Urteil des BFH vom 02.07.2014

Ansammlungsrückstellung: Stichtagsbezogene Anpassung des Ansammlungszeitraums

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 2.7.2014, I R 46/12
Ansammlungsrückstellung: Stichtagsbezogene Anpassung des Ansammlungszeitraums
Leitsätze
Auch beim Ausweis von Rückstellungen, für deren Entstehen im wirtschaftlichen Sinne der
laufende Betrieb ursächlich ist (sog. Ansammlungsrückstellung gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. d
EStG 2002), ist das Stichtagsprinzip zu beachten. Wird deshalb das einer Beseitigungspflicht für
Bauten auf fremdem Grund und Boden zugrunde liegende Rechtsverhältnis (hier: Miet- und
Pachtvertrag) über das zunächst festgelegte Vertragsende hinaus --sei es durch Änderung des
bisherigen Vertrags, sei es durch Begründung eines neuen Rechtsverhältnisses-- (wirtschaftlich)
fortgesetzt, ist dieser verlängerte Nutzungszeitraum auch dem Rückstellungausweis zugrunde zu
legen.
Tatbestand
1 A. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, betrieb im Streitjahr 2004 den
Handel mit Natur- und Kunststeinen auf dem gemieteten Grundstück H-Straße in ..., das im
Eigentum der X steht. Grundlage der Nutzung war für den Zeitraum Juni 1984 bis September
1991 ein Unterpachtvertrag mit der S-GmbH, die ihrerseits das Grundstück --unter
Einräumung eines Vorpachtrechts-- von X gepachtet hatte; nach § 2 Abs. 2 des
Unterpachtvertrags erklärte sich die S-GmbH bereit, nach Ablauf des Unterpachtvertrags
über ein direktes Pachtverhältnis zwischen der Klägerin und der Grundstückseigentümerin
zu verhandeln. Ein solches Pachtverhältnis ist zwischen der Klägerin und X mit Vertrag vom
25. August 1992 für den Zeitraum Oktober 1991 bis September 2001 --wiederum verbunden
mit einem Vorpachtrecht-- vereinbart worden (im Folgenden: Pachtvertrag); der
Nutzungszeitraum wurde aufgrund des Nachtrags vom 4. März 1996 bis September 2011
verlängert. Vor Ablauf dieses Zeitraums ist der Pachtvertrag jedoch mit weiterer
Vereinbarung vom 8. Juli 2003 aufgehoben und ein Mietvertrag zwischen der Klägerin und X
mit einer festen Mietzeit bis Juni 2018 geschlossen worden (im Folgenden: Mietvertrag); der
Klägerin steht hierbei das Recht zu, den Mietvertrag zweimal um (jeweils) fünf Jahre zu
verlängern.
2 Die Klägerin war nach allen Verträgen verpflichtet, die auf dem Grundstück H-Straße
befindlichen Bauten (Anlagen, Einrichtungen und verlegte Leitungen) zum Ende des
(jeweiligen) Nutzungsverhältnisses zu beseitigen, sofern nicht ein ihr nachfolgender
Nutzungsberechtigter (Mieter, Pächter) die Baulichkeiten sowie die Beseitigungspflicht
übernimmt. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) hatte sie spätestens in ihrem
Jahresabschluss 1996 die vollen Abbruchkosten zurückgestellt. Zum Ende des Streitjahres,
in dem die Klägerin einen Anbau an ihr Bürogebäude (einschließlich Außenanlagen und
Hofbefestigungen) fertigstellt hatte, belief sich die Rückstellung auf 110.024,86 EUR; hieraus
ergab sich gegenüber dem Vorjahr (2003) eine Erhöhung um 2.368,86 EUR. Beide Beträge
wurden nicht abgezinst.
3 Im Anschluss an eine Außenprüfung änderte der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt --FA--) nach § 164 der Abgabenordnung (AO) mit Bescheiden vom 17. September
2009 für das Streitjahr die Festsetzung der Körperschaftsteuer sowie des
Gewerbesteuermessbetrags. Ausgehend von dem im April 2009 abgegebenen Angebot
eines Abbruchunternehmens (einschließlich Gutachterkosten: 137.162 EUR) verteilte es die
Rückstellung nach § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. d des Einkommensteuergesetzes (EStG 2002) -
-i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG 2002) sowie § 7 Satz 1 des
Gewerbesteuergesetzes (GewStG 2002)-- auf den Zeitraum von Juni 1984 bis Juni 2018 und
zinste den zum Ende des Streitjahres ermittelten Betrag gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e
EStG 2002 ab.
