Urteil des BGH vom 16.10.2012

Steckverbindung Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X ZB 10/11
vom
16. Oktober 2012
in dem Rechtsbeschwerdeverfahren
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
Steckverbindung
PatG § 21 Abs. 1 Nr. 4, § 3 Abs. 1
Schematische Darstellungen, wie sie üblicherweise in Patentschriften zu finden
sind, offenbaren in der Regel nur das Prinzip der beanspruchten Vorrichtung,
nicht aber exakte Abmessungen.
PatG § 100 Abs. 3 Nr. 3; GG Art. 103 Abs. 1
Ein Gericht ist grundsätzlich nicht gehalten, einen Beteiligten zur Wahrung des
rechtlichen Gehörs ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass es eine in einer
Patentschrift wiedergegebene Zeichnung nur als schematische Darstellung und
nicht als maßstabsgerechte Konstruktionszeichnung ansieht.
BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2012 - X ZB 10/11 - Bundespatentgericht
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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Oktober 2012 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Gröning, Dr. Grabinski
und Dr. Bacher sowie die Richterin Schuster
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den am 19. Oktober 2011 verkünde-
ten Beschluss des 19. Senats (Technischen Beschwerdesenats) des
Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Patentinhaberin zurück-
gewiesen.
Der Beschwerdewert wird auf 50.000 Euro festgesetzt.
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Gründe:
I.
Die Rechtsbeschwerdeführerin ist Inhaberin des deutschen Patents
10 2005 039 619 (Streitpatents), das am 19. August 2005 angemeldet worden
ist und eine Steckverbindung betrifft. Patentanspruch 1, auf den sechs weitere
Ansprüche zurückbezogen sind, lautet in der erteilten Fassung:
"Steckverbindung mit wenigstens drei vielpoligen Kontaktreihen, vorzugsweise aus
Messer- und Federleisten bestehende Steckverbindungen, wobei die Messer-
leisten (100) mindestens ein erstes Kontaktelement (120) und die Federleisten
(200) mindestens ein zweites, zum ersten Kontaktelement korrespondierendes
Kontaktelement (220) aufweisen, dadurch gekennzeichnet, dass Lötanschlüsse
(128, 228; 128', 228') der Kontaktelemente (120, 220; 120', 220') wenigstens einer
Kontaktreihe so angeordnet sind, dass die Abstände zwischen den Lötanschlüssen
(128, 228; 128', 228') der Kontaktelemente (120, 220; 120', 220') dieser wenigstens
einen Kontaktreihe und den Lötanschlüssen (128, 228; 128', 228') der Kontakt-
elemente (120, 220; 120', 220') der restlichen Kontaktreihen größer sind als die
Abstände zwischen den Lötanschlüssen (128, 228; 128', 228') der Kontaktelemen-
te (120, 220; 120', 220') innerhalb der restlichen Kontaktreihen."
Die Rechtsbeschwerdegegnerin hat gegen das Streitpatent Einspruch er-
hoben und geltend gemacht, dessen Gegenstand sei nicht patentfähig. Die
Patentinhaberin hat das Streitpatent in der erteilten Fassung und hilfsweise in
geänderter Fassung verteidigt.
Das Patentamt hat das Streitpatent widerrufen. Die Beschwerde der
Patentinhaberin, mit der sie das Patent in geänderten Fassungen verteidigt hat,
ist erfolglos geblieben. Dagegen wendet sich die Patentinhaberin mit der
Rechtsbeschwerde, der die Einsprechende entgegentritt.
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II.
Das form- und fristgerecht eingelegte Rechtsmittel ist statthaft, weil
die Patentinhaberin einen Zulassungsgrund im Sinne von § 100 Abs. 3 Nr. 3
PatG geltend macht. Es ist jedoch unbegründet. Das Patentgericht hat den An-
spruch der Patentinhaberin auf rechtliches Gehör nicht verletzt.
1.
Der Rechtsbeschwerdegrund des § 100 Abs. 3 Nr. 3 PatG trägt der
Bedeutung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruchs auf rechtliches
Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) für ein rechtsstaatliches Verfahren Rechnung, in
dem jeder Verfahrensbeteiligte seine Rechte wirksam wahrnehmen kann. Dies
setzt voraus, dass das Gericht das tatsächliche und rechtliche Vorbringen der
Beteiligten zur Kenntnis nimmt und auf seine sachlich-rechtliche und verfah-
rensrechtliche Entscheidungserheblichkeit prüft und ferner keine Erkenntnisse
verwertet, zu denen die Verfahrensbeteiligten sich nicht äußern konnten (vgl.
nur BGH, Beschluss vom 27. Juni 2007 - X ZB 6/05, BGHZ 173, 47 = GRUR
2007, 862 Rn. 30 - Informationsübermittlungsverfahren II).
Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs schließt keine allgemeine
Pflicht zu Hinweisen an die Parteien ein. Ein Hinweis kann jedoch geboten sein,
wenn für die Beteiligten auch bei sorgfältiger Prozessführung nicht vorherseh-
bar ist, auf welche Erwägungen das Gericht seine Entscheidung stützen wird
(BGH, Beschluss vom 16. September 2008 - X ZB 29/07, GRUR 2009, 91 Rn. 9
- Antennenhalter; Beschluss vom 25. Januar 2000 - X ZB 7/99, GRUR 2000,
792, 793 - Spiralbohrer). Diese Voraussetzung kann zum Beispiel gegeben
sein, wenn das Gericht den Antrag eines Beteiligten in einer Weise auslegt, die
in erkennbarem Widerspruch zu dessen Bestreben liegt (BGH, Beschluss vom
22. September 2009 - Xa ZB 36/08, GRUR 2010, 87 Rn. 15 - Schwingungs-
dämpfer), wenn das Gericht seine Beurteilung auf eine Entgegenhaltung stützt,
die von den Beteiligten nur beiläufig angeführt worden ist (BGH, Beschluss vom
12. April 2011 - X ZB 1/10, GRUR 2011, 656 Rn. 7 - Modularer Fernseher I;
Beschluss vom 8. September 2009 - X ZB 35/08, GRUR 2009, 1192 Rn. 16
- Polyolefinfolie), oder wenn ein Beteiligter erkennbar einem Missverständnis
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oder einem Rechtsirrtum erlegen ist (BGH, Beschluss vom 22. September 2009
- Xa ZB 36/08, GRUR 2010, 87 Rn. 17 - Schwingungsdämpfer).
2.
Im Streitfall war das Patentgericht nicht verpflichtet, die Patent-
inhaberin zur Wahrung des rechtlichen Gehörs darauf hinzuweisen, dass es die
Zeichnungen in den Figuren 1 bis 6 der Streitpatentschrift als nicht maßstabs-
getreue perspektivische Darstellungen ansieht.
Das Patentgericht ist zu dem Ergebnis gelangt, das in allen verteidigten
Fassungen von Patentanspruch 1 vorgesehene Merkmal, wonach für die Kon-
taktelemente der Messerleiste und die Kontaktelemente der Federleiste jeweils
(nur) ein Kontaktelement (eines einzigen Typs) vorgesehen ist, sei in den ur-
sprünglich eingereichten Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbart.
Dieses Merkmal werde weder in der ursprünglichen Fassung der Patentansprü-
che noch in der Beschreibung explizit genannt. Es sei auch keiner der Figuren
eindeutig zu entnehmen. Bei perspektivischen Darstellungen der in den Figuren
1 bis 6 wiedergegebenen Art würden Einzelheiten regelmäßig nicht maßstäb-
lich, sondern verzerrt wiedergegeben. Der Fachmann habe daher keinen An-
lass gehabt, aufgrund dieser Figuren zu mutmaßen, in der Art der Darstellung
der Kontakte könnte eine Erfindung offenbart sein, zumal die Patentansprüche
und die Beschreibung einen anderen Schwerpunkt gesetzt hätten, nämlich die
Gestaltung der Lötanschlüsse. Die Figuren 7 und 8, die den Anschein einer
Konstruktionszeichnung erweckten, zeigten Steckverbinder, bei denen die
Kontaktpole unterschiedlicher Reihen eindeutig nicht miteinander übereinstim-
mend ausgeführt worden seien.
Diese Beurteilung beruht nicht auf Erwägungen, die für die Patentinhabe-
rin unvorhersehbar gewesen sind. Es entspricht einhelliger Auffassung in
Rechtsprechung und Literatur, dass schematische Darstellungen, wie sie
üblicherweise in Patentschriften zu finden sind, regelmäßig nur das Prinzip der
beanspruchten Vorrichtung offenbaren, nicht aber exakte Abmessungen
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(Benkard/Melullis, Patentgesetz, 10. Auflage, § 3 PatG Rn. 27; Benkard/
Scharen, § 14 PatG Rn. 29; Busse/Keukenschrijver, Patentgesetz, 6. Auflage,
§ 14 PatG Rn. 70; Schulte/Moufang, Patentgesetz, 8. Auflage, § 34 PatG
Rn. 320; BPatG, Beschluss vom 17. Oktober 2007 - 7 W (pat) 367/04, juris
Rn. 42; Urteil vom 14. Juni 2007 - 2 Ni 32/05 (EU), juris Rn. 53; Urteil vom
13. März 2001 - 4 Ni 12/00 (EU), juris Rn. 55). Angesichts dessen konnte und
durfte die Patentinhaberin nicht darauf vertrauen, dass das Patentgericht die
Figuren 1 bis 6 der Streitpatentschrift als maßstabsgerechte Konstruktions-
zeichnungen ansehen würde. Vielmehr lag es an der Patentinhaberin, spätes-
tens in der Beschwerdeinstanz vorzutragen, dass die Figuren 1 bis 6 nach ihrer
Auffassung isometrische Darstellungen enthalten. Besondere Umstände, aus
denen sich eine abweichende Beurteilung ergeben könnte, sind weder geltend
gemacht noch sonst ersichtlich.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 109 Abs. 1 Satz 2 PatG, die
Festsetzung des Beschwerdewerts auf § 51 Abs. 1 GKG.
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IV. Eine mündliche Verhandlung hat der Senat nicht für erforderlich ge-
halten (§ 107 Abs. 1 Halbsatz 2 PatG).
Meier-Beck
Gröning
Grabinski
Bacher
Schuster
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 19.10.2011 - 19 W(pat) 92/09 -
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