Urteil des BGH vom 20.05.2014

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 187/13
Verkündet am:
20. Mai 2014
Holmes
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO § 318; BGB § 823 Abs. 1 Aa, C
a) Zur Bindungswirkung eines Grund- und Teilurteils.
b) Zur Bejahung eines abgrenzbaren Teils des Gesundheitsschadens bei Mitverur-
sachung der Gesundheitsverletzung.
BGH, Urteil vom 20. Mai 2014 - VI ZR 187/13 - OLG München in Augsburg
LG Kempten (Allgäu)
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 8. April 2014 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richter Wellner,
Pauge und Stöhr und die Richterin von Pentz
für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 24. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts München vom 28. März 2013 wird zurückge-
wiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens einschließ-
lich der Kosten der Streithelfer der Beklagten zu 3 und 4.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger verlangt von den Beklagten Schadensersatz im Zusammen-
hang mit seiner Geburt im Krankenhaus I. Die Mutter des Klägers wurde wäh-
rend der Schwangerschaft vom Beklagten zu 1, der Belegarzt in dem Kranken-
haus war, frauenärztlich und geburtshilflich bis zur Entbindung betreut. Der Be-
klagte zu 3 ist der Träger des Krankenhauses. Die Beklagte zu 2 begleitete als
freie Hebamme die Geburt. Die Beklagte zu 4 versorgte den Kläger als Kran-
kenschwester nach der Geburt in der Kinderstation des Krankenhauses.
Bei der Mutter des Klägers setzten am 13. Oktober 1984 gegen 20 Uhr
Geburtswehen ein. Sie wurde danach in das Krankenhaus I. aufgenommen.
Der Kläger kam am 14. Oktober 1984 um 10.16 Uhr zur Welt. Zwei Stunden
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später brachte ihn die Beklagte zu 2 auf die Kinderstation und übergab ihn der
Beklagten zu 4. Am 16. Oktober 1984 veranlasste ein zu Rate gezogener Kin-
derarzt die Verlegung des Klägers in die Kinderklinik des Krankenhauses K.
Dort lautete die Gesamtdiagnose auf ein Postasphyxie-Syndrom mit Subarach-
noidalblutung und ZNS-Anfällen. Bei der Entwicklung des Klägers wurden in
den folgenden Jahren schwerste körperliche und geistige Behinderungen sicht-
bar.
Der Kläger nimmt die Beklagten auf materiellen und immateriellen Scha-
densersatz und Feststellung der Ersatzpflicht bezüglich weiterer materieller und
immaterieller Schäden in Anspruch. Zunächst hat das Landgericht durch Urteil
vom 20. November 1995 den Anspruch des Klägers "auf Ersatz seines materiel-
len und immateriellen Schadens aus der Geburt am 14.10.1984" gegen die Be-
klagten zu 1 bis 4 als Gesamtschuldner dem Grunde nach für gerechtfertigt er-
klärt. Das Oberlandesgericht hat mit Urteil vom 18. März 2004 die Berufungen
der Beklagten gegen das "als Grundurteil bezeichnete Grund- und Teilendurteil"
des Landgerichts "mit folgender Klarstellung" zurückgewiesen:
"1. Die Klageanträge Ziffern 1 bis 3 sind dem Grunde nach gerechtfer-
tigt.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner ver-
pflichtet sind, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen
Schäden zu ersetzen, die dem Kläger anlässlich und aufgrund der
Behandlung durch die Beklagten nach seiner Geburt am 14.10.1984
bis zum 16.10.1984 entstanden sind und noch entstehen werden,
soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sons-
tige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden."
Der erkennende Senat hat die Beschwerden der Beklagten gegen die
Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil zurückgewiesen.
