Urteil des BGH vom 03.07.2014

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 261/12
Verkündet am:
3. Juli 2014
Kluckow
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO § 240 Satz 1; InsO §§ 87, 179 Abs. 1 und 2, § 180 Abs. 2
Der Gläubiger kann den wegen einer Insolvenzforderung geführten und durch die
Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners unterbro-
chenen Rechtsstreit erst aufnehmen, wenn die Forderung im Insolvenzverfahren an-
gemeldet und geprüft worden und bestritten geblieben ist.
BGH, Urteil vom 3. Juli 2014 - IX ZR 261/12 - OLG München
LG München I
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 3. Juli 2014 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die Richter
Prof. Dr. Gehrlein, Vill, Dr. Fischer und Grupp
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 9. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts München vom 9. Oktober 2012 aufgeho-
ben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die 39 Kläger sind Wohnungseigentümer in der Wohnanlage L.
straße
… in M. . Sie hatten jeweils die I. GmbH
& Co. KG als Bauträgerin mit der schlüsselfertigen Erstellung der Wohneinhei-
ten beauftragt und an diese die im Dezember 2005 im Zusammenhang mit ei-
nem Abnahmetermin angeforderte, vertragsgemäß nach vollständiger Fertig-
stellung fällige letzte Kaufpreisrate in Höhe von 3,5 v.H. des Gesamtkaufpreises
gezahlt. Die Bauträgerin wurde im Dezember 2006 mit anderen Gesellschaften
zur
I.
KG (nachfolgend auch: Schuldnerin) verschmolzen.
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Die Kläger haben diese Gesellschaft im Jahr 2009 auf Erstattung der
letzten Kaufpreisraten sowie auf Auskunft über gezogene Nutzungen aus den
gezahlten Beträgen und Herausgabe dieser Nutzungen verklagt. Zur Begrün-
dung haben sie im Wesentlichen vorgetragen, die letzte Kaufpreisrate sei zu
Unrecht angefordert worden, weil die Wohnanlage im Dezember 2005 nicht
wirksam abgenommen worden und noch nicht fertiggestellt gewesen sei. Das
Landgericht hat der Klage stattgegeben. Während des Verfahrens über die Be-
rufung der beklagten Gesellschaft ist am 1. Juni 2011 über deren Vermögen
das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Die Kläger haben das nach § 240 ZPO
unterbrochene Verfahren gegen den Insolvenzverwalter aufgenommen und den
Antrag auf Erstattung der letzten Kaufpreisraten umgestellt auf Feststellung der
Erstattungsforderungen zur Insolvenztabelle. Die weiteren Anträge haben sie
nicht weiter verfolgt. Das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen
und den Tenor des angefochtenen Urteils im Sinne der begehrten Feststellung
neu gefasst. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision erstrebt der beklagte
Insolvenzverwalter die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils
und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die auf die Erstattungsansprüche
beschränkte Aufnahme des unterbrochenen Verfahrens gegen den Insolvenz-
verwalter sei zulässig. Grundsätzlich setze die Aufnahme des Verfahrens durch
die Kläger eine vorherige und in der Sache erfolglose Anmeldung der Forde-
rungen zur Insolvenztabelle voraus. Die mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten
vom 11. August 2011 unter Bezugnahme auf das erstinstanzliche Urteil erfolgte
Forderungsanmeldung habe den formalen Anforderungen genügt. Der Insol-
venzverwalter sei nicht gehindert gewesen, die Forderungen zu prüfen. Das
Rechtsschutzinteresse der Kläger an der begehrten Feststellung folge daraus,
dass der Beklagte der materiell-rechtlichen Begründetheit der Forderungen im
Berufungsverfahren widersprochen habe. Der Antrag der Kläger sei auch in der
Sache begründet. Eine wirksame vollständige Abnahme der Leistungen der
Bauträgerin liege nicht vor. Die Wohnanlage sei auch nicht mangelfrei fertigge-
stellt gewesen. Die Ansprüche der Kläger seien nicht verjährt.
II.
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung in einem ent-
scheidenden Punkt nicht stand.
