Urteil des BGH vom 09.11.2010

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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 521/10
vom
9. November 2010
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-
desanwalts und des Beschwerdeführers am 9. November 2010 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Neubrandenburg vom 15. Februar 2010,
soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
2.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere
Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten gewerbsmäßi-
gen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 28 Fällen und wegen unerlaubten
Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfrei-
heitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und deren Vollstre-
ckung zur Bewährung ausgesetzt. Ferner hat es den Verfall von Wertersatz in
Höhe von 2.520 Euro angeordnet.
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Gegen diese Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit der nicht näher
ausgeführten Sachrüge. Das Rechtsmittel hat in vollem Umfang Erfolg.
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I.
1. Soweit der Angeklagte wegen unerlaubten gewerbsmäßigen Handel-
treibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt worden ist,
leidet der Schuldspruch hinsichtlich der vom Landgericht angenommenen Ge-
samtzahl von 28 Tathandlungen an einem inneren, auch durch den Gesamtzu-
sammenhang der Urteilsgründe nicht auflösbaren Widerspruch in den Feststel-
lungen. Die Strafkammer geht davon aus, dass der Angeklagte „in den Monaten
Februar, März, Mai, Juni, Juli und August“ (UA 11) bzw. „über einen Zeitraum
sieben
pro Monat jeweils eine Platte Haschisch mit einem Gewicht von 150 Gramm
von dem Mitangeklagten W. zum Preis von 2,90 Euro pro Gramm erhielt und
mit 60 Cent Aufschlag pro Gramm an einzelne Abnehmer weiterverkaufte (UA
11, 13). Abgesehen davon, dass die Gründe für das Ruhen der Verkaufstätig-
keit im April 2009 in den Urteilsgründen nicht näher mitgeteilt werden, ergibt
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um einen offensichtlichen Rechenfehler handelt, vermag der Senat schon des-
halb nicht sicher festzustellen, weil die Strafkammer die Zahl der Tathandlun-
gen auf die geständige Einlassung des Angeklagten gestützt hat, dieser
aber ausweislich der Urteilsgründe angegeben hat, die Verkäufe hätten „in der
September
funden. Von dem Widerspruch sind auch die Berechnungen betroffen, die der
Anordnung des Verfalls von Wertersatz zu Grunde liegen (UA 19).
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2. Auch die Verurteilung des Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes
von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge begegnet durchgreifenden
rechtlichen Bedenken.
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a) Insoweit hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte am
1. September 2009 in seiner Wohnung neben mehreren Kleinmengen verschie-
dener Betäubungsmittel auch eine Haschischplatte mit einem Gewicht von
194,662 Gramm und einem Wirkstoffgehalt 11,504 Gramm THC aufbewahrte.
Stammte diese Haschischplatte, was nahe liegt und vom Landgericht ausdrück-
lich nicht sicher ausgeschlossen werden konnte (UA 13 unten, UA 15 oben),
aus den von dem Mitangeklagten W. zum gewinnbringenden Weiterver-
kauf bezogenen Haschischmengen, ist eine Verurteilung wegen tatmehrheitli-
chen unerlaubten Besitzes nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesge-
richtshofs ausgeschlossen, da es sich insoweit um einen unselbständigen Teil-
akt des (beabsichtigten) Handeltreibens handelt (BGHSt 25, 290, 291; vgl. auch
Franke/Wienroeder BtMG 3. Aufl. § 29 Rn. 140).
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b) Soweit sich aus den Urteilsgründen ferner ergibt, dass der Angeklagte
am 1. September 2009 in seiner Wohnung auch 8,584 Gramm Marihuana, ein-
gewickelt in Alufolie, mit einem Wirkstoffgehalt von „6,645 g THC“ aufbewahrt
haben soll, bemerkt der Senat, dass nach seiner Kenntnis ein derartig hoher
Wirkstoffgehalt ersichtlich fern liegt.
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II.
Das angefochtene Urteil weist darüber hinaus weitere Rechtsfehler auf.