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Im nachfolgenden Betragsverfahren hat das Landgericht den Anträgen
des Klägers weitgehend stattgegeben. Es hat die Beklagten verurteilt, über die
bereits bezahlten Beträge von insgesamt 220.000
€ hinaus ein weiteres
Schmerzensgeld von 100.000
€, materiellen Schadensersatz von 666.156,34 €,
eine
Mehrbedarfsrente von monatlich 2.193,19 € und eine Erwerbsschadens-
rente von monatlich 1.032,73
€ nebst Zinsen zu zahlen. Auf die Berufungen der
Beklagten hat das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts abgeändert
und die Beklagten als Gesamtschuldner nur verurteilt, an den Kläger über den
bereits bezahlten Betrag hinaus
weitere 52.603,13 € sowie eine Rente von vier-
teljährlich
2.127,54 € nebst Zinsen zu zahlen. In Bezug auf die Beklagten zu 3
und 4 hat es festgestellt, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache in Höhe von
220.000 € erledigt ist. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und die weiter-
gehenden Berufungen der Beklagten zurückgewiesen. Mit seiner vom Beru-
fungsgericht - beschränkt auf die Frage der Abgrenzung der Schadensanteile -
zugelassenen Revision verlangt der Kläger die Wiederherstellung des landge-
richtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
A.
Die Revision ist uneingeschränkt zulässig (§ 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Zwar hat das Berufungsgericht die Revision sowohl im Tenor als auch in
den Gründen des angefochtenen Urteils nur beschränkt hinsichtlich der Frage
der Abgrenzbarkeit der Schadensanteile zugelassen. Damit hat es die Zulas-
sung aber in unzulässiger Weise auf eine bestimmte Rechtsfrage beschränkt
(vgl. Senatsurteile vom 13. Juli 2004 - VI ZR 273/03, VersR 2004, 1267, 1268;
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vom 28. März 2006 - VI ZR 50/05, VersR 2006, 944 Rn. 9, jeweils mwN; BGH,
Urteil vom 19. April 2013 - V ZR 113/12, NJW 2013, 1948 Rn. 9). Die Zulassung
kann auch nicht in eine Beschränkung der Revision auf den Anspruchsgrund
als einen selbständig anfechtbaren Teil des Streitgegenstandes umgedeutet
werden (vgl. dazu Senatsurteil vom 13. Juli 2004 - VI ZR 273/03, aaO). Denn
das angefochtene Urteil ist im Betragsverfahren ergangen; ihm ist bereits ein
Grundurteil gemäß § 304 ZPO vorausgegangen. Die Frage der Abgrenzbarkeit
der Schadensanteile kann im Betragsverfahren nicht von der Schadenshöhe
getrennt werden.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des Bun-
desgerichtshofs zum Einwand des Mitverschuldens, auf die sich die Revisions-
erwiderungen der Beklagten zu 2 bis 4 berufen. Danach kann die Revisionszu-
lassung zwar wirksam auf den Mitverschuldenseinwand beschränkt werden.
Voraussetzung dafür ist aber, dass das Berufungsgericht befugt gewesen wäre,
zunächst ein Grundurteil zu erlassen und die Frage des Mitverschuldens dem
Betragsverfahren vorzubehalten (vgl. BGH, Urteile vom 18. April 1997 - V ZR
28/96, BGHZ 135, 235, 237; vom 19. April 2013 - V ZR 113/12, aaO Rn. 11,
jeweils mwN). Innerhalb des Betragsverfahrens ist eine entsprechende Be-
schränkung der Revisionszulassung nicht zulässig.
Da die Revision mithin unbeschränkt zugelassen ist, ist die von dem Klä-
ger vorsorglich eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde gegenstandslos (vgl.
BGH, Urteil vom 19. April 2013 - V ZR 113/12, aaO Rn. 12 mwN).
B.
Die Revision ist nicht begründet.
