Urteil des BGH vom 25.10.2012

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VII ZB 57/11
vom
25. Oktober 2012
in der Zwangsvollstreckungssache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO § 724 Abs. 2, § 726; UVG § 7
Eine erteilte und vorgelegte einfache Vollstreckungsklausel hat das Vollstre-
ckungsgericht nicht dahingehend zu überprüfen, ob eine qualifizierte Klausel nach
§ 726 ZPO erforderlich ist (im Anschluss an BGH, Beschlüsse vom
12. Januar 2012 - VII ZB 71/09, NJW-RR 2012, 1146; vom 23. Mai 2012
- VII ZB 31/11, NJW-RR 2012, 1148).
BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2012 - VII ZB 57/11 - LG Lüneburg
AG Winsen (Luhe)
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Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. Oktober 2012 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kniffka und die Richter Dr. Eick, Halfmeier,
Prof. Leupertz und Kosziol
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Gläubigers werden der Beschluss
der
5. Zivilkammer
des
Landgerichts
Lüneburg
vom
25. August 2011
und
der
Beschluss
des
Amtsgerichts
Winsen/Luhe - Vollstreckungsgericht - vom 20. September 2010
aufgehoben.
Auf die sofortige Beschwerde des Gläubigers wird das Vollstre-
ckungsgericht angewiesen, den Antrag vom 12. August 2010 auf
Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses nicht we-
gen Fehlens einer qualifizierten Vollstreckungsklausel zurückzu-
weisen.
Die Kosten der Rechtsmittelverfahren werden dem Schuldner auf-
erlegt.
Gründe:
I.
Der Gläubiger betreibt aus übergegangenem Recht (§ 7 UVG) aufgrund
eines Unterhaltsfestsetzungsbeschlusses des Familiengerichts die Zwangsvoll-
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streckung gegen den Schuldner. Das Vollstreckungsgericht hat den Antrag des
Gläubigers auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses zu-
rückgewiesen, da die nach § 724 Abs. 2 ZPO vom Urkundsbeamten der Ge-
schäftsstelle erteilte vollstreckbare Ausfertigung nicht ausreiche. Die Forderung
sei nur bedingt tituliert, nämlich unter der Voraussetzung, dass und soweit Un-
terhaltsvorschüsse erbracht seien. Erforderlich sei daher eine vom Rechtspfle-
ger des Familiengerichts erteilte vollstreckbare Ausfertigung nach § 726 Abs. 1
ZPO.
Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde des Gläubigers hat das
Beschwerdegericht zurückgewiesen (LG Lüneburg, BeckRS 2011, 14461). Mit
der zunächst durch die Einzelrichterin zugelassenen Rechtsbeschwerde hat der
Gläubiger die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Zurückver-
weisung der Sache an das Beschwerdegericht begehrt. Die Rechtsbeschwerde
hatte wegen Verstoßes gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters
Erfolg (BGH, Beschluss vom 5. Mai 2011 - VII ZB 15/11, BeckRS 2011, 14446).
Die mit drei Mitgliedern besetzte Kammer hat die sofortige Beschwerde mit
identischen Ausführungen zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zuge-
lassen. Der Gläubiger verfolgt seine Anträge in der Beschwerdeinstanz weiter,
hilfsweise begehrt er die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die
Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
II.
Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte
Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
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1. Das Beschwerdegericht hat im Wesentlichen ausgeführt, § 726 Abs. 1
ZPO sei auch auf Unterhaltsfestsetzungsbeschlüsse anwendbar. Der Bedin-
gungseintritt und der Umfang der Unterhaltsleistungen des Landes an den Un-
terhaltsberechtigten seien im Klauselerteilungsverfahren nachzuweisen. An-
dernfalls laufe der Unterhaltsschuldner Gefahr, doppelt in Anspruch genommen
zu werden. Dem Land als Gläubiger sei der Nachweis des gezahlten Unterhalts
durch eine Bestätigung der Kreiskasse ohne weiteres möglich.
2. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts hält der rechtlichen Über-
prüfung nicht stand.
a) Der angefochtene Beschluss begegnet bereits deshalb Bedenken,
weil er keine Darstellung des Sachverhalts enthält, auf deren Grundlage eine
rechtliche Überprüfung ohne weiteres möglich wäre. Beschlüsse, die der
Rechtsbeschwerde unterliegen, müssen den maßgeblichen Sachverhalt, über
den entschieden wird, jedoch wiedergeben und den Streitgegenstand sowie die
Anträge der Parteien in beiden Instanzen erkennen lassen; andernfalls sind sie
nicht mit den erforderlichen gesetzmäßigen Gründen versehen (§ 576 Abs. 3,
§ 547 Nr. 6 ZPO; siehe BGH, Beschlüsse vom 5. Juni 2012 - VI ZB 76/11,
BeckRS 2012, 14910 Rn. 4; vom 23. März 2011 - VII ZB 128/09, NJW 2011,
1679 Rn. 9; vom 20. Juni 2002 - IX ZB 56/01, NJW 2002, 2648; jeweils m.w.N.).
Das Fehlen einer Sachdarstellung kann hier nur deshalb ausnahmsweise hin-
genommen werden, weil sich die maßgeblichen verfahrensrechtlichen Vorgän-
ge gerade noch mit hinreichender Deutlichkeit aus den Beschlussgründen er-
mitteln lassen.
b) Das Vollstreckungsgericht hat den Antrag des Gläubigers auf Erlass
eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses rechtsfehlerhaft davon ab-
hängig gemacht, dass der Gläubiger eine gemäß § 726 Abs. 1 ZPO qualifizierte
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Vollstreckungsklausel vorlegt. Dies stand nicht zur Überprüfung des Vollstre-
ckungsgerichts.
aa) Die Erteilung der Vollstreckungsklausel erfolgt gemäß § 724 Abs. 2
ZPO grundsätzlich durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des titel-
schaffenden Gerichts. Geht dort ein Antrag auf Erteilung einer Vollstreckungs-
klausel ein, obliegt es ihm auch zu prüfen, ob der Titel Vollstreckungsbedingun-
gen im Sinne des § 726 Abs. 1 ZPO enthält und es deshalb gemäß § 20 Nr. 12
RPflG dem Rechtspfleger vorbehalten ist, eine dann erforderliche qualifizierte
Klausel zu erteilen. Gegenstand dieser Prüfung ist der Inhalt des Titels, der in
der Regel durch Auslegung zu ermitteln ist. Gelangt die Prüfung durch den Ur-
kundsbeamten zu einem objektiv falschen Ergebnis und erteilt er zu Unrecht
eine einfache Vollstreckungsklausel nach §§ 724, 725 ZPO, so liegt darin eine
fehlerhafte Ausübung der ihm nach dem Gesetz übertragenen Aufgaben.
bb) Der Fehler betrifft aber, wie der Senat nach Erlass des angefochte-
nen Beschlusses entschieden hat, lediglich die materielle Richtigkeit der erteil-
ten Vollstreckungsklausel, die grundsätzlich nicht zur Überprüfung des Vollstre-
ckungsorgans gestellt ist. Seiner Nachprüfung unterliegt es, ob eine Klausel
vorhanden ist und ob sie ordnungsgemäß erteilt wurde, nicht hingegen, ob sie
erteilt werden durfte. Deshalb ist es nicht Sache des mit der Vollstreckung des
Titels befassten Vollstreckungsorgans, die Wirksamkeit der Klausel am Inhalt
des Titels zu messen und die erforderliche Abgrenzung zwischen unbedingt
und bedingt vollstreckbaren Titeln vorzunehmen (BGH, Beschlüsse vom
12. Januar 2012 - VII ZR 71/09, NJW-RR 2012, 1146 Rn. 14 ff.; vom
23. Mai 2012 - VII ZB 31/11, NJW-RR 2012, 1148 Rn. 12, mit Anm. Toussaint,
FD-ZVR 2012, 334898; BeckOK ZPO/Ulrici, Stand: 15. Juli 2012, § 724 Rn. 6,
32; BeckOK ZPO/Riedel, aaO, § 829 Rn. 36; siehe bereits Zöller/Stöber, ZPO,
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29. Aufl., § 724 Rn. 14; MünchKommZPO/Wolfsteiner, 3. Aufl., § 724 Rn. 4, 15;
Schuschke in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz,
5. Aufl., § 726 Rn. 18; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungs-
recht, 12. Aufl., § 16 Rn. 16; Giers in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Gesamtes
Recht der Zwangsvollstreckung, 2010, § 724 ZPO Rn. 5). Der angefochtene
Beschluss kann daher keinen Bestand haben.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Kniffka
Eick
Halfmeier
Leupertz
Kosziol
Vorinstanzen:
AG Winsen (Luhe), Entscheidung vom 20.09.2010 - 9a M 21355/10 -
LG Lüneburg, Entscheidung vom 25.08.2011 - 5 T 95/10 -
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