Urteil des BGH vom 25.06.2013

BGH: stand der technik, patentanspruch, barriere, patentgericht, öffnung, eigenschaft, kunststoff, breite, gefahr, aluminium

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 52/12
Verkündet am:
25. Juni 2013
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
- 2 -
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche
Verhandlung vom 25. Juni 2013 durch den Richter Gröning, die Richterin
Mühlens sowie die Richter Dr. Grabinski, Hoffmann und Dr. Deichfuß
für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das am 20. Dezember 2011 verkündete Urteil
des 1. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird
auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
- 3 -
Tatbestand:
Die Beklagte ist Inhaberin des europäischen Patents 0 600 502 (Streitpa-
tents), das - unter Inanspruchnahme der Priorität einer deutschen Patent-
anmeldung vom 2. Dezember 1992 - am 2. Dezember 1993 angemeldet wurde.
Das Streitpatent, dessen Verfahrenssprache Deutsch ist, umfasst 18 Patent-
ansprüche. Patentanspruch 2 hat folgenden Wortlaut:
"2. Getränkebehälter, insbesondere Getränkebeutel, aus Mono-
material oder mehrschichtigem Verbundmaterial, der mit einer
Einstichsöffnung zum Einstechen eines Trinkhalmes versehen
ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Einstichsöffnung (2)
durch alle Schichten (4, 5, 6) des Mono- oder Verbundmateri-
als (3) eingestanzt ist und an der Innenseite des Mono- oder
Verbundmateriales (3) eine zusätzliche Verschlussfolie (11)
um die Einstichsöffnung (2) angebracht ist, die durch die Ein-
stichsöffnung (2) nach außen freigelegt ist, wobei die Ver-
schlussfolie als 'Flicken' (11) auf die Einstichsöffnung (2) auf-
geschweißt ist."
Die Klägerin hat geltend gemacht, dass Patentanspruch 2 sowie die hie-
rauf unmittelbar oder mittelbar rückbezogenen Patentansprüche 3 bis 13 und 16
bis 18 nicht patentfähig seien.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat das Streitpatent
hilfsweise mit drei Hilfsanträgen verteidigt.
Die Klägerin hat das Streitpatent auch in der Fassung der drei Hilfsanträ-
ge als nicht patentfähig angegriffen und hinsichtlich des Streitpatents in der
1
2
3
4
- 4 -
Fassung des zweiten Hilfsantrags zudem geltend gemacht, dass dessen Ge-
genstand über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen hinausge-
he.
Das Patentgericht hat der Klage stattgegeben. Hiergegen richtet sich die
Berufung der Beklagten mit der sie das Streitpatent in der Fassung der erstin-
stanzlich gestellten Haupt- und Hilfsanträge sowie in der Fassung eines weite-
ren Hilfsantrags verteidigt. Die Klägerin bittet um Zurückweisung des Rechtsmit-
tels.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg.
I. Das Streitpatent betrifft einen Getränkebehälter, der aus Mono- oder
mehrschichtigem Verbundmaterial besteht und eine Einstichsöffnung für einen
Trinkhalm aufweist.
Nach den Erläuterungen in der Streitpatentschrift ist bei einem derartigen
Getränkebehälter problematisch, dass sich insbesondere bei heißsteriler Abfül-
lung im Kopfraum des Behältnisses zunächst Wasserdampf bilde, der nach
dem Abkühlen kondensiere, so dass sich im Kopfraum kaum noch Luft befinde.
Das habe zur Folge, dass sich das Einstichsloch nunmehr unter dem Flüssig-
keitsspiegel befinde, wodurch es bei unvorsichtigem Öffnen zu unkontrolliertem
Flüssigkeitsaustritt kommen könne. Zudem flache sich der nachgiebige und fle-
xible Beutel durch die ausgeübte Einstichskraft ab, was bei unvorsichtigem Ein-
5
6
7
8
- 5 -
stechen dazu führen könne, dass auch die Rückseite des Behälters durchsto-
chen werde.
Aus der österreichischen Patentschrift 36 59 97 sei bei einem aus mehr-
schichtigem Verbundmaterial bestehenden Getränkebehälter eine bis auf die
Innenschicht durchgehende Vorlochung bekannt, die mit einem mehrschichti-
gen Verschlussstreifen abgedeckt sei. Dieser sei im Bereich der Vorlochung mit
der freigelegten Innenschicht der Behälterwand verschweißt, so dass beim Öff-
nen des Behältnisses durch Abreißen des Verschlussstreifens auch die Innen-
schicht aufgerissen und damit ein einfaches Einführen des Trinkhalms ermög-
licht werde. Es bestehe allerdings die Gefahr, dass der Verschlussstreifen von
den Verbrauchern nach dem Aufreißen nicht ordnungsgemäß entsorgt werde.
Demgegenüber sei in der deutschen Patentanmeldung 10 99 445 ein
tetraederförmiger Verpackungsbehälter beschrieben, bei dem die Behälterwand
aus einer Träger- und einer Kunststoffschicht an deren Innenseite gebildet wer-
de. Zum Einstecken des Trinkhalmes sei eine Öffnung vorgesehen, die nicht
durch die innere Kunststoffschicht gehe.
Nach den weiteren Angaben in der Streitpatentschrift liegt dem Streitpa-
tent das Problem zugrunde, einen Getränkebehälter zu schaffen, der ein leich-
tes Einstechen eines Trinkhalmes ermögliche und gleichzeitig unter Gesichts-
punkten des Umweltschutzes vertretbar sei.
Das soll nach Patentanspruch 2 durch folgende Merkmalskombination
erreicht werden:
9
10
11
12
- 6 -
1. Getränkebehälter, insbesondere ein Getränkebeutel, der
a)
aus Monomaterial oder mehrschichtigem Verbundmate-
rial besteht und
b)
mit einer Einstichsöffnung (2) zum Einstechen eines
Trinkhalmes versehen ist.
2. Die Einstichsöffnung (2) ist durch alle Schichten (4, 5, 6) des
Mono- oder Verbundmaterials (3) eingestanzt.
