilungen über den Antragsteller. Solche
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bestehen üblicherweise aus einem berichtenden Teil, in dem im Wesentlichen
die persönlichen, beruflichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Bewerbers
aufgeführt sind, und einem bewertenden Teil, in dem der Berichterstatter für
den Wahlausschuss seine persönliche Meinung zur Eignung des Bewerbers
niederlegt. Der Präsident des Bundesgerichtshofs als Vorsitzender des Wahl-
ausschusses lud alle Bewerber zusätzlich zu einem Gespräch ein. Der mit dem
Antragsteller vereinbarte Termin soll am 28. Juni 2013 stattfinden.
Der Antragsteller hat den Antragsgegner gebeten, ihm zur Vorbereitung
dieses Gesprächs Einsicht in die ihn betreffenden Gutachten, seine Bewerber-
akte und die allgemeine Verfahrensakte (soweit diese bis jetzt zur Einsicht frei-
gegeben sei) zu gewähren. Nachdem der Antragsgegner ihn auf die Regelung
über das Akteneinsichtsrecht in § 167a BRAO und ergänzend darauf hingewie-
sen hat, dass er Einblick in die ihn betreffende Bewertung des Präsidenten des
Oberlandesgerichts erhalten könne, hat der Antragsteller dem An-
tragsgegner eine Frist zur Akteneinsicht gesetzt und nach deren Ablauf einen
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt, mit dem er insbeson-
dere die Einsicht in den bewertenden Teil der Gutachten der Berichterstatter
begehrt.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
1. Es besteht bereits kein Anordnungsgrund. Der Antragsteller ist zur
Wahrung seiner Rechte auf die begehrte Akteneinsicht, soweit sie der Antrags-
gegner bisher verweigert hat, weder vor dem Gespräch mit dem Präsidenten
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des Bundesgerichtshofs noch vor der Sitzung des Wahlausschusses angewie-
sen.
Der Antragsteller ist der Meinung, eine etwaige Akteneinsicht nach der
Entscheidung des Wahlausschusses sei unzureichend. Er begründet die be-
sondere Dringlichkeit seines Anliegens insoweit damit, dass er - insbesondere
vor einem solch "entscheidenden" Ereignis wie dem Gespräch mit dem Aus-
schussvorsitzenden - Gelegenheit erhalten müsse, zu der Auffassung der Be-
richterstatter Stellung zu nehmen, bestehende (Vor-)Urteile zu korrigieren und
Bewertungsfehler aufzuzeigen.
Dem folgt der Senat nicht. Das - freiwillige - Gespräch mit dem Präsiden-
ten dient nicht der Erörterung der von den Berichterstattern für den Ausschuss
erstellten Voten und soll dem Bewerber insoweit auch nicht die Möglichkeit ei-
ner Gegendarstellung geben, sondern hat, wie es in der Einladung heißt, den
Zweck, den Bewerber "persönlich kennenzulernen". Der Antragsteller erleidet
auch keinen irreversiblen Nachteil, wenn er vor der Sitzung des Wahlausschus-
ses keine Einsicht erhält. Durch die Wahl werden noch keine vollendeten Tat-
sachen geschaffen. Effektiven Rechtsschutz erhält der Antragsteller für den
Fall, dass er nicht gewählt werden sollte, dadurch, dass er die Entscheidung
rechtzeitig vor einer Zulassung der gewählten Mitbewerber durch das Bundes-
ministerium der Justiz anfechten kann (vgl. nur Senat, Beschluss vom 5. De-
zember 2006 - AnwZ 2/06, BGHZ 170, 137 Rn. 10 m.w.N.). Sollte es dazu
kommen, wird der Senat - wie dem Antragsteller aus dem ihn betreffenden Ver-
fahren AnwZ 2/06 bekannt ist - darüber zu entscheiden haben, in welchem Um-
fang er die Akten des Antragsgegners beizieht und ihm danach Akteneinsicht
gewährt.
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Mangels ersichtlicher Gefahr eines irreversiblen Nachteils des Antrag-
stellers im weiteren Verfahren für den Fall mangelnder Gewährung der begehr-
ten Akteneinsicht schon zum jetzigen Zeitpunkt unterscheidet sich der Fall von
den vom Antragsteller in diesem Zusammenhang zitierten Entscheidungen.
