Urteil des BFH vom 18.06.2014

Einbeziehung eines Folgelastenbeitrags in die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 18.6.2014, II R 12/13
Einbeziehung eines Folgelastenbeitrags in die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer
Leitsätze
Eine vom Grundstückserwerber übernommene und noch nicht entstandene Zahlungsverpflichtung
des Grundstücksverkäufers, die dieser in einem städtebaulichen Vertrag gegenüber einer
Gemeinde eingegangen ist, ist keine Gegenleistung i.S. des § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG und damit
nicht Bemessungsgrundlage (§ 8 Abs. 1 GrEStG) der Grunderwerbsteuer.
Tatbestand
1 I. Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 31. März 2008 erwarb die Klägerin und
Revisionsbeklagte (Klägerin) von T in der Stadt A im Bereich eines Bebauungsplans vom
22. Juni 2001 belegene Grundstücke zu einem Kaufpreis von 6.400.000 EUR. Die Klägerin
trat ferner bezüglich der Kaufgrundstücke in alle Rechte und Pflichten aus einem von den
Rechtsvorgängern der T u.a. mit der A geschlossenen städtebaulichen Vertrag vom 30. April
2001 ein und übernahm anstelle des Verkäufers den gemäß Teil 5 des städtebaulichen
Vertrags vom "Begünstigten einer Baurechtsbegründung" geschuldeten Folgekostenbeitrag in
Höhe von 60 DM (30,68 EUR) je Quadratmeter Wohnfläche. Der Folgelastenbeitrag war Zug
um Zug gegen die Erteilung von Baugenehmigungen bzw. mit Eintritt der Rechtswirkungen
von Genehmigungsfreistellungen nach der Bayerischen Bauordnung (BayBO) fällig. Er sollte
die Aufwendungen der A für den zusätzlichen Bedarf an Kindergarten- und Hortplätzen
decken, der durch die im Bebauungsplan geschaffene Bebauungsmöglichkeit ausgelöst
wurde.
2 Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) setzte gegen die Klägerin durch
Bescheid vom 26. Mai 2008 Grunderwerbsteuer in Höhe von 224.000 EUR fest. Der Bescheid
erging gemäß § 165 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) vorläufig, da die Höhe des als
Gegenleistung anzusetzenden Folgekostenbeitrags noch ungewiss war. Der Einspruch blieb
erfolglos.
3 Nach Klageerhebung setzte das FA durch gemäß § 165 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AO geänderten
und für endgültig erklärten Bescheid die Grunderwerbsteuer auf 235.999 EUR herauf.
Bemessungsgrundlage waren nunmehr neben dem Kaufpreis die der Klägerin von A gemäß
dem städtebaulichen Vertrag berechneten Folgekosten von 342.849 EUR. Grundlage der
Berechnung des Folgekostenbeitrags war die Wohnfläche, die sich aus den der Klägerin im
Jahre 2009 erteilten Baugenehmigungen ergab.
4 Das Finanzgericht gab der Klage, die auf Nichteinbeziehung der Folgekosten in die
Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer gerichtet war, statt. Die Klägerin habe mit der
Übernahme der Verpflichtungen der T aus der Folgekostenvereinbarung keine konkrete
geldwerte Verpflichtung der T übernommen. Die aufgrund der Folgekostenvereinbarung zu
zahlenden Kosten seien erst in der Person der Klägerin aufgrund der von ihr vorgenommenen
Grundstücksbebauung entstanden und hätten nicht zu einer Bereicherung der T geführt. Das
Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 960 veröffentlicht.
5 Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung des § 8 Abs. 1 und § 9 Abs. 1 Nr. 1 des
Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG).
6 Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
7 Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
8 II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung --FGO--). Eine vom Grundstückserwerber übernommene und noch
nicht entstandene Zahlungsverpflichtung des Grundstücksverkäufers, die dieser in einem
städtebaulichen Vertrag gegenüber einer Gemeinde eingegangen ist, ist keine
Gegenleistung i.S. des § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG und damit nicht Bemessungsgrundlage (§ 8
Abs. 1 GrEStG) der Grunderwerbsteuer.