3. An der Innenseite des Mono- oder Verbundmaterials (3) ist ei-
ne zusätzliche Verschlussfolie (11) um die Einstichsöffnung
(2) angebracht.
4. Die zusätzliche Verschlussfolie (11) ist
a)
durch die Einstichsöffnung (2) nach außen freigelegt
und
b)
als "Flicken" auf die Einstichsöffnung (2) aufgeschweißt.
Der Fachmann, der entsprechend den Ausführungen des Patentgerichts
ein Ingenieur der Fachrichtung Verpackungstechnik ist, der über umfassende
theoretische Kenntnisse und praktische Berufserfahrung auf dem Gebiet der
Getränkeverpackungen aus Mono- und mehrschichtigem Verbundmaterial ver-
fügt, entnimmt der Beschreibung des Streitpatents zum Begriff des "Flickens" in
Merkmal 4 b, dass die zusätzliche Verschlussfolie entweder ringförmig, quadra-
tisch, rechteckig, rasterartig oder in konzentrischen Kreisen um die Einstichs-
öffnung an der Innenseite des Mono- oder Verbundmaterials materialsparend
als "Flicken" aufgeschweißt sein kann (Sp. 2, Z. 10 ff.). Anspruch 2 grenzt sich
damit von Anspruch 1 des Streitpatents ab, bei dem die erste Schweißstelle an
der Einstichsöffnung durch die Fixierung der Verschlussfolie an mindestens ei-
13
- 7 -
ner zweiten Schweißstelle an den Seitennähten entlastet ist (Sp. 2, Z. 8 ff.; An-
spruch 1, Sp. 4, Z. 54 ff.). Demgegenüber ist die zusätzliche Verschlussfolie
nach der Lehre aus Patentanspruch 2 nicht an den Seitennähten des Geträn-
kebehälters fixiert, sondern als "Flicken" auf die Einstichsöffnung aufge-
schweißt, wodurch sich die äußeren Ränder der Verschlussfolie jedenfalls an
den Seiten vergleichsweise näher an der Einstichsöffnung befinden. Aus fachli-
cher Sicht nimmt die Lehre aus Patentanspruch 2 damit in Kauf, dass die
Schweißstelle an der Einstichsöffnung nicht in gleichem Maße entlastet wird,
wie dies bei dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 aufgrund der Fixierung
der Verschlussfolie an einer zweiten Schweißstelle an den Seitennähten der
Fall ist, hat dafür aber den Vorteil, dass die Verschlussfolie kleiner und damit
materialsparender als (nicht bis zum Seitenrand reichender) "Flicken" zuge-
schnitten werden kann, wobei - bei Einhaltung dieser Vorgabe - die weitere
Ausbildung eines solchen "Flickens" als kreisförmiges, quadratisches oder eine
sonstige flächige Form aufweisendes Gebilde in das freie Ermessen des Fach-
manns gestellt ist. Entscheidend ist insoweit nur, dass um die Einstichsöffnung
herum ein dichter Abschluss entsteht (Sp. 2, Z. 15 ff.).
Veranschaulicht wird dies dem Fachmann in den nachfolgend wiederge-
gebenen Zeichnungen des Streitpatents, wobei in den Figuren 3 und 5 Ausfüh-
rungsbeispiele gezeigt werden, bei denen ein Verschlussfolienstreifen (7) ring-
förmig um das Einstichsloch (2) an den Schweißstellen (8) an der Innenseite
des Verbundmaterials (3) angeschweißt und - entsprechend der Lehre aus Pa-
tentanspruch 1 - zusätzlich an den Seitennähten (12) mittels Schweißpunkten
(9) fixiert ist (Sp. 4, Z. 15 ff.; Sp. 4, Z. 23 ff.), während aus Figur 4 ein Ausfüh-
rungsbeispiel hervorgeht, bei dem die Verschlussfolie (11) - entsprechend Pa-
tentanspruch 2 - als Flicken ringförmig (allein) an den Schweißstellen (8) an der
Innenseite des Verbundmaterials (3) angeschweißt ist (Sp. 4, Z. 19 ff.).
14
- 8 -
- 9 -
II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
1. Der in dem deutschen Gebrauchsmuster 75 18 856 (D1), aus dem die
nachfolgend gezeigte Figur 1 stammt,
offenbarte Getränkebehälter weise zwar die Merkmale 1 bis 4 a des Patentan-
spruchs 2 in der erteilten Fassung auf. Aufgrund der flächigen Ausdehnung des
Abdeckstreifens sei dieser jedoch nicht als "Flicken" mit Material sparender
Formgebung der Verschlussfolie im Sinne des Merkmals 4 b ausgestaltet. Der
Fachmann interpretiere den in den Figuren 1 bis 3 der D1 gestrichelt dargestell-
ten Linienzug unterhalb der Einstichöffnung (3) als Darstellung einer (verdeck-
ten) Körperkante des den Verschlusstreifen bildenden Abdeckstreifens ähnlich
den Linienzügen in Figuren 3 oder 5 des Streitpatents, so dass der Abdeckstrei-
fen bis zu den seitlichen Rändern des Getränkebehälters reiche.
Der Gegenstand des Patentanspruchs 2 in der erteilten Fassung sei je-
doch durch den Stand der Technik nahegelegt worden. Den Ausgangspunkt für
die Überlegungen des Fachmanns bilde der aus der D1 bekannte Beutel, dem
ausdrücklich eine leichte Durchstoßbarkeit des eine vorgestanzte Einstichsöff-
15
16
17
- 10 -
nung von innen verschließenden Abdeckstreifens zugeschrieben werde. Ge-
genüber dem sich flächig über die gesamte Breite der Beutelwandung erstre-
ckenden Abdeckstreifen leiste ein Getränkebehälter mit einem "Flicken" im Sin-
ne des Merkmals 4 b lediglich eine weitere Verkleinerung der Verschlussfolie,
die dem Fachmann im Rahmen einer Optimierung nach technisch-wirtschaft-
lichen Kriterien innerhalb der durch die D1 und die deutsche Patentschrift
34 22 679 (D2) vorgegebenen Grenzen ohne weiteres möglich und auch nahe-
gelegt sei. So überragten die aus Folienmaterial ausgestanzten, scheibenförmi-
gen Dichtungsteile 17 und 18, die in den Figuren 5 und 7 der D2 gezeigt wür-
den, die abgedeckte, in der Behälterwandung vorgestanzte Durchführungsöff-
nung 16 nur in dem für die jeweilige kreisringförmige Schweißnaht erforderli-
chen Maß.