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I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, entgegen der Auffassung des
Landgerichts führe die Bindungswirkung des Berufungsurteils vom 18. März
2004 zu einer Schadensersatzpflicht der Beklagten nur für einen Teil der gel-
tend gemachten Schäden. In diesem Urteil sei mit Bindungswirkung für alle
denkbaren Ansprüche des Klägers festgestellt, dass die Beklagten nur für die-
jenigen Gesundheitsschäden schadensersatzpflichtig seien, die nach der Ge-
burt des Klägers am 14. Oktober 1984 bis zum 16. Oktober 1984 entstanden
seien, und die im Urteil als "fortschreitender Schaden" bzw. als "postpartal ver-
schlimmerter Verletzungserfolg" bezeichnet seien. Das Gericht habe die Mög-
lichkeit einer hypoxischen Schädigung des Klägers vor der Geburt und damit im
Zusammenhang stehende Versäumnisse der Beklagten zu 1 und 2 sowie Be-
handlungsfehler im Zusammenhang mit dem Kristellern ausgeschlossen. Es
habe nur Behandlungs- bzw. Organisationsfehler im Zeitraum nach der Geburt
bezüglich aller vier Beklagten bejaht, durch die eine Stabilisierung des intra par-
tum verursachten Gesundheitsschadens versäumt worden sei.
Nach den bindenden Feststellungen des Urteils vom 18. März 2004 sei
bei dem Kläger in den Minuten vor der Geburt ohne eine Pflichtwidrigkeit der
Beklagten eine Hirnblutung und damit ein Gesundheitsschaden eingetreten, der
sich bis zur Verlegung am 16. Oktober 1984 in die Kinderklinik des Kranken-
hauses K. weiter habe ausbreiten können. Es habe sich um einen einheitlichen,
kontinuierlichen biologischen Vorgang gehandelt, der sich auf eine immer grö-
ßer werdende Zahl von Gehirnzellen oder Gehirnarealen ausgedehnt habe. Der
entstandene Gesundheitsschaden bestehe somit aus einem schicksalhaft ein-
getretenen Anteil und einem weiteren, von den Beklagten gemeinsam zu ver-
antwortenden Anteil.
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Aufgrund der Angaben der Sachverständigen Prof. Dr. Ro. und Prof.
Dr. B. hätten die Beklagten nachgewiesen, dass der größte Teil des Schadens
nicht in dem Zeitraum entstanden sei, für den diese schadensersatzpflichtig
seien. Zwar sei eine exakte Festlegung auf eine bestimmte Prozentzahl nicht
möglich, wohl aber die Festlegung auf einen maximalen Anteil der Schädigung
durch die Beklagten. Diese hätten jedenfalls den Nachweis erbracht, dass der
Gesundheitsschaden zu mindestens 80 % bereits vorhanden gewesen sei, be-
vor sich die haftungsbegründenden Fehler der Beklagten ausgewirkt hätten. Die
geltend gemachten Ansprüche des Klägers seien somit, soweit sie nicht gänz-
lich ausschieden, nur mit einer Quote von 20 % begründet.
Unter Berücksichtigung aller Umstände und des eingeschränkten Haf-
tungsanteils der Beklagten sei ein Schmerzensge
ld von insgesamt 70.000 €
angemessen, weil der Kläger auch ohne den Haftungsanteil der Beklagten an
schwersten Behinderungen gelitten hätte. Der Schadensberechnung hinsicht-
lich des personellen und sachlichen Mehraufwands sei die Quote von 20 % zu-
grunde zu legen. Hinsichtlich des Erwerbsausfallschadens und der Kosten der
Pflichtpflegeeinsätze stehe dem Kläger allerdings kein Schadensersatzan-
spruch zu, weil er auch ohne die Vertiefung des Schadens ein Pflegefall gewor-
den und nicht für den Arbeitsprozess in Betracht gekommen wäre.
II.
Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
1. Das Berufungsgericht hat den Umfang der Bindungswirkung des Ur-
teils des Oberlandesgerichts München vom 18. März 2004 zutreffend erfasst.
