Urteil des BGH vom 24.07.2001

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VI ZB 12/01
vom
24. Juli 2001
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
GVG § 13; VwGO § 40; GG Art. 4 Abs. 2; GG Art. 140; WRV Art. 137
Für Abwehransprüche gegen Äußerungen des Sektenbeauftragten einer Kirche, die
dem Kernbereich kirchlichen Wirkens zuzuordnen sind, ist der Verwaltungsrechts-
weg gegeben.
BGH, Beschluß vom 24. Juli 2001 - VI ZB 12/01 - Hanseatisches OLG Bremen
LG Bremen
- 2 -
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. Juli 2001 durch die Vor-
sitzende Richterin Dr. Müller, die Richter Dr. v. Gerlach, Dr. Dressler, Wellner
und die Richterin Diederichsen
beschlossen:
Auf die sofortige weitere Beschwerde der Beklagten wird der Be-
schluß des 5. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts
in Bremen vom 8. Februar 2001 aufgehoben. Die sofortige Be-
schwerde der Kläger gegen den Beschluß des Landgerichts Bre-
men vom 28. September 2000 wird zurückgewiesen.
Die Kosten beider Beschwerdeverfahren fallen den Klägern zur
Last.
Streitwert: 20.000 DM.
Gründe:
I.
Die Kläger wenden sich mit der Unterlassungsklage gegen Behauptun-
gen des Sektenbeauftragten der Beklagten, die in einer von dieser herausge-
gebenen Broschüre mit dem Titel “Destruktive Kulte in B., Band 5: Die Zeugen
Jehovas” enthalten sind.
Das Landgericht hat den Rechtsweg zu den Zivilgerichten für unzulässig
erklärt und den Rechtsstreit gemäß § 17 a Abs. 2 GVG an das zuständige Ver-
waltungsgericht B. verwiesen. Auf die sofortige Beschwerde der Kläger hat das
- 3 -
Oberlandesgericht den Beschluß des Landgerichts aufgehoben und den
Rechtsweg zu den Zivilgerichten für zulässig erklärt. Zur Begründung hat es
ausgeführt, es liege eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit vor, da die Beklagte
im Rahmen ihrer Teilnahme am Prozeß der öffentlichen Meinungsbildung als
gesellschaftliche und nicht als staatliche Organisation gehandelt habe. Sie ste-
he anderen Teilnehmern am Meinungsbildungsprozeß auf der Ebene staats-
bürgerlicher Gleichordnung gegenüber. Allein diese Beurteilung kirchlichen
Handelns werde dem laizistischen Charakter der Staatsverfassung der Bun-
desrepublik Deutschland gerecht. Aus ihrer Eigenschaft als Körperschaft des
öffentlichen Rechts könne nicht auf den rechtlichen Charakter ihres Handelns
geschlossen werden. Denn diese Organisationsform sei als Mittel der Be-
standswahrung ausschließlich historisch bedingt.
Mit der zugelassenen sofortigen weiteren Beschwerde begehrt die Be-
klagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Beschlusses.
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig und begründet. Entgegen der Auffassung
des Beschwerdegerichts handelt es sich bei der vorliegenden Unterlassungs-
klage nicht um eine bürgerlich-rechtliche, sondern um eine öffentlich-rechtliche
Streitigkeit, so daß gemäß § 40 Abs. 1 VwGO der Verwaltungsrechtsweg eröff-
net ist.
1. Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Beschwerdegerichts.
