Urteil des BFH vom 26.06.2014

Entscheidung über Kindergeldantrag durch befristete Festsetzung

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 26.6.2014, III R 6/13
Entscheidung über Kindergeldantrag durch befristete Festsetzung
Leitsätze
Erlässt die Familienkasse auf einen zeitlich nicht konkretisierten Kindergeldantrag einen
Festsetzungsbescheid, der eine Befristung bis zu einem in der Zukunft liegenden Monat enthält, so
hat sie damit über den Antrag in vollem Umfang und nicht nur zum Teil entschieden.
Tatbestand
1 I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist die Mutter der beiden Söhne A und B, die
im März 1980 bzw. im Juni 1982 geboren sind. Sie war bis Juli 2003 im öffentlichen Dienst
des Landes ... beschäftigt, danach schied sie aus dem Staatsdienst aus. Der Arbeitgeber der
Klägerin hatte durch Bescheide vom 4. April 2001 und vom 19. April 2000 Kindergeld für die
beiden Söhne festgesetzt. A befand sich in Ausbildung, B ist behindert. Im Bescheid für A vom
4. April 2001 war die Festsetzung bis einschließlich September 2004 befristet, im Bescheid für
B vom 19. April 2000 bis Juni 2003. Die Kindergeldakte des Arbeitgebers der Klägerin wurde
nach deren Ausscheiden aus dem Staatsdienst vernichtet.
2 Mit Schreiben vom 21. Dezember 2010 machte die Klägerin Kindergeld für A und B für die
Zeit ab August 2003 geltend. Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) lehnte
eine Festsetzung durch Bescheid vom 10. Januar 2011 ab, der dagegen gerichtete Einspruch
hatte keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 4. Mai 2011).
3 Im anschließenden Klageverfahren trug die Klägerin vor, sie habe keine befristeten
Kindergeldanträge gestellt, so dass über ihre ursprünglichen Anträge, soweit sie die Zeit nach
der Befristung beträfen, noch nicht entschieden worden sei.
4 Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab, mit welcher die Familienkasse verpflichtet werden
sollte, Kindergeld für A von August 2003 bis September 2005 und für B von August 2003 "bis
laufend" zu zahlen (Urteil vom 3. Juli 2012 8 K 121/11, Entscheidungen der Finanzgerichte
2013, 793). Es war der Ansicht, durch die beiden Bescheide vom 19. April 2000 und vom
4. April 2001 sei über die ursprünglichen Kindergeldanträge vollständig entschieden worden.
Die Klägerin habe innerhalb der Festsetzungsfrist keine neuen Anträge gestellt. Ansprüche für
Zeiträume vor 2006 seien verjährt.
5 Zur Begründung der Revision trägt die Klägerin im Wesentlichen vor, das FG sei der Meinung,
die ursprünglichen Kindergeldanträge seien abschließend beschieden worden. Es habe die --
nicht mehr vorhandenen-- Kindergeldanträge dahin ausgelegt, dass sie sich von vornherein
nur auf die Zeiträume bezogen hätten, auf welche sie später befristet worden seien. Diese
Auslegung sei unzutreffend. Die Auslegung der Kindergeldanträge durch das FG verletze
anerkannte Auslegungsregeln und auch das rechtliche Gehör. Ein Kindergeldantrag ohne
ausdrückliche zeitliche Beschränkung sei dahin auszulegen, dass die maximale Festsetzung
von Kindergeld angestrebt werde. Die ursprünglichen Anträge seien daher unbefristet zu
verstehen gewesen und hinsichtlich der im finanzgerichtlichen Verfahren streitigen Zeiträume
nicht beschieden worden.
6 Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil, den Bescheid vom 10. Januar 2011 sowie
die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 4. Mai 2011 teilweise aufzuheben und die
Familienkasse zu verpflichten, Kindergeld für B für die Zeit von August 2003 bis Dezember
2004 und für A für die Zeit von Oktober 2004 bis Dezember 2004 in gesetzlicher Höhe
festzusetzen.
7 Die Familienkasse beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
8 Sie ist der Ansicht, die Kindergeldanträge seien abschließend beschieden worden. Mit Ablauf
der Befristung habe die Festsetzung geendet. Für eine spätere Festsetzung hätte es weiterer
Kindergeldanträge bedurft.
II.
9 Die Familienkasse ... der Bundesagentur für Arbeit ist aufgrund eines Organisationsaktes
(Beschluss des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit Nr. 21/2013 vom 18. April 2013
gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 des Finanzverwaltungsgesetzes, Amtliche Nachrichten der
Bundesagentur für Arbeit, Ausgabe Mai 2013, S. 6 ff.) im Wege des gesetzlichen
Parteiwechsels in die Beteiligtenstellung der Agentur für Arbeit ... --Familienkasse--
eingetreten (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 3. März 2011 V B 17/10,
BFH/NV 2011, 1105).
III.
