Urteil des BFH vom 20.03.2014

Von einem Hotelier ausgeführte Verpflegungsleistungen sind Nebenleistungen zur Übernachtungsleistung - Anwendbarkeit der Margenbesteuerung bei der Erbringung von Reiseleistungen

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 20.3.2014, V R 25/11
Von einem Hotelier ausgeführte Verpflegungsleistungen sind Nebenleistungen zur
Übernachtungsleistung - Anwendbarkeit der Margenbesteuerung bei der Erbringung von
Reiseleistungen
Leitsätze
1. Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG über die Margenbesteuerung bei der Erbringung von
Reiseleistungen ist nach der Rechtsprechung des EuGH unabhängig von der
Unternehmereigenschaft des Leistungsempfängers anzuwenden.
2. Demgegenüber setzt § 25 Abs. 1 Satz 1 UStG voraus, dass die vom Unternehmer erbrachten
Reiseleistungen nicht für das Unternehmen des Leistungsempfängers erbracht werden. Für
Reiseleistungen an andere Unternehmer (sog. Kettengeschäft) ist § 25 UStG daher nicht
anwendbar. Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG kommt in diesem Fall nur zur Anwendung, wenn
sich der Steuerpflichtige auf diese Regelung beruft.
3. Dienstleistungen eines Hotelunternehmers, wie z.B. Verpflegungsleistungen, die gewöhnlich mit
Reisen verbunden sind, nur einen im Vergleich zu den Umsätzen, die die Unterbringung betreffen,
geringen Teil des pauschalen Entgelts ausmachen und zudem zu den traditionellen Aufgaben
eines Hoteliers gehören, stellen für die Kundschaft lediglich das Mittel dar, um die
Hauptdienstleistung des Hoteliers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen.
4. Sie sind deshalb Nebenleistungen zu den von § 4 Nr. 12 UStG umfassten und deshalb gemäß §
3a Abs. 2 Nr. 1 UStG am Belegenheitsort des Hotels ausgeführten Übernachtungsleistungen.
Tatbestand
1 I. Streitig ist, ob im Zusammenhang mit im Ausland gelegenen Hotels erbrachte
Verpflegungsleistungen im Inland ausgeführt werden.
2 Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, stellte im Streitjahr
Leistungspakete zusammen, die sie an Busreiseunternehmer verkaufte, die Pauschalreisen
anbieten. Die Leistungspakete umfassten Übernachtungsleistungen mit Verpflegung (Halb-
oder Vollpension) sowie ergänzende Leistungen.
3 Nach den Berechnungen der Klägerin entfielen von den im Zusammenhang mit
ausländischen Hotels erbrachten Leistungen 2/3 auf den Hotelbereich und 1/3 auf die
ergänzenden Leistungen. Innerhalb des Bereichs Hotel ordnete die Klägerin 87,5 % der
Aufwendungen dem Bereich Übernachtungen und 12,5 % der Aufwendungen dem Bereich
Verpflegung im Rahmen von Voll- oder Halbpension zu.
4 In der am 26. November 2007 beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--)
eingegangenen Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2006 behandelte die Klägerin die im
Rahmen der Leistungspakete im Zusammenhang mit im Ausland gelegenen Hotels
erbrachten Verpflegungsleistungen zunächst als steuerbar und steuerpflichtig. Dieser
Erklärung stimmte das FA zu.
5 Mit Schreiben vom 6. April 2009 beantragte die Klägerin unter Hinweis auf das Urteil des
Bundesfinanzhofs (BFH) vom 15. Januar 2009 V R 9/06 (BFHE 224, 166, BStBl II 2010, 433)
die steuerpflichtigen Umsätze um 52.159,66 EUR zu mindern, da in dieser Höhe
Nebenleistungen zu Übernachtungsleistungen vorlägen, die gemäß § 3a Abs. 2 Nr. 1 der im
Streitjahr gültigen Fassung des Umsatzsteuergesetzes 2005 (UStG) in der Bundesrepublik
Deutschland nicht steuerbar seien.