Danach richtet sich die Frage, ob eine Streitigkeit öffentlich- oder bürger-
- 4 -
lich-rechtlich ist, wenn - wie hier - eine ausdrückliche Rechtswegzuweisung
fehlt, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch
hergeleitet wird (GmS-OGB, Beschluß vom 29. Oktober 1987 - GmS-OGB 3/86
(BSG) - NJW 1988, 2297; GmS-OGB BGHZ 108, 284, 286 m.w.N; BGH, Be-
schluß vom 19. Dezember 1996 - III ZR 105/96 - NJW 1998, 909). Das Be-
schwerdegericht geht auch mit Recht davon aus, daß sich das mit der Klage
beanstandete Verhalten der Beklagten trotz ihrer Eigenschaft als Körperschaft
des öffentlichen Rechts im Sinne des Art. 140 GG i.V. mit Art. 137 Abs. 5
Satz 1 WRV nicht als staatliche Meinungsäußerung eines unmittelbar an die
Grundrechte gebundenen Trägers hoheitlicher Gewalt darstellt. Denn die kor-
porierten Religionsgemeinschaften unterscheiden sich grundlegend von den
Körperschaften des öffentlichen Rechts im verwaltungs- und staatsorganisati-
onsrechtlichen Verständnis. Sie nehmen keine Staatsaufgaben wahr, sind nicht
in die Staatsorganisation eingebunden und unterliegen keiner staatlichen Auf-
sicht. Sie sind in gleichem Umfang grundrechtsfähig wie privatrechtlich organi-
sierte Religionsgesellschaften und stehen dem Staat als Teile der Gesellschaft
gegenüber (BVerfG, Urteil vom 19. Dezember 2000 - 2 BvR 1500/97 - NJW
2001, 429, 430). Für öffentliche Äußerungen über andere Religionsgemein-
schaften bedürfen sie im Gegensatz zu staatlichen Stellen keiner gesetzlichen
Ermächtigungsgrundlage. Denn sie üben dabei keine staatliche Gewalt aus,
sondern machen von ihrem aus Art. 4 Abs. 2 GG abzuleitenden Äußerungs-
recht Gebrauch (BVerfG, Beschluß vom 13. Juli 1993 - 1 BvR 960/93 - NVwZ
1994, 159; BVerfG, Beschluß vom 26. März 2001 - 2 BvR 943/99).
2. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts folgt hieraus je-
doch nicht, daß das durch die streitgegenständlichen Äußerungen der Beklag-
ten begründete Rechtsverhältnis zwischen den Parteien als bürgerlich-rechtlich
zu qualifizieren ist. Eine derartige Betrachtungsweise würde der besonderen
- 5 -
Rechtsstellung der Beklagten, der Bedeutung der verfassungsrechtlich garan-
tierten Korporationsqualität sowie dem spezifischen Charakter ihres Tätigwer-
dens nicht ausreichend Rechnung tragen. Diese Umstände verleihen den Be-
ziehungen zwischen den Parteien vielmehr ein öffentlich-rechtliches Gepräge.
a) Durch die Zuerkennung des Status von Körperschaften des öffentli-
chen Rechts gemäß Art. 140 GG i.V. mit Art. 137 Abs. 5 Satz 1 WRV hat der
Staat den Kirchen eine besondere Rechtsstellung eingeräumt. Er hat sie be-
wußt aus dem Kreis der Religionsgemeinschaften, deren Wirken er der Privat-
rechtsordnung unterstellt, hervorgehoben und diesen gegenüber rechtlich ab-
gegrenzt (vgl. BVerfGE 18, 385, 387; Urteil vom 19. Dezember 2000 - 2 BvR
1500/97 - aaO, S. 430; BVerwG, Urteil vom 7. Oktober 1983 - 7 C 44/81 - NJW
1984, 989). Er hat damit nicht nur anerkannt, daß die Kirchen wie alle Religi-
onsgemeinschaften das Recht der Selbstbestimmung haben und vor staatli-
chen Eingriffen in ihre inneren Verhältnisse geschützt sind - dies folgt bereits
aus Art. 140 GG i.V. mit Art. 137 Abs. 3 WRV -; vielmehr hat er darüber hinaus
die Rechtsstellung der Kirchen wie auch deren öffentliches Wirken dem öffent-
lichen Recht zugeordnet (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Oktober 1983 - 7 C
44/81 - aaO; Bonner Grundgesetz/Frhr. v. Campenhausen, 3. Aufl., Art. 140
Rdn. 149). Seiner Entscheidung liegt die Überzeugung von der besonderen
Bedeutung der öffentlichen Wirksamkeit der Kirchen sowohl für die Gesell-
schaft als auch für die staatliche Rechtsordnung zugrunde (vgl. BVerfGE 18,
385, 387; 19, 129, 133; 66, 1, 20). Er wollte sie nicht dem Kampffeld “liberaler
Selbstbehauptung” überlassen, sondern als Teil der öffentlichen Ordnung in
dem verfassungsrechtlichen Status der Körperschaft zur Wirkung kommen las-
sen (vgl. Kirchhof, Die Kirchen und Religionsgemeinschaften als Körperschaf-
ten des öffentlichen Rechts, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesre-
publik Deutschland, Band I, 2. Aufl., § 22, S. 656).
