Urteil des BGH vom 16.11.2010

BGH (stgb, abstraktes gefährdungsdelikt, abgrenzung zu, erwerb, bank, darlehen, kredit, stpo, arztpraxis, höhe)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 502/10
vom
16. November 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Kreditbetruges
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. November 2010 gemäß
§ 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Bayreuth vom 13. April 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Kreditbetruges zu einer
sechsmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewäh-
rung ausgesetzt hat. Die hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Re-
vision der Angeklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
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1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getrof-
fen:
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a) Nachdem die Angeklagte, eine freiberuflich tätige Ärztin, in finanzielle
Schwierigkeiten geraten war und Versuche, bei Banken Kredite zu erlangen,
fehlschlugen, entschloss sie sich auf Vorschlag eines Finanzvermittlers, Darle-
hen zum Erwerb von Immobilien aufzunehmen, deren Valuta die geschuldeten
Kaufpreise übersteigen. Aus dem Differenzbetrag sollte die Angeklagte nach
Abzug von Provisionen Rückzahlungen erhalten, mit denen sie Steuerschulden
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(mehr als 150.000 €) abtragen und durch Forderungen der Kassenärztlichen
Vereinigung entstandene Mindereinnahmen ausgleichen wollte. Mit diesem Ziel
schloss sie unter anderem am 16. Januar 2003 zusammen mit ihrem - vom
Landgericht freigesprochenen - Ehemann bei der Kreissparkasse K. Darle-
hensverträge über insgesamt 475.000 €. Sie unterzeichnete dabei eine unvoll-
ständige (weil wenig zuvor eingegangene, gleich gelagerte Darlehensverbind-
lichkeiten in Höhe von insgesamt rund 685.000 € verschweigende) Vermögens-
und Schuldenaufstellung. "Dabei war der Angeklagten bewusst, dass sich das
Verschweigen der Darlehensverpflichtungen bei der Bewilligungsentscheidung
der Kreissparkasse K. für sie günstig auswirkte. Ihr war klar, dass die Höhe
der Verbindlichkeiten ein wichtiger Gesichtspunkt bei der Beurteilung der Boni-
tät durch die Bank war und der Kredit nicht ausgereicht worden wäre, hätte sie
die Bank über den Erwerb der weiteren vollfinanzierten Immobilien in Kenntnis
gesetzt" (UA S. 8). Die Darlehensvaluta wurde ausgezahlt.
b) Das Landgericht hat dies als Kreditbetrug gemäß § 265b StGB gewer-
tet. Es habe sich um einen Kredit für den kaufmännisch eingerichteten Ge-
schäftsbetrieb der Angeklagten - deren Arztpraxis - gehandelt, denn Zweck der
Darlehensaufnahme sei nicht der Erwerb der Immobilien gewesen, sondern die
Generierung von Rückflüssen, die sie für "praxisbedingte Steuerschulden" und
zur "Kompensation von Mindereinnahmen" habe verwenden wollen.
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Hinsichtlich des mit der Anklageschrift der Angeklagten vorgeworfenen
Betruges sei ein Vorsatz nicht nachweisbar, da ihr nicht zu widerlegen sei, dass
sie geglaubt habe, die Mieteinnahmen aus den zu erwerbenden Immobilien
würden Zins und Tilgung decken und die Bank sei überdies durch eine Grund-
schuld ausreichend abgesichert.
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2. Die Verurteilung wegen Kreditbetruges nach § 265b StGB hält rechtli-
cher Nachprüfung nicht stand.
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§ 265b StGB, der als abstraktes Gefährdungsdelikt eine Strafbarkeit im
Vorfeld des Betruges auch ohne Eintritt eines Vermögensschadens begründet,
ist beschränkt auf Kredite "für einen Betrieb oder ein Unternehmen". Dies erfor-
dert, dass bei wirtschaftlicher Betrachtung der Kreditnehmer ein (bereits
existierendes oder als solches vorgetäuschtes) Unternehmen sein muss, das
- nach der Legaldefinition des § 265b Abs. 3 Nr. 1 StGB - einen nach Art und
Umfang in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb hat (BGH,
Beschluss vom 27. März 2003 - 5 StR 508/02, wistra 2003, 343; vgl. auch
BayObLG NJW 1990, 1677). Die Feststellungen des Landgerichts belegen die
Annahme eines solchen Betriebskredits nicht.