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a) Die Bindungswirkung dieses Urteils (künftig: Grund- und Teilurteil)
ergibt sich aus § 318 ZPO (vgl. Senatsurteil vom 5. Oktober 1965 - VI ZR 90/64,
VersR 1965, 1173, 1174; BGH, Urteil vom 14. Juli 2011 - VII ZR 142/09, NJW
2011, 3242 Rn. 16 mwN). Ihr Umfang richtet sich danach, worüber das Gericht
wirklich entschieden hat. Dies ist durch Auslegung von Urteilsformel und Ent-
scheidungsgründen zu ermitteln (vgl. Senatsurteil vom 18. Dezember 2012
- VI ZR 55/12, NJW 2013, 1163 Rn. 9; BGH, Urteile vom 13. Oktober 2000
- V ZR 356/99, NJW 2001, 78, 79; vom 14. Juni 2002 - V ZR 79/01, NJW 2002,
3478, 3479; vom 14. Juli 2011 - VII ZR 142/09, aaO Rn. 17, jeweils mwN; Be-
schluss vom 21. Februar 1994 - II ZB 13/93, NJW 1994, 1222 f.). Eine Bindung
an Tatbestand und Entscheidungsgründe tritt insoweit ein, als sie den festge-
stellten Anspruch kennzeichnen, mithin dessen Inhalt bestimmen (BGH, Urteil
vom 14. Juni 2002 - V ZR 79/01, aaO; Musielak/Musielak, ZPO, 10. Aufl., § 304
Rn. 11; Rensen in Wieczorek/Schütze, ZPO, 3. Aufl., § 304 Rn. 69). Das Zwi-
schenurteil über den Grund (§ 304 ZPO) hat für das Betragsverfahren Bin-
dungswirkung, soweit es den Klageanspruch bejaht hat und dessen Höhe durch
den anerkannten Klagegrund gerechtfertigt ist (vgl. BGH, Urteil vom 24. Sep-
tember 2009 - IX ZR 87/08, FamRZ 2009, 2075 Rn. 19; Hk-ZPO/Saenger,
5. Aufl., § 304 Rn. 15). Es legt fest, auf welcher Grundlage das Betragsverfah-
ren aufzubauen hat und welche Umstände bereits - für die Parteien bindend -
abschließend im Grundverfahren geklärt sind (vgl. BGH, Urteile vom 17. Okto-
ber 1985 - III ZR 105/84, ZIP 1986, 319, 320; vom 20. Dezember 2005 - XI ZR
66/05, NJW-RR 2007, 138 Rn. 17; vom 30. Oktober 2009 - V ZR 17/09, VersR
2010, 1320 Rn. 9 mwN).
b) Die Auslegung des dem angefochtenen Urteil des Berufungsgerichts
zugrundeliegenden Grund- und Teilurteils (vgl. § 301 Abs. 1 Satz 2 ZPO), wel-
ches im Tenor keinen ausdrücklichen Vorbehalt enthält, ist vom Revisionsge-
richt selbständig vorzunehmen (vgl. BGH, Urteile vom 30. September 1968
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- III ZR
28/68,
WM
1968,
1380,
1382;
vom
14.
April
1987
- IX ZR 149/86, NJW-RR 1987, 1196, 1197; vom 11. Juli 2001 - XII ZR 270/99,
NJW-RR 2002, 136). Sie führt zu dem Ergebnis, dass dem Urteil nicht eine Bin-
dungswirkung dahingehend zu entnehmen ist, dass die Beklagten als Gesamt-
schuldner für die Gesundheitsverletzung des Klägers in vollem Umfang haften.
In dem Urteil ist mit Bindungswirkung nur festgestellt, dass die Beklagten als
Gesamtschuldner für die Gesundheitsschäden haften, welche auf postpartalen
Pflichtversäumnissen der Beklagten beruhen, die für die Gesundheitsverletzung
des Klägers mitursächlich geworden sind.
aa) Entgegen der Auffassung der Revision steht einer solchen Ausle-
gung der einleitende Satz im Tenor des Grund- und Teilurteils nicht entgegen.