Zwar sei dem Fachmann aufgrund seiner Kenntnisse der Fertigungs-
technik bekannt gewesen, dass über die gesamte Breite des Beutels reichende
Abdeckstreifen - wie aus der D1 bekannt - fortlaufend von der Rolle aufgebracht
werden können, während zur Herstellung eines Beutels mit vereinzelten Fli-
cken, wie in der D2 beschrieben, ein gesondertes Ausstanzen und Positionieren
auch in Breitenrichtung erforderlich sei. Der Fachmann, der vor dem Problem
einer Minimierung des Herstellaufwandes für das Massenprodukt "Getränkebe-
hälter" gestanden habe, habe gleichwohl aufgrund fachüblicher Überlegungen
und angeregt durch die D2 Anlass gehabt, bei den aus der D1 bekannten Ge-
tränkebehältern die Verschlussfolie Material sparend als "Flicken" auszugestal-
ten.
2. Der Gegenstand von Patentanspruch 2 sei auch nicht in der Fassung
des ersten Hilfsantrags patentfähig, der sich von der Fassung des Hauptantra-
ges darin unterscheide, dass die Verschlussfolie als eine Verbundfolie vorgese-
18
19
- 11 -
hen sei. Auch insoweit habe das technische Problem in der Optimierung der
Sperreigenschaft der Verschlussfolie gelegen. Dieses Problem sei bereits in der
D1 angesprochen, in der für einen Getränkebeutel, der aus einer Drei-
Schichten-Verbundfolie mit dem Aufbau Polyester-Aluminium-Polyethylen-
innenschicht hergestellt sei, ein Abdeckstreifen "in lichtundurchlässiger Einfär-
bung" vorgeschlagen werde. Diese dem Beutelwandungsmaterial aufgrund der
Aluminiumschicht inhärente Eigenschaft biete somit auch der Abdeckstreifen.
In der europäischen Patentanmeldung 0 156 600 A2 (D4; deutsche Über-
setzung des österreichischen Teils des europäischen Patents 0 156 600 B1
= D4b) sei für die Abdeckung einer Einstichsöffnung - ähnlich der Lösung aus
D2 - die Ausführung nach Art eines "Flickens" beschrieben, der ein vorgestanz-
tes Loch an der Innenseite des Behälters nicht nur flüssigkeitsdicht abdecke,
sondern für den auch eine Ausführung mit Barriere-Schichten gegen Gasdurch-
tritt beschrieben sei. Wenngleich in dem in der D4 offenbarten Ausführungsbei-
spiel zusätzlich ein außenliegender Abdeckfolienabschnitt vorgesehen sei, wer-
de der Fachmann in dem Hinweis auf die Verwendung von Verbundmaterial als
Austauschmittel für Monomaterial eine Lösungsmöglichkeit für das hier gestellte
Problem erkennen. Die in der D4 benannten Nachteile einer Verbundfolie für
die innenseitige Abdeckung der Einstichsöffnung beträfen nur die Materialkos-
ten und eine mangelnde Delaminierfestigkeit einer speziellen Verbundfolie bei
Verwendung in Zusammenhang mit einem außenseitig angeschweißten Ab-
reißstreifen, wobei die D4 die innenseitige Anwendung trotz dieses behaupteten
Nachteils lehre.
3. Der Gegenstand von Patentanspruch 2 in der Fassung des zweiten
Hilfsantrags sei gegenüber der Fassung des ersten Hilfsantrags weiter dadurch
qualifiziert, dass die Verbundfolie eine Barriere-Schicht aus EVOH (Ethylen-
20
21
- 12 -
Vinylalkohol-Copolymer) aufweise, dem im Streitpatent eine geringe Sauer-
stoffdurchlässigkeit zugeschrieben werde. In Anbetracht der in der D4 ange-
sprochenen Probleme von Aluminium als Barriere-Schicht, das selbst an freilie-
genden Schnittkanten nicht in Kontakt mit dem Füllgut stehen dürfe, und der
dort angesprochenen Kostennachteile einer reinen Kunststoff-Verbundfolie mit
PVDC ("polyvinylidene chloride") als Gasbarriere-Schicht zwischen siegelfähi-
gen PE-Deckschichten (Polyethylen) sei der Fachmann gehalten gewesen,
auch andere als Verpackungsmaterial gebräuchliche Kunststoff-Verbundfolien
auf ihre Eignung hin zu überprüfen.
Die US-Patentschrift 4 239 826 (S1) belege, dass lange vor dem Zeitrang
des Streitpatents siegelbare Verbundfolien mit einer EVOH-Zwischenschicht
aufgrund ihrer besonderen Gasbarriere-Eigenschaft bekannt gewesen seien.
Da in der S1 derartige Verbundfolien für Verpackungszwecke als Ersatz für
Monofolien vorgeschlagen würden, sei der Fachmann jedenfalls aufgrund des
Vorbildes in D4 zu einer Substitution veranlasst, wobei er den Erfolg einer ver-
besserten Sperrwirkung (geringere Sauerstoffpermeabilität) einer solchen Ver-
schlussfolie in einem Getränkebehälter habe erwarten können. Zwar werde in
dem das Fachwissen zum Kunststoff EVOH belegenden Beitrag von Blackwell
(Plastic Film Technology, Volume One, Technomic Publishing Company, 1989,
41 ff., D14 = deutsche Übersetzung D14a) von einer Abhängigkeit der Barriere-
Eigenschaft von der Feuchtigkeit gesprochen. Jedoch sei die Durchlässigkeit
selbst bei vollständig benetzter Folie (relative Feuchtigkeit RH = 100%) absolut
und relativ vernachlässigbar gering gegenüber der Durchlässigkeit von Po-
lyethylen-Folien.