2. Abgesehen davon ist auch kein Anordnungsanspruch ersichtlich. Die
vom Antragsgegner verweigerte vollständige Akteneinsicht ist nicht rechtswidrig
und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten.
a) Nach § 167a Abs. 1 BRAO hat der Rechtsanwalt, der in die Vor-
schlagsliste aufgenommen wurde, das Recht, die Protokolle des Wahlaus-
schusses einzusehen. Gemäß § 167a Abs. 2 BRAO werden die persönlichen,
beruflichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Bewerbers in einem geson-
derten Bericht dargestellt, in den der Rechtsanwalt ebenfalls Einblick nehmen
kann.
Nach dem Wortlaut des § 167a Abs. 2 BRAO besteht damit kein Ein-
sichtsrecht in den bewertenden Teil der Gutachten der Berichterstatter. Dies
entspricht auch der Entstehungsgeschichte der Norm (vgl. Begründung des
Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Änderung des Berufsrechts der
Rechtsanwälte und der Patentanwälte vom 3. November 1988, BT-Drucks.
11/3253 S. 26). Gegen eine Einsicht in die wertenden Teile der Voten spricht
auch deren Funktion. Hierbei handelt es sich um die Einschätzungen der jewei-
ligen Berichterstatter, deren Tätigkeit nur vorbereitender, interner Natur ist. Die
endgültige Bewertung und Entscheidung trifft dagegen der Wahlausschuss
selbst nach Erörterung und unter Berücksichtigung aller Unterlagen (vgl. Vor-
werk in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, § 167a BRAO Rn. 4).
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Ob für den Fall, dass der Antragsteller nicht gewählt werden sollte und
hiergegen Anfechtungsklage erhebt, zur gerichtlichen Überprüfung der Ent-
scheidung des Wahlausschusses, dem bei der Auswahl der Bewerber ein Beur-
teilungsspielraum zusteht (vgl. Senat, Beschluss vom 5. Dezember 2006, aaO
Rn. 38 ff.), die Akten des Antragsgegners einschließlich der vollständigen Gut-
achten der Berichterstatter beizuziehen sind und dem Antragsteller dann ein
Akteneinsichtsrecht nach § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 100 Abs. 1 VwGO zu-
steht, bedarf derzeit keiner Entscheidung. Denn im jetzigen Verfahrensstadium
vor der Entscheidung des Wahlausschusses besteht jedenfalls keine Pflicht des
Antragsgegners, dem Antragsteller eine entsprechende Einsicht zu gewähren.
b) Soweit in dem Antrag des Antragstellers vom 13. Juni 2013 neben der
ausdrücklichen Erwähnung der bewertenden Teile der Gutachten der Berichter-
statter ergänzend auch pauschal von der Einsicht "in die Unterlagen des An-
tragsgegners, den Antragsteller und das generelle Verfahren betreffend" die
Rede ist, ist hierzu folgendes anzumerken: Die Stellungnahme des Präsidenten
des Oberlandesgerichts vom 15. August 2012 liegt dem Antragsteller
vor. Einsicht in die von § 167a BRAO erfassten Vorgänge hat der Antragsgeg-
ner nicht verweigert. Der Antragsteller kann die betreffenden Unterlagen - ein-
schließlich des Protokolls der vorbereitenden Sitzung des Wahlausschusses
vom 10. November 2012 - vor dem Gesprächstermin beim Ausschussvorsit-
zenden einsehen. Dies hat der Antragsgegner in seiner Erwiderung vom
20. Juni 2013 auch bestätigt. Die im Schriftsatz des Antragstellers vom 18. Juni
2013 angesprochenen Auswahlkriterien für die Wahl sind bekannt. Die sachli-
chen und persönlichen Voraussetzungen für die Zulassung als Rechtsanwalt
am Bundesgerichtshof sind zum Teil gesetzlich geregelt (§§ 164 ff. BRAO) und
im Übrigen durch die Rechtsprechung (vgl. Senat, Beschluss vom 5. Dezember
2006, aaO Rn. 24 m.w.N., siehe auch Rn. 45) konkretisiert. Bezüglich welcher
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weiteren - bisher ihm unbekannten und zur Rechtsverfolgung notwendigen -
Unterlagen "das generelle Verfahren betreffend" der Antragsteller meint, einen
Anspruch auf Akteneinsicht zu haben, ist nicht ersichtlich. Auch insoweit fehlt es
ohnehin jedenfalls am Anordnungsgrund (s.o.).
3. Vor diesem Hintergrund besteht entgegen dem weiteren Antrag des
Antragstellers auch keine Veranlassung für den Senat, bereits im einstweiligen
Anordnungsverfahren Akten des Antragsgegners beizuziehen und dem Antrag-
steller gegebenenfalls anschließend Einsicht in diese zu gewähren.
Basdorf
Seiters
Fetzer
Quaas
Braeuer
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