Danach hat das Oberlandesgericht die Berufungen der Beklagten gegen das
Urteil des Landgerichts vom 20. November 1995, das den Anspruch des Klä-
gers "auf Ersatz seines materiellen und immateriellen Schadens aus der Geburt
am 14.10.1984" gegen die Beklagten zu 1 bis 4 als Gesamtschuldner dem
Grunde nach für gerechtfertigt erklärt hat, "mit folgender Klarstellung" zurück-
gewiesen. Nachfolgend hat es den Tenor des landgerichtlichen Urteils neu ge-
fasst. Dies war erforderlich, weil das Landgericht auch den Feststellungsantrag
dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt hatte, obgleich dies bei einem unbe-
zifferten Feststellungsantrag nicht zulässig ist, und es sich in Wirklichkeit um ein
Grund- und Teilurteil handelte (vgl. BGH, Urteile vom 27. Januar 2000 - IX ZR
45/98, NJW 2000, 1572; vom 4. Oktober 2000 - VII ZR 109/99, NJW 2001, 155
mwN). Mehr ergibt sich aus dem einleitenden Satz nicht.
bb) In Nr. I. 1 des Tenors des Grund- und Teilurteils hat das Oberlandes-
gericht die damaligen Zahlungsanträge des Klägers - wie zuvor das Landge-
richt - zwar ohne Einschränkung dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und
damit zugleich die Kausalität der Versäumnisse der Beklagten für die Gesund-
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heitsverletzung des Klägers festgestellt, weil die haftungsbegründende Kausali-
tät zum Anspruchsgrund gehört. Daraus ergibt sich aber nicht zwangsläufig,
dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten für die Gesundheitsver-
letzung in vollem Umfang angenommen hat. Nach allgemeinem Schadensrecht
steht nämlich eine Mitursächlichkeit, und sei es auch nur im Sinne eines Auslö-
sers neben erheblichen anderen Umständen, der Alleinursächlichkeit grund-
sätzlich haftungsrechtlich in vollem Umfang gleich (vgl. Senatsurteile vom 27.
Juni 2000 - VI ZR 201/99, VersR 2000, 1282, 1283; vom 20. November 2001
- VI ZR 77/00, VersR 2002, 200, 201; vom 5. April 2005 - VI ZR 216/03, VersR
2005, 942; vom 19. April 2005 - VI ZR 175/04, VersR 2005, 945, 946; vom
16. März 2010 - VI ZR 64/09, VersR 2010, 627 Rn. 12; Senatsbeschluss vom
13. November 2007 - VI ZR 155/07, juris). Mithin lässt sich aus Nr. I. 1 des Te-
nors keine Bindungswirkung hinsichtlich des gesamten Gesundheitsschadens
ableiten.
cc) Aus Nr. I. 2 des Tenors, auf die sich das Berufungsgericht bei seiner
Auslegung des Grund- und Teilurteils maßgeblich gestützt hat, ergibt sich viel-
mehr, dass diesem nur eine eingeschränkte Bindungswirkung zukommt. Das
Oberlandesgericht hat nämlich festgestellt, dass die Beklagten als Gesamt-
schuldner "verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen
Schäden zu ersetzen, die dem Kläger anlässlich und aufgrund der Behandlung
durch die Beklagten nach seiner Geburt am 14.10.1984 bis zum 16.10.1984
entstanden sind und noch entstehen werden". Es ist damit bezüglich der Be-
klagten zu 1 und 2 hinter dem Feststellungsantrag des Klägers zurückgeblie-
ben, der hinsichtlich dieser Beklagten beantragt hatte festzustellen, dass sie
verpflichtet sind, sämtliche Schäden zu ersetzen, "die dem Kläger anlässlich
und aufgrund der Behandlung …. vor, während und nach seiner Geburt" ent-
standen sind und noch entstehen werden. Der Feststellungsantrag hinsichtlich
der Beklagten zu 3 und 4 hatte sich ohnehin nur auf die Behandlung "im Zeit-
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raum vom 14. bis zum 16.10.1984 nach seiner Geburt am 14.10.1984" bezo-
gen.