1. Zur Aufhebung des Urteils führt allerdings nicht bereits der Umstand,
dass das Berufungsgericht sein Urteil in abgekürzter Form nach § 313a Abs. 1
Satz 1 ZPO abgefasst hat. Nach dieser Bestimmung bedarf es im erstinstanzli-
chen Verfahren keines Tatbestands gemäß § 313 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 ZPO und
im Berufungsverfahren keiner Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellun-
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gen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen und Ergän-
zungen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO, wenn ein Rechtsmittel gegen
das Urteil unzweifelhaft nicht zulässig ist. Im Streitfall lag diese Voraussetzung
nicht vor, weil entgegen der Annahme des Berufungsgerichts die Wertgrenze
des § 26 Nr. 8 EGZPO überschritten und deshalb die Beschwerde gegen die
Nichtzulassung der Revision statthaft war. In solchen Fällen ist ein Berufungsur-
teil regelmäßig aufzuheben, weil die Entscheidung entgegen den Bestimmun-
gen des Gesetzes nicht mit Gründen versehen ist (§ 547 Nr. 6, § 562 Abs. 1
ZPO).
Von einer Aufhebung kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn
das Ziel, die Anwendung des Rechts auf den festgestellten Sachverhalt nach-
zuprüfen, im Einzelfall erreicht werden kann, weil sich der Sach- und Streitstand
aus den Entscheidungsgründen in einem für die Beurteilung der aufgeworfenen
Rechtsfrage noch ausreichenden Umfang ergibt (BGH, Beschluss vom 25. Mai
2004 - X ZR 258/01, NJW-RR 2004, 1576 mwN). Ein solcher Ausnahmefall liegt
hier vor. Das Berufungsgericht nimmt zu Beginn der Begründung seiner Ent-
scheidung auf die tatsächlichen Ausführungen des Landgerichts Bezug. Es gibt
die Entscheidungsformel des Landgerichts zusammenfassend wieder und teilt
mit, dass der Beklagte mit der Berufung die Abweisung der Klage verfolgt. Aus
der weiteren Begründung der Entscheidung wird in einem für die revisionsrecht-
liche Nachprüfung ausreichenden Maß erkennbar, welchen Sachverhalt das
Berufungsgericht zugrunde gelegt hat.
2. Das Berufungsgericht hätte jedoch keine Sachentscheidung treffen
dürfen, weil die Aufnahme des unterbrochenen Rechtsstreits durch die Kläger
nicht wirksam war.
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a) Die Aufnahme eines durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens
über das Vermögen einer Partei unterbrochenen Rechtsstreits richtet sich ge-
mäß § 240 Satz 1 ZPO nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vor-
schriften. Ein Passivprozess, mit dem die Insolvenzmasse in Anspruch genom-
men wird, kann vom Gläubiger nur unter den besonderen, hier nicht vorliegen-
den Voraussetzungen des § 86 Abs. 1 InsO ohne weiteres aufgenommen wer-
den. Im Übrigen können Insolvenzgläubiger ihre Forderungen nur nach den
Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen (§ 87 InsO). Trotz des be-
reits anhängigen Rechtsstreits muss der Insolvenzgläubiger deshalb seine For-
derung zunächst nach § 174 InsO zur Insolvenztabelle anmelden. Die Forde-
rung muss sodann in einem Prüfungstermin vor dem Insolvenzgericht oder im
schriftlichen Verfahren geprüft werden (§ 29 Abs. 1 Nr. 2, § 176 f InsO). Wenn
der Insolvenzverwalter oder ein anderer Insolvenzgläubiger der Forderung im
Prüfungstermin oder im schriftlichen Verfahren widerspricht, kann der Gläubiger
den anhängigen Rechtsstreit mit dem Ziel der Feststellung der Forderung zur
Tabelle aufnehmen (§ 179 Abs. 1, § 180 Abs. 2 InsO). Liegt, wie im Streitfall, für
die Forderung bereits ein (vorläufig) vollstreckbarer Schuldtitel vor, obliegt die
Aufnahme des unterbrochenen Rechtsstreits dem Bestreitenden (§ 179 Abs. 2
InsO). Bleibt dieser untätig, ist aber auch der Gläubiger zur Aufnahme befugt
(BGH, Beschluss vom 31. Oktober 2012 - III ZR 204/12, BGHZ 195, 233 Rn. 7
mwN).