4 Der Einspruch der Klägerin gegen die sonach ergangenen Steuerbescheide hatte lediglich
insoweit Erfolg, als das FA einen Berechnungsfehler bei der Bestimmung des
Ansammlungszeitraums bereinigte. Hierdurch erhöhte sich die Ansammlungsrückstellung
vor Abzinsung auf 82.834 EUR und der abgezinste (gewinnmindernde) Rückstellungsbetrag
auf 40.258 EUR. Im Übrigen hat es den Einspruch durch Teil-Einspruchsentscheidung nach
§ 367 Abs. 2a AO zurückgewiesen. Das FA hat hierbei darauf hingewiesen, dass es über die
Abzinsung der Ansammlungsrückstellung nicht entscheide, da zur Frage der
Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung ein Verfahren beim Bundesfinanzhof (BFH), Az.
IV R 32/07, anhängig sei.
5 Während des anschließenden Klageverfahrens (Az. 6 K 108/10) hat das FA den Einspruch
im Anschluss an das BFH-Urteil vom 5. Mai 2011 IV R 32/07 (BFHE 233, 524, BStBl II 2012,
98) mit End-Einspruchsentscheidung vom 29. November 2011 als unbegründet
zurückgewiesen. Die daraufhin erhobene (weitere) Klage (Az. 6 K 5/12) --über die
gemeinsam mit der Klage 6 K 108/10 verhandelt worden ist-- hat die Klägerin in der
mündlichen Verhandlung zurückgenommen, nachdem das FA zugesagt hatte, mit Rücksicht
auf die zwischen den Beteiligten nicht mehr streitige Abzinsung der Rückstellung gemäß
§ 52 Abs. 16 (Satz 11 i.V.m. Satz 12 und 14) EStG 2002 zum Ende des Streitjahres eine
Rücklage in Höhe von 18.383 EUR anzuerkennen.
6 Unter Berücksichtigung weiterer Hinweise des FG zu dem im Streitjahr errichteten Anbau
sowie dazu, dass das Angebot des Abbruchunternehmens auf den Preisverhältnissen des
Jahres 2009 beruht, hat die Klägerin im Klageverfahren 6 K 108/10 beantragt, die
Rückstellung vor Abzinsung in Höhe von 122.530 EUR anzuerkennen und auf 59.550 EUR
abzuzinsen.
7 Dem hat die Vorinstanz entsprochen, da ein neuer Miet- oder Pachtvertrag über ein
Grundstück, für das bereits eine Ansammlungsrückstellung gebildet wurde, nicht zu einer
Neuberechnung des Ansammlungszeitraums führe (Niedersächsisches FG, Urteil vom
10. Mai 2012 6 K 108/10, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2012, 1628).
8 Entsprechend seiner Zusage hat das FA nach Ergehen des vorinstanzlichen Urteils mit
Bescheiden vom 31. Juli 2012 für das Streitjahr die Festsetzung der Körperschaftsteuer
sowie des Gewerbesteuermessbetrags (erneut) geändert. Neben der Rücklage
(18.383 EUR) wurde die Rückstellung nach Abzinsung mit 35.984,44 EUR angesetzt. Die
Körperschaftsteuer 2004 beläuft sich hiernach auf 166.802 EUR, der
Gewerbesteuermessbetrag 2004 auf 33.370 EUR. Beide Beträge sind zwischen den
Beteiligten rechnerisch nicht umstritten. Streitig ist allein, ob --wie vom FA auch weiterhin
vertreten-- die Rückstellung auf den Ansammlungszeitraum bis einschließlich Juni 2018 zu
verteilen ist.
9 Mit der hierauf gestützten Revision beantragt das FA sinngemäß, das Urteil der Vorinstanz
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
10 Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
11 B. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur
Klageabweisung. Das FG hat zu Unrecht angenommen, dass der Ansammlungszeitraum für
die Verpflichtung der Klägerin, die auf dem Grundstück H-Straße errichteten Gebäude zum
30. Juni 2018 zu beseitigen, am Bilanzstichtag des Streitjahres (31. Dezember 2004) bereits
abgelaufen war.