- 6 -
b) Zugleich ist in Art. 140 GG damit eine für das deutsche Staatskirchen-
recht charakteristische Entscheidung getroffen worden. Der radikalen Tren-
nung von Staat und Kirche (laizistisches System), wie sie beispielsweise in
Frankreich und den USA besteht, wurde damit eine Absage erteilt. Bestimmte
Beziehungen zwischen Staat und Kirche blieben aufrechterhalten. Die Zusam-
menarbeit wurde grundsätzlich fortgesetzt (vgl. Bonner Grundge-
setz/Frhr. v. Campenhausen, aaO, Rdn. 148; Maunz-Dürig, Komm. zum GG, 6.
Aufl., Art. 140 Rdn. 3; Kirchhof, aaO, S. 655, 665, 674 f.; Robbers, Sinn und
Zweck des Körperschaftsstatus im Staatskirchenrecht, Festschrift für Martin
Heckel zum 70. Geburtstag, 1999, S. 411, 415 ff.; Isensee, Rechtschutz gegen
Kirchenglocken, Gedächtnisschrift für Constantinesco, 1983, S. 301, 322 f.; vgl.
auch BVerfG, Urteil vom 19. Dezember 2000 - 2 BvR 1500/97 - aaO, S. 433 zur
Kooperation des Staates mit den Religionsgemeinschaften; BGHZ 46, 94, 101
“Koordinationsverhältnis”). Insofern bedeutet der Körperschaftsstatus der Kir-
chen entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts mehr als nur eine blo-
ße Bestandsgarantie (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Oktober 1983 - 7 C 44/81 -
aaO, S. 990; Bonner Grundgesetz/Frhr. v. Campenhausen, aaO, Rdn. 147;
Kirchhof, aaO, S. 665; Robbers, aaO, S. 415).
c) Dem entspricht es, daß von den korporierten Religionsgemeinschaf-
ten auch außerhalb des ihnen übertragenen Bereichs hoheitlicher Befugnisse
(Kirchensteuer, Friedhofswesen, etc.) in weitergehendem Umfang als von je-
dem Bürger Rechtstreue verlangt wird. Zwar sind sie insoweit an die einzelnen
Grundrechte nicht unmittelbar gebunden. Die Zuerkennung des Status der
Körperschaft des öffentlichen Rechts bindet sie jedoch an die Achtung der fun-
damentalen Rechte der Person, die Teil der verfassungsmäßigen Ordnung ist.
Angesichts der ihnen zur Verfügung stehenden besonderen Machtmittel und
ihres erhöhten Einflusses in Staat und Gesellschaft liegen ihnen die besonde-
- 7 -
ren Pflichten des Grundgesetzes zum Schutze Dritter, wozu auch die aus Art. 4
Abs. 1 und 2 GG abzuleitende Pflicht gehört, den Einzelnen und religiöse Ge-
meinschaften vor Angriffen und Behinderungen von Anhängern konkurrieren-
der Glaubensrichtungen zu schützen, näher als anderen Religionsgesell-
schaften (BVerfG, Urteil vom 19. Dezember 2000 - 2 BvR 1500/97 - aaO,
S. 432; Nichtannahmebeschluß vom 26. März 2001 - 2 BvR 943/99).
d) Vor diesem Hintergrund erscheint die Aussage des Beschwerdege-
richts, die Beklagte stehe anderen Teilnehmern am Meinungsbildungsprozeß
auf der Ebene staatsbürgerlicher Gleichordnung gegenüber, nicht gerechtfer-
tigt. Im Gegensatz zu den vom Beschwerdegericht herangezogenen, durch
einfaches Gesetz geschaffenen öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernseh-
anstalten, deren Programmgestaltung privatrechtlich qualifiziert wird (Senats-
urteil vom 6. April 1976 - VI ZR 246/74 - NJW 1976, 1198; BVerwG, Beschluß
vom 7. Juni 1994 - 7 B 48/94 - NJW 1994, 2500), sieht die Verfassung die Kir-
chen, was ihr Verhältnis zum Staat angeht, nicht in einer dem Bürger bzw. den
privatrechtlich organisierten Religionsgemeinschaften vergleichbaren Rolle.
Anders als bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten besteht keine
Gleichordnung der Kirchen mit anderen Religionsgemeinschaften und dem
Bürger auf verfassungsrechtlicher Ebene, die sich auf der Ebene des einfachen
Rechts fortsetzen könnte (vgl. Senatsurteil vom 6. April 1976 - VI ZR 246/74 -
aaO, S. 1199). Zwar sind die Kirchen wie die Rundfunk- und Fernsehanstalten
Grundrechtsträger. Den Kirchen garantiert aber bereits die Verfassung den
Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, hebt sie dadurch, wie unter
a) ausgeführt, bewußt aus dem Bereich des Privaten heraus und erkennt sie
als Teile der öffentlichen Ordnung an. Den öffentlich-rechlichen Rundfunkan-
stalten wurde hingegen erst durch ein einfaches Gesetz der Körperschaftssta-
tus verliehen.
