Urteil des BGH vom 16.11.2010

BGH (sicherungsverwahrung, stpo, anordnung, strafkammer, gesamtstrafe, bestand, stgb, ergebnis, kriminalität, schaden)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 539/10
vom
16. November 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges
- 2 -
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. November 2010 be-
schlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Kempten vom 6. Juli 2010
a) im Fall 16 der Urteilsgründe (Tat vom 12. Mai 2009) mit den
Feststellungen aufgehoben; insoweit wird die Sache an das
Amtsgericht Nördlingen zurückgegeben;
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe sowie über die Anord-
nung der Sicherungsverwahrung - insoweit mit den Fest-
stellungen - aufgehoben und an eine andere Strafkammer
des Landgerichts Kempten zurückverwiesen, die auch über
die Kosten des Rechtsmittels zu entscheiden hat.
Hinsichtlich der Gesamtstrafe bleiben die Feststellungen be-
stehen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in zehn Fällen
sowie wegen versuchten Betruges in neun Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von sechs Jahren verurteilt. Weiterhin hat es die Unterbringung des Angeklag-
ten in der Sicherungsverwahrung angeordnet.
1
- 3 -
Die mit der Sachrüge begründete Revision des Angeklagten hat in dem
aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie im Sin-
ne von § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.
2
I.
Die Verurteilung im Fall 16 der Urteilsgründe (Tat vom 12. Mai 2009) hat
aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 1. Oktober
2010 keinen Bestand. Der Verbindungsbeschluss, mit welchem das Landgericht
Kempten das beim Amtsgericht Nördlingen anhängige und bereits eröffnete
Verfahren mit den bei ihm anhängigen Verfahren verbunden hat, ist unwirksam,
weil es hierfür nicht zuständig war; denn das Amtsgericht Nördlingen gehört
nicht zum Bezirk des Landgerichts Kempten. Die Verbindung, die nicht nur die
örtliche, sondern auch die sachliche Zuständigkeit betraf, konnte nicht durch
Vereinbarung der beteiligten Gerichte (§ 13 Abs. 2 StPO), sondern nur durch
Entscheidung des Oberlandesgerichts München als dem gemeinschaftlichen
oberen Gericht (§ 4 Abs. 2 StPO) herbeigeführt werden (BGH, Beschluss vom
26. Juli 1995 - 2 StR 74/95, NStZ 1996, 47 mwN; BGH, Urteil vom 23. März
2006 - 3 StR 458/05). Die Prozessvoraussetzung der sachlichen Zuständigkeit
ist gemäß § 6 StPO vom Revisionsgericht von Amts wegen zu beachten. Ent-
sprechend § 355 StPO war das Verfahren insoweit an das Amtsgericht Nördlin-
gen zurückzugeben.
3
II.
Die Überprüfung des Schuldspruchs und der Einzelstrafen in den übrigen
Fällen hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufgedeckt. Der
Ausspruch über die Gesamtstrafe kann aber wegen des Wegfalls der Verurtei-
4
- 4 -
lung im Fall 16 keinen Bestand haben. Die Feststellungen hierzu bleiben auf-
rechterhalten.
III.
Das Landgericht wird auch über die Anordnung der Sicherungsverwah-
rung neu zu befinden haben. Die Strafkammer war sich bei der angefochtenen
Entscheidung zwar bewusst, dass die Anordnung einer Sicherungsverwahrung
gemäß § 66 Abs. 2 StGB in ihrem Ermessen steht und dass gerade bei Taten
der mittleren Kriminalität die Verhältnismäßigkeit einer Anordnung kritisch zu
prüfen ist. Insoweit hat die Strafkammer auf die rasche Abfolge der Betrugsta-
ten sowie den versuchten und den vollendeten Betrugsschaden abgestellt.
5
Keine erkennbare Berücksichtigung hat jedoch gefunden, dass die ge-
schädigten Gewerbetreibenden durch die Betrugstaten im Ergebnis kaum einen
tatsächlichen Schaden erlitten hätten, wenn sie entsprechend ihrer jeweiligen
Vertragsbedingungen auch auf Vorkasse bestanden hätten. Insoweit sind zwar
auch durch die Nichtleistung des Angeklagten verwirkte Vertragsstrafen und
pauschalierte Stornokosten zu berücksichtigen, können jedoch nicht wie tat-
sächlich verursachte Betrugsschäden für die Beurteilung der Anordnungsgrund-
lage herangezogen werden.
6
Im Übrigen hat die Strafkammer zwar dargestellt, dass der Angeklagte in
den ihm vorgeworfenen Fällen die Taten nunmehr vollständig eingeräumt und in
der Hauptverhandlung einen einsichtigen Eindruck gemacht hat. Insoweit ist in
der angefochtenen Entscheidung jedoch nicht konkret ausgeführt, weshalb ge-
rade angesichts dieser Umstände bei dem Angeklagten weiterhin ein mittleres
bis hohes Risiko bestehe, dass er rückfällig werde und künftig erhebliche Ver-
mögensdelikte begehen werde.
7
- 5 -
Bei der neuen Entscheidung wird das Landgericht auch die dann mögli-
cherweise geltenden gesetzlichen Neuregelungen zur Anordnung der Siche-
rungsverwahrung (vgl. BT-Drucks. 17/3403) zu berücksichtigen haben.
8
Wahl Elf Graf
Jäger Sander