12 I. Das Urteil der Vorinstanz ist schon aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben.
13 1. Gegenstand des anhängigen Rechtsstreits sind die während des Revisionsverfahrens
ergangenen Änderungsbescheide vom 31. Juli 2012. Sie sind nach § 68 Satz 1 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) an die Stelle der Bescheide vom 17. September 2009 (in
Gestalt der Teil-Einspruchsentscheidung vom 8. Februar 2010) getreten. Ein solcher
Austausch des Verfahrensgegenstands kann auch nach Ergehen einer finanzgerichtlichen
Entscheidung stattfinden (§ 121 Satz 1 FGO; Gräber/ von Groll, Finanzgerichtsordnung,
7. Aufl., § 68 Rz 20, m.w.N.). Das vorinstanzliche Urteil, das zu einem in seinen
Rechtswirkungen suspendierten Bescheid ergangen ist, muss deshalb --ohne weitere
Sachprüfung-- schon aus verfahrensrechtlichen Gründen aufgehoben werden (ständige
Rechtsprechung, Senatsurteil vom 20. Oktober 2010 I R 117/08, BFHE 232, 15). Unberührt
hiervon bleiben jedoch die tatsächlichen Feststellungen des FG; sie bilden weiterhin die
Grundlage für die Revisionsentscheidung des Senats.
14 2. Die vorgenannten Grundsätze sind auch zu beachten, wenn der Änderungsbescheid an
die Stelle des durch eine Teil-Einspruchsentscheidung gemäß § 367 Abs. 2a AO bestätigten
oder geänderten Steuer- oder Steuermessbescheids tritt (BFH-Urteil vom 5. Februar 2014
X R 22/12, BFHE 244, 49, BStBl II 2014, 388). Zwar dürften im Falle der Klage gegen eine
Teil-Einspruchsentscheidung die von der Finanzbehörde nach § 367 Abs. 2a Satz 2 AO
ausgeklammerten Besteuerungsgrundlagen (hier: Abzinsung der Rückstellung) nicht
Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung der Teil-Einspruchsentscheidung sein
(möglicherweise a.A. Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 367 AO Rz 488). Dies
bedarf jedoch ebenso wenig einer abschließenden Beurteilung wie die weiter gehende
Frage danach, ob dieser Grundsatz dann zu durchbrechen sein könnte, wenn --wie
vorliegend-- die End-Einspruchsentscheidung im Zuge des finanzgerichtlichen Verfahrens
bestandskräftig (hier: durch Klagerücknahme) geworden ist (vgl. hierzu auch Birkenfeld, in
Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 367 AO Rz 566: gerichtliche Endentscheidung über die
festzusetzende Steuer). Beides kann im Streitfall unentschieden bleiben, weil zwischen den
Beteiligten (zwischenzeitlich) Einvernehmen darüber besteht, dass die angefochtenen
Bescheide --mit Ausnahme der nach wie vor umstrittenen Frage nach dem
Ansammlungszeitraum (§ 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. d EStG 2002)-- rechtmäßig sind und auch
für den Senat unter Berücksichtigung der Feststellungen der Vorinstanz sowie der ihm
vorgelegten Akten kein Anhalt dafür besteht, dass die Bescheide (vorbehaltlich der
Bestimmung des Ansammlungszeitraums) die Klägerin in rechtswidriger Weise beschweren.
Letzteres gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass --ausgehend von der Anerkennung des
Rückstellungsausweises dem Grunde nach (s. hierzu nachfolgend unter II.2.)-- der
Rückstellung die Wertverhältnisses (Preisverhältnisse) des Bilanzstichtags zugrunde zu
legen sind (vgl. auch zur Rechtsentwicklung BFH-Urteil in BFHE 233, 524, BStBl II 2012, 98)
und für den "Abzinsungsertrag" (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e EStG 2002) einer solchen
"Alt-Rückstellung" nunmehr nach den Änderungsbescheiden vom 31. Juli 2012 eine
gewinnmindernde Rücklage gemäß § 52 Abs. 16 Satz 8 und 10 i.V.m. Satz 7 EStG 2002
angesetzt wird (dazu BFH-Urteil in BFHE 233, 524, BStBl II 2012, 98; Schreiben des
Bundesministeriums der Finanzen vom 26. Mai 2005, BStBl I 2005, 699 Rz 35 ff.).
