Urteil des BFH vom 14.05.2014

Berücksichtigung von Sanierungsaufwendungen beim Erlass eines Folgebescheides vor dem Erlass eines Grundlagenbescheides der Denkmalschutzbehörde

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 14.5.2014, X R 7/12
Berücksichtigung von Sanierungsaufwendungen beim Erlass eines Folgebescheides vor dem
Erlass eines Grundlagenbescheides der Denkmalschutzbehörde
Leitsätze
1. Die Finanzbehörde muss eine Ermessensentscheidung treffen, ob sie auch ohne den
Grundlagenbescheid der Denkmalschutzbehörde gemäß § 7i Abs. 2 EStG einen
Einkommensteuerbescheid gemäß § 155 Abs. 2 AO erlässt sowie ob und in welcher Höhe der
gemäß § 10f Abs. 1 EStG geltend gemachte Abzugsbetrag gemäß § 162 Abs. 5 AO zu
berücksichtigen ist.
2. Weicht sie von der Steuererklärung des Steuerpflichtigen ab, muss sie überprüfbar darlegen, aus
welchen Gründen sie die geltend gemachten Sanierungsaufwendungen nicht (vorläufig) ansetzt.
Tatbestand
1 I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) werden zusammen zur Einkommensteuer
veranlagt. Sie erwarben mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom 18. Juli 2007 zwei
unsanierte Eigentumswohnungen in L, die im Rahmen der Sanierung durch eine
innenliegende Treppe zusammengelegt wurden. Der Kaufpreis von 545.000 EUR wurde so
aufgeteilt, dass auf das Grundstück 84.749 EUR, auf die Altbausubstanz 67.799 EUR und
auf die Sanierungskosten 392.452 EUR entfielen. Die Kläger bezogen im Dezember 2008
die sanierte Wohnung. Aus der dem Vertrag beigefügten Anlage 3 ergibt sich, dass im
Dachbereich ein Atrium statt einer Dachterrasse erstellt werden sollte. Mit
Eingangsbestätigung vom 27. März 2009 teilte das Amt für Bauordnung und Denkmalpflege
der Stadt L (Denkmalbehörde) mit, ein Antrag der Kläger auf Ausstellung einer
Bescheinigung gemäß §§ 7i, 10f und 11b des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr
2008 geltenden Fassung (EStG) sei am 25. März 2009 eingegangen. Die Antragssumme für
die zu bescheinigenden Aufwendungen für Baumaßnahmen an einem denkmalgeschützten
Gebäude belaufe sich auf 392.452 EUR. Außerdem enthält die Eingangsbestätigung den
Hinweis, eine Bestätigung der unteren Denkmalbehörde liege vor, nach der das erforderliche
Abstimmungsverfahren eingehalten worden sei.
2 Die Kläger machten im Streitjahr 2008 Aufwendungen in Höhe von 35.321 EUR als
Sonderausgaben für selbstgenutztes Wohneigentum gemäß § 10f Abs. 1 EStG geltend. Sie
sind der Auffassung, diese Aufwendungen seien auch ohne Vorlage der erforderlichen
Bescheinigung im Wege der Schätzung zum Sonderausgabenabzug zuzulassen. Aufgrund
des Kaufvertrages könne der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) ohne
Weiteres die Höhe der von den Klägern aufgewendeten Sanierungskosten ermitteln. Die
Einsichtnahme in die Denkmalliste zeige, dass die Wohnung in einem denkmalgeschützten
Gebäude liege. Es bestehe für das FA auch die Möglichkeit, in die Unterlagen der
Denkmalbehörde Einsicht zu nehmen. Anhaltspunkte dafür, dass der Erwerb zu einem
Zeitpunkt erfolgt sei, in dem die Sanierung schon teilweise oder gar vollständig
abgeschlossen gewesen sei, lägen nicht vor. Es sei ihnen, den Klägern, nicht zuzumuten,
wegen einer mehrere Jahre dauernden Bearbeitung ihres Antrags durch die
Denkmalbehörde auf den Sonderausgabenabzug in dieser Zeit zu verzichten.
