Urteil des BGH vom 18.02.2014

Rheinhessische Energie II Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
E n V R 7 1 / 1 2
Verkündet am:
18. Februar 2014
Bürk
Amtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der energiewirtschaftsrechtlichen Verwaltungssache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
Rheinhessische Energie II
StromNEV § 7 Abs. 1 Satz 3 (in der bis zum 5. November 2007 geltenden Fassung)
Die Ermittlung des Fremdkapitalzinssatzes i.S. des § 7 Abs. 1 Satz 3 StromNEV aF
unterliegt grundsätzlich der Beurteilung des Tatrichters. Seine Entscheidung kann in
der Rechtsbeschwerdeinstanz nur eingeschränkt dahin überprüft werden, ob er er-
hebliches Vorbringen der Beteiligten unberücksichtigt gelassen, Rechtsgrundsätze
der Zinsbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht ge-
lassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zu Grunde gelegt hat.
BGH, Beschluss vom 18. Februar 2014 - EnVR 71/12 - OLG Koblenz
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Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom
18. Februar 2014 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck und die Rich-
ter Prof. Dr. Strohn, Dr. Grüneberg, Dr. Bacher und Dr. Deichfuß
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerden gegen den Beschluss des Kartellsenats des
Oberlandesgerichts Koblenz vom 8. November 2012 werden zurück-
gewiesen.
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens einschließlich der not-
wendigen Auslagen der Beteiligten werden gegeneinander aufgehoben.
Der Wert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 9.246,04
€ fest-
gesetzt.
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Gründe:
I.
Die Antragstellerin ist ein kommunales Energie- und Wasserversorgungsun-
ternehmen. Sie versorgt ihre Kunden mit Elektrizität, Gas und Wasser. Daneben be-
treibt sie elektrische Verteilernetze. Am 28. Oktober 2005 beantragte die Antragstel-
lerin bei der zuständigen Landesregulierungsbehörde die Genehmigung ihrer Entgel-
te für den Netzzugang. Mit Bescheid vom 29. August 2006 genehmigte die Landes-
regulierungsbehörde - unter Ablehnung des weitergehenden Antrags - für den Zeit-
raum vom 1. September 2006 bis 31. Dezember 2007 niedrigere als die von der An-
tragstellerin beantragten Höchstpreise. Sie begründete dies mit Kürzungen bei den
Kostenpositionen kalkulatorische Abschreibungen, Inflationsausgleich, kalkulatori-
sche Eigenkapitalverzinsung und kalkulatorische Gewerbesteuer.
Hiergegen hat die Antragstellerin Beschwerde eingelegt. Das Beschwerdege-
richt hat den Bescheid der Landesregulierungsbehörde aufgehoben und diese ver-
pflichtet, den Antrag unter Beachtung seiner Rechtsauffassung erneut zu beschei-
den, weil die Versagung der begehrten Netzentgeltgenehmigung hinsichtlich der
Kürzung der kalkulatorischen Abschreibungen und des zugrunde gelegten Zinssat-
zes bei der Verzinsung des die zulässige Quote übersteigenden Anteils des Eigen-
kapitals rechtswidrig sei. Die weitergehende Beschwerde der Antragstellerin hat das
Beschwerdegericht zurückgewiesen. Auf die hiergegen von der Antragstellerin und
der Landesregulierungsbehörde eingelegten Rechtsbeschwerden hat der Senat mit
Beschluss vom 14. August 2008 (KVR 42/07, WuW/E DE-R 2395 - Rheinhessische
Energie) unter Zurückweisung der weitergehenden Rechtsbeschwerden die Ent-
scheidung des Beschwerdegerichts im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als
das Beschwerdegericht den Genehmigungsbescheid der Landesregulierungsbehör-
de aufgehoben und diese zur Neubescheidung verpflichtet hat; im Umfang der Auf-
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hebung hat der Senat die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das
Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Zwischen den Beteiligten ist nur noch im Streit, wie hoch der im Rahmen der
kalkulatorischen Eigenkapitalverzinsung nach § 7 Abs. 1 Satz 3 StromNEV in der bis
zum 5. November 2007 geltenden Fassung (im Folgenden: aF) nach den Maßgaben
des § 5 Abs. 2 Halbs. 2 StromNEV zu ermittelnde fiktive Fremdkapitalzinssatz anzu-
setzen ist, wobei die Antragstellerin statt des im Genehmigungsverfahren beantrag-
ten Zinssatzes von 5,4% nunmehr einen solchen von 5,6% begehrt. Nach Einholung
eines hierzu schriftlich erstatteten und mündlich erläuterten Sachverständigengutach-
tens hat das Beschwerdegericht den Bescheid der Landesregulierungsbehörde unter
Zurückweisung der weitergehenden Beschwerde insoweit aufgehoben, als er die
Verzinsung des Anteils des Eigenkapitals der Antragstellerin zum Gegenstand hat,
der ihre zugelassene Eigenkapitalquote übersteigt, und die Landesregulierungsbe-
hörde verpflichtet, den Antrag der Antragstellerin insoweit unter Ansatz eines Zins-
satzes von 5,24% p.a. neu zu bescheiden. Hiergegen richten sich die - vom Be-
schwerdegericht zugelassenen - Rechtsbeschwerden der Antragstellerin und der
Bundesnetzagentur.
II.
Die Rechtsbeschwerden sind unbegründet.
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, dass nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs gemäß § 5 Abs. 2 Halbs. 2 StromNEV Fremdkapitalzinsen
höchstens in der Höhe berücksichtigt werden könnten, zu der sich der Netzbetreiber
auf dem Kapitalmarkt langfristig Fremdkapital durch Ausgabe einer fest verzinslichen
Anleihe, wie etwa einer Inhaberschuldverschreibung, hätte verschaffen können. Die
Höhe des Fremdkapitalzinssatzes könne nach dem auf die letzten zehn abgeschlos-
senen Kalenderjahre bezogenen Durchschnitt der von der Deutschen Bundesbank
veröffentlichten Umlaufrendite festverzinslicher Anleihen der öffentlichen Hand mit
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einer längeren Laufzeit von über vier Jahren, soweit ihre mittlere Laufzeit mehr als
drei Jahre betrage, zuzüglich eines angemessenen Risikozuschlags bemessen wer-
den. Für diese Risikobewertung sei aus der Sicht eines fiktiven Kreditgebers die Ein-
schätzung der Bonität des Emittenten und die Art der Emission maßgeblich. Dabei
müsse jedoch keine unternehmensscharfe Risikobewertung vorgenommen werden.