15 II. Die Klage ist unbegründet.
16 1. Nach § 249 Abs. 1 Satz 1 des Handelsgesetzbuchs (HGB) sind Rückstellungen u.a. für
ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden. Die Vorschrift, die als Grundsatz ordnungsmäßiger
Buchführung (GoB) auch bei der Festsetzung der Körperschaftsteuer sowie des
Gewerbesteuermessbetrags zu beachten ist (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG 2002 i.V.m. § 8 Abs. 1
KStG 2002 und § 7 Satz 1 GewStG 2002), erfasst auch sog. echte
Ansammlungsrückstellungen, deren Kennzeichen darin besteht, dass der
Rückstellungsbildung am Bilanzstichtag rechtlich bereits begründete Verbindlichkeiten
zugrunde liegen, deren Entstehen aber bei wirtschaftlicher Betrachtung auch auf zukünftige
Wirtschaftsjahre entfällt. Während im handelsrechtlichen Schrifttum hierzu teilweise die
Auffassung vertreten wird, dass es zulässig sei, die Verbindlichkeit im Zeitpunkt des sie
auslösenden Ereignisses in voller Höhe auszuweisen (Schubert in Beck Bil-Komm., 9. Aufl.,
§ 253 Rz 164, m.w.N.; nicht eindeutig Hauptfachausschuss des Instituts der Wirtschaftsprüfer
(IDW), Stellungnahme zur Rechnungslegung IDW RS HFA 34, IDW Fachnachrichten 2013,
53, 55, Rz 18), hat der BFH bereits bezüglich der Rechtslage bis einschließlich 1998
entschieden, dass der Rückstellungsaufwand --ausgehend von den Preisverhältnissen des
jeweiligen Bilanzstichtags (Stichtagsprinzip)-- den Wirtschaftsjahren bis zur Erfüllung der
Verbindlichkeit zuzuordnen ist und damit auch den Gewinn der Folgeperioden (anteilig)
belastet (Senatsurteil vom 19. Februar 1975 I R 28/73, BFHE 115, 218, BStBl II 1975, 480;
BFH-Urteil vom 28. März 2000 VIII R 13/99, BFHE 191, 517, BStBl II 2000, 612).
17 Hiervon unberührt blieb indes, dass diese ratierliche Rückstellungsbildung auf der
allgemeinen Bewertungsvorschrift des § 253 Abs. 1 Satz 2 HGB a.F. fußte, nach der
Rückstellungen mit ihrem nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendigen
Betrag, d.h. mit ihrem voraussichtlichen Erfüllungsbetrag zu bewerten sind (Senatsurteil vom
30. November 2005 I R 110/04, BFHE 212, 83, BStBl II 2007, 251, m.w.N.; siehe nunmehr
auch § 253 Abs. 1 Satz 2 HGB n.F. sowie hierzu Senatsurteil vom 11. Oktober 2012
I R 66/11, BFHE 239, 315, BStBl II 2013, 676, jeweils m.w.N.). Durch das
Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (BGBl I 1999, 402, BStBl I
1999, 304) hat der Gesetzgeber für Zwecke des steuerbilanziellen Ausweises in § 6 Abs. 1
Nr. 3a EStG 1997 n.F./2002 spezialgesetzlich verfügt, dass Rückstellungen für
Sachleistungsverpflichtungen mit den Einzelkosten und den angemessenen Teilen der
notwendigen Gemeinkosten zu bewerten (§ 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. b EStG 2002; dazu
Senatsurteil in BFHE 239, 315, BStBl II 2013, 676) und Rückstellungen für Verpflichtungen,
für deren Entstehen im wirtschaftlichen Sinne der laufende Betrieb ursächlich ist, zeitanteilig
in gleichen Raten anzusammeln sind (§ 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. d Satz 1 EStG 2002). Beide
Regeln verdrängen zwar einen höheren handelsrechtlichen Wertansatz mit der Folge, dass
ein für das Handelsrecht vertretener Sofortausweis der zukünftigen Abbruchverpflichtung
steuerrechtlich nicht nachvollzogen werden könnte (§ 5 Abs. 6 EStG 2002; Senatsurteil in
BFHE 239, 315, BStBl II 2013, 676); andererseits lassen die vorgenannten Bestimmungen,
soweit sie keine ausdrückliche Anordnung treffen, die Bewertung der Rückstellung nach den
GoB unberührt (Werndl in Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG, § 6 Rz Da 2). Letzteres gilt
insbesondere für das Stichtagsprinzip, nach dem die Bilanz die Verhältnisse des
Bilanzstichtags abzubilden hat (§ 242 Abs. 1 HGB; Blümich/ Krumm, § 5 EStG Rz 277;
Schmidt/Kulosa, EStG, 33. Aufl., § 6 Rz 9; Crezelius in Kirchhof, EStG, 13. Aufl., § 5 Rz 38).
