Urteil des BGH vom 11.11.2010

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VII ZB 87/09
vom
11. November 2010
in dem Zwangsvollstreckungsverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BetrAVG § 2 Abs. 2; ZPO § 851 Abs. 1
Der Anspruch des Arbeitnehmers auf Auszahlung der Versicherungssumme aus
einer Firmendirektversicherung ist bereits vor Eintritt des Versicherungsfalls als
zukünftige Forderung pfändbar.
BGH, Beschluss vom 11. November 2010 - VII ZB 87/09 - LG Nürnberg-Fürth
AG Neumarkt i. d. OPf.
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Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. November 2010 durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kniffka, den Richter Bauner, die Richterin
Safari Chabestari, den Richter Dr. Eick und den Richter Halfmeier
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Gläubigerin wird der Beschluss der
5.
Zivilkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom
12. August 2009 aufgehoben.
Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts
Neumarkt i. d. OPf. vom 11. Juli 2007 - 1 M 942/07 - wird mit der
Maßgabe aufrechterhalten, dass der zukünftige Anspruch des
Schuldners auf Auszahlung der Versicherungssumme aus dem
Lebensversicherungsvertrag, Versicherungs-Nr.
,
gepfändet und der Gläubigerin zur Einziehung überwiesen wird.
Der Schuldner trägt die Kosten der Rechtsmittel.
Gegensandswert: 14.196,26 €
Gründe:
I.
Die Gläubigerin betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung.
Auf ihren Antrag hat das Amtsgericht - Vollstreckungsgericht - am 11. Juli 2007
einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erlassen, mit dem sinngemäß
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der Anspruch des Schuldners aus dem mit der Drittschuldnerin abgeschlosse-
nen Lebensversicherungsvertrag gepfändet und der Gläubigerin zur Einziehung
überwiesen worden ist. Bei dieser Lebensversicherung handelt es sich um eine
der Altersversorgung dienende Firmendirektversicherung im Sinne von § 1b
Abs.
2 Satz
1 BetrAVG, für die nach Auskunft der Versicherung vom
12. März 2009 allein der Arbeitgeber Beiträge entrichtet hat. Der Schuldner ist
am 20. Juni 2005 mit unverfallbaren Versorgungsanwartschaften aus dem
zugrunde liegenden Arbeitsverhältnis ausgeschieden. Sein Anspruch auf Aus-
zahlung eines voraussichtlichen Kapitals von 14.196,26
€ wird am
1. November 2011 fällig.
Der Schuldner hat gegen den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss
Erinnerung eingelegt und beantragt, diesen insoweit abzuändern, dass die
Pfändung weder die Ansprüche in Höhe des durch Beitragszahlungen des Ar-
beitgebers gebildeten geschäftsplanmäßigen Deckungskapitals noch, soweit
die Berechnung des Deckungskapitals nicht zum Geschäftsplan gehört, des
nach § 176 Abs. 3 des Gesetzes über den Versicherungsvertrag bezeichneten
Zeitwerts umfasst. Zur Begründung hat er darauf hingewiesen, dass die An-
sprüche aus einer Firmendirektversicherung in dieser Höhe gemäß § 2 Abs. 2
Satz 4 BetrAVG i.V.m. § 851 Abs. 1 ZPO unpfändbar seien. Das Amtsgericht
- Vollstreckungsgericht - hat den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss auf-
gehoben, soweit in dem Beschluss Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag
erfasst sind, die aus Beitragszahlungen des Arbeitgebers resultieren oder, so-
weit die Berechnung des Deckungskapitals nicht zum Geschäftsplan gehört, der
nach § 169 Abs. 3 und 4 des Versicherungsvertragsgesetzes berechnete Wert.
Das Beschwerdegericht hat die sofortige Beschwerde der Gläubigerin gegen
diesen Beschluss zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Beschwerde-
gericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Gläubigerin.
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II.
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Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übri-
gen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
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1. Das Beschwerdegericht führt aus, auf Grund des klaren und eindeuti-
gen Wortlauts von § 2 Abs. 2 Satz 4 BetrAVG seien die dort genannten Ansprü-
che weder abtretbar noch beleihbar. Das habe gemäß § 851 Abs. 1 ZPO zur
Folge, dass die zugrunde liegende Forderung nicht der Pfändung unterworfen
sei.
2. Diese Erwägungen des Beschwerdegerichts halten der rechtlichen
Nachprüfung nicht stand. Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss ist mit
der Maßgabe aufrechtzuerhalten, dass der zukünftige Anspruch des Schuldners
auf Auszahlung der Versicherungssumme gepfändet ist. Dieser Anspruch des
Schuldners ist als künftige Forderung pfändbar.