Aus Gründen der Vereinfachung und Praktikabilität sei die Bildung sachgerecht ab-
gegrenzter Risikoklassen geboten.
Nach diesen Maßgaben sei der fiktive Fremdkapitalzinssatz mit 5,24% zu be-
messen. Auszugehen sei von der vom Sachverständigen ermittelten durchschnittli-
chen Umlaufrendite börsennotierter Bundeswertpapiere in der Laufzeitkategorie fünf
bis acht Jahre von 4,78% zuzüglich eines Liquiditätszuschlags von 0,31 Prozent-
punkten, d.h. 31 Basispunkten, und eines - im Hinblick auf die Eigentümerstruktur um
10 Basispunkte zu bereinigenden - Risikozuschlags von 25 Basispunkten. Dies folge
aus den nachvollziehbaren und überzeugenden Bekundungen des gerichtlich bestell-
ten Sachverständigen Prof. Dr. Kaserer. Soweit er vor dem Problem einer nur spär-
lich vorhandenen Datenbasis gestanden habe, habe er dies stets deutlich gemacht
und seine Befunde mit tragfähigen und durchweg einleuchtenden Hilfs- und Alterna-
tiverwägungen unterlegt.
Der Sachverständige habe den fiktiven Fremdkapitalzinssatz in vier Arbeits-
schritten ermittelt. Im ersten Arbeitsschritt habe der Sachverständige den Liquiditäts-
zuschlag untersucht, der auf dem Kapitalmarkt für Anleihen geringer Liquidität ver-
langt werde und mit dem Grad an fehlender Liquidität variiere. Dabei habe er die
durchschnittliche Laufzeit von Industrieobligationen von 7,22 bis zu acht Jahren zu-
grundegelegt und unterstellt, dass der Kapitalmarkt Anleihen von Emittenten, die sich
im (teilweisen) Eigentum von Kommunen oder anderen Gebietskörperschaften be-
fänden, tatsächlich im selben Maße als risikolos ansehe wie Anleihen der öffentli-
chen Hand. Nach den Statistiken der Deutschen Bundesbank liege die Renditediffe-
renz zwischen Bundeswertpapieren und - als ebenso risikolos geltenden - Öffentli-
chen Pfandbriefen im Durchschnitt des hier maßgeblichen Zeitraums von 1995 bis
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2004 bei 31 Basispunkten. Dies stelle mit großer Wahrscheinlichkeit nur eine Unter-
grenze dar; aufgrund der spärlichen Datenlage sei indes ein höherer Zuschlag nicht
belastbar darzustellen. Insbesondere könnten nicht die - nicht repräsentativen - An-
leihen der Freien und Hansestadt Hamburg herangezogen werden, aus denen sich
ein Liquiditätszuschlag von mindestens 53 Basispunkten ergebe.
Soweit der Sachverständige in diesem ersten Arbeitsschritt auch fiktive Emis-
sionskosten veranschlagt und diese mit jährlich 36 Basispunkten bemessen habe,
müssten diese aus Rechtsgründen außer Betracht bleiben. Für deren Einbeziehung
fehle es an einer rechtlichen Grundlage, weil § 7 Abs. 1 Satz 3 StromNEV aF und § 5
Abs. 2 StromNEV lediglich auf Fremdkapitalzinsen abstellten, während es sich bei
Emissionskosten nicht um Zinsen handele, sondern um Kosten, die dem Netzbetrei-
ber bei der Ausgabe einer Anleihe auf dem Kapitalmarkt entstünden und auf die Hö-
he des Zinssatzes keinen Einfluss hätten.
In einem zweiten Arbeitsschritt habe der Sachverständige die Obergrenze des
fiktiven Fremdkapitalzinssatzes bestimmt, indem er unterstellt habe, dass der Kapi-
talmarkt eine von der Antragstellerin emittierte Anleihe genauso bewerte wie die An-
leihe eines vergleichbaren Unternehmens, welches sich - anders als die Antragstelle-
rin - vollständig im Eigentum privater Anbieter befinde. Zur Ermittlung des sich dar-
aus ergebenden Risikozuschlags habe der Sachverständige zwei alternative Wege
beschritten. Zum einen habe er den Risikozuschlag für alle deutschen Industrieun-
ternehmen, die Anleihen emittieren, ermittelt, indem er deren Rendite mit derjenigen
der Öffentlichen Pfandbriefe als (nahezu) risikolosen und liquiditätskongruenten An-
leihen verglichen habe. Daraus habe sich ein Risikozuschlag von 21 Basispunkten
ergeben. Zum anderen habe der Sachverständige den Risikozuschlag anhand der
(hypothetisch) vom Kapitalmarkt vorgenommenen Risikoeinschätzung ermittelt, in-
dem er die von den beiden großen Ratingagenturen Standard & Poor’s und Moody’s
veröffentlichten Ratings und - mangels ausreichender Datengrundlage für den hier in
Rede stehenden Zeitraum 1995 bis 2004 - die Prämien einer Kreditausfallversiche-
rung (Credit Default Swaps - CDS) für den Zeitraum 2004 bis 2007 herangezogen
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habe. Ein Vergleich der Bilanzkennzahlen der Antragstellerin habe ergeben, dass
diese bei vier Schlüsselkennzahlen ein Rating von "AA oder besser" und lediglich bei
der Schlüsselkennzahl Debt/Capital (Fremdkapital/Gesamtkapital) im Hinblick auf die
(unterstellte) Fremdkapitalquote von 60% die Ratingeinstufung "BB" erhalten hätte,
so dass in einer Gesamtschau von einem Rating "AA" auszugehen sei. Entgegen
den Einwänden der Landesregulierungsbehörde und der Bundesnetzagentur könne
insoweit nicht isoliert auf eine Netzbetreibergesellschaft abgestellt werden, weil die
Investoren ihr Kapital tatsächlich der Antragstellerin als juristischer Person und nicht
deren unselbständigem Unternehmensbereich "Netzbetrieb" zur Verfügung gestellt
hätten. Daraus ergebe sich ein Risikozuschlag von 25 Basispunkten, der im Weiteren
zugrunde zu legen sei, weil die Ermittlung des Ausfallrisikos anhand der Prämien für
Credit Default Swaps zielgenauer und zuverlässiger sei.