4. Der Gegenstand von Patentanspruch 2 in der Fassung des dritten
Hilfsantrags unterscheide sich von dem in der zweiten Fassung dadurch, dass
22
23
- 13 -
die
Verbundfolie
einen
Aufbau
"Siegelmaterial/Haftvermittler/Barriere-
Schicht/Haftvermittler/Siegelmaterial" aufweise und zwischen 20 µm und 120
µm stark sei. Verbundfolien mit einem solchen Aufbau seien als Beispiele 5 und
14 in der Tafel I der S1 aufgeführt. Die äußeren Schichten aus (mittel-dichtem)
Polyethylen seien insoweit siegelfähig, das Material der eingeschlossenen Bar-
riere-Schicht sei EVOH und als notwendiger Haftvermittler dienten dort Vi-
nylacetatpolymere ("polyvinyl acetate polymer"). Die für das Beispiel 14 ange-
gebene Dicke in der alternativen Einheit "mils" entspreche 0,0762 mm und liege
damit in dem beanspruchten Bereich. Die leichte Durchstoßbarkeit, die das
Streitpatent einer Verbundfolie mit dieser Dicke zuspreche, ergebe sich somit
zwangsläufig bei Verwendung der in S1 für Verpackungszwecke vorgeschlage-
nen Varianten. Aus den zum zweiten Hilfsantrag genannten Gründen habe der
Fachmann Anlass gehabt, diese siegelfähige Verbundfolie als Ersatz für die in
D1 angesprochene Monofolie aus Polyethylen zu nehmen und sich an der S1
zu orientieren.
III. Das Urteil des Patentgerichts hält der Berufung im Ergebnis stand.
1. Der Gegenstand aus Patentanspruch 2 in der erteilten Fassung ist
neu.
a) Er wird durch die D1 nicht vollständig offenbart. Zwar konnte der
Fachmann der D1 die Merkmale 1 bis 4 a entnehmen, wie bereits das Patent-
gericht zutreffend festgestellt hat. Nicht gezeigt oder beschrieben wird darin
jedoch das Merkmal 4 b, wonach die zusätzliche Verschlussfolie als "Flicken"
auf die Einstichsöffnung aufgeschweißt sein soll. Wie auch die Klägerin nicht in
Abrede stellt, offenbaren Figur 1 und auch die weiteren Zeichnungen der D1
einen Abdeckstreifen, der sich über die Breite des Schlauchbeutels erstreckt.
Ein solcher Abdeckstreifen kann jedoch - wie oben erläutert - aus fachlicher
24
25
26
- 14 -
Sicht nicht als "Flicken" im Sinne des Patentanspruchs 2 des Streitpatents an-
gesehen werden.
Die Klägerin meint allerdings, dass sich für den Fachmann aus der Be-
schreibung der D1 ergebe, dass sich der Abdeckstreifen nicht zwingend von
einer zur anderen Seitenwandnaht erstrecken müsse, weil es der Entgegenhal-
tung nicht auf die Verschweißbarkeit in Kopf- oder Siegelnähten, sondern auf
die Verschweißbarkeit zwischen der inneren Beutelwandung und dem Ab-
deckstreifen ankomme. Damit verkennt sie jedoch, dass zum Offenbarungsge-
halt einer Vorveröffentlichung nur gehört, was der Fachmann dieser unmittelbar
und eindeutig entnehmen konnte. Zwar ist damit nicht nur der Inhalt offenbart,
der in einer Beschreibung ausdrücklich erwähnt ist, sondern auch Selbstver-
ständliches oder Unerlässliches, das vom Fachmann aufgrund seines Fachwis-
sens über den Wortlaut hinaus ohne weiteres "mitgelesen" wird und das des-
halb keiner ausdrücklichen Erwähnung in der Beschreibung bedurft hat. Davon
zu unterscheiden sind jedoch Ergänzungen durch das Fachwissen, die zum
Inhalt der Beschreibung hinzutreten und damit nicht mehr Gegenstand der Of-
fenbarung sind (vgl. grundlegend: BGH, Urteil vom 16. Dezember 2008
- X ZR 89/07 Rn. 20 - Olanzapin).
Dass der die Entnahmeöffnung verschließende Abdeckstreifen in ande-
rer Weise auf der Beutelwandung angeordnet sein kann als in den Figuren der
D1 gezeigt, wird weder in deren Beschreibung erwähnt noch liegt darin eine
selbstverständliche oder unerlässliche Maßnahme. Vielmehr handelt es sich um
alternative Ausgestaltungen, die nur unter Einsatz fachlichen Wissens aus dem
Offenbarungsgehalt der Vorveröffentlichung ergänzt und deshalb nicht mehr als
Teil desselben angesehen werden kann.
27
28
- 15 -
b) Entgegen der Ansicht der Klägerin ist der Gegenstand des Patentan-
spruchs 2 in der erteilten Fassung auch nicht der D2 zu entnehmen, aus wel-
cher die nachfolgend wiedergegebenen Figuren 5, 8a und 8b stammen:
Die Klägerin geht zu Recht davon aus, dass die in den Figuren 5 und 8a
der D2 gezeigten Ausführungsformen keine Verschlussfolie aufweisen, die
durch die Einstichsöffnung nach außen freigelegt ist. Vielmehr wird in den in
den Figuren 5 und 8a gezeigten Ausführungsbeispielen die Durchführungsöff-
nung für Trinkhalme (16) durch ein erstes innenliegendes Dichtungsteil (17) und
ein zweites innenliegendes Dichtungsteil (18) sowie einen außenliegenden
Streifen (21) überdeckt. Die Klägerin meint jedoch in der Figur 8b werde ein
noch verschlossener Behälter gezeigt, bei dem die innenliegende Dichtungsfo-
lie (18) nach außen freigelegt sei. Darin kann ihr nicht gefolgt werden.