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a) Nach § 2 Abs. 2 Satz 4 BetrAVG darf bei einer der Altersversorgung
dienenden Direktversicherung der vor Eintritt des Versorgungsfalls und nach
Erfüllung der Voraussetzungen des § 1b Abs. 1 und 5 BetrAVG aus dem Ar-
beitsverhältnis ausgeschiedene Arbeitnehmer die Ansprüche aus dem Versi-
cherungsvertrag in Höhe des durch Beitragszahlungen des Arbeitgebers gebil-
deten geschäftsplanmäßigen Deckungskapitals oder, soweit die Berechnung
des Deckungskapitals nicht zum Geschäftsplan gehört, des nach § 169 Abs. 3
und 4 des Versicherungsvertragsgesetzes berechneten Wertes weder abtreten
noch beleihen. Durch diese Verfügungsbeschränkungen soll im Rahmen des
rechtlich Möglichen erreicht werden, die bestehende Anwartschaft im Interesse
des Versorgungszwecks aufrecht zu erhalten, d.h. zu verhindern, dass der Ar-
beitnehmer die Anwartschaft liquidiert und für andere Zwecke verwendet. Das
entspricht der Grundkonzeption der §§ 1b und 2 BetrAVG, die darauf ausgerich-
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tet ist, die Versorgungsanwartschaft beim vorzeitigen Ausscheiden des Arbeit-
nehmers aufrecht zu erhalten und die Fälligkeit unangetastet zu lassen. Der
Versorgungszweck der Anwartschaften soll möglichst lückenlos gesichert wer-
den (Blomeyer/Rolfs/Otto, Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Alters-
versorgung, 5. Aufl., § 2 Rn. 260 unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien).
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Mit diesen Verfügungsbeschränkungen korrespondiert ein Pfändungs-
verbot, § 851 Abs. 1 ZPO. Die Unpfändbarkeit gilt uneingeschränkt für die vor
Verfügungen des Arbeitnehmers umfassend geschützte Versorgungsanwart-
schaft (Blomeyer/Rolfs/Otto, aaO, Rn.
267; Stöber, Forderungspfändung,
15. Aufl., Rn. 892a).
b) Die Verfügungsbeschränkung erfasst nicht den Anspruch auf Auszah-
lung der Versicherungssumme im Versicherungsfall. Das hat der Senat bereits
mit Beschluss vom 23. Oktober 2008 - VII ZB 16/08, NJW-RR 2009, 211
entschieden (vgl. auch Blomeyer/Rolfs/Otto, aaO, Rn. 279; Stöber, aaO,
Rn. 892a, 920; Merten, BetrAV 2004, 721, 725, 726). Er hat in dieser
Entscheidung lediglich offen gelassen, ob bereits der zukünftige Anspruch
gepfändet werden kann. Diese Frage ist zu bejahen.
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aa) Künftige Forderungen können grundsätzlich gepfändet werden, so-
fern ihr Rechtsgrund und der Drittschuldner im Zeitpunkt der Pfändung be-
stimmt sind (BGH, Urteil vom 24. November 1988 - IX ZR 210/87, NJW-RR
1989, 286, 290 und Beschluss vom 21. November 2002 - IX ZB 85/02, NJW
2003, 1457, 1458; Zöller/Stöber, ZPO, 28. Aufl., § 829 Rn. 2). Diese Vorausset-
zungen liegen vor, wenn ein zukünftiger Anspruch auf Auszahlung der Versi-
cherungssumme aus einem bestimmten Versicherungsvertrag gepfändet wird.
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bb) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts, die auch von
anderen Gerichten geteilt wird (LG Konstanz, Rpfleger 2008, 87; OLG Köln,
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OLGR 2003, 54 = InVO 2003, 198), ergibt sich aus § 2 Abs. 2 Satz 4 BetrAVG
nichts anderes.
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(a) Zwar spricht § 2 Abs. 2 Satz 4 BetrAVG unterschiedslos von "Ansprü-
chen aus dem Versicherungsvertrag" und differenziert nicht zwischen gegen-
wärtigen und zukünftigen Forderungen. Dieser Wortlaut steht aber entgegen
der Ansicht des Beschwerdegerichts einer am Gesetzeszweck orientierten Aus-
legung nicht entgegen, dass zukünftige Forderungen von dem Pfändungsverbot
nicht umfasst sein sollen. Diese erst nach Eintritt des Versicherungsfalls fälligen
Forderungen hat die Norm nicht im Blick. § 2 BetrAVG enthält Regelungen hin-
sichtlich der von dem vorzeitig ausgeschiedenen Arbeitnehmer erworbenen
Versorgungsanwartschaft, also für die Zeit vor Eintritt des Versicherungsfalls.