In einem dritten Arbeitsschritt habe der Sachverständige geprüft, ob und ge-
gebenenfalls welchen Einfluss die bei der Antragstellerin vorhandene Eigentümer-
struktur auf die Risikoeinschätzung des Kapitalmarkts gehabt hätte. Aufgrund der
Veröffentlichung der großen Ratingagenturen sei davon auszugehen, dass dies dem
Grunde nach eine Rolle bei der Bewertung des Ausfallrisikos spiele. Wegen des nur
spärlich vorhandenen Datenmaterials habe der Sachverständige die Prämien für
Kreditausfallversicherungen der drei großen Energieversorgungsunternehmen E.ON,
RWE und EnBW verglichen, die über zwei verschiedene Teilzeiträume von Oktober
2004 bis März 2007 und April 2007 bis April 2010 eine stabile Differenz im CDS-
Spread von 10 bis 14 Basispunkten zu Lasten des in privater Hand befindlichen Un-
ternehmens aufwiesen. Aufgrund dessen sei es gerechtfertigt, den im zweiten Ar-
beitsschritt ermittelten Risikozuschlag um 10 Basispunkte zu verringern.
Schließlich habe der Sachverständige in einem vierten Arbeitsschritt unter-
sucht, ob es sich auf den Risikozuschlag auswirke, wenn sich ein Energieversor-
gungsunternehmen vollständig im Eigentum einer Kommune befinde. Dies beinhalte
die Frage, wie die Bonität einer Kommune einzuschätzen sei. Belastbare Daten gebe
es insoweit nicht, weil bis heute nur wenige Kommunen über ein eigenes Rating ver-
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fügten. Eine von der Ratingagentur Fitch veröffentlichte Studie zur Kreditwürdigkeit
deutscher Kommunen komme zu dem Ergebnis, dass wohl nur 17,3% der Kommu-
nen die Bestnote "AAA" bekommen würden. Dies lasse darauf schließen, dass es
unwahrscheinlich sei, dass kommunale Anleihen im Durchschnitt keinen Risikozu-
schlag gegenüber Bundesanleihen aufweisen würden.
2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
a) Das Beschwerdegericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass - wie der
Senat mit Beschluss vom 14. August 2008 (KVR 42/07, WuW/E DE-R 2395,
Rn. 55 ff. - Rheinhessische Energie) entschieden und im Einzelnen begründet hat -
der Fremdkapitalzinssatz i.S. des § 7 Abs. 1 Satz 3 StromNEV aF nach den Maßstä-
ben des § 5 Abs. 2 Halbs. 2 StromNEV zu ermitteln ist. Nach dem Sinn und Zweck
dieser Vorschrift sollen Fremdkapitalzinsen höchstens in der Höhe berücksichtigt
werden, zu der sich der Netzbetreiber auf dem Kapitalmarkt langfristig Fremdkapital
durch Ausgabe einer festverzinslichen Anleihe, wie etwa einer Inhaberschuldver-
schreibung, hätte verschaffen können. Für die Risikobewertung kommt es aus der
Sicht eines fiktiven Kreditgebers auf die Art der Emission und die Einschätzung der
Bonität des Emittenten an. Der fiktive Kreditgeber wird dabei von dem im Anlagezeit-
punkt erzielbaren Zinssatz für eine langfristige, insolvenzfeste Anleihe, wie sie die
öffentliche Hand bietet, ausgehen und im Falle der Geldanlage bei einem anderen
Emissionsschuldner für die Inkaufnahme des Ausfallrisikos einen bestimmten Risiko-
zuschlag verlangen.
Nach der Rechtsprechung des Senats kann des Weiteren im Ausgangspunkt
die aus den Monatsberichten der Deutschen Bundesbank ersichtliche durchschnittli-
che Umlaufrendite festverzinslicher Anleihen der öffentlichen Hand mit einer längsten
Laufzeit von über vier Jahren, soweit ihre mittlere Laufzeit mehr als drei Jahre be-
trägt, herangezogen werden. In entsprechender Anwendung des Rechtsgedankens
des § 7 Abs. 4 Satz 1 StromNEV ist auf den durchschnittlichen Zinssatz der letzten
zehn abgeschlossenen Kalenderjahre vor Antragstellung abzustellen. Denn bei § 7
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Abs. 1 Satz 3 StromNEV aF geht es nicht um einen zukunftsgerichteten Renditesatz
für das (überschießende) Eigenkapital, sondern um die fiktive Frage, zu welchem
Zinssatz die Antragstellerin - hätte sie insoweit kein Eigenkapital eingesetzt - Fremd-
kapital hätte aufnehmen können. Dabei muss jedoch keine unternehmensscharfe
Risikobewertung vorgenommen werden. Aus Gründen der Vereinfachung und Prak-
tikabilität ist die Bildung sachgerecht abgegrenzter Risikoklassen geboten.
Unter Einhaltung dieser Maßgaben unterliegt die Ermittlung des Fremdkapital-
zinssatzes i.S. des § 7 Abs. 1 Satz 3 StromNEV aF einschließlich der Bildung sach-
gerecht abgegrenzter Risikoklassen grundsätzlich der Beurteilung des Tatrichters.