Entscheidungsgründe
10 Die Revision ist unbegründet und wird daher zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Familienkasse hat durch die Bescheide vom 4. April
2001 und vom 19. April 2000, in denen die Festsetzung von Kindergeld bis einschließlich
September 2004 bzw. bis Juni 2003 befristet wurde, zur Gänze und nicht nur zum Teil über
die ursprünglichen Kindergeldanträge entschieden.
11 1. Beantragt ein Kindergeldberechtigter Kindergeld, ohne eine zeitliche Bestimmung des
Zeitraums zu treffen, für den der Antrag gestellt wird, so ist zwar grundsätzlich davon
auszugehen, dass er damit eine Prüfung der Anspruchsberechtigung in weitgehendem
Umfang begehrt. Allerdings kann nur für vergangene Zeiträume vollständig geprüft werden,
ob die für den Kindergeldanspruch maßgeblichen Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind.
Insoweit ist es gerechtfertigt, einen Kindergeldantrag, der sich auf die Vergangenheit bezieht,
in der Regel dahingehend auszulegen, dass der Kindergeldanspruch umfassend und ohne
zeitliche Beschränkung durch die Familienkassen geprüft werden soll (BFH-Urteile vom
28. Januar 2004 VIII R 12/03, BFH/NV 2004, 786; vom 9. Februar 2012 III R 45/10, BFHE
236, 413, BStBl II 2013, 1028, und vom 20. Juni 2012 V R 56/10, BFH/NV 2012, 1775).
12 2. Dagegen kann bei einer in die Zukunft reichenden Festsetzung von Kindergeld zunächst
nur unterstellt werden, dass die gegenwärtig erfüllten Voraussetzungen weiterhin vorliegen
werden. Eine abschließende Prüfung ist für künftige Zeiträume nicht möglich. Ein
Kindergeldberechtigter, der einen Kindergeldantrag ohne zeitliche Einschränkungen stellt,
kann nicht erwarten, dass die Familienkasse die Anspruchsberechtigung für alle künftig auch
nur theoretisch in Betracht kommenden Zeiträume unterstellt. Es liegt deshalb die Annahme
nahe, dass ein Kindergeldberechtigter mit einem zeitlich unbestimmten, in die Zukunft
reichenden Kindergeldantrag die zeitliche Konkretisierung der nachfolgenden
Kindergeldfestsetzung der Familienkasse überlässt. Erhält er auf einen solchen Antrag hin
einen Festsetzungsbescheid, der eine zeitliche Begrenzung bis zu einem in der Zukunft
liegenden Monat vorsieht, so hat die Familienkasse damit in der Regel in vollem Umfang zu
seinen Gunsten entschieden. Da der Anspruch auf Kindergeld monatlich mit der
Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes entsteht (s. Blümich/Treiber, § 66 EStG
Rz 20), liegt eine Befristung der Festsetzung noch nicht entstandener Ansprüche in künftigen
Zeiträumen im Ermessen der Familienkasse (§ 120 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 5 der
Abgabenordnung --AO--).
13 3. Aber auch dann, wenn ein Kindergeldberechtigter bewusst und erkennbar eine in die
Zukunft reichende Festsetzung ohne zeitliche Begrenzung beantragt haben sollte, würde
eine nachfolgende befristete Kindergeldfestsetzung nicht bedeuten, dass die Familienkasse
damit nur eine Teilentscheidung getroffen hätte und nach Ablauf der Befristung eine weitere
Entscheidung über den ursprünglichen Antrag treffen werde.
14 a) Vielmehr wird in einem derartigen Fall der auf eine unbefristete Festsetzung gerichtete
Kindergeldantrag durch eine Festsetzung, die als Nebenbestimmung eine Befristung enthält,
zum Teil abgelehnt. Eine endgültige Ablehnung der Festsetzung von Kindergeld für den
nachfolgenden Zeitraum ist darin aller-dings nicht zu sehen, da eine Kindergeldfestsetzung
nur bis zu dem Monat abgelehnt werden kann, in dem die letzte Verwaltungsentscheidung
bekannt gegeben worden ist (BFH-Urteil vom 25. Juli 2001 VI R 164/98, BFHE 196, 257,
BStBl II 2002, 89; Senatsurteil vom 4. August 2011 III R 71/10, BFHE 235, 203, BStBl II 2013,
380).
15 b) Ist ein Kindergeldberechtigter mit einer in der Zukunft liegenden Befristung nicht
einverstanden, weil er eine unbefristete Festsetzung begehrt, so muss er mit Einspruch
geltend machen, die Befristung sei ermessenswidrig. Unterlässt er dies, so erwächst die
befristete Festsetzung in Bestandskraft. Begehrt er Kindergeld für Zeiten nach der Befristung,
so muss er einen neuen Antrag stellen. Der ursprüngliche Kindergeldantrag entfaltet für den
über die Befristung hinausreichenden Zeitraum keine Wirkung mehr, er ist vielmehr
"verbraucht".
