Urteil des BGH vom 03.02.2012

BGH: zustellung, anforderung, rechtssicherheit, überschreitung, unterlassen, kostenvorschuss, klagefrist, rechtsschutzversicherung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 44/11
Verkündet am:
3. Februar 2012
Lesniak,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 3. Februar 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die
Richter Dr. Lemke und Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und die Richterinnen
Dr. Brückner und Weinland
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin zu 5 wird das Urteil der 29. Zivil-
kammer des Landgerichts Köln vom 13. Januar 2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der
Kosten der Nebenintervenientin, an das Berufungsgericht zurück-
verwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich - ursprünglich zusammen mit vier weiteren Klä-
gern - gegen die von der Wohnungseigentümerversammlung am 29. April 2008
beschlossenen Jahresabrechnungen 2003 und 2004.
Die gegen die übrigen Wohnungseigentümer gerichtete Klage ist am
29. Mai 2008 bei dem Amtsgericht eingegangen, die Klagebegründung am
30. Juni 2008 (Montag). Mit gerichtlichem Schreiben vom 2. Juli 2008 wurde der
Prozessbevollmächtigte der Kläger aufgefordert, Angaben zum Streitwert zu
machen. Nach deren Eingang erhielt er mit ihm am 28. Juli 2008 zugegangenen
Schreiben vom 23. Juli 2008 die Anforderung des Kostenvorschusses nach ei-
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nem Streitwert von 115.000
€. Die Kläger zahlten ab dem 1. August jeweils 1/5
des Vorschusses; der letzte Teil ging am 13. August 2008 ein, gezahlt von der
Rechtsschutzversicherung der Klägerin zu 5. Die Klage ist am 30. August 2008
zugestellt worden.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die nur von der Klägerin zu
5 eingelegte Berufung ist ohne Erfolg geblieben. Mit der von dem Landgericht
zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Antrag, die Beschlüsse für
ungültig zu erklären, weiter. Die Beklagten beantragen die Zurückweisung des
Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hält die Klage wegen Nichtwahrung der Klagefrist
des § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG für unbegründet. Die erst am 30. August 2008 er-
folgte Zustellung der Klage wirke auf den Zeitpunkt der - dann rechtzeitigen -
Einreichung (29. Mai 2008) nach § 167 ZPO nur zurück, wenn sie "demnächst"
vorgenommen worden sei. Das sei hier zu verneinen, weil der Zeitraum von 16
Tagen zwischen der Aufforderung, den Kostenvorschuss zu zahlen, und dem
Eingang des letzten Teils des Vorschusses die im Interesse der Rechtssicher-
heit zugrunde zu legende Höchstfrist von 14 Tagen überschreite. Besondere
Umstände, die im Einzelfall eine Überschreitung dieser Frist rechtfertigen könn-
ten, lägen nicht vor.
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II.
Die nach § 543 Abs. 2 Satz 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zuläs-
sige Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurück-
verweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts wirkt die Zustellung der
Klage auf den Zeitpunkt des Eingangs zurück, da die Zustellung demnächst im
Sinne von § 167 ZPO erfolgt ist.
1. Geht es um von der klagenden Partei zu vertretende Zustellungsver-
zögerungen, so ist das Merkmal "demnächst" nur erfüllt, wenn sich die Verzö-
gerung in einem hinnehmbaren Rahmen hält. Mit Blick auf den nach § 12
Abs. 1 GKG zu leistenden Gerichtskostenvorschuss ist das nur zu bejahen,
wenn dieser nach seiner Anforderung innerhalb eines Zeitraums eingezahlt
wird, der sich "um zwei Wochen bewegt oder nur geringfügig darüber liegt"
(BGH, Urteil vom 15. November 1985 - II ZR 236/84, NJW 1986, 1347, 1348;
Senat, Urteil vom 16. Januar 2009 - V ZR 74/08, BGHZ 179, 230 Rn. 16). Ob
sich die Verzögerung "in einem hinnehmbaren Rahmen hält", ist vor allem der
Beurteilung des Tatrichters vorbehalten, der dabei alle Umstände des Einzel-
falls zu berücksichtigen hat.
2. Dem ist das Berufungsgericht nicht gerecht geworden.
a) Es hat schon übersehen, dass es nach der zitierten Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs keine "im Interesse der Rechtssicherheit" bestehende
Höchstfrist von 14 Tagen gibt, die nur bei Vorliegen besonderer Umstände im
Einzelfall überschritten werden dürfe. Vielmehr sind stets alle Umstände des
Einzelfalls zu würdigen, wobei jedenfalls bei einem Zeitraum von 14 Tagen re-
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gelmäßig davon ausgegangen werden kann, dass sich die Verzögerung noch in
einem hinnehmbaren Rahmen hält.
b) Der unrichtige Ansatz hat sich auf das Ergebnis ausgewirkt. Das Beru-
fungsgericht hat zwar die maßgeblichen Umstände nicht übersehen, sie jedoch
nicht einer Gesamtschau unterzogen, sondern nur jeweils einzeln unter dem
Gesichtspunkt gewürdigt, ob sie ausnahmsweise die Überschreitung der ange-
nommenen Höchstfrist von 14 Tagen rechtfertigen.
c) Da das Berufungsgericht die erforderliche Gesamtwürdigung unterlas-
sen hat, kann sie der Senat auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen
selbst vornehmen. Sie führt dazu, dass sich die nur geringfügig über zwei Wo-
chen liegende Verzögerung (16 Tage) in einem noch hinnehmbaren Rahmen
hält, so dass die Zustellung "demnächst" im Sinne von § 167 ZPO erfolgt ist.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass entgegen der Auffassung des Berufungsge-
richts dem Umstand Rechnung zu tragen ist, dass die Kostenanforderung ent-
gegen §§ 31 Abs. 1, 32 Abs. 2 KostVfg NRW nicht den Klägern selbst, sondern
deren Prozessbevollmächtigtem übersandt worden ist. Bei dieser von der gebo-
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tenen Handhabung abweichenden Verfahrensweise waren nämlich weitere
Verzögerungen nicht ausgeschlossen.
Krüger
Lemke
Schmidt-Räntsch
Brückner
Weinland
Vorinstanzen:
AG Köln, Entscheidung vom 26.03.2010 - 204 C 142/08 -
LG Köln, Entscheidung vom 13.01.2011 - 29 S 90/10 -