Auch die Aufnahme der Wörter "anlässlich und" spricht nicht dafür, dass
der Feststellungsausspruch nicht nur die nach der Geburt entstandenen Ge-
sundheitsschäden erfassen sollte. Bei der Auslegung ist zu berücksichtigen,
dass der Kläger hinsichtlich aller Beklagten schon in seinem Feststellungsan-
trag die Wörter "anlässlich und aufgrund der [bzw. seiner] Behandlung" aufge-
nommen hat, also auch in den Antrag hinsichtlich der Beklagten zu 3 und 4, der
sich nur auf den Zeitraum nach der Geburt bezog. Im Grund- und Teilurteil ist
mithin nur die vom Kläger vorgegebene Fassung übernommen worden. Im Hin-
blick darauf ist von maßgeblicher Bedeutung, dass das Oberlandesgericht dem
Feststellungsantrag abweichend vom Antrag des Klägers bezüglich der Beklag-
ten zu 1 und 2 nur hinsichtlich der Behandlung nach seiner Geburt entsprochen
hat. Dies entspricht den Entscheidungsgründen des Grund- und Teilurteils, in
denen das Oberlandesgericht die Haftung der Beklagten nur auf Versäumnisse
gestützt hat, die sich erst nach der Geburt ereignet oder - im Fall des Beklagten
zu 3 - ausgewirkt haben und die die Gesundheitsverletzung nicht allein verur-
sacht, sondern nur vertieft haben. Eine Beschränkung des Haftungsgrunds auf
den "Vertiefungsschaden" kommt auch darin zum Ausdruck, dass in den Ent-
scheidungsgründen des Grund- und Teilurteils wiederholt von den Beklagten
als Urhebern des "gesamten nachgeburtlich vertieften Schadens" oder des
"postpartal verschlimmerten Verletzungserfolgs" die Rede ist. Auch dies zeigt,
dass als Haftungsgrund nur Versäumnisse der Beklagten in der Zeit nach der
Geburt angenommen wurden, die für die Gesundheitsverletzung des Klägers
mitursächlich geworden sind. Dadurch wird der festgestellte Anspruch gekenn-
zeichnet und mithin dessen Inhalt bestimmt. Infolgedessen ist auch nur insoweit
eine Bindungswirkung eingetreten.
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Hinsichtlich des Umfangs einer sich aus der Mitverursachung der Ge-
sundheitsverletzung ergebenden Haftung liegt eine Bindungswirkung nicht vor.
Denn bei vernünftigem Verständnis des Grundurteils ist ihm mit Rücksicht auf
den bisherigen Prozessverlauf zu entnehmen, dass der Prüfung im Betragsver-
fahren vorbehalten bleiben sollte, in welchem Umfang die Beklagten wegen
ihrer Versäumnisse haften (vgl. BGH, Urteil vom 31. Januar 1990 - VIII ZR
314/88, BGHZ 110, 196, 204). Im Grund- und Teilurteil finden sich dazu keine
Ausführungen. Das Oberlandesgericht hat vielmehr zum Feststellungsanspruch
eine Teilabweisung nicht als veranlasst gesehen, weil für Fehler im nachgeburt-
lichen Zeitabschnitt eine Mitverursachung ausreiche und über die Höhe des
materiellen und immateriellen Schadens "nicht zu befinden" war.
2. Auch die Ausführungen des Berufungsgerichts zum Umfang der Haf-
tung halten der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Das Berufungsgericht
hat die Haftung der Beklagten rechtsfehlerfrei auf einen Haftungsanteil von
20 % begrenzt.
a) Auch wenn eine Mitursächlichkeit der Alleinursächlichkeit haftungs-
rechtlich grundsätzlich in vollem Umfang gleichsteht (vgl. oben unter II 1 b bb),
ist dies ausnahmsweise nicht der Fall, wenn feststeht, dass der Behandlungs-
fehler nur zu einem abgrenzbaren Teil des Schadens geführt hat, also eine so-
genannte abgrenzbare Teilkausalität vorliegt (vgl. Senatsurteile vom 1. Oktober
1996 - VI ZR 10/96, VersR 1997, 362, 363; vom 8. Februar 2000 - VI ZR
325/98, VersR 2000, 1107, 1108; vom 5. April 2005 - VI ZR 216/03, VersR
2005, 942; Senatsbeschluss vom 13. November 2007 - VI ZR 155/07, juris).