Dabei hat er entsprechend § 287 Abs. 2 ZPO in Verbindung mit Absatz 1 die Mög-
lichkeit, unter Würdigung aller maßgeblichen Umstände nach freier Überzeugung die
Höhe zu schätzen. Mangels Vorhandenseins tatsächlicher Zinssätze für die Bege-
bung von Anleihen auf dem Kapitalmarkt durch Netzbetreiber hat das Gericht einen
fiktiven Zinssatz zu bestimmen, wobei es von verschiedenen hypothetischen An-
nahmen ausgehen muss und ihm nur Annäherungen möglich sind. Seine Entschei-
dung kann in der Rechtsbeschwerdeinstanz nur eingeschränkt dahingehend über-
prüft werden, ob der Tatrichter erhebliches Vorbringen der Beteiligten unberücksich-
tigt gelassen, Rechtsgrundsätze der Zinsbemessung verkannt, wesentliche Bemes-
sungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe
zu Grunde gelegt hat. Die Art der Schätzungsgrundlage gibt § 287 ZPO nicht vor.
Der Zinssatz darf lediglich nicht auf der Grundlage falscher oder offenbar unsachli-
cher Erwägungen bestimmt werden. Bei seiner Schätzung dürfen ferner nicht we-
sentliche, die Entscheidung bedingende Tatsachen außer Acht bleiben. Schließlich
darf das Gericht in für die Streitentscheidung zentralen Fragen auf nach Sachlage
unerlässliche fachliche Erkenntnisse nicht verzichten (vgl. BGH, Urteile vom
17. Dezember 1996 - X ZR 76/94, NJW-RR 1997, 688, 689 und vom 22. Februar
2011 - VI ZR 353/09, NJW-RR 2011, 823 Rn. 6 f. mwN).
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b) Ein solcher Fehler wird von den Rechtsbeschwerden der Antragstellerin
und der Bundesnetzagentur nicht aufgezeigt und ist auch im Übrigen nicht erkenn-
bar.
aa) Entgegen der Rechtsbeschwerde der Bundesnetzagentur verstößt die Be-
urteilung des Beschwerdegerichts weder gegen die Vorgaben des Senats noch ge-
gen die regulatorischen Bestimmungen.
(1) Anders als die Rechtsbeschwerde meint, ist es nicht unzulässig, der Risi-
kobewertung der Antragstellerin als Netzbetreiberin die Kennzahlen ihres integrierten
Gesamtunternehmens zugrunde zu legen, das auch netzfremde Sparten wie den
Eigenbetrieb, die Wasserversorgung und die Straßenbeleuchtung einschließt, weil
auf diese Weise auch netzfremde Risiken in die Zinsbemessung einfließen.
Die regulatorischen Vorschriften bestimmen zwar in § 6 Abs. 1 Satz 1 EnWG,
dass vertikal integrierte Energieversorgungsunternehmen und rechtlich selbständige
Betreiber von Elektrizitäts- und Gasversorgungsnetzen, die im Sinne des § 3 Nr. 38
EnWG mit einem vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmen verbunden
sind, zur Gewährleistung von Transparenz sowie diskriminierungsfreier Ausgestal-
tung und Abwicklung des Netzbetriebs verpflichtet sind, und sehen hierfür in §§ 6 ff.
EnWG verschiedene Entflechtungsvorgaben vor. Dies hat aber nach den für den hier
maßgeblichen Zeitraum geltenden Vorschriften nicht zur Folge, dass der Netzbetrieb
aus dem Konzernverbund rechtlich und wirtschaftlich vollständig ausgegliedert wer-
den muss und keinerlei eigentumsrechtliche Verflechtungen bestehen dürfen. Dann
begegnet es aber keinen rechtlichen Bedenken, dass das Beschwerdegericht bei der
Risikobewertung der Antragstellerin als - fiktiver - Emittentin einer Anleihe auf dem
Kapitalmarkt die dort berücksichtigten - tatsächlichen - Kennzahlen ihres integrierten
Gesamtunternehmens bzw. eines für die Risikoklasse der Antragstellerin typischen
Gesamtunternehmens und nicht - wofür die Rechtsbeschwerde hält - die Kennzahlen
einer rechtlich verselbständigten Netzbetreibergesellschaft zugrunde gelegt hat. Eine
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Belastung des Netzbetriebs mit netzfremden Kosten ergibt sich hieraus entgegen der
Meinung der Rechtsbeschwerde nicht.
Davon abgesehen hat die Rechtsbeschwerde auch nicht auf einen substanti-
ierten und einem Beweis zugänglichen Tatsachenvortrag verwiesen, wonach unter
Zugrundelegung der vorherrschenden Eigentümerstruktur der Antragstellerin bzw.
der typischen Eigentümerstruktur einer der Risikoklasse der Antragstellerin zugehö-
rigen Netzbetreiberin eine rechtlich verselbständigte Netzbetreibergesellschaft stets,
d.h. unabhängig von dem Rating ihrer Eigentümer, das höchste Rating erhalten wür-
de. Dafür bieten auch weder die Feststellungen des Beschwerdegerichts noch die
Ausführungen des Sachverständigen hinreichende Anhaltspunkte.
Es ist auch nicht zu beanstanden, dass das Beschwerdegericht dem Sachver-
ständigen darin gefolgt ist, seiner Beurteilung die von den Ratingagenturen veröffent-
lichten Kennzahlenwerte und Ratings für die Branche der Versorgungsunternehmen
zugrundezulegen. Unabhängig davon ist gegen die Beurteilung des Beschwerdege-
richts aber auch deshalb nichts einzuwenden, weil nach den Ausführungen des
Sachverständigen spezifische Kennzahlen für Netzbetreiber tatsächlich nicht zur Ver-
fügung stehen. Dann ist es nicht rechtsfehlerhaft, sondern sogar naheliegend, auf die
Kennzahlen der nächsthöheren Branchenstufe - nämlich diejenigen der Versor-
gungsunternehmen - abzustellen. Dem entspricht nach den von der Rechtsbe-
schwerde nicht angegriffenen Bekundungen des Sachverständigen das Vorgehen
der Ratingagenturen und damit - was nach der Senatsrechtsprechung zugrundezule-
gen ist - die Sichtweise eines (fiktiven) Investors auf dem Kapitalmarkt. Die von der
Bundesnetzagentur geforderte "netzscharfe" Risikobewertung ist nicht geboten.