Die Durchführung des insolvenzrechtlichen Feststellungsverfahrens dient
dem Interesse der Gesamtheit der Insolvenzgläubiger. Durch das Verfahren der
Anmeldung und Prüfung soll ihnen die Möglichkeit gegeben werden, sich an der
gerichtlichen Auseinandersetzung über die Begründetheit der Forderung zu be-
teiligen, zumal die gerichtliche Feststellung gegenüber allen Insolvenzgläubi-
gern wirkt (§ 183 Abs. 1 InsO). Aus diesem Grund ist das Erfordernis des insol-
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venzrechtlichen Feststellungsverfahrens auch nicht abdingbar. Es handelt sich
vielmehr um eine zwingende Sachurteilsvoraussetzung sowohl im Falle einer
neu erhobenen Feststellungsklage (BGH, Urteil vom 27. September 2001
- IX ZR 71/00, WM 2001, 2180 f; vom 23. Oktober 2003 - IX ZR 165/02, WM
2003, 2429, 2431; vom 5. Juli 2007 - IX ZR 221/05, BGHZ 173, 103 Rn. 12;
vom 22. Januar 2009 - IX ZR 3/08, WM 2009, 468 Rn. 16 f) als auch bei der
Aufnahme eines unterbrochenen Rechtsstreits (BGH, Urteil vom 26. Juni 1953
- V ZR 71/52, LM Nr. 1 zu § 146 KO; vom 8. November 1961 - VIII ZR 149/60,
NJW 1962, 153, 154; vom 21. Februar 2000 - II ZR 231/98, WM 2000, 891,
892; BAGE 120, 27 Rn. 22, 29 f).
b) Im Streitfall kann offen bleiben, ob die Kläger, wie das Berufungsge-
richt annimmt, ihre Forderungen bereits mit dem Schreiben vom 11. August
2011 wirksam zur Insolvenztabelle angemeldet hatten. Jedenfalls waren die
Forderungen bis zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung vor
dem Berufungsgericht nicht nach den Vorschriften der Insolvenzordnung ge-
prüft. Nach dem von den Klägern nicht bestrittenen Vortrag des Beklagten hatte
dieser die Aufnahme der Forderungen in die Insolvenztabelle auf der Grundlage
der Forderungsanmeldung vom 11. August 2011 zunächst abgelehnt, weil die
Anmeldung nicht den formalen Anforderungen des § 174 InsO entsprochen ha-
be. Mangels Aufnahme in die Tabelle waren die Forderungen nicht Gegenstand
des Prüftermins, der im schriftlichen Verfahren am 10. November 2011 statt-
fand. Der Bevollmächtigte der Kläger meldete die Forderungen daraufhin unter
dem 10. Februar 2012 mit ausführlicherer Begründung erneut an. Diese Anmel-
dung behandelte der Beklagte als nachträgliche Forderungsanmeldung. Ein
Termin zur Prüfung dieser Forderungen oder eine Prüfung im schriftlichen Ver-
fahren nach § 177 Abs. 1 InsO wurde jedoch vom Insolvenzgericht bis zur Beru-
fungsverhandlung nicht angeordnet.
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Die Prüfung der Forderungen nach den insolvenzrechtlichen Vorschriften
war entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht deshalb entbehrlich, weil
die angemeldeten Forderungen prüffähig waren und der Insolvenzverwalter
durch sein Verhalten im Rechtsstreit zum Ausdruck brachte, die Forderungen
bestreiten zu wollen. Der Zweck, den übrigen Insolvenzgläubigern eine Beteili-
gung zu ermöglichen, kann nur durch eine förmliche Durchführung des Prü-
fungsverfahrens vor dem Insolvenzgericht erreicht werden.
3. Weil es mangels Durchführung des insolvenzrechtlichen Prüfungsver-
fahrens an einer rechtswirksamen Aufnahme des nach § 240 ZPO unterbro-
chenen Rechtsstreits durch die Kläger fehlt, waren das angefochtene Urteil und
das zugrunde liegende Verfahren ab der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
über das Vermögen der Schuldnerin aufzuheben (§ 562 Abs. 1 und 2 ZPO) und
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die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Von der Möglichkeit
des § 21 GKG Gebrauch zu machen, besteht kein Anlass.
Kayser
Gehrlein
Vill
Fischer
Grupp
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 30.07.2010 - 8 O 24508/09 -
OLG München, Entscheidung vom 09.10.2012 - 9 U 4030/10 -