9 1. Bei einem nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG grunderwerbsteuerbaren Grundstückskaufvertrag
bemisst sich die Grunderwerbsteuer gemäß § 8 Abs. 1 GrEStG regelmäßig nach dem Wert
der Gegenleistung. Maßgebend für den Umfang der Gegenleistung ist das
tatbestandserfüllende Rechtsgeschäft, bei § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG regelmäßig die
kaufvertraglich begründete Übereignungsverpflichtung (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH--
vom 30. März 2009 II R 62/06, BFHE 225, 503, BStBl II 2009, 854, m.w.N.). Als
Gegenleistung gilt nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG der Kaufpreis einschließlich der vom Käufer
übernommenen sonstigen Leistungen. Danach gehören alle Leistungen des Erwerbers zur
grunderwerbsteuerrechtlichen Gegenleistung (Bemessungsgrundlage), die dieser als Entgelt
für den Erwerb des Grundstücks gewährt oder die der Veräußerer als Entgelt für die
Veräußerung des Grundstücks empfängt (BFH-Urteile vom 11. Februar 2004 II R 31/02,
BFHE 204, 489, BStBl II 2004, 521; vom 30. Juli 2008 II R 40/06, BFH/NV 2008, 2060, und
vom 30. März 2009 II R 1/08, BFH/NV 2009, 1666). Der Erwerb des Grundstücks und die
Gegenleistung müssen kausal verknüpft sein (BFH-Urteile vom 2. Juni 2005 II R 6/04, BFHE
210, 60, BStBl II 2005, 651, und vom 13. Dezember 2006 II R 22/05, BFH/NV 2007, 1183).
10 2. Im Streitfall ist der von der Klägerin an A gezahlte Folgekostenbeitrag nicht Kaufpreis i.S.
des § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG. Die Übereignungsverpflichtung der T umfasste gemäß Tz. V.1
Buchst. ee des Grundstückskaufvertrags auch in Ansehung des Bebauungsplans vom
22. Juni 2001 nicht eine in bestimmter Weise bzw. in bestimmtem Umfang gegebene
Bebaubarkeit bzw. bauliche Nutzung der Grundstücke.
11 3. Der von der Klägerin gezahlte Folgelastenbeitrag ist auch keine von ihr übernommene
sonstige Leistung i.S. des § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG.
12 a) Eine sonstige Leistung liegt vor, wenn sich der Käufer kaufvertraglich verpflichtet, eine
bereits im Zeitpunkt des Abschlusses des Grundstückskaufvertrags in der Person des
Verkäufers entstandene Verbindlichkeit (Zahlungsverpflichtung) zu tragen (BFH-Urteil in
BFHE 225, 503, BStBl II 2009, 854). Dies setzt voraus, dass die Verbindlichkeit ohne die
getroffene Vereinbarung allein vom Veräußerer erfüllt werden müsste (BFH-Urteile vom
27. August 2003 II R 27/01, BFH/NV 2004, 226; vom 8. Juni 2005 II R 26/03, BFHE 210, 372,
BStBl II 2005, 613).
13 b) Im Streitfall war für T bei Abschluss des Grundstückskaufvertrags noch keine
Zahlungsverpflichtung aus der im städtebaulichen Vertrag vereinbarten
Folgelastenvereinbarung entstanden.
14 aa) Nach § 11 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 des Baugesetzbuchs (BauGB) kann Gegenstand eines
städtebaulichen Vertrags die Übernahme von Kosten oder sonstigen Aufwendungen sein,
die der Gemeinde für städtebauliche Maßnahmen entstehen oder entstanden sind und die
Voraussetzung oder Folge des geplanten Vorhabens sind. Für den aufgrund dieser
Vorschrift zulässigen Folgekostenvertrag fehlt es, im Gegensatz zu der für den
Erschließungsbeitrag in § 133 Abs. 2 BauGB getroffenen Regelung, an einer gesetzlichen
Bestimmung über die Entstehung eines vom Baubewerber zu zahlenden
Folgekostenbeitrags.