Soweit die Rechtsbeschwerde ein höheres Rating der Antragstellerin als das
vom Beschwerdegericht angenommene Rating "AA" unter Hinweis auf die monopol-
artige Marktstellung, das fehlende Verlustrisiko, den beständigen Cashflow, die Ge-
winngarantie, die Eigenkapitalgarantie und die Investitionsgarantie zu begründen
versucht, berührt dies den Kernbereich der tatrichterlichen Würdigung, die in der
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Rechtsbeschwerdeinstanz nur eingeschränkt überprüft werden kann. Das Beschwer-
degericht hat diese Umstände berücksichtigt und aufgrund sachverständiger Bera-
tung kein höheres Rating als das - ohnehin schon hohe - "AA"-Rating angenommen.
Dies lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Vielmehr wird die Annahme des Be-
schwerdegerichts dadurch bestätigt und abgesichert, dass sich der Risikozuschlag
seiner Größenordnung nach auch aufgrund der von dem Sachverständigen ange-
wendeten alternativen Berechnungsmethode ergibt.
(2) Die Rechtsbeschwerde der Bundesnetzagentur hat auch keinen Erfolg,
soweit sie sich dagegen wendet, dass das Beschwerdegericht der Bonitätsbewertung
der Antragstellerin nicht deren tatsächliche (höhere) Eigenkapitalausstattung, son-
dern lediglich eine fiktive Eigenkapitalquote von 40% zugrunde gelegt hat.
Das Beschwerdegericht hat dem Sachverständigen zu Recht für die Ermittlung
der Bilanzkennzahlen die Vorgabe gemacht, von einer Eigenkapitalquote der Antrag-
stellerin von (lediglich) 40% auszugehen. Dies ist Folge des rein kalkulatorischen
Berechnungsansatzes nach §§ 4 ff. StromNEV. Die kalkulatorische Eigenkapitalver-
zinsung ist Teil der kalkulatorischen Kostenrechnung, die die Entgeltbildung unter
funktionierenden Wettbewerbsbedingungen simulieren soll. In dieser "kalkulatori-
schen Welt" ist gemäß § 7 StromNEV auch die Verzinsung des Eigenkapitals rein
kalkulatorisch zu berechnen, indem das (betriebsnotwendige) Eigenkapital fiktiv in
zwei Teile aufgespalten wird, nämlich einen solchen, der mit dem von der Bundes-
netzagentur festgelegten Eigenkapitalzinssatz verzinst wird, und einen solchen, der
nominal wie Fremdkapital zu verzinsen ist und damit im Hinblick auf die im Rahmen
der kostenbasierten Entgeltgenehmigung anzuerkennenden (Zins-) Kosten wie
Fremdkapital behandelt wird. Die tatsächliche Höhe des Eigenkapitals ist hierfür in-
soweit ohne Bedeutung (vgl. hierzu auch Senatsbeschluss vom 14. August 2008 -
KVR 42/07, WuW/E DE-R 2395 Rn. 70 [zu § 8 StromNEV] - Rheinhessische Ener-
gie).
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Davon abgesehen hat das Beschwerdegericht ausgeführt, dass die Antrag-
stellerin auch bei Zugrundelegung eines höheren Eigenkapitalanteils nicht in eine
Risikoklasse mit einem "AAA"-Rating einzustufen wäre. Denn bei der diesbezügli-
chen Schlüsselkennzahl Debt/Capital (Fremdkapital/Gesamtkapital) handelt es sich -
wie der Sachverständige bekundet hat - nicht um die ausschlaggebende Größe für
das
Rating. Eine empirische Vergleichsuntersuchung der Ratingagentur Moody’s aus
dem Jahr 2005 hat vielmehr ergeben, dass Energieversorgungsunternehmen nur
ausnahmsweise ein "AAA"-Rating erhalten. Nach dem Kriterienkatalog dieser Rating-
agentur ist nach den Ausführungen des Sachverständigen die Erteilung eines "AAA"-
Ratings für einen deutschen Energieversorger allein schon wegen der regulatori-
schen Verhältnisse eher unwahrscheinlich und bei Vorhandensein eines hundertpro-
zentigen Eigentumsanteils der öffentlichen Hand nur dann möglich, wenn der Eigen-
tümer selbst über ein solches Rating verfügt. Dass dies bei der Antragstellerin und
der insoweit maßgeblichen Risikoklasse der Fall ist, wird von der Bundesnetzagentur
nicht behauptet und ist auch im Übrigen nicht ersichtlich.
(3) Schließlich wendet sich die Rechtsbeschwerde der Bundesnetzagentur
auch ohne Erfolg gegen die Einbeziehung eines Liquiditätszuschlags. Insoweit ist
nicht zu beanstanden, dass das Beschwerdegericht nicht auf eine "Kaufen-und-
Halten"-Perspektive des (fiktiven) Investors abgestellt hat und den Liquiditätszu-
schlag höher veranschlagt hat als das eigentliche Ausfallrisiko.