Figur 8b veranschaulicht das Öffnen des in Figur 8a gezeigten Behälters
durch den Benutzer. Insoweit ist von Bedeutung, dass das erste innenliegende
Dichtungsteil (17) mit seinem mittleren Abschnitt in die Vertiefung gebogen und
29
30
31
- 16 -
mit dem äußeren Streifen (21) haftend verbunden ist. Das hat zur Folge, dass
der Benutzer, wenn er den Streifen (21) ergreift und diesen von dem vorderen
Flächenteil (12) zum Öffnen des Behälters abzieht, zugleich auch das innenlie-
gende Dichtungsteil (17) durchbricht und dadurch die Einführungsöffnung (16)
für den Trinkhalm von außen freilegt (D2, S. 5, Z. 15 ff.; vgl. auch S. 4, Z. 46 ff.).
Gleichwohl bleibt die Öffnung (16) zunächst noch durch das zweite innenlie-
gende Dichtungsteil (18) von innen verschlossen, wie in Figur 8b gezeigt (D2,
S. 5, Z. 18 ff.). Dadurch wird erreicht, dass ein etwa ruckartiges Abziehen des
Streifens nicht zu einem unerwünschten Austreten von Flüssigkeit führen kann.
Dieses zweite innenliegende Dichtungsteil (18) wird erst später vom Benutzer
mit Hilfe der Trinkhalmspitze durchstochen (D2, S. 3, Z. 18 ff.). Dabei kann das
Durchstechen mit Leichtigkeit erfolgen, weil die Festigkeit des zweiten Dich-
tungsteils reduziert ist (D2, S. 3, Z. 30 f.; Patentanspruch 1, Z. 12 ff.). Die D2
offenbart damit auch in dem in den Figuren 8a und 8b gezeigten Ausführungs-
beispielen ein Behältnis, das neben zwei innenliegenden Dichtungsteilen einen
außenliegenden Streifen aufweist. Demgegenüber soll eine solche Ausgestal-
tung des Behälters mit Aufrisslasche, wie sie nach der Beschreibung des Streit-
patents etwa aus der österreichischen Patentschrift 36 59 97 bekannt gewesen
ist und bei der die Gefahr besteht, dass die Aufrisslasche nicht ordnungsgemäß
entsorgt wird (vgl. Sp. 1, Z. 28 ff.), nach der streitpatentgemäßen Lehre durch
die Vorgabe in Merkmal 4 a gerade ausgeschlossen werden (Sp. 2, Z. 4 ff.).
2. Aus fachlicher Sicht war es jedoch naheliegend, den aus der D1 be-
kannten, sich von einer zur anderen Seitennaht erstreckenden Abdeckstreifen
materialsparend als streitpatentgemäßen "Flicken" umzugestalten.
Der Fachmann konnte der D1 entnehmen, dass es bei Beuteln, deren
Wandungen aus einem Laminat, etwa mit einer Aluminiumfolie, bestehen und
32
33
- 17 -
die eine Entnahmeöffnung aufweisen, die durch einen Klebestreifen oder durch
Aufsiegelung eines Streifens außen an der Beutelwand verschlossen sind,
durch die ständige Berührung des Füllgutes an der Stanzstelle mit den Kanten
der einzelnen Folienlagen und des diese verbindenden Klebstoffes einerseits zu
Delaminierungen und andererseits zu Beeinträchtigungen der Qualität des Füll-
gutes kommen kann (D1, [druckschriftliche] S. 2, Abs. 2). Um diese negativen
Auswirkungen zu vermeiden, gleichwohl aber einen Beutel zu schaffen, der ei-
ne verschlossene, aber, insbesondere mit einem Trinkhalm, leicht zu durchsto-
ßende Entnahmeöffnung aufweist (D1, S. 2, Abs. 3), wird dem Fachmann in der
D1 vorgeschlagen, im Bereich der Entnahmeöffnung einen Abdeckstreifen aus
einer leicht durchstoßbaren Kunststofffolie im Inneren der Beutelwandung auf-
gesiegelt anzubringen (D1, S. 3, Abs. 2; Anspruch 1).
Zwar ist in den Figuren der D1 lediglich ein im Inneren der Beutelwan-
dung angeordneter Abdeckstreifen gezeigt, der von einer Beutelsiegelnaht zur
anderen reicht. Sah sich der Fachmann jedoch vor die Aufgabe gestellt, eine
solche Ausgestaltung im Hinblick auf eine Optimierung der Herstellungskosten
weiter zu verbessern, ergab sich für ihn aufgrund seiner allgemeinen Fach-
kenntnisse der Gedanke, sich mit Schweißstellen von den Seitennähten weg
näher in Richtung der Entnahmeöffnung zu begnügen, um dadurch Material zu
sparen.
Zu diesen Überlegungen wurde er weiter durch die D2 angeregt, bei der
die Einführungsöffnung (16) - nach Abziehen des außenliegenden Streifens
(21) und der damit einhergehenden Entfernung des ersten innenliegenden
Dichtungsteils (17) - von einem zweiten innenliegenden Dichtungsteils (18) ver-
schlossen ist, bis der Benutzer den Trinkhalm einsticht. Dieses zweite Dich-
tungsteil, das damit für kurze Zeit alleine die Einführungsöffnung verschließt, ist
34
35
- 18 -
als "Flicken" im Sinne des Merkmals 4 b ausgestaltet und haftet entlang seinem
Umfangsbereich (20) an der Innenfläche des vorderen Flächenteils an (D2,
S. 5, Z. 10 ff.). Das bestärkte den Fachmann in seiner Überlegung, eine derarti-
ge "Flickenlösung" auch für ein Behältnis in Erwägung zu ziehen, dessen Ein-
stichsöffnung - wie in D1 offenbart - allein durch eine innenliegende, aufge-
schweißte ("aufgesiegelte") Folie verschlossen wird. Dagegen spricht entgegen
der Ansicht der Beklagten auch nicht, dass die D2 flickenförmige Innenab-
deckungen nur in Verbindung mit einem außenliegenden Verschlussstreifen
zeigt. Denn aus fachlicher Sicht ist es evident, dass eine auf einen Flicken re-
duzierte Innenabdeckung ihren Zweck unabhängig davon voll erfüllen kann, ob
zusätzlich ein außenliegender Streifen verwendet wird oder nicht.
