Urteil des BGH vom 16.05.2013

BGH: abschiebung, haft, beschwerdeinstanz, mangel, erlass, zukunft, emrk, anhörung, vollstreckung, widerstand

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZB 11/13
vom
16. Mai 2013
in der Abschiebungshaftsache
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Mai 2013 durch die Vorsit-
zende Richterin Dr. Stresemann, die Richter Prof. Dr. Schmidt-Räntsch,
Dr. Czub und Dr. Roth und die Richterin Dr. Brückner
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass
der Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom
21. August 2012 und der Beschluss der 29. Zivilkammer des
Landgerichts Frankfurt am Main vom 2. Oktober 2012 ihn in sei-
nen Rechten verletzt haben.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur
zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen
des Betroffenen in allen Instanzen werden der Stadt Viersen auf-
erlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
3.000
€.
Gründe:
I.
Der Betroffene, ein guineischer Staatsangehöriger, reiste am 11. Februar
2009 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sein Asylantrag wurde ebenso
abgelehnt wie ein späterer Folgeantrag. Seit dem 28. September 2010 ist der
Betroffene vollziebar ausreisepflichtig. Mit - bestandskräftiger - Verfügung der
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beteiligten Behörde vom 23. November 2011 wurde er für die Dauer von sieben
Jahren aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen.
Die für den 17. August 2012 organisierte unbegleitete Abschiebung
scheiterte an dem Widerstand des Betroffenen.
Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht mit Beschluss
vom 21. August 2012 die Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum 7. No-
vember 2012 sowie die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet.
Die Beschwerde hat das Landgericht mit Beschluss vom 2. Oktober 2012 zu-
rückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde, mit welcher der
Betroffene nach dem Ablauf der angeordneten Haftdauer die Feststellung errei-
chen will, dass die Beschlüsse des Amts- und des Landgerichts ihn in seinen
Rechten verletzt haben.
II.
Nach Ansicht des Beschwerdegerichts lagen die in § 62 Abs. 3 Satz 1
Nr. 4 und Nr. 5 AufenthG genannten Voraussetzungen für die Haftanordnung
vor. Die Haftdauer sei nicht zu beanstanden. Es habe nicht festgestanden, dass
die Abschiebung nicht innerhalb dieses Zeitraums habe durchgeführt werden
können. Die Haftanordnung habe nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrund-
satz verstoßen. Die beteiligte Behörde habe die Rückführung des Betroffenen
mit der gebotenen Beschleunigung betrieben. Schließlich habe der Betroffene
nicht glaubhaft gemacht, dass er sich der Abschiebung nicht habe entziehen
wollen.
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III.
Die nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG mit dem Feststellungs-
antrag analog § 62 FamFG statthafte (siehe nur Senat, Beschluss vom
25. Februar 2010 - V ZB 172/09, FGPrax 2010, 150, 151 Rn. 9) und auch sonst
zulässige (§ 71 FamFG) Rechtsbeschwerde ist begründet. Der Betroffene ist
durch die Haftanordnung und ihre Aufrechterhaltung in seinen Rechten verletzt
worden.
1. Bereits wegen Fehlens einer den Anforderungen des § 417 Abs. 2
FamFG entsprechenden Antragsbegründung hätte die Haft nicht angeordnet
werden dürfen.
a) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des
Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Ein Ver-
stoß gegen den Begründungszwang führt zur Unzulässigkeit des Haftantrags
(st. Rspr., siehe näher Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09,
FGPrax 2010, 210, 211 Rn. 12; Beschluss vom 22. Juli 2010 - V ZB 28/10,
NVwZ 2010, 1511, 1512 Rn. 7). Bei einer beabsichtigten Abschiebung muss die
Behörde in dem Haftantrag nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG unter ande-
rem die Vollstreckungsvoraussetzungen darlegen, zu denen auch die Abschie-
bungsandrohung nach § 59 Abs. 1 AufenthG gehört; fehlt es an einer für die
Vollstreckung erforderlichen Voraussetzung, darf auch eine kraft Gesetzes voll-
ziehbare Ausreisepflicht nicht durch eine Abschiebung durchgesetzt werden
(Senat, Beschluss vom 27. September 2012 - V ZB 31/12, InfAuslR 2013, 38).
b) Dem genügte der Haftantrag nicht. Die beteiligte Behörde hat darin
nicht dargelegt, dass die Abschiebung angedroht worden ist oder dass die Vo-
raussetzungen für das Absehen von einer Abschiebungsandrohung (§ 59
Abs. 1 Satz 3 AufenthG) vorgelegen haben. Der Bescheid des Bundesamts für
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Migration und Flüchtlinge vom 4. Dezember 2009, der diese Androhung enthält,
ist weder im Haftantrag erwähnt noch diesem als Anlage beigefügt. Das Proto-
koll über die Anhörung vom 21. August 2012 lässt auch nicht erkennen, dass
die Behörde ihre Angaben vor Erlass der Haftanordnung mündlich vervollstän-
digt hat (zu dieser Möglichkeit vgl. Beschluss vom 7. April 2011 - V ZB 141/10,
InfAuslR 2011, 301, 302 Rn. 9 mwN).
2. In der Beschwerdeinstanz ist der Mangel der Antragsbegründung nicht
- für die Zukunft - geheilt worden. Das ergibt sich jedenfalls daraus, dass der
Betroffene nicht erneut angehört worden ist und damit - selbst wenn die beteilig-
te Behörde die fehlenden Angaben inzwischen nachgeholt haben sollte - nicht
Gelegenheit hatte, zu sämtlichen tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen der
Haftanordnung Stellung zu nehmen (vgl. Senat, Beschluss vom 29. April 2010
- V ZB 218/09, FGPrax 2010, 210, 211 f. Rn. 25; Beschluss vom 18. August
2010 - V ZB 119/10, juris Rn. 14).
3. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83
Abs. 2, § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 EMRK analog.
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Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO in
Verbindung mit § 30 Abs. 2 KostO.
Stresemann
Schmidt-Räntsch
Czub
Roth
Brückner
Vorinstanzen:
AG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 21.08.2012 - 934 XIV 351/12 B -
LG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 02.10.2012 - 2-29 T 276/12 -
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