Anders als die Rechtsbeschwerde meint, ist im Rahmen des § 5 Abs. 2
Halbs. 2 StromNEV der Ansatz eines Liquiditätszuschlags neben dem Insolvenzrisiko
des Netzbetreibers geboten. Nach der Rechtsprechung des Senats ist für die Risiko-
bewertung aus der Sicht eines fiktiven Kreditgebers die Einschätzung der Bonität des
Emittenten und die Art der Emission maßgeblich (Senatsbeschluss vom 14. August
2008 - KVR 42/07, WuW/E DE-R 2395 Rn. 60 - Rheinhessische Energie). Soweit der
Senat insoweit ausdrücklich einen bestimmten Risikozuschlag für die Inkaufnahme
des Ausfallrisikos erwähnt hat (vgl. Senatsbeschluss vom 14. August 2008 - KVR
42/07, WuW/E DE-R 2395 Rn. 56 - Rheinhessische Energie), ist dies ersichtlich nur
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beispielhaft gemeint. Dass daneben auch andere Faktoren eine Rolle spielen kön-
nen, ergibt sich bereits aus der Erwähnung der Art der Emission. Insbesondere stellt
es keinen Rechtsfehler dar, dass das Beschwerdegericht - entgegen der von der
Bundesnetzagentur bereits in der Beschwerdeinstanz vorgebrachten und nunmehr
weiterverfolgten Argumentation - nicht auf eine "Kaufen-und-Halten"-Perspektive des
(fiktiven) Investors abgestellt hat, für den die Liquidität einer Anleihe keine Rolle spie-
le und der deshalb keinen Liquiditätszuschlag verlange. Die Einwände der Rechtsbe-
schwerde berühren den Kernbereich der tatrichterlichen Würdigung, die in der
Rechtsbeschwerdeinstanz nur eingeschränkt überprüft werden kann. Das Beschwer-
degericht hat sich mit den Einwänden der Regulierungsbehörde auseinandergesetzt
und nach sachverständiger Beratung einen Liquiditätszuschlag zuerkannt. Dies lässt
keinen Rechtsfehler erkennen. Nach den Bekundungen des Sachverständigen ist die
Bedeutung von Liquiditätsprämien für Anleihemärkte umfangreich dokumentiert und
das Investorenverlangen nach einem Renditezuschlag bei Anleihen niedriger Liquidi-
tät anerkannt. Soweit die Bundesnetzagentur behauptet, Liquiditätszuschläge seien
eher bei Fremdwährungsgeschäften üblich, während Anleihen von Netzbetreibern
eher von Investoren gezeichnet würden, die an einem langfristigen Investment inte-
ressiert seien, ist dies ohne Substanz.
Entgegen der Rechtsbeschwerde ist es auch nicht zu beanstanden, dass der
Liquiditätszuschlag höher ist als der Risikozuschlag. Dieser Umstand als solcher
kann einen Rechtsfehler nicht begründen. Die unterschiedliche Höhe beruht in erster
Linie darauf, dass der Risikozuschlag aufgrund der besonderen Eigentümerstruktur
der Antragstellerin vergleichsweise gering ist. Soweit die Rechtsbeschwerde eine
Anerkennung des Liquiditätszuschlags wegen dessen Missverhältnis zum Ausfallrisi-
ko unter Bezugnahme auf verschiedene Zeiträume (2000 bis 2007, September 2008
bis März 2009, 2001 bis 2010, 2002 bis 2011) verneinen möchte, bleibt dies ohne
Erfolg. Das Beschwerdegericht hat - was auf der Hand liegt - im Anschluss an die
Ausführungen des Sachverständigen wegen der durch die Weltfinanzmarktkrise her-
vorgerufenen Turbulenzen den insoweit betroffenen Zeitraum aus seiner Betrachtung
gerade ausgenommen und deshalb - wenn auch als Untergrenze - einen Liquiditäts-
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zuschlag von 31 Basispunkten ermittelt, der - folgerichtig - unterhalb der von der
Rechtsbeschwerde ermittelten Werte liegt. Dies lässt einen Rechtsfehler nicht erken-
nen.
bb) Die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin bleibt ebenfalls ohne Erfolg.
(1) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat das Beschwerdege-
richt zu Recht die (fiktiven) Emissionskosten nicht in den fiktiven Anleihezinssatz ein-
bezogen. Dafür fehlt es an einer rechtlichen Grundlage.
Wie der Senat mit Beschluss vom 14. August 2008 (KVR 42/07, WuW/E DE-R
2395 Rn. 55 ff. - Rheinhessische Energie) entschieden und im Einzelnen begründet
hat, ist der Fremdkapitalzinssatz i.S. des § 7 Abs. 1 Satz 3 StromNEV aF nach den
Maßstäben des § 5 Abs. 2 Halbs. 2 StromNEV zu ermitteln. Danach können die
Fremdkapitalzinsen höchstens in der Höhe berücksichtigt werden, zu der sich der
Netzbetreiber auf dem Kapitalmarkt langfristig Fremdkapital durch Ausgabe einer
festverzinslichen Anleihe hätte verschaffen können, wobei es für die Risikobewertung
- aus der Sicht eines fiktiven Kreditgebers - auf die Art der Emission und die Ein-
schätzung der Bonität des Emittenten ankommt. Die Emissionskosten spielen bei
dieser Betrachtung keine Rolle. Sie sind keine Zinsen und fließen nicht dem (fiktiven)
Investor zu. Entgegen der Rechtsbeschwerde ist es auch unbeachtlich, dass die An-
tragstellerin im Falle einer tatsächlichen Fremdkapitalaufnahme durch Begebung ei-
ner Anleihe auf dem Kapitalmarkt die dabei angefallenen Emissionskosten im Rah-
men der kostenbasierten Entgeltgenehmigung als Kostenposition hätte ansetzen
können. Denn dies setzt voraus, dass solche Kosten auch tatsächlich angefallen
sind, was hier nicht der Fall ist. Zudem würde es sich bei solchen Kosten um für den
Netzbetreiber durchlaufende Kosten handeln, die seinen Gewinn bzw. die Eigenkapi-
talverzinsung nicht berühren würden.
(2) Ohne Erfolg bleiben auch die - hilfsweise erhobenen - Angriffe der Rechts-
beschwerde der Antragstellerin gegen die Ausführungen des Beschwerdegerichts,
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mit denen es - nach sachverständiger Beratung - einen fiktiven Fremdkapitalzinssatz
von 5,24% angenommen hat. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist nicht zu
beanstanden. Sie hält sich im Rahmen des dem Tatrichter nach § 287 ZPO zu-
stehenden Ermessens.
