Urteil des BGH vom 08.02.2005

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 42/05 Verkündet
am:
7. März 2006
Böhringer-Mangold,
Justizhauptsekretärin
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO § 545 Abs. 2
Durch § 545 Abs. 2 ZPO ist die Prüfung der Zuständigkeit des Gerichts erster Instanz
der Nachprüfung durch das Revisionsgericht entzogen, auch wenn das Berufungsge-
richt die Revision zur Klärung der von ihm vertretenen Auffassung zur sachlichen
Zuständigkeit zugelassen hat.
BGH, Urteil vom 7. März 2006 - VI ZR 42/05 - LG Frankfurt (Oder)
AG Strausberg
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 7. März 2006 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller, die Richterin
Diederichsen und die Richter Pauge, Stöhr und Zoll
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der 6(a) Zivilkammer des Landge-
richts Frankfurt (Oder) vom 8. Februar 2005 wird auf Kosten des
Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Das klagende Land verlangt aus übergegangenem Recht wegen einer
vorsätzlichen unerlaubten Handlung des Beklagten vom 7. April 1993 die Er-
stattung von Krankengeld und Versicherungsbeiträgen sowie der Kosten des
Krankentransports und der stationären Krankenhausbehandlung des Opfers.
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Am 30. September 2003 beantragte der Kläger beim Amtsgericht C. den
Erlass eines Mahnbescheids, mit welchem er die Erstattung von Krankengeld
sowie von Versicherungsbeiträgen begehrte. In dem Mahnbescheidantrag be-
zeichnete er das Amtsgericht S. als das zuständige Gericht für ein streitiges
Verfahren. Mit Schreiben vom 10. November 2003 teilte der Kläger eine neue
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Anschrift des Beklagten mit und benannte nunmehr das Amtsgericht F. als
Streitgericht. Nach Eingang des Widerspruchs gab das Mahngericht das Ver-
fahren jedoch an das Amtsgericht S. ab.
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Am 21. Oktober 2003 beantragte der Kläger beim Amtsgericht C. einen
weiteren Mahnbescheid gegen den Beklagten, mit dem er aus demselben Vor-
fall die Erstattung von Krankentransport- und Krankenhauskosten begehrte. Er
benannte das Amtsgericht F. als Streitgericht. Mit Schreiben vom 7. November
2003 teilte er die Anschrift des Beklagten mit und bat um Abgabe des Verfah-
rens an das Amtsgericht S.. Nach Eingang des Widerspruchs gab das Mahnge-
richt das Verfahren an dieses Gericht ab.
Das Amtsgericht S. hat die Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung
und Entscheidung verbunden. Nachdem es auf Bedenken gegen die sachliche
Zuständigkeit des Amtsgerichts wegen Überschreitens der Wertgrenze nach
Verbindung der Verfahren hingewiesen und der Beklagte die sachliche Zustän-
digkeit des Amtsgerichts gerügt hatte, hat es die Klage mit Urteil vom 23. Juni
2004 als unzulässig abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein
Berufungsbegehren weiter, die Sache unter Aufhebung des erstinstanzlichen
Urteils und Verfahrens an das Amtsgericht S. zurückzuverweisen.
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Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, das Amtsgericht habe die Klage
nach Verbindung der Verfahren zu Recht wegen der fehlenden sachlichen Zu-
ständigkeit als unzulässig abgewiesen.
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Die nach § 147 ZPO vorgenommene, im Ermessen des Gerichts stehen-
de Verbindung der Verfahren sei zulässig gewesen. Der Kläger begehre aus
übergegangenem Recht aus demselben Haftungsgrund von dem Beklagten die
Erstattung von Leistungen, die er an die Krankenkasse des Verletzten bezahlt
habe, und beide Verfahren seien zum Zeitpunkt der Verbindung beim Amtsge-
richt S. anhängig gewesen.
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Zwar werde die bis dahin bestehende sachliche Zuständigkeit des Amts-
gerichts durch einen Verbindungsbeschluss grundsätzlich nicht berührt. Etwas
anderes gelte aber, wenn der Kläger erkennbar durch eine willkürliche Zerle-
gung seines Gesamtanspruchs in mehrere Verfahren die Zuständigkeit des
Amtsgerichts wider Treu und Glauben erschleichen wolle. Ein solcher Fall liege
hier vor, insbesondere weil der Vertreter des Klägers im Termin vor dem Amts-
gericht eingeräumt habe, dass die Geltendmachung der Ansprüche in zwei Kla-
gen allein deshalb erfolgt sei, um die Zuständigkeit des Amtsgerichts zu errei-
chen und die Kosten eines Rechtsanwalts zu sparen.