6 Mit Bescheid vom 26. Oktober 2009 lehnte das FA den Antrag der Klägerin ab. Die streitigen
Verpflegungsleistungen seien selbständige Leistungen, deren Leistungsort sich nach § 3a
Abs. 1 UStG richte. Das Urteil des BFH in BFHE 224, 166, BStBl II 2010, 433 könne im
Streitfall nicht angewendet werden.
7 Die mit Zustimmung des FA zum Finanzgericht (FG) gemäß § 45 der Finanzgerichtsordnung
(FGO) erhobene Sprungklage hatte Erfolg. Das FG führte zur Begründung im Wesentlichen
aus, dass die im Rahmen der Leistungspakete im Zusammenhang mit im Ausland
gelegenen Hotels erbrachten Verpflegungsleistungen gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 i.V.m.
§ 3a Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG nicht steuerbar seien. Entsprechend der Rechtsprechung des
BFH in BFHE 224, 166, BStBl II 2010, 433 und des Gerichtshofs der Europäischen Union
(EuGH) vom 22. Oktober 1998 C-94/97 (Slg. 1998, 6229) handele es sich bei der
Verpflegung von Hotelgästen um eine Nebenleistung zur Übernachtung, die als Teil der
Gesamtleistung nach § 3a Abs. 2 Nr. 1 UStG am Ort des Hotels steuerbar sei. Soweit das
Bundesministerium der Finanzen (BMF) in seinem Schreiben vom 4. Mai 2010 (BStBl I 2010,
490) eine andere Auffassung vertrete, binde dies das FG nicht.
8 Das FA habe keine Umstände ermittelt, die es --abweichend von den im Urteil des BFH in
BFHE 224, 166, BStBl II 2010, 433 aufgestellten Grundsätzen-- rechtfertigen würden, die
streitigen Verpflegungsleistungen als selbständige Leistungen zu bewerten. Es habe auch
nicht eingewandt, dass es den Busreiseunternehmern, die die Leistungspakete erworben
haben, nicht darauf angekommen sei, Pauschalpakete aus Übernachtungs- und
Verpflegungsleistungen zu erwerben, um diese als einheitliche Leistung gegenüber den
Reisenden anbieten zu können.
9 Ein Steueranspruch ergebe sich auch nicht aus § 25 UStG. Für Reiseleistungen eines
Unternehmers an andere Unternehmer sei § 25 UStG nicht anwendbar. Ob Art. 26 der
Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG) eine
Margenbesteuerung auch bei solchen Geschäften gebiete, könne dahinstehen, da eine
richtlinienkonforme Auslegung ihre Grenzen in dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes finde
und eine unmittelbare Anwendung zu Lasten der Klägerin nicht in Betracht komme.
10 Mit seiner Revision macht das FA Verletzung materiellen Rechts geltend. Das FG habe § 3a
UStG unzutreffend angewandt, indem es den Ort der Verpflegungsleistungen nach § 3a
Abs. 2 Nr. 1 UStG und nicht nach § 3a Abs. 1 Satz 1 UStG bestimmt habe. Es handele sich
bei den zu beurteilenden Verpflegungsleistungen nicht um Nebenleistungen zur
Hotelübernachtung. In der Regel sei davon auszugehen, dass die Verpflegungsleistung --
beginnend beim Frühstück, über Halb- und Vollpension bis hin zur "all-inclusive"-
Verpflegung-- für den Leistungsempfänger einen eigenen Zweck habe.