(a) Soweit die Rechtsbeschwerde beanstandet, das Beschwerdegericht sei
von einer unzureichenden Datengrundlage ausgegangen und hätte von Amts wegen
eine weitere Aufklärung veranlassen müssen, kann dies keinen Verfahrensfehler be-
gründen. Das Beschwerdegericht hat sich auf die Bekundungen des Sachverständi-
gen gestützt, dass die Beschaffung für die Ermittlung eines hypothetischen Fremd-
kapitalzinssatzes aussagekräftiger Daten für den hier maßgeblichen und relativ lange
zurückliegenden Zeitraum von 1995 bis 2004 - soweit überhaupt möglich - äußerst
schwierig gewesen sei und deshalb auf Hilfskonstruktionen und vereinfachte An-
nahmen habe zurückgegriffen werden müssen. Dagegen ist revisionsrechtlich nichts
zu erinnern. Die - unbefriedigende - Datengrundlage liegt in der Natur der Sache und
ist durch die Mitteilung der Deutschen Bundesbank bestätigt worden. Aufgrund des-
sen ist nicht ersichtlich, welche weiteren Maßnahmen zur Sachverhaltsaufklärung
das Beschwerdegericht hätte ergreifen sollen. Solche werden auch von der Rechts-
beschwerde nicht dargelegt.
Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Restlaufzeit der fiktiven Anleihe,
wozu die Rechtsbeschwerde lediglich vorbringt, dass der Sachverständige auf Basis
der tatsächlichen wirtschaftlichen Daten der Antragstellerin "wahrscheinlich" zu einer
höheren Laufzeit der fiktiven Anleihe gekommen wäre. Nähere Ausführungen dazu
enthält die Rechtsbeschwerdebegründung nicht. Davon abgesehen ist es nicht zu
beanstanden, dass das Beschwerdegericht im Rahmen der Bildung von Risikoklas-
sen Vergröberungen vorgenommen und seiner Beurteilung die sich aus der von der
Deutschen Bundesbank veröffentlichten Statistik ergebenden Restlaufzeiten für In-
dustrieobligationen zugrundegelegt hat. Aufgrund dessen kommt auch dem im kon-
kreten Fall möglicherweise verhältnismäßig geringen Emissionsvolumen der fiktiven
Anleihe, insbesondere auch im Vergleich zu den herangezogenen Kennzahlen der
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E.ON-Unternehmensgruppe, keine maßgebende Bedeutung zu. Schließlich ist es
auch nicht zu beanstanden, dass der Sachverständige im Zusammenhang mit der
Restlaufzeitbestimmung nicht von der tatsächlichen Eigenkapitalquote der Antrag-
stellerin ausgegangen ist, sondern lediglich eine Eigenkapitalquote von 40% zugrun-
degelegt hat. Dies ist - wie bereits oben dargelegt worden ist - im Rahmen der Ermitt-
lung des fiktiven Fremdkapitalzinssatzes geboten.
(b) Ebenfalls unbehelflich sind die Angriffe der Rechtsbeschwerde gegen die
Ausführungen des Beschwerdegerichts zur Höhe des Liquiditätszuschlags. Dessen
Schätzung auf 31 Basispunkte lässt keinen Rechtsfehler erkennen.
Entgegen der Rechtsbeschwerde hat das Beschwerdegericht seine Schätzung
insbesondere nicht auf einer unzureichenden Datengrundlage getroffen und unter
Verstoß gegen den Untersuchungsgrundsatz des § 82 Abs. 1 EnWG verfahrensfeh-
lerhaft weitere Sachverhaltsermittlungen unterlassen. Das Beschwerdegericht hat
seiner Beurteilung die Bekundungen des Sachverständigen zugrundegelegt, wonach
mangels anderweitiger Daten für die Ermittlung des Liquiditätszuschlags auf einen
Vergleich der Bundesanleihen mit Öffentlichen Pfandbriefen abzustellen sei. Dies
stellt aufgrund der Datenbreite eine sachgerechte Schätzgrundlage dar. Demgegen-
über ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Beschwerdegericht -
anders als die Antragstellerin meint - die Anleihen der Deutschen Bahn, der Deut-
schen Post sowie der Freien und Hansestadt Hamburg als nicht repräsentativ ange-
sehen und deshalb nicht als Schätzgrundlage herangezogen hat. Entgegen der
Rechtsbeschwerde steht dies auch nicht in Widerspruch zu den Ausführungen des
Beschwerdegerichts im Zusammenhang mit dem Einfluss der Eigentümerstruktur
auf die Höhe der Fremdkapitalzinsen, indem es dort einen Vergleich mit lediglich drei
Unternehmen als ausreichend angesehen hat. Dies hat seinen Grund in der dortigen
schmalen Datengrundlage, während bei der Ermittlung des Liquiditätszuschlags mit
den Kennzahlen der Öffentlichen Pfandbriefe eine breite Vergleichsgrundlage zur
Verfügung steht.
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Nichts anderes gilt für den Einwand der Rechtsbeschwerde, das Beschwerde-
gericht habe bei der Bemessung des Liquiditätszuschlags die Heranziehung von Da-
tenmaterial aus anderen Zeiträumen abgelehnt, während es dies bei der Berechnung
des Risikozuschlags zugelassen habe. Diese unterschiedliche Vorgehensweise des
Beschwerdegerichts verstößt weder gegen die Gesetze der Logik, noch ist sie will-
kürlich. Vielmehr ist sie vom Beschwerdegericht damit begründet worden, dass die
Liquiditätszuschläge mit der Marktliquidität variiert haben und damit einer erheblichen
zeitlichen Variation unterlagen, während dies bei den zur Ermittlung des Risikozu-
schlags herangezogenen Daten nicht der Fall war. Dies ist ohne weiteres nachvoll-
ziehbar und lässt einen Rechtsfehler nicht erkennen.