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Es kann offen bleiben, ob auch in einem hier vom Landgericht ange-
nommenen Fall der Täuschung über den Kreditzweck die Abgrenzung zu Pri-
vatkrediten, die nicht dem Anwendungsbereich des § 265b StGB unterfallen,
danach erfolgen kann, wem der beantragte Kredit nach seiner tatsächlichen,
"wahren" Zweckbestimmung wirtschaftlich zugute kommen soll (vgl. Perron in
Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 265b Rn. 5, Hoyer in SK-StGB, § 265b
Rn. 26; Saliger in Satzger/Schmitt/Widmaier, StGB, § 265b Rn. 4) oder vielmehr
darauf abzustellen ist, wer nach dem Darlehensvertrag rechtlich als Kreditneh-
mer anzusehen ist oder wäre (vgl. Tiedemann in LK-StGB, 11. Aufl., § 265b
Rn. 29, Wohlers in MüKo-StGB, § 265b Rn. 9 mwN). Denn selbst wenn man
dem Landgericht in der Annahme folgen würde, die Arztpraxis der Angeklagten
sei ein Betrieb i.S.d. § 265b Abs. 3 Nr. 1 StGB, wäre dieser nach den Feststel-
lungen nicht der Kreditnehmer und zwar weder formell noch faktisch, auch nicht
nach der Zielsetzung. Der mit den Darlehen durchgeführte Immobilienerwerb ist
ebenso privater Natur wie die Begleichung der von der Angeklagten geschulde-
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ten Steuer auf ihr Einkommen aus selbständiger Arbeit (§ 18 EStG) oder die
vom Landgericht als "Kompensation von Mindereinnahmen" umschriebene Fi-
nanzierung von deren Lebensbedarf. Dass die Kreditaufnahme nicht für einen
Betrieb erfolgte, zeigt sich auch daran, dass nicht nur die persönlich auftretende
Angeklagte Kreditnehmerin war, sondern auch ihr Ehemann, der an der Arzt-
praxis nicht beteiligt ist.
Das Urteil unterliegt daher insgesamt der Aufhebung (§ 349 Abs. 4
StPO).
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3. Ein Durcherkennen auf Freispruch kommt nicht in Betracht, denn der
Senat kann nach den Urteilsgründen nicht ausschließen, dass in einer neuen
Hauptverhandlung unter Beachtung des Gebots umfassender Sachaufklärung
und erschöpfender Beweiswürdigung Feststellungen getroffen werden können,
die einen Schuldspruch tragen (vgl. Kuckein in KK-StPO, 6. Aufl., § 354 Rn. 3;
Wiedner in BeckOK-StPO, § 354 Rn. 8 jew. mwN).
Die rechtsfehlerhafte Fokus-
sierung auf § 265b StGB lässt besorgen, dass die Strafkammer die Vorausset-
zungen einer Strafbarkeit der Angeklagten nach § 263 StGB (hinter dem § 265b
StGB zurückzutreten hätte, vgl. BGH, Beschluss vom 21. Februar 1989
- 4 StR 643/88, BGHSt 36, 130) nicht ausreichend in den Blick genommen und
deswegen Feststellungen dazu unterlassen hat.
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Die Angeklagte täuschte - wie sie wusste - systematisch über die Kredit-
mittelverwendung und über ihre persönliche Kreditwürdigkeit, die gerade durch
die verschwiegenen anderweitigen Darlehensverbindlichkeiten zusätzlich ge-
schwächt war. Feststellungen dazu, welche Beträge tatsächlich von der Kredit-
geberin ausgereicht und in welcher Höhe wie verwendet wurden (insbesondere
an die Angeklagte zurückgeflossen sind oder hätten zurückfließen sollen), wie
das Darlehen tatsächlich besichert war (das Urteil spricht zwar von sieben nicht
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näher bezeichneten Eigentumswohnungen, aber pauschal von einer Grund-
schuld) und welche Bedeutung der Vermögensaufstellung (und gegebenenfalls
weiteren geforderten Sicherheiten) im Rahmen der Kreditgespräche für die An-
geklagte erkennbar zukam, lässt das Urteil indes vermissen. Diese wäre hier
aber mit Blick auf eine rechtsfehlerfreie Beurteilung des Tatvorsatzes im Rah-
men einer Gesamtwürdigung des Einzelfalls (vgl. BGH, Beschluss vom
26. August 2003 - 5 StR 145/03, BGHR StGB § 263 Abs. 1 Vorsatz 5) erforder-
lich, zumal das Landgericht selbst feststellt, der Angeklagten sei die Bedeutung
der Bonitätsprüfung ebenso klar gewesen, wie der Umstand, dass "der Kredit
nicht ausgereicht worden wäre, hätte sie die Bank über den Erwerb der weite-
ren vollfinanzierten Immobilien in Kenntnis gesetzt". Der neue Tatrichter wird
auch Feststellungen zur Frage eines Vermögensschadens (also zur Werthaltig-
keit der Ansprüche auf Rückzahlung und Zinszahlung) zu treffen haben. Das
voluntative Element des Vorsatzes muss sich (nur) auf den unmittelbar mit der
Vermögensverfügung des Getäuschten eingetretenen Schaden erstrecken, auf
die Billigung eines Endschadens kommt es nicht an (vgl. BGH, Beschluss vom
18. Februar 2009 - 1 StR 731/08, NJW 2009, 2390; Nack StraFO 2008, 277,
280). Allein eine Hoffnung, das Darlehen könne aus anderen - im Einzelnen
nicht festgestellten, ihrerseits aber mit einem Ausfallrisiko behafteten Quellen -
zurückgezahlt werden, ließe einen Vorsatz nicht entfallen (vgl. BGH, Urteil vom
6. Februar 1979 - 1 StR 685/78, NJW 1979, 1512; BGH, Urteil vom 31. Mai
1980 - 1 StR 106/80).
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Der Senat weist darauf hin, dass der Tatrichter nicht gehalten ist, Be-
hauptungen einer Angeklagten - auch zum subjektiven Tatbestand - als unwi-
derlegbar hinzunehmen, wenn hinreichende Anhaltspunkte für die Richtigkeit
dieser Angaben fehlen.
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Wahl
Rothfuß
Hebenstreit
Elf
Jäger