18 2. Die Beteiligten gehen für den Streitfall übereinstimmend davon aus, dass die Rückstellung
auf der Grundlage der Kosten für den Abbruch aller auf dem Grundstück H-Straße
befindlichen und von der Klägerin oder einem Dritten errichteten Anlagen (vgl. § 7 des
Mietvertrags i.V.m. § 19 der Allgemeinen Bedingungen für die Vermietung von Flächen und
Einrichtungen der X) zu bilden sind. Dies ist insoweit nicht zu beanstanden, als der durch
eine vertragliche Beseitigungspflicht anfallende Aufwand auch dann zurückzustellen ist,
wenn --wie im Streitfall aufgrund der eingeräumten Mietverlängerungsoptionen (§ 3 Abs. 2
des Mietvertrags)-- ungewiss ist, wann das Nutzungsverhältnis endet (BFH-Urteil in BFHE
191, 517, BStBl II 2000, 612). Allerdings hat das FG keine Feststellungen dazu getroffen, ob
und mit welcher Wahrscheinlichkeit die Klägerin --insbesondere unter Berücksichtigung
dessen, dass sie ihrerseits in die Beseitigungsverpflichtung der S-GmbH eingetreten ist--
damit rechnen musste, selbst für den Abbruch der vorgenannten Anlagen in Anspruch
genommen zu werden. Der Senat kann dahinstehen lassen, ob und ggf. unter welchen
Voraussetzungen hierdurch ein Rückstellungsausweis entfällt oder jedenfalls die Höhe der
Rückstellung (ausgehend vom voraussichtlichen Erfüllungsbetrag) anzupassen sein könnte.
Denn das FA ist jedenfalls zu Recht davon ausgegangen, dass der nach § 6 Abs. 1 Nr. 3a
Buchst. d (Satz 1) EStG 2002 maßgebliche Ansammlungszeitraum an den durch den
Mietvertrag vom 8. Juli 2003 festgelegten Erfüllungszeitpunkt (30. Juni 2018) anzupassen ist.
Der Senat ist nach dem sog. Verböserungsverbot daran gehindert, die angefochtenen
Bescheide in einem weiter gehenden Umfang zum Nachteil der Klägerin zu ändern
(Gräber/von Groll, a.a.O., § 96 Rz 7, m.w.N.).
19 a) Das Stichtagsprinzip ist auch im Rahmen der Regelung des § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. d
(Satz 1) EStG 2002, die nach § 52 Abs. 16 Satz 12 EStG 2002 für vor dem 1. Januar 1999
gebildete Rückstellungen anzuwenden ist, zu beachten. Dieser Bilanzierungsgrundsatz gilt
nicht nur für den Rückstellungsausweis dem Grunde nach mit der Folge, dass die bisherige
Passivierung aufzulösen ist, wenn nach den Verhältnissen am Bilanzstichtag die Gründe für
ihre Bildung (und demgemäß auch für ihre Beibehaltung) entfallen sind (Senatsurteil vom
12. April 1989 I R 41/85, BFHE 156, 481, BStBl II 1989, 612). Vielmehr ist (u.a.) mit
Rücksicht auf die Höhe der Rückstellung der Bilanzausweis jährlich an die Verhältnisse des
Bilanzstichtags anzupassen und ggf. der bisherige Ansatz zu korrigieren (BFH-Urteile vom
12. Dezember 2013 X R 25/11, BFHE 244, 309, BStBl II 2014, 517; vom 7. Oktober 1982
IV R 39/80, BFHE 137, 25, BStBl II 1983, 104; Senatsurteil in BFHE 156, 481, BStBl II 1989,
612).