3. Patentanspruch 2 in der Fassung des ersten Hilfsantrags unterschei-
det sich von der erteilten Fassung durch das zusätzliche Merkmal 5, das wie
folgt lautet:
5. Als Verschlussfolie (7, 11) ist eine Verbundfolie vorgesehen.
Auch in dieser Fassung, gegen deren Zulässigkeit keine Bedenken be-
stehen, beruht der Gegenstand von Patentanspruch 2 nicht auf einer erfinderi-
schen Tätigkeit, weil er sich in naheliegender Weise aus dem Stand der Tech-
nik ergab.
Der Fachmann, der sich näher mit den Eigenschaften der aus der D1
bekannten Verschlussfolie beschäftigte, entnahm dieser Druckschrift, dass die
die Entnahmeöffnung von innen überdeckende Verschlussfolie einerseits mit
einem Trinkhalm leicht durchstoßbar sein soll und andererseits die Folienlagen
der Beutelwände von dem Füllgut gut isoliert sein sollen, um Delaminierungen
und Beeinträchtigungen derselben zu vermeiden (D1, S. 2 Abs. 2 und 3 Über-
36
37
38
39
- 19 -
gang zu S. 3). Zudem hat die Verschlussfolie, wie sich bereits in ihrer Bezeich-
nung (D1, Schutzanspruch 1: "Abdeckstreifen") ausdrückt, die Funktion einer
Barriere zwischen der Entnahmeöffnung und dem Füllgut. Insoweit wird für die
Verschlussfolie die Verwendung von Polyethylen als "bewährtes" Material emp-
fohlen, wobei besonders bevorzugt Polyethylen in lichtundurchlässiger Einfär-
bung eingesetzt werden soll (D1, S. 3, Abs. 3).
Dem Fachmann, der darüber nachdachte, die Barriere-Eigenschaften
dieser aus der D1 bekannten Verschlussfolie weiter zu verbessern, wurde in der
D4, aus der die nachfolgend wiedergegebene Figur 2 stammt,
ein Flüssigkeitsbehälter beschrieben und gezeigt, bei dem die Trägerschicht (2)
an der Gießöffnung mit einem Schutzüberzug aus zwei Thermoplastschichten
(3 und 4) versehen ist, um - ähnlich der der D2 zugrundeliegenden Problemstel-
lung - Delaminierungen und die Beeinträchtigung des Füllgutes zu verhindern,
und der darüber hinaus zum Verschließen der Öffnung neben einem außenlie-
genden Abdeckstreifen (8) zusätzlich eine innenliegende Siegelschicht (13)
aufweist. Für diese innenliegende Siegelschicht (13), die - wie die aus der D1
bekannte innenliegende Verschlussfolie - bevorzugt aus Polyethylen besteht
und die Öffnung flüssigkeitsdicht verschließt (D4, S. 8, Z. 4 ff. = D4b, S. 9,
Z. 6 ff.), werden für den Fall, dass eine noch höhere Sicherheit auch gegenüber
einem Austritt von Gas erwünscht ist, zusätzliche Gassperrschichten vorge-
schlagen (D4, S. 8, Z. 24 ff. = D4b, S. 9, Z. 31 ff.). Das gab dem Fachmann An-
40
- 20 -
lass, darüber nachzudenken, die aus der D1 bekannte innenliegende Ver-
schlussfolie als Verbundfolie bestehend aus Polyethylen- und einer oder mehre-
ren Gassperrschichten auszugestalten, um neben dem Austritt von Flüssigkeit
auch den von Gas effektiv zu verhindern.
Das gilt auch dann, wenn der Fachmann erwägt, die aus der D1 bekann-
te innenliegende Verschlussfolie entsprechend der Anregung aus D2 material-
sparend als "Flicken" im Sinne des Merkmals 4 a auszugestalten, zumal sich
die Beschreibung der D4 nicht darüber verhält, an welcher Stelle die die Öff-
nung überdeckende Siegelschicht 13 mit der inneren Thermoplastschicht 10
verschweißt wird (vgl. D4, S. 8, Z. 3 ff.; S. 11, Z. 14 ff. = D4b, S. 9, Z. 6 ff.;
S. 12, Z. 35 ff.) und die in Figur 2 der D4 wiedergegebene Siegelschicht 13 wie
ein "Flicken" im Sinne des Merkmals 4 a gezeichnet ist.
Der Fachmann wurde von diesen Überlegungen auch nicht durch die in
der allgemeinen Beschreibung der D4 genannten Nachteile einer Verbundfolie
für die innenseitige Abdeckung von Einstichsöffnungen abgehalten. Wie das
Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, betreffen diese Nachteile allein die Ma-
terialkosten und eine mangelnde Delaminierfestigkeit einer speziellen Verbund-
folie bei Verwendung mit einem außenseitig angeschweißten Abreißstreifen und
können deshalb kein allgemeines Vorurteil begründen, das den Fachmann von
der Verwendung von Verbundfolien bei einer ausschließlich innenliegenden
Abdeckung der Behälteröffnung abhält. Der Gesichtspunkt der Materialkosten
motivierte den Fachmann vielmehr dazu, die innenliegende Verschlussfolie als
"Flicken" auszugestalten, während sich die genannten weiteren Nachteile man-
gelnder Delaminierfestigkeit bei Fortlassen eines außenseitig angeschweißten
Abreißstreifens von vornherein nicht mehr stellen. Soweit in dem Dokument
chemische Veränderungen bei saurem Füllgut wie unter anderem Säften be-
41
42
- 21 -
schrieben sind, werden diese allein mit Metallfolien als Gassperrschicht in Ver-
bindung gebracht. Im Übrigen schlägt die D4 dem Fachmann ungeachtet der
genannten Kritik an einer speziellen Verbundfolie - wie bereits ausgeführt - bei
der Beschreibung eines Ausführungsbeispiels ausdrücklich die Verwendung
mehrlagiger Folien vor, um neben der Undurchlässigkeit gegenüber Flüssigkei-
ten auch eine solche gegenüber Gasen zu erreichen.