(c) Unbegründet ist auch die Rüge der Rechtsbeschwerde, die Ausführungen
des Beschwerdegerichts zur Höhe des Risikozuschlags seien widersprüchlich und
verletzten den Grundsatz einer angemessenen, wettbewerbsfähigen und risikoange-
passten Verzinsung des eingesetzten Eigenkapitals. Dessen Schätzung auf
25 Basispunkte hält sich im Rahmen des dem Tatrichter nach § 287 ZPO zustehen-
den Ermessens. Das Vorbringen der Rechtsbeschwerde erschöpft sich im Wesentli-
chen in einer eigenen Würdigung des Sachverhalts, ohne einen Rechtsfehler der
tatrichterlichen Würdigung aufzuzeigen. Nach der gesetzlichen Wertung des § 21
Abs. 2 EnWG muss dem Netzbetreiber zwar eine angemessene und wettbewerbsfä-
hige Verzinsung seines Eigenkapitals verbleiben. Eine "gesetzlich garantierte" Ei-
genkapitalverzinsung in einer bestimmten Höhe wird damit aber nicht gefordert (vgl.
Senatsbeschluss vom 28. Juni 2011 - EnVR 48/10, RdE 2011, 308 Rn. 84 mwN
- EnBW Regional AG).
Entgegen der Rechtsbeschwerde hat das Beschwerdegericht seine Schätzung
nicht auf einer fehlerhaften Datengrundlage getroffen. Wie bereits an anderer Stelle
dargelegt, ist es nicht zu beanstanden, dass der Sachverständige mangels ausrei-
chender Datengrundlage für den relevanten Zeitraum 1995 bis 2004 das Datenmate-
rial aus anderen Zeiträumen herangezogen hat, weil und soweit dieses - wie das Be-
schwerdegericht näher ausgeführt hat - vergleichbar war. Ein Widerspruch zu der
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(anderen) Herangehensweise bei der Messung des Liquiditätszuschlags besteht
nicht.
Ohne Erfolg bleiben auch die Angriffe der Rechtsbeschwerde gegen die Zuer-
kennung eines "AA"-Ratings. Wie bereits oben dargelegt worden ist, lässt diese Be-
urteilung des Beschwerdegerichts keine Rechtsfehler erkennen. Dies gilt insbeson-
dere im Hinblick auf die anzusetzende Fremdkapitalquote der Antragstellerin. Soweit
die Rechtsbeschwerde die Einstufung in die Risikoklasse "A" für naheliegend hält,
benennt sie - im Vergleich zu den für den Sachverständigen maßgeblichen Kennzah-
len - keinen Risikofaktor, der eine solche Herabstufung nahelegen würde. Soweit sie
sich darauf beruft, dass nach den Bekundungen des Sachverständigen nur 17,3%
der Kommunen in Deutschland im Falle eines flächendeckenden Ratings die Bestno-
te von "AAA" erhalten würden, stützt dies nur die Beurteilung des Beschwerdege-
richts, dass die Antragstellerin mit "AA" zu bewerten wäre, nicht aber die Herabstu-
fung um zwei Ratingstufen. Nichts anderes ergibt sich aus dem von der Antragstelle-
rin vorgelegten Gutachten der Technischen Universität Berlin, das sich mit den Kapi-
talkosten für bundeseigene Eisenbahninfrastrukturunternehmen befasst und damit
keine Aussagen zu Stromnetzbetreibern und Energieversorgungsunternehmen trifft.
(d) Schließlich kann die Rechtsbeschwerde auch keinen Erfolg haben, soweit
sie sich gegen die Annahme des Beschwerdegerichts wendet, wegen der Eigentü-
merstruktur der Antragstellerin sei der Risikozuschlag um 10 Basispunkte zu reduzie-
ren. Insoweit ist das Beschwerdegericht dem Sachverständigen gefolgt, der in sei-
nem Gutachten ausführlich die qualitativen und quantitativen Gesichtspunkte darge-
stellt und sich in seinem Ergänzungsgutachten mit den Einwänden der Antragstelle-
rin auseinandergesetzt hat. Aufgrund dessen hat das Beschwerdegericht die Über-
zeugung gewonnen, dass eine Reduzierung des Risikozuschlags um 10 Basispunkte
geboten ist. Dagegen ist nichts zu erinnern. Entgegen der Rechtsbeschwerde han-
delt es sich bei der Annahme des Risikoabschlags auch nicht um eine bloße Vermu-
tung oder vage Schätzung. Vielmehr hat der Sachverständige dies unter anderem
mit der tatsächlichen Berücksichtigung der Eigentümerstruktur durch Ratingagentu-
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ren und der statistisch nachweisbaren Differenz im CDS-Spread zwischen Unter-
nehmen unterschiedlicher Eigentümerstruktur nachvollziehbar dargelegt.
Soweit die Rechtsbeschwerde die Berücksichtigung eines Risikoabschlags für
unzulässig hält, weil die Eigentümerstruktur der Antragstellerin bereits bei der Be-
rechnung des Risikozuschlags im Rahmen der Rating-Einstufung eingeflossen sei,
trifft dies nicht zu. Der Risikozuschlag von 25 Basispunkten ist von dem Sachver-
ständigen in dem sogenannten zweiten Arbeitsschritt gerade unter Vernachlässigung
der besonderen Eigentümerstruktur ermittelt worden und hat deshalb den dritten Ar-
beitsschritt, nämlich die Prüfung, ob und gegebenenfalls welchen Einfluss die bei der
Antragstellerin vorhandene Eigentümerstruktur auf die Risikoeinschätzung des Kapi-
talmarkts gehabt hätte, erforderlich gemacht.
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III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 Satz 1 EnWG.
Meier-Beck
Strohn
Grüneberg
Bacher
Deichfuß
Vorinstanz:
OLG Koblenz, Entscheidung vom 08.11.2012 - 6 W 594/06 Kart -
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