16 4. Wäre die Ansicht der Klägerin zur Fortwirkung der ursprünglichen Anträge zutreffend, so
könnte ein unbefristeter, in die Zukunft reichender Kindergeldantrag nicht nur bei einer
nachfolgenden Befristung fortwirkende Rechtswirkungen entfalten, sondern auch dann,
wenn die Familienkasse auf einen solchen Antrag hin das Kindergeld ab einem bestimmten
Monat zunächst ohne zeitliche Beschränkung festsetzt und die Festsetzung in der Folgezeit
ab einem späteren Monat wieder aufhebt. Auch in diesem Fall könnte ein
Kindergeldberechtigter geltend machen, die Familienkasse habe auf einen unbefristeten
Antrag hin nur bis zum Monat der Bekanntgabe des Aufhebungsbescheids bzw. der
Einspruchsentscheidung eine verbindliche Entscheidung getroffen, so dass über den
ursprünglichen Antrag nicht vollständig entschieden worden sei. Ein solches Verständnis
würde zu einem "unendlichen" Verwaltungsverfahren führen, weil die Familienkasse nach
Ablauf der Befristung oder nach einer Aufhebung der Festsetzung von sich aus neu die
Anspruchsvoraussetzungen prüfen müsste.
17 5. Soweit die Klägerin auf die Korrekturmöglichkeiten nach § 70 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) verweist, vermag der Senat darin kein Argument gegen
den Verbrauch des Antrags zu sehen. Vielmehr sollen § 70 Abs. 2 und Abs. 3 EStG das
Korrektursystem nach §§ 172 ff. AO, das nicht auf Dauerverwaltungsakte zugeschnitten ist,
ergänzen. Das bedeutet aber nicht, dass die Familienkassen nur mit diesen Instrumentarien
auf mögliche künftige Änderungen der Verhältnisse reagieren könnten. Gerade die
Begrenzung des in die Zukunft reichenden Bewilligungszeitraums ermöglicht das
Funktionieren der Verwaltung und nimmt den Kindergeldberechtigten in die Pflicht, bei
einem Fortbestehen der Anspruchsvoraussetzungen durch die Stellung eines erneuten
Kindergeldantrags die Fortzahlung des Kindergelds zu erreichen.
18 6. Das Ergebnis steht im Einklang mit der Rechtsprechung zum zeitlichen Regelungsumfang
eines Kindergeld-Ablehnungsbescheids (BFH-Urteil in BFHE 196, 257, BStBl II 2002, 89;
Senatsurteil in BFHE 235, 203, BStBl II 2013, 380). Diese Rechtsprechung geht davon aus,
dass ein Bescheid, durch den die Festsetzung von Kindergeld auf einen unbestimmten, in
die Zukunft gerichteten Antrag hin abgelehnt wird, den Antrag in vollem Umfang ausschöpft
und nicht lediglich eine Teilentscheidung trifft, die bis zu dem Monat reicht, in dem der
ablehnende Verwaltungsakt bekannt gegeben worden ist. Nur ausnahmsweise kann ein
noch nicht beschiedener, außerhalb des Klageverfahrens liegender Kindergeldantrag
anzunehmen sein, wenn ein Kindergeldberechtigter in einem finanzgerichtlichen Verfahren
gegen einen noch nicht bestandskräftigen Ablehnungsbescheid zum Ausdruck bringt, dass
er auch für Zeiträume, die nach der Einspruchsentscheidung liegen, Kindergeld begehrt
(Senatsurteil vom 22. Dezember 2011 III R 41/07, BFHE 236, 144, BStBl II 2012, 681, sowie
BFH-Urteil vom 5. Juli 2012 V R 58/10, BFH/NV 2012, 1953). Ein solcher Fall liegt hier
jedoch nicht vor.
19 7. Im Streitfall enthielten die ursprünglichen Kindergeldanträge nach der übereinstimmenden
Ansicht der Verfahrensbeteiligten keine zeitliche Einschränkung. Dies ist auch naheliegend,
da in den von den Familienkassen verwendeten Vordrucken üblicherweise keine
Eintragungen für eine zeitliche Begrenzung vorgesehen sind. Die auf die ursprünglichen
Anträge hin ergangenen Festsetzungen waren nach den dargelegten Grundsätzen keine
Teilentscheidungen. Der Umstand, dass die Kindergeldakten des früheren Arbeitgebers der
Klägerin --möglicherweise unter Verstoß gegen Aufbewahrungspflichten-- vernichtet wurden,
ist für den Ausgang des Verfahrens nicht von Bedeutung.
20 8. Die Verfahrensrüge, wonach das FG das rechtliche Gehör der Klägerin verletzt habe
(§ 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO), greift nicht durch. Insoweit rügt die
Klägerin letztlich die unzutreffende Rechtsanwendung durch das FG.