Im Hinblick auf die neue Verhandlung und Entscheidung wird deshalb ergän-
zend auf Folgendes hingewiesen:
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a) Das Landgericht ist hinsichtlich der vom Angeklagten wöchentlich ge-
winnbringend verkauften Haschischplatten davon ausgegangen, dass der Wirk-
stoffgehalt der einzelnen Platten jeweils „unterhalb der nicht geringen Menge“
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lag. Mag diese Erwägung, mit der die Strafkammer die Nichtanwendung von
§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG begründet hat, den Angeklagten im vorliegenden Fall
im Ergebnis auch nicht beschweren, so merkt der Senat gleichwohl an, dass für
den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat neben Art und Menge des jeweiligen
Betäubungsmittels der jeweilige Wirkstoffgehalt von besonderer Bedeutung ist,
und zwar auch und gerade dann, wenn es sich, wie im vorliegenden Fall, im
Hinblick auf die nicht geringe Menge im Sinne des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG um
einen Grenzfall handelt. Den Wirkstoffgehalt – unter Beachtung des Zweifels-
satzes – mit hinreichender Genauigkeit festzustellen, ist in der Regel auch dann
möglich, wenn Betäubungsmittel nicht sichergestellt werden konnten und daher
für eine Untersuchung durch einen Sachverständigen nicht zur Verfügung ste-
hen (vgl. Senat, Beschluss vom 26. Juli 2001 – 4 StR 110/01, NStZ-RR 2002,
52). Dies gilt umso mehr, wenn der Angeklagte – wie hier – umfangreiche, ge-
ständige Angaben gemacht hat und dessen aus dem Urteil ersichtlicher Le-
benslauf das Vorhandensein einschlägiger Kenntnisse nahe legt.
b) Der Senat vermag auch die Ausführungen des Landgerichts zur Wahl
des Strafrahmens nicht nachzuvollziehen.
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aa) Hinsichtlich der Fälle des unerlaubten gewerbsmäßigen Handeltrei-
bens mit Betäubungsmitteln legt die Strafkammer einen Regelstrafrahmen von
einem bis zu fünf Jahren zu Grunde. Die hier anzuwendende Strafvorschrift des
§ 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BtMG droht jedoch ein Höchstmaß von fünfzehn Jah-
ren Freiheitsstrafe an. Die Annahme des Landgerichts, die Voraussetzungen
eines minder schweren Falles seien gegeben, findet in der Strafvorschrift man-
gels entsprechenden Sonderstrafrahmens keine Stütze; es kommt allenfalls ein
Abweichen von der Regelwirkung des Absatzes 3 in Betracht.
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bb) Das Landgericht hat wegen des zeitnahen Geständnisses des Ange-
klagten, das auch die Angabe von Namen und Telefonnummern seiner Abneh-
mer umfasste, von der Milderungsmöglichkeit des § 31 Nr. 1 BtMG Gebrauch
gemacht. Aus den Urteilsgründen erschließt sich jedoch nicht, ob die Milderung
entsprechend der alten Fassung dieser Vorschrift nach § 49 Abs. 2 StGB vor-
genommen wurde oder ob sich die Kammer auf § 49 Abs. 1 StGB gestützt hat,
auf den die Neufassung von § 31 Nr. 1 BtMG (idF des 43. StrÄndG vom 29. Juli
2009, BGBl I 2288, in Kraft seit 1. September 2009) verweist. Zur Frage der
Anwendbarkeit der Neufassung weist der Senat auf Art. 316d EGStGB und die
dazu ergangene Rechtsprechung hin (vgl. BGH, Beschluss vom 18. März 2010
– 3 StR 65/10, StV 2010, 481).
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Ferner wird zu beachten sein, dass für die Prüfung des Aufklärungserfol-
ges auf den Zeitpunkt der neuen Hauptverhandlung abzustellen ist (vgl. BGH,
Beschluss vom 24. Oktober 1992 – 1 StR 617/91, BGHR BtMG § 31 Nr. 1 Auf-
deckung 21 m.w.N.).
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Ernemann Solin-Stojanović Roggenbuck
Franke Bender