- 8 -
Die Kirchen sind auch im übrigen nicht mit den öffentlich-rechtlichen
Rundfunk- und Fernsehanstalten zu vergleichen. Zwar dient die Organisati-
onsform jeweils der Verwirklichung von Grundrechten. Die Korporationsqualität
der Kirchen ist ein Mittel zur Entfaltung der Religionsfreiheit (BVerfG, Urteil
vom 19. Dezember 2000 - 2 BvR 1500/97 - aaO, S. 430); die Rundfunkanstal-
ten wurden geschaffen, um die Verwirklichung des Grundrechts der Rundfunk-
freiheit zu ermöglichen (BVerfGE 12, 205, 261; 31,314, 326; 57, 295, 320;
Bonner Grundgesetz/Starck, 3. Aufl., Art. 5 Rdn. 77). Darüber hinaus soll der
Körperschaftsstatus der Kirchen jedoch auch ihre Eigenständigkeit unterstüt-
zen (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. Dezember 2000 - 2 BvR 1500/97 - aaO,
S. 430) und ihre originäre Kirchengewalt betonen (vgl. BVerfG 18, 385, 386).
Die Organisationsform der Rundfunkanstalten erfüllt hingegen keinen Selbst-
zweck (BVerfGE 57, 295, 320; Bonner Grundgesetz/Starck, aaO, Art. 5
Rdn. 89). Sie wurde gewählt um zu gewährleisten, daß der Rundfunk nicht in
die Hand einer gesellschaftlichen Gruppe oder des Staates gerät (vgl. BVerfGE
12, 205, 261 f.; 31, 314, 326 f.; 83, 238 ff., 296, 300).
e) Die hervorgehobene Rechtsstellung der Kirchen und die verfassungs-
rechtliche Rechtsformgarantie würden ihrer Bedeutung beraubt, wenn nicht
dem Kernbereich kirchlichen Wirkens zuzurechnende Verhaltensweisen aner-
kannt und grundsätzlich als öffentlich-rechtlich gewertet würden (BVerwG, Ur-
teil vom 7. Oktober 1983 - 7 C 44/81 - aaO, S. 990; OLG Frankfurt, DVBl 1985,
861; BayVGH NVwZ 1994, 787; NVwZ 1994, 598; BayVBl 1995, 564; Bonner
Grundgesetz/Frhr. v. Campenhausen, aaO, Art. 140 Rdn. 242; Isensee, aaO,
S. 315 ff.; MünchKomm-Medicus, Kommentar zum BGB, 3. Aufl., § 1004
Rdn. 84; Müssig, DVBl 1985, 837; a.A. OVG Bremen, NVwZ 1995, 793; Stau-
dinger-Gursky, Kommentar zum BGB, 13. Auflage, § 1004 Rdn. 212 m.w.N.;
Lorenz, NJW 1996, 1855; Steiner, NVwZ 1989, 410; Schatzschneider, NJW
- 9 -
1984, 991; Weber, NJW 1989, 2218, 2222 f.; Müller-Volbehr, JuS 1987, 869;
ders., ZevKR 33 (1988), 153; Goerlich, JZ 1984, 221). Auch das Bundesver-
fassungsgericht bezeichnet die kirchliche Gewalt außerhalb des Bereichs der
vom Staat verliehenen Befugnisse als zwar nicht staatliche, aber doch öffentli-
che Gewalt (BVerfGE 18, 385, 387; 19, 129, 134; 66, 1, 23). Die streitgegen-
ständlichen Äußerungen der Beklagten gehören zu diesem Kernbereich kirchli-
chen Wirkens. Sie stellen keine reinen Meinungsäußerungen im gesellschaftli-
chen Umfeld dar, sondern sind Ausdruck und Verkündigung der eigenen Glau-
benslehre. Mit ihnen erfüllt die Beklagte ihren Sendungsauftrag, grenzt sich
ihrem inneren Selbstverständnis entsprechend von anderen Glaubensgemein-
schaften ab und nimmt ihr Wächteramt gegenüber Lehren wahr, die sie auf der
Basis ihres Wertesystems als gefährlich oder bedenklich betrachtet.
Dr. Müller Dr. v. Gerlach Dr. Dressler
Wellner Diederichsen