Erforderlich ist, dass sich der Schadensbeitrag des Behandlungsfehlers ein-
wandfrei von dem anderen Schadensbeitrag - etwa einer Vorschädigung des
Patienten - abgrenzen und damit der Haftungsanteil des Arztes bestimmen lässt
(G. Müller, VersR 2006, 1289, 1296). Andernfalls verbleibt es bei der Ein-
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standspflicht für den gesamten Schaden, auch wenn dieser durch andere,
schicksalhafte Umstände wesentlich mitverursacht worden ist (vgl. OLG
Schleswig, OLGR Schleswig 2005, 273, 275; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht,
7. Aufl., B Rn. 217).
b) Einen solchen abgrenzbaren Teil des Schadens hat das Berufungsge-
richt im Streitfall nach dem dafür erforderlichen Beweismaß des § 286 ZPO (vgl.
G. Müller, aaO) festgestellt.
Nach Überzeugung des Berufungsgerichts haben die Beklagten den
Nachweis erbracht, dass der größte Teil des Gesundheitsschadens nicht in
dem Zeitraum entstanden ist, für den sie nach dem Urteil vom 18. März 2004
schadensersatzpflichtig sind, sondern zu diesem Zeitpunkt bereits vorhanden
war. Nach den bindenden Feststellungen des Grund- und Teilurteils ist beim
Kläger in den Minuten vor der Geburt ohne eine Pflichtwidrigkeit der Beklagten
eine Hirnblutung und damit eine Gesundheitsverletzung eingetreten, die sich bis
zur Verlegung am 16. Oktober 1984 in die Kinderklinik des Krankenhauses K.
weiter ausgebreitet hat. Der - durch das nicht pflichtwidrige Kristellern - verur-
sachte traumatische Schaden ist bereits intra partum irreparabel eingetreten, so
dass es auch bei seiner frühzeitigen Feststellung bei der nachgeburtlichen Be-
treuung und Behandlung nur noch um die postpartale Stabilisierung des Zu-
stands des Klägers ging. Den durch das Ereignis in den Minuten vor der Geburt
verursachten schicksalhaft eingetretenen Schadensanteil hat das Berufungsge-
richt aufgrund der Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. Ro. und Prof.
Dr. B. mit mindestens 80 % angenommen und demgemäß den Haftungsanteil
der Beklagten auf maximal 20 % beschränkt.
Diese Würdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. An dessen
Feststellungen ist das Revisionsgericht nach § 559 ZPO gebunden. Revisions-
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rechtlich ist lediglich zu überprüfen, ob sich der Tatrichter mit dem Prozessstoff
und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinanderge-
setzt hat, die Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht
gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (vgl. Senatsurteile vom
20. Dezember 2011 - VI ZR 309/10, VersR 2012, 454 Rn. 13; vom 10. Juli 2012
- VI ZR 341/10, BGHZ 194, 26 Rn. 28; vom 11. Dezember 2012 - VI ZR 314/10,
VersR 2013, 321 Rn. 16, jeweils mwN).
c) Nach diesen Grundsätzen ist die Feststellung eines bereits vor den
nachgeburtlichen Pflichtversäumnissen der Beklagten eingetretenen abgrenz-
baren Teils des Gesundheitsschadens revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Keinen Erfolg hat die Revision zunächst, soweit ihr Vortrag auf etwaige
Behandlungsfehler während der Geburt abstellt, weil dem Berufungsgericht
aufgrund der Bindungswirkung des Grund- und Teilurteils neue Feststellungen
zu Behandlungsfehlern der Beklagten verwehrt sind.