20 b) Aus dem Vorstehenden ergibt sich unmittelbar, dass für die Frage, ob der laufende Betrieb
(und damit auch zukünftige Wirtschaftsjahre) für die Entstehung einer
Beseitigungsverpflichtung (hier: Abbruch von baulichen Anlagen) i.S. von § 6 Abs. 1 Nr. 3a
Buchst. d (Satz 1) EStG 2002 im wirtschaftlichen Sinne ursächlich ist, nicht auf bereits
abgelaufene Wirtschaftsjahre und den diesen zugrunde liegenden tatsächlichen und
rechtlichen Verhältnissen, sondern auf die Verhältnisse des Bilanzstichtags abzustellen ist.
Da die Regelung nicht das einzelne Vertragsverhältnis, sondern die wirtschaftliche
Entstehung der Verpflichtung als maßgeblich erachtet, ist es ausgeschlossen, den
vollständigen Rückstellungsausweis (allein) auf den Umstand zu stützen, dass in der
Vergangenheit ein Nutzungsrechtsverhältnis abgelaufen ist, nach dem der
Nutzungsberechtigte (Mieter oder Pächter) zur Beseitigung der baulichen Anlagen
verpflichtet war. Vielmehr ist, wenn das Nutzungsverhältnis --sei es durch Verlängerung des
bisherigen Vertrags, sei es durch Begründung eines neuen Rechtsverhältnisses--
(wirtschaftlich) fortgesetzt und damit zugleich der Zeitpunkt der Erfüllung der
Abbruchverpflichtung hinausgeschoben wird, der in diesem verlängerten Nutzungszeitraum
unterhaltene laufende Betrieb des Nutzenden im wirtschaftlichen Sinne für das Entstehen
der Abbruchverpflichtung ursächlich. Eine Durchbrechung dieser
Regelungszusammenhänge und damit eine Abkehr vom Stichtagsprinzip hätte --woran es
vorliegend nicht nur mit Rücksicht auf die Abzinsung einer solchen Verpflichtung gemäß § 6
Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e EStG 2002 (insoweit zutreffend das Urteil der Vorinstanz), sondern
auch im Hinblick auf die Bestimmung des Ansammlungszeitraums nach § 6 Abs. 1 Nr. 3a
Buchst. d (Satz 1) EStG 2002 erkennbar fehlt-- einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung
bedurft (gl.A. Schmidt/Kulosa, a.a.O., § 6 Rz 477; Oser, Betriebs-Berater --BB-- 2013, 114;
Hessisches FG, Urteil vom 21. September 2011 9 K 1033/06, Deutsches
Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2013, 193, s. zu Sonderregelungen auch R 31c Abs. 13
der Einkommensteuer-Richtlinien --EStR 2003--; a.A. Joisten, Finanz-Rundschau --FR--
2013, 455; Schubert in Beck Bil-Komm., a.a.O., § 253 Rz 165, m.w.N.; vermittelnd IDW
Fachnachrichten 2013, 53, 56, Rz 20: neben der Auflösung kommt auch die Verteilung des
ausstehenden Aufwands auf zukünftige Wirtschaftsjahre in Betracht)
.
21 c) Die hiergegen von der Klägerin sowie im Schrifttum erhobenen Einwände rechtfertigen
keine andere Beurteilung.
22 aa) Soweit die Klägerin darauf hinweist, dass § 249 Abs. 3 Satz 2 HGB a.F. (heute: § 249
Abs. 2 Satz 2 HGB), nach der Rückstellungen nur aufzulösen sind, soweit der Grund hierfür
entfallen ist (vgl. auch R 31c Abs. 13 EStR 2003; heute: R 5.7 Abs. 13 EStR 2012), kann
offenbleiben, ob die Vorschrift nur den Rückstellungsausweis dem Grunde nach regelt (so
IDW Fachnachrichten 2013, 53, 55 f., Rz 8 und 20). Die Vorschrift schließt --im Einklang mit
der vorstehend dargelegten Rechtsprechung des BFH-- auch dann, wenn man sie auf die
Höhe der Rückstellung bezieht (vgl. "soweit"), eine Anpassung bereits gebildeter
Rückstellungen entsprechend den geänderten Verhältnissen an den folgenden
Bilanzstichtagen nicht aus (Schubert in Beck Bil-Komm., a.a.O., § 249 Rz 23;
Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl., HGB
§ 253 Rz 180). Demgemäß ist auch nicht ersichtlich, weshalb sie eine Anpassung der
Ansammlungsrückstellung gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. d EStG 2002 sperren sollte.