15 bb) Grundsätzlich kann zwar die Zahlungsverpflichtung aus einem städtebaulichen Vertrag
unabhängig davon entstehen, zu welchem Zeitpunkt die durch den Folgekostenbeitrag zu
finanzierenden kommunalen Einrichtungen fertig gestellt werden. Entgegen der Auffassung
der Finanzverwaltung (z.B. Erlass des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen vom
28. Juni 2000 36 –S 4521-33/17-28 502) gehören aber bei der Verknüpfung eines
Folgelastenvertrags mit dem Erwerb eines Grundstücks die vom Erwerber übernommenen
Folgekosten nicht in jedem Fall zur Gegenleistung i.S. des § 8 Abs. 1 und § 9 Abs. 1 Nr. 1
GrEStG. Maßgebend ist vielmehr, in welchem Zustand das Grundstück zum Gegenstand des
Erwerbsvorgangs gemacht wurde (für die Einbeziehung von Erschließungskosten in die
Bemessungsgrundlage vgl. z.B. BFH-Urteile vom 15. März 2001 II R 51/00, BFH/NV 2001,
1297, und vom 23. September 2009 II R 21/08, BFH/NV 2010, 679). Dies bestimmt sich nach
den im Folgekostenvertrag getroffenen Regelungen.
16 cc) Im Streitfall ist Gegenstand der im städtebaulichen Vertrag vom 30. April 2001
getroffenen Folgekostenvereinbarung die "Beteiligung der Begünstigten einer
Baurechtsbegründung" an dem durch die künftige Bebauung ausgelösten zusätzlichen
Bedarf an Kindergarten- und Hortplätzen. Insoweit waren, den Zulässigkeitsanforderungen
an einen städtebaulichen Vertrag i.S. des § 11 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 BauGB entsprechend, die
der Gemeinde entstehenden Kosten mit dem begünstigten Bauvorhaben kausal verknüpft
(dazu Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. März 2011 4 C 11.10, BVerwGE 139,
262). Dabei sollte nach der hier im städtebaulichen Vertrag getroffenen Vereinbarung der
Folgelastenbeitrag nicht bereits im Zeitpunkt der Rechtsverbindlichkeit des
Bebauungsplans, sondern erst im Zeitpunkt des für den Erwerber individuell begründeten
konkreten Baurechts entstehen. Dies ergibt sich aus der in Teil 5 - § 3 des städtebaulichen
Vertrags getroffenen Vereinbarung, wonach der Folgelastenbeitrag erst Zug um Zug gegen
die Erteilung der Baugenehmigungen bzw. mit Eintritt der Rechtswirkungen von
Genehmigungsfreistellungen nach der BayBO fällig war.
17 dd) Aufgrund dieser Vertragslage war im Zeitpunkt des Abschlusses des
Grundstückskaufvertrags am 31. März 2008 noch keine Zahlungsverpflichtung der T aus
dem Folgelastenvertrag entstanden. T war zu diesem Zeitpunkt weder eine
Baugenehmigung erteilt worden noch lag eine Genehmigungsfreistellung nach der BayBO
vor. Der Folgekostenbeitrag entstand vielmehr erst im Jahre 2009 in dem Zeitpunkt, in dem
der Klägerin die von ihr beantragten Baugenehmigungen für das Bauvorhaben erteilt
wurden. Grunderwerbsteuerrechtlich handelt es sich damit bei dem von der Klägerin
gezahlten Folgelastenbeitrag um eine allein auf ihr Bauvorhaben bezogene eigennützige
Leistung; eine solche ist keine Gegenleistung für den Erwerb des Grundstücks (vgl. z.B.
BFH-Urteile in BFHE 225, 503, BStBl II 2009, 854, und vom 8. September 2010 II R 28/09,
BFHE 231, 244, BStBl II 2011, 227).