Auch soweit die Revision auf Vorbehalte der medizinischen Sachver-
ständigen gegen die Festlegung prozentualer Schädigungsanteile verweist,
steht das der Überzeugungsbildung des Berufungsgerichts nicht entgegen. Die
Würdigung des Berufungsgerichts hat in der auf den Ausführungen der Sach-
verständigen Prof. Dr. Ro. und Prof. Dr. B. beruhenden Feststellung, dass der
Schädigungsprozess zum Zeitpunkt der Abnabelung im Wesentlichen abge-
schlossen war, eine hinreichende Grundlage. Das Berufungsgericht hat unter
Berücksichtigung der sachverständigen Ausführungen zu Lasten der Beklagten
für diese eine Verursachungsquote von maximal 20 % angenommen. Es hat
dabei berücksichtigt, dass der Sachverständige Prof. Dr. B. erklärt hat, die von
ihm genannten Zahlen, wonach der Schädigungsprozess zum Zeitpunkt der
Abnabelung bereits zu 80 bis 90 % abgeschlossen gewesen sei, seien medizi-
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nisch nicht fundiert. Das Berufungsgericht konnte sich auf weitere vom Sach-
verständigen genannte konkrete Anhaltspunkte zur "medizinischen Unterschei-
dung der Schadensanteile" stützen. Dieser hat ausgeführt, der Kläger wäre
auch bei Annahme einer unverzüglichen Verlegung nach der Geburt in die Kin-
derklinik auf jeden Fall ein Pflegefall gewesen und für den Arbeitsprozess nicht
in Frage gekommen. Der Kläger wäre nicht in der Lage gewesen, ein selbstän-
diges Leben zu führen, vielleicht wären die Lähmungserscheinungen geringfü-
giger ausgeprägt gewesen und auch die Fähigkeit zur Artikulation. Die mentale
Behinderung hätte in jedem Fall auch bestanden. Wenn das Berufungsgericht
unter diesen Umständen in tatrichterlicher Würdigung zur Überzeugung gelangt
ist, der Schädigungsprozess sei zum Zeitpunkt der Abnabelung bereits zu 80 %
abgeschlossen gewesen, ist dies nicht zu beanstanden und reicht für die An-
nahme eines abgrenzbaren Teils des Gesundheitsschadens aus.
Die Revision rügt erfolglos, das Berufungsgericht habe einen Wider-
spruch in den Angaben des Sachverständigen Prof. Dr. B. außer Betracht ge-
lassen. Zwar hat der Sachverständige ausgeführt, während Kinder mit Krampf-
anfällen im Rahmen einer hypoxisch-ischämischen Enzephalopathie sich in et-
wa 50 % der Fälle normal entwickelten, liege der Wert bei Neugeborenen mit
Krampfanfällen im Rahmen einer primären Subarachnoidalblutung bei mindes-
tens 90 %. Diese statistischen Prozentsätze stehen jedoch nicht in Widerspruch
zu der Annahme des Sachverständigen, dass unter den konkreten Umständen
des Streitfalls, in dem der Eintritt schwerster körperlicher und geistiger Behinde-
rungen feststeht, der Schädigungsprozess zum Zeitpunkt der Abnabelung be-
reits zu 80 bis 90 % abgeschlossen gewesen sei.
Die weiteren Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und als nicht durch-
greifend erachtet. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 564 Satz 1
ZPO abgesehen.
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3. Konkrete Einwände gegen die Höhe des zugesprochenen Schadens-
ersatzes im Übrigen hat die Revision nicht vorgebracht.
Galke
Wellner
Pauge
Stöhr
von Pentz
Vorinstanzen:
LG Kempten, Entscheidung vom 20.01.2011 - 3 O 2613/92 -
OLG München in Augsburg, Entscheidung vom 28.03.2013 - 24 U 671/11 -
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