Unerheblich ist schließlich entgegen der Ansicht der Beklagten, dass in
D4 nicht von den speziellen Anforderungen an die Verschlussmaterialien die
Rede ist, die sich daraus ergeben, dass die Entnahme des Behältnisinhalts mit
Trinkhalmen vorgesehen ist. Dies ändert nichts daran, dass es sich bei D4 um
gattungsgemäßen Stand der Technik handelt und die Nutzbarmachung der sich
daraus ergebenden Anregungen durch einfache Versuche verifiziert werden
kann.
4. Anspruch 2 in der Fassung des zweiten Hilfsantrags unterscheidet
sich von selbigem in der Fassung des ersten Hilfsantrags dadurch, dass fol-
gendes Merkmal 6 hinzukommt:
6. Die Verbundfolie weist eine Barriere-Schicht aus EVOH auf.
Ob ein solcher Gegenstand des Patentanspruchs 2 unzulässig über den
Inhalt der Ursprungsanmeldung hinausgeht, wie von der Klägerin geltend ge-
macht, bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Denn jedenfalls beruht
dieser nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, weil er sich für den Fachmann in
naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergab.
Wie das Patentgericht überzeugend ausgeführt hat, wurden dem Fach-
mann, der sich mit der Frage befasste, aus welchem Material sich die - nach
43
44
45
46
47
- 22 -
den vorstehenden Ausführungen - durch den Stand der Technik nahegelegte
innenliegende, flickenartige Verbundfolie zum Verschluss der Einstichsöffnung
zusammensetzen sollte, um die gewünschte Funktion als effektive Barriere
nicht nur gegen Flüssigkeits- sondern auch gegen Sauerstoffdurchlässigkeit zu
erreichen, in der S1 Verbundfolien für Verpackungszwecke mit einer EVOH-
Zwischenschicht vorgeschlagen (S1, Sp. 1, Z. 9 ff.; Z. 47 ff.; Z. 65 ff.). Etwa wird
in der S1 eine Verbundfolie beschrieben, bei welcher eine EVOH-
Zwischenschicht mit einer oder mehreren Polyolefin-Schichten, wie etwa Po-
lyethylen-Schichten, mit geeigneter Adhäsion verbunden ist (S1, Sp. 1,
Z. 47 ff.). Nach den Angaben der S1 verfügen derartige Verbundfolien mit einer
EVOH-Zwischenschicht über wesentlich bessere Eigenschaften als Barriere-
Schicht für Sauerstoff als Folien aus Polyolefinen, wie Polyethylen und Polypro-
pylen, wobei zugleich die Eigenschaften dieser Folien (Siegelfähigkeit und
Feuchtigkeitsbeständigkeit) beibehalten werden, weil diese weiterhin als äußere
Schichten eingesetzt werden (S1, Sp. 1, Z. 9 ff.; Z. 65 ff.). Der Fachmann wurde
dadurch veranlasst, die Verwendung einer Verbundfolie mit einer Zwischen-
schicht aus EVOH als Verschlussfolie in seine Erwägungen mit einzubeziehen.
Dem steht nicht entgegen, dass in der S1 darauf hingewiesen wird, dass
die gewünschten Eigenschaften der Vinylalkoholfolien in der Anwesenheit von
Feuchtigkeit nachlassen (S1, Sp. 1, Z. 21 ff.). Das gilt auch dann, wenn zusätz-
lich die Entgegenhaltung D14 berücksichtigt wird. Diese Druckschrift belegt
nach den Feststellungen des fachkundig besetzten Patentgerichts das Fach-
wissen des Fachmanns zum Kunststoff EVOH. Darin werden nicht nur die her-
vorragenden Eigenschaften von EVOH als Sauerstoffbarriere hervorgehoben
(etwa D14, S. 41, Abstract = D14a, S. 2, Zusammenfassung), sondern es wird
auch von einer Beeinträchtigung dieser Eigenschaft in Anwesenheit von Feuch-
tigkeit berichtet, was auf die Hydrophilie des Polymers zurückzuführen sei (D14,
48
- 23 -
S. 45, Abs. 1 = D14a, S. 6, Abs. 3). Diese Durchlässigkeit ist jedoch, wie auch
das Patentgericht ausgeführt hat, selbst bei voll benetzter Folie absolut und re-
lativ gering gegenüber der Durchlässigkeit von Polyethylen-Folien. So konnte
der Fachmann etwa der Tafel 4 der D14 entnehmen, dass benetztes PE eine
Sauerstoffdurchlässigkeit von 2700 cc/m
2
.24hrs.atm aufweist, während EVOH-
Werkstoffe, etwa in einer Polyethylen-Verbundfolie, maximal über eine Sauer-
stoffdurchlässigkeit von 25 cc/m
2
.24hrs.atm verfügen, so dass der Fachmann
auch insoweit keinen Grund hatte, eine Verbundfolie mit einer EVOH-
Zwischenschicht nicht in seine Überlegungen mit einzubeziehen.
Entgegen der Ansicht der Beklagten ändert daran auch der besondere
Einsatz der Verbundfolie mit einer Barriere-Schicht aus EVOH als innenliegen-
der Flicken zum Verschluss einer Einstichsöffnung nichts. Auch wenn der
Fachmann nach Kenntnisnahme der S1 und der D14 nicht sicher wissen konn-
te, ob die Eigenschaft der EVOH-Schicht als Barriere gegen die Durchlässigkeit
von Sauerstoff durch den Kontakt mit Flüssigkeit an den Flickenrändern beein-
trächtigt würde, gibt es doch keinen Anhalt dafür, dass ihn dies davon abgehal-
ten hat, die Tauglichkeit einer Verbundfolie mit einer EVOH-Schicht im Hinblick
auf deren hervorragende Eigenschaften als Sauerstoff-Barriere für den genann-
ten Zweck auszutesten, zumal Feuchtigkeit ins Flickeninnere allenfalls bis zu
den inneren Schweißstellen vordringen konnte. Es lässt sich also insoweit je-
denfalls eine angemessene Erfolgserwartung feststellen, was nach der Recht-
sprechung des Senats hinreichend für die Annahme eines Naheliegen im Sinne
des Art. 56 EPÜ oder § 4 PatG sein kann (vgl. nur BGH, Urteil vom 15. Mai
2012 - X ZR 98/09 Rn. 46, GRUR 2012, 803 - Calcipotriol-Monohydrat) und im
vorliegenden Fall hinreichend ist, weil es den Fachmann zu der in Patentan-
spruch 2 unter Schutz gestellten Lehre geführt hat, ohne dass dem Hinde-
rungsgründe entgegenstanden.