Übernachtungsleistungen würden häufig ohne Verpflegungsleistungen angeboten. Art und
Umfang der Verpflegungsleistungen seien in der Regel vom Hotelgast frei wähl- und
buchbar. Sie dienten nicht nur dazu, die Übernachtungsleistung unter optimalen
Bedingungen in Anspruch zu nehmen. Keineswegs könne es aus Sicht des
Durchschnittsverbrauchers unterstellt werden, dass gerade mit der Buchung einer
Pauschalreise neben der Übernachtung auch sämtliche Verpflegungsleistungen zum
Leistungsumfang gehörten. Der durchschnittliche Endverbraucher suche das Hotel zu
Übernachtungszwecken aus, plane aber ansonsten seinen Tagesablauf individuell, versorge
sich selbst oder gehe bewusst außerhalb des Hotels essen. Insbesondere bei
Busrundreisen werde allenfalls das Frühstück im Hotel eingenommen. Die weitere
Verpflegung sei sodann üblicherweise individuell durch den Verbraucher zu planen.
11 Das FA beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
12 Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
13 Sie beruft sich auf das Urteil des BFH in BFHE 224, 166, BStBl II 2010, 433, in dem ein
identischer Fall entschieden worden sei.
14 Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
15 II. Die durch Beschluss des Senats vom 19. Juli 2012 entsprechend § 74 FGO erfolgte
Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des EuGH in den Rechtssachen C-189/11,
C-193/11, C-236/11, C-269/11, C-293/11, C-296/11 und C-309/11 ist durch die Urteile des
EuGH vom 26. September 2013 (Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2013, 835) beendet. Zur
Fortführung des Verfahrens bedarf es keines gesonderten Beschlusses (BFH-Beschluss
vom 23. Oktober 2003 II B 131/00, BFH/NV 2004, 237; BFH-Urteil vom 27. September 1990
I R 143/87, BFHE 162, 208, BStBl II 1991, 101; zum Ruhen des Verfahrens: BFH-Beschluss
vom 8. Januar 2013 V B 23/12, BFH/NV 2013, 748).
III.
16 Die Revision ist unbegründet und gemäß § 126 Abs. 2 FGO zurückzuweisen. Das FG geht
zutreffend davon aus, dass es sich bei den von der Klägerin erbrachten
Verpflegungsleistungen um Nebenleistungen zur Unterbringung handelt, die nach § 3a
Abs. 2 Nr. 1 UStG im übrigen Gemeinschaftsgebiet am Belegenheitsort des jeweiligen
Hotels steuerbar sind. Ein Steueranspruch ergibt sich auch weder aus § 25 UStG noch aus
Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG.
17 1. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG unterliegen der Umsatzsteuer Lieferungen und
sonstige Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines
Unternehmens ausführt. Dabei wird gemäß § 3a Abs. 1 Satz 1 UStG eine sonstige Leistung
vorbehaltlich der §§ 3b und 3f UStG an dem Ort ausgeführt, von dem aus der Unternehmer
sein Unternehmen betreibt. Abweichend hiervon wird gemäß § 3a Abs. 2 Nr. 1 UStG eine
sonstige Leistung im Zusammenhang mit einem Grundstück dort ausgeführt, wo das
Grundstück liegt. Als sonstige Leistungen im Zusammenhang mit einem Grundstück sind
insbesondere sonstige Leistungen der in § 4 Nr. 12 UStG bezeichneten Art anzusehen (§ 3a
Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a UStG). Hierzu gehört gemäß § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG auch die
Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen
Beherbergung von Fremden bereithält.
18 a) Die von der Klägerin erbrachten Verpflegungsleistungen sind Nebenleistungen zu den am
Belegenheitsort des jeweiligen Hotels ausgeführten Übernachtungsleistungen.