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II.
Die gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts gerichtete Revision
ist zwar statthaft (§ 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 2 ZPO) und auch im Übrigen
zulässig. Sie ist jedoch als unbegründet zurückzuweisen.
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1. Das Amtsgericht hat die Klage wegen fehlender sachlicher Zuständig-
keit abgewiesen, weil nach Verbindung beider Verfahren wegen Überschreitung
der Wertgrenze des § 23 Nr. 1 GVG die Zuständigkeit des Landgerichts gege-
ben sei. Das Berufungsgericht hat diese Entscheidung bestätigt, jedoch die Re-
vision zugelassen, offenbar um eine Überprüfung der Erwägungen zu ermögli-
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chen, mit denen es ausnahmsweise in Übereinstimmung mit dem erstinstanzli-
chen Gericht eine Änderung der sachlichen Zuständigkeit nach Verbindung der
Verfahren angenommen hat. Die Revision wendet sich gegen diese Auffassung
und möchte eine Zurückverweisung an das Amtsgericht S. erreichen.
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2. Mit diesem Begehren hat sie keinen Erfolg, weil die hier maßgebliche
Frage der sachlichen Zuständigkeit des erstinstanzlichen Gerichts nicht der
Prüfung durch das Revisionsgericht unterliegt.
Nach § 545 Abs. 2 ZPO kann die Revision nicht darauf gestützt werden,
dass das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht an-
genommen oder verneint hat. Nach der amtlichen Begründung zu dieser Vor-
schrift sollen dadurch im Interesse der Verfahrensbeschleunigung und der Ent-
lastung des Revisionsgerichts Rechtsmittelstreitigkeiten vermieden werden, die
allein auf die Frage der Zuständigkeit des Gerichts gestützt werden. Zugleich
soll die Neuregelung vermeiden, dass die von den Vorinstanzen geleistete
Sacharbeit wegen fehlender Zuständigkeit hinfällig wird (vgl. BT-Drucks.
14/4722 S. 106). Da die Vorschrift nach der Gesetzesbegründung insbesondere
auch eine Verfahrensbeschleunigung und eine Entlastung des Revisionsge-
richts im Auge hat, ist durch sie die Zuständigkeit des Gerichts erster Instanz
der Nachprüfung durch das Revisionsgericht schlechthin entzogen (vgl. BGH,
Urteil vom 22. Februar 2005 - KZR 28/03 - NJW 2005, 1660, 1661 und Be-
schluss vom 26. Juni 2003 - III ZR 91/03 - NJW 2917; Zöller/Gummer, ZPO,
25. Aufl., § 545 Rn. 16). Dies gilt auch dann, wenn das Berufungsgericht die
Revision zur Klärung der von ihm vertretenen Auffassung zur Zuständigkeit
zugelassen hat (vgl. BGH, Urteil vom 28. April 1988 - I ZR 27/87 - NJW 1988,
3267, 3268 und Beschluss vom 26. Juni 2003 - III ZR 91/03 - aaO). Eine Aus-
nahme gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur für die inter-
nationale Zuständigkeit (vgl. BGHZ 153, 82, 84 ff.; BGH, Urteil vom 27. Mai
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2003 - IX ZR 203/02 -, WM 2003, 1542). Im vorliegenden Fall wäre eine revisi-
onsrechtliche Prüfung im Übrigen auch nach einer im Schrifttum vertretenen
einschränkenden Auffassung (vgl. MünchKomm/Wenzel, ZPO-Reform, § 545
Rn. 15; Musielak/Ball, ZPO 4. Aufl., § 545 Rn. 12) ausgeschlossen, weil das
Berufungsgericht die Entscheidung der Vorinstanz bestätigt hat.
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Demnach ist die Revision zwar statthaft, aber unbegründet (vgl. BGH,
Urteile vom 26. Oktober 1979 - I ZR 6/79 - MDR 1980, 203; vom 28. April 1988
- I ZR 27/87 - aaO; Beschluss vom 26. Juni 2003 - III ZR 91/03 - aaO).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
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Müller Diederichsen Pauge
Stöhr Zoll
Vorinstanzen:
AG Strausberg, Entscheidung vom 23.06.2004 - 25 C 405/03 -
LG Frankfurt (Oder), Entscheidung vom 08.02.2005 - 6a S 179/04 -