23 bb) Nichts anderes gilt, soweit darauf hingewiesen wird, der (Teil-)Auflösung bereits
gebildeter Rückstellungen stehe das Vorsichtsprinzip entgegen (Joisten, FR 2013, 455).
Zwar ist dieser in § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB verankerte Grundsatz auch bei der Bewertung von
Verbindlichkeiten zu beachten. Der Einwand verkennt jedoch, dass die Bewertungsregeln
des § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG 2002 das Vorsichtsprinzip spezialgesetzlich durchbrechen und
nach der Rechtsprechung des BFH in dem Gesetzesziel, die Bildung stiller Reserven zum
Zwecke einer Angleichung der für alle Steuerpflichtigen geltenden Besteuerungsmaßstäbe
zu beschränken, ein sachlich rechtfertigender Grund für die generelle Abzinsung von
.
kann für die Anpassung der Ansammlungsrückstellung nichts anderes gelten. Abgesehen
davon, dass die Ansammlungsanweisung des § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. d (Satz 1) EStG
2002 auf die Rechtsprechung des BFH zurückgeht, liegt ihr sondergesetzlich der ansonsten
im Rahmen der Rückstellungsbewertung nicht tragfähige Gedanke zugrunde, dass die
künftigen Aufwendungen (hier: Abbruchaufwand) nur in dem Umfang rückstellungsfähig
sind, in dem sie die bis zum Bilanzstichtag angefallenen Umsätze fördern (Werndl in
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 6 Rz Da 30). Hiervon ausgehend entspricht es aber dem
Zweck des Gesetzes und dem diesem zugrunde liegenden dynamischen Bilanzverständnis
bei der Bewertung der Ansammlungsrückstellung --im Einklang mit dem Wortlaut des § 6
Abs. 1 Nr. 3a Buchst. d (Satz 1) EStG 2002 und dessen systematischer Einbindung in das
Stichtagsprinzip (auch insoweit a.A. Joisten, FR 2013, 455)-- von dem am Bilanzstichtag
maßgeblichen Erfüllungszeitpunkt (hier: 30. Juni 2018 gemäß § 3 Abs. 1 des Mietvertrags)
auszugehen und demgemäß die gegenüber dem zuvor bestehenden Rechtsverhältnis (hier:
Pachtvertrag) verlängerte Nutzungszeit der (abzubrechenden) Bauten in den
Verteilungszeitraum der Rückstellung mit der Folge einzubeziehen, dass der (voraussichtlich
anfallende) Abbruchaufwand auch den in diesem verlängerten Zeitraum getätigten
Umsätzen (bzw. erwirtschafteten Erträgen) zugeordnet wird (Oser, BB 2013, 114).
24 cc) Soweit zugunsten der Beibehaltung der in den Vorjahren gebildeten Rückstellungen
schließlich geltend gemacht wird, dass auch aufwandswirksame Abschreibungen nicht
deshalb rückgängig zu machen sind, weil das Wirtschaftsgut über die ursprünglich
vorgesehene Nutzungsdauer hinaus genutzt wird (Joisten, FR 2013, 455), ist dem nicht
weiter nachzugehen. Die Erwägung lässt bereits im Ausgangspunkt unberücksichtigt, dass
Abschreibungen, soweit § 7 EStG 2002 hierfür nicht feste (typisierende) Prozentsätze
vorsieht, nicht auf die vorgesehene, sondern auf die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer
des Wirtschaftsguts vorzunehmen sind (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 EStG 2002). Auch ist nicht
erkennbar, aus welchem Grund eine fehlerhafte Schätzung dieses Zeitraums (zur
Berichtigung siehe Schmidt/Kulosa, a.a.O., § 7 Rz 104 a.E.) auf die durch eine geänderte
Nutzungsvereinbarung nach dem Stichtagsprinzip ausgelöste Anpassung des
Ansammlungszeitraums nach § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. d (Satz 1) EStG 2002 einwirken
sollte.
25 3. Die Sache ist nach den vorstehenden Erläuterungen spruchreif und die Klage
abzuweisen.