§ 2 Abs. 2 Satz 4 BetrAVG will verhindern, dass der Arbeitnehmer vor diesem
Zeitpunkt die Anwartschaft liquidiert und für andere Zwecke verwendet. Dieser
Gesetzeszweck hindert nicht, einen Gläubiger des Arbeitnehmers im Wege der
Pfändung auf die mit Eintritt des Versicherungsfalls fälligen Ansprüche als zu-
künftige Forderungen zugreifen zu lassen. Hierdurch wird einerseits die An-
wartschaft als solche nicht beeinträchtigt. Andererseits wird dem Umstand
Rechnung getragen, dass auch schuldrechtliche Forderungen zu den Eigen-
tumsrechten im Sinne von Art. 14 Abs. 1 GG gehören und der verfassungs-
rechtlich gewährleistete Schutz sich insbesondere auf das Befriedigungsrecht
des Gläubigers erstreckt (vgl. BGH, Beschluss vom 25.
August
2004
- IXa ZB 271/03, BGHZ 160, 197, 199 und Beschluss vom 28. März 2007
- VII ZB 43/06, Rpfleger 2007, 404 = JurBüro 2007, 380). Dieses wäre in erheb-
lichem Maße beeinträchtigt, wenn man dem Schuldner durch ein Pfändungs-
verbot hinsichtlich seiner zukünftigen Forderungen die Möglichkeit eröffnen
würde, am Tag des Eintritts des Versicherungsfalls durch frühzeitige Verfügun-
gen über seine Versorgungsansprüche die erst dann zulässige Pfändung durch
den Gläubiger ins Leere laufen zu lassen.
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(b) Ein anderes Verständnis des § 2 Abs. 2 Satz 4 BetrAVG würde der
Behandlung gleich gelagerter Fälle widersprechen (vgl. auch Merten, aaO,
S. 725). So sind zukünftige Ansprüche auf betriebliches Ruhegeld auf der
Grundlage einer betrieblichen Direktzusage pfändbar (BGH, Urteil vom
24. November 1988 - IX ZR 210/87, NJW-RR 1989, 286). Weiterhin sind die
zukünftigen Ansprüche gegen einen Träger der gesetzlichen Rentenversiche-
rung pfändbar (Beschluss vom 21. November 2002 - IX ZB 85/02, NJW 2003,
1457). Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber dies anders gesehen hat
und eine davon abweichende Regelung treffen wollte. Allerdings meint das
OLG Köln (OLGR 2003, 54 = InVO 2003, 198), eine unterschiedliche Regelung
sei deshalb gewollt, weil der Arbeitnehmer der betriebliche Altersvorsorge häu-
fig den Charakter einer "Sonderzuwendung" beimessen dürfte und deshalb weit
stärker dazu verleitet werde, den gegenwärtigen Lebensstandard zu Lasten der
späteren Altersversorgung zu verbessern. Für diese Überlegungen findet sich
im Gesetz und dem zugrunde liegenden Verfahren keine Grundlage. Bei der
betrieblichen Altersversorgung handelt es sich neben der gesetzlichen Renten-
versicherung um eine eigenständige Säule im Alterssicherungssystem. Der ihr
ursprünglich innewohnende Fürsorgegedanke ist in den Hintergrund getreten
(vgl. Förster/Rühmann/Cisch, Betriebsrentengesetz, 11. Aufl., Einführung Rn. 2,
5). Sie sichert in gleicher Weise wie die gesetzliche Rentenversicherung den
zukünftigen Unterhalt des Arbeitnehmers. Es ist nicht ersichtlich, dass der Ge-
setzgeber die Verfügung über zukünftige Ansprüche aus den vom OLG Köln
genannten Gründen untersagen wollte, die schon in ihrer Grundlage nicht ab-
gesichert und zweifelhaft sind.
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c) Danach durfte die Gläubigerin den künftigen Anspruch des Schuld-
ners auf Auszahlung der Versicherungsleistung pfänden und sich zur Einzie-
hung überweisen lassen. Da es sich nicht um eine Rente, sondern um eine Ka-
pitalleistung handelt, steht dem Schuldner Vollstreckungsschutz nur nach § 850i
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ZPO zu (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2008 - VII ZB 16/08, NJW-RR
2009, 211).
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3. Der Senat konnte in der Sache selbst entscheiden und hat den Pfän-
dungs- und Überweisungsbeschluss nach Maßgabe der vorstehenden Erwä-
gungen aufrechterhalten. Soweit Nebenrechte unter Nr. 2 bis 5 des Pfändungs-
und Überweisungsbeschlusses zur Durchsetzung der nicht pfändbaren Anwart-
schaft gepfändet worden sind, ist der Beschluss im Hinblick auf diese Senats-
entscheidung gegenstandslos.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO.
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Kniffka Bauner
Safari
Chabestari
Eick
Halfmeier
Vorinstanzen:
AG Neumarkt, Entscheidung vom 29.05.2009 - 2 M 268/09 -
LG Nürnberg-Fürth, Entscheidung vom 12.08.2009 - 5 T 5747/09 -