Dienstleistungen, die gewöhnlich mit Reisen verbunden sind, nur einen im Vergleich zu den
Umsätzen, die die Unterbringung betreffen, geringen Teil des Pauschalbetrags ausmachen
und zudem zu den traditionellen Aufgaben eines Hoteliers gehören, stellen für die
Kundschaft lediglich das Mittel dar, um die Hauptdienstleistung des Hoteliers unter
optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen und sind deshalb reine Nebenleistungen
(EuGH-Urteil vom 22. Oktober 1998 C-308/96 und C-94/97, Madgett und Baldwin, Slg. 1998,
I-6229, Rdnr. 24). Der Senat hat im Anschluss daran mit Urteil in BFHE 224, 166, BStBl II
2010, 433 in einem Fall, in dem --wie hier-- Leistungspakete bestehend aus
Übernachtungsleistungen mit Halb- oder Vollpension sowie ergänzende Leistungen an
Busreiseunternehmer verkauft wurden, bereits entschieden, dass es sich bei den
Verpflegungsleistungen um Nebenleistungen zur Hotelunterbringung handelt. Die
Verpflegung von Hotelgästen gehört zu den traditionellen Aufgaben eines Hoteliers und bei
einem auf die Verpflegung entfallenden Anteil von nur 12,5 % macht die Verpflegung im
Vergleich zur Unterbringung einen nur geringen Teil des Pauschalbetrags aus. An dieser
Rechtsprechung, der sich der XI. Senat des BFH angeschlossen hat (Urteil vom 3. Juni 2009
XI R 34/08, BFHE 226, 369, BStBl II 2010, 857), hält der Senat trotz des zum Urteil in BFHE
224, 166, BStBl II 2010, 433 ergangenen Nichtanwendungserlasses des BMF in BStBl I
2010, 490 fest.
19 b) Gegen die Annahme einer Nebenleistung spricht --entgegen der Auffassung des FA--
nicht, dass Übernachtungsleistungen auch ohne Verpflegung in Anspruch genommen
werden können. Für die Annahme einer Nebenleistung ist es nicht erforderlich, dass beide
Leistungen derart miteinander verbunden sind, dass die eine Leistung nicht ohne die andere
erbracht werden könnte. Maßgeblich ist vielmehr, ob die zu beurteilende Leistung aus der
Sicht des Durchschnittsverbrauchers im Vergleich zur Hauptleistung nebensächlich ist, mit
ihr eng --im Sinne einer wirtschaftlich gerechtfertigten Abrundung und Ergänzung--
zusammenhängt und üblicherweise in ihrem Gefolge vorkommt (vgl. BFH-Urteil vom
15. Januar 2009 V R 91/07, BFHE 224, 172, BStBl II 2009, 615).
20 2. Das FG ist im Ergebnis auch zu Recht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für
die Besteuerung der Reiseleistungen nach § 25 UStG nicht erfüllt sind.
21 a) § 25 Abs. 1 Satz 1 UStG setzt nach seinem eindeutigen Wortlaut voraus, dass die vom
Unternehmer erbrachten Reiseleistungen nicht für das Unternehmen des
Leistungsempfängers erbracht werden. Für Reiseleistungen an andere Unternehmer (sog.
Kettengeschäft) ist § 25 UStG daher nicht anwendbar (BFH-Urteil in BFHE 224, 166, BStBl II
2010, 433). Da die Klägerin nach den bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO)
die streitigen Reiseleistungen an andere Unternehmer erbracht hat, liegen die
Voraussetzungen des § 25 Abs. 1 UStG nicht vor.
22 b) Auch Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG (ab 1. Januar 2007 Art. 306 bis 310 der Richtlinie
2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem) gebietet im
vorliegenden Fall keine andere Beurteilung.
23 Zwar hat inzwischen der EuGH mit Urteil vom 26. September 2013 C-189/11,
Kommission/Spanien (UR 2013, 835) entschieden, dass Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG
über die Margenbesteuerung bei der Erbringung von Reiseleistungen unabhängig von der
Unternehmereigenschaft des Leistungsempfängers anzuwenden ist. Die Klägerin hat sich
jedoch auf diese Vorschrift nicht berufen, sodass es ohne die Anwendung des § 25 UStG bei
der Einzelbetrachtung der Leistungen verbleibt (vgl. BFH-Urteil vom 21. November 2013
V R 33/10, BFH/NV 2014, 800).