49
- 24 -
5. Anspruch 2 in der Fassung des dritten Hilfsantrags hebt sich von der
des zweiten Hilfsantrags durch das folgende zusätzliche Merkmal 7 ab:
7. Die Verbundfolie
a) weist folgenden Aufbau auf:
Siegelmaterial/Haftvermittler/Barriere-Schicht/Haftvermittler/
Siegelmaterial
b) ist zwischen 20 µm und 120 µm stark.
Der Gegenstand von Patentanspruch 2 in der Fassung des dritten Hilfs-
antrags ist zwar zulässig, ergab sich für den Fachmann jedoch in naheliegender
Weise aus dem Stand der Technik.
Ein Fachmann, der darüber nachdachte, welche Struktur eine die Ein-
stichsöffnung abdeckende, innenliegende und als Flicken ausgebildete Ver-
bundfolie mit einer Barriere-Schicht aus EVOH aufweisen sollte, konnte Tabelle
1 der S1 in den Beispielen 5 und 14 koextrudierte Folienstrukturen entnehmen,
deren beidseitige äußere Schichten aus Polyethylen ("medium density polyethy-
lene" = "MDPE") bestehen. Die Kernschicht dieser beiden Folienstrukturen ist
aus EVOH gebildet. Als effektiver Haftvermittler zwischen der Kernschicht und
den beiden äußeren Schichten wird jeweils hydrolisiertes Vinylacetatpolymer
oder -copolymer ("hydrolized vinyl acetate polymer or copolymer") eingesetzt
(S1, Sp. 1, Z. 47 ff.; Z. 65 ff.; Sp. 3, Z. 7 ff., 61 ff.; Sp. 4, Z. 40 ff.; Anspruch 1).
Nach den von den Parteien nicht in Frage gestellten Ausführungen des
Patentgerichts liegt die Dicke der in Beispiel 14 angegebenen Folienstruktur bei
umgerechnet 0,0762 mm (3 mils) und damit innerhalb des in Merkmal 7 b be-
anspruchten Bereichs.
50
51
52
53
- 25 -
Soweit die Beklagte einwendet, dass der Fachmann Vorbehalte gehabt
habe, ein entsprechendes Material als Verschlussfolie im Beutelinneren einzu-
setzen und erst Recht nicht als Flickenstruktur, kann ihr nicht beigetreten wer-
den. Wie ausgeführt, bestand aus Sicht des Fachmanns im Hinblick auf die D1
und die D2 sowie die S1 und die D14 die hinreichende Aussicht, dass eine Ver-
schlussfolie aus Verbundmaterial, die als Flicken von innen aufgeschweißt ist,
einerseits die Einstichsöffnung gegen Flüssigkeits- und Sauerstoffdurchlässig-
keit hinreichend abdichten würde und andererseits durch die Spitze eines
Trinkhalmes leicht geöffnet werden könnte. Gründe, die aus fachlicher Sicht
dagegen sprachen, die Struktur der Verbundfolie so auszugestalten, wie sie in
den Beispielen 5 und 14 der S1 beschrieben ist, werden von der Beklagten
nicht aufgezeigt und sind auch sonst nicht ersichtlich.
6. Anspruch 2 in der Fassung des vierten Hilfsantrags unterscheidet sich
von der des dritten Hilfsantrags durch die folgenden zusätzlichen Merkmale 8
und 9:
8. Die Einstichsöffnung ist ausschließlich durch die Verschlussfolie
abgedichtet ohne eine zusätzliche auf der Außenseite anzu-
bringende Aufrisslasche.
9. Die Verschlussfolie ist ringförmig um die Einstichsöffnung auf-
geschweißt.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Verteidigung des Streitpatents in
der Fassung des vierten Hilfsantrags, die erstmals im Berufungsverfahren vor-
gebracht wurde, sachdienlich im Sinne von § 116 Abs. 2 Alt. 1 PatG ist. Denn
jedenfalls ist der Gegenstand von Anspruch 2 in der Fassung des vierten Hilfs-
antrags durch den Stand der Technik für den Fachmann nahegelegt.
54
55
56
- 26 -
Hinsichtlich des Merkmals 8 kann auf die obigen Ausführungen verwie-
sen werden, woraus sich ergibt, dass es für den Fachmann im Hinblick auf die
D1 und die D2 naheliegend war, die Einstichsöffnung ausschließlich durch die
Verschlussfolie abzudichten, also keine zusätzliche, auf der Außenseite anzu-
bringende Aufrisslasche vorzusehen. Aus den obigen Ausführungen folgt zu-
gleich, dass es sich für den Fachmann ergab, die Verschlussfolie
- entsprechend Merkmal 4 b - als "Flicken" auf die Einstichsöffnung aufzu-
schweißen. War für den Fachmann mithin die flickenartige Ausgestaltung der
innenliegenden Verschlussfolie naheliegend, bot es sich für ihn auch an, den
"Flicken" insbesondere ringförmig um die Einstichsöffnung aufzuschweißen.
7. Dass die Unteransprüche 3 bis 13 und 16 bis 18, soweit diese auf Pa-
tentanspruch 2 rückbezogen sind, auf einer eigenständigen erfinderischen Tä-
tigkeit beruhen, ist weder von der Beklagten in der Berufungsinstanz geltend
gemacht worden noch sonst ersichtlich.
57
58
- 27 -
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG in Verbindung
mit § 97 Abs. 1 ZPO.
Gröning
Mühlens
Grabinski
RiBGH Hoffmann ist durch urlaubs-
bedingte Ortsabwesenheit an der Bei-
fügung seiner Unterschrift gehindert.
Gröning
Deichfuß
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 20.12.2011 - 1 Ni 21/09 (EU) -
59