3 Das FA lehnte den geltend gemachten Sonderausgabenabzug sowohl bei der
Einkommensteuerveranlagung als auch im Einspruchsverfahren ab. Die gemäß § 10f Abs. 1
i.V.m. § 7i EStG gesetzlich vorgeschriebene Bescheinigung der zuständigen
Denkmalbehörde sei unter Berücksichtigung des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom
22. September 2005 IX R 13/04 (BFHE 215, 158, BStBl II 2007, 373) eine materiell-
rechtliche Voraussetzung für die Gewährung der Steuervergünstigung. Soweit der BFH
meine, die Finanzbehörde müsse gemäß § 155 Abs. 2 i.V.m. § 162 Abs. 5 der
Abgabenordnung (AO) von ihrem Ermessen Gebrauch machen und prüfen, ob und
gegebenenfalls in welcher Höhe ein Abzugsbetrag vorläufig zu berücksichtigen sei, habe die
Ermessensausübung im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis geführt, dass eine vorläufige
Berücksichtigung der Sanierungsaufwendungen nicht in Betracht komme. Ihm, dem FA, sei
zwar bekannt gewesen, dass ein Antrag auf Erteilung der Bescheinigung gestellt worden sei
und sich aus dem Kaufvertrag Sanierungskosten in Höhe von 392.452 EUR ergäben. Es
könne aber nicht erkennen, welche konkreten Baumaßnahmen hiervon betroffen seien und
wie sich die Kosten hierauf im Einzelnen verteilten. Auch könne aufgrund der fehlenden
Sachkunde nicht ausgeschlossen werden, dass es sich bei den beantragten Aufwendungen
um nicht begünstigte Sanierungskosten handele.
4 Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG)
2012, 1001 veröffentlichten Urteil überwiegend statt.
5 Seine Revision begründet das FA mit der Verletzung des § 7i EStG i.V.m. § 155 Abs. 2 und
§ 162 Abs. 5 AO. Das FG habe nicht erkannt, dass das FA im Streitfall keine
Schätzungsbefugnis gehabt habe. Ressortfremde Grundlagenbescheide fielen nicht in den
Anwendungsbereich der §§ 155 Abs. 2 und 162 Abs. 5 AO. Sinn und Zweck dieser
Regelungen sei die Erleichterung und Beschleunigung des Steuerfestsetzungsverfahrens
gewesen. Um dies zu erreichen, sei davon auszugehen, dass die Begriffe "Festsetzungs-
und Feststellungsverfahren" nur die Verfahren der Finanzbehörde meinten, aus denen sich
numerische Besteuerungsgrundlagen ergäben, die von dem Veranlagungsbeamten nur
noch übernommen werden müssten.
6 Die mit der Bescheinigung der Denkmaleigenschaft eines Gebäudes verbundene Prüfung
obliege originär den Denkmalschutzbehörden. Ob ein Gebäude oder einzelne Gebäudeteile
diese Merkmale aufwiesen und welche der getätigten Aufwendungen begünstigt seien,
könne von einem Steuerbeamten nicht fehlerfrei beantwortet werden. In jedem Fall sei es
sehr zeitaufwändig, sich mit den Aufgaben anderer Fachbehörden zu befassen und zu einer
eigenen Entscheidung zu gelangen. Die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen, über die
abschließend in Grundlagenbescheiden ressortfremder Behörden entschieden werde, stehe
daher im Widerspruch zu dem in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck gekommenen
Zweck der neu eingefügten Vorschriften.
7 Die verfahrensrechtliche Situation bei der Gewerbesteuer sei insoweit vergleichbar. Solange
die Verwaltungsbefugnis hinsichtlich des Messbetragsverfahrens ihnen nicht übertragen
worden sei, dürften die Gemeinden die Bemessungsgrundlagen auch nicht schätzen.
8 Das FA beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
9 Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
10 Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten und unterstützt
das Vorbringen des FA. Das FG habe dem Umstand, dass die nach § 7i Abs. 2 EStG für die
Gewährung erhöhter Abschreibungen erforderliche Bescheinigung materiell-rechtliche
Tatbestandsvoraussetzung sei, bei seiner Entscheidung nicht hinreichend Rechnung
getragen. Den Finanzbehörden sei es mangels eigener Sachkunde nicht möglich zu
überprüfen, ob die Maßnahmen gemäß der §§ 7h und 7i EStG durchgeführt worden seien.
11 Gemäß § 38 AO entständen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, wenn der
Tatbestand verwirklicht sei, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpfe. Liege die
tatbestandlich erforderliche Bescheinigung (noch) nicht vor, sei folglich auch (noch) kein
Anspruch auf die Steuervergünstigung entstanden. Diese fehlende
Tatbestandsvoraussetzung könne nicht geschätzt werden.
12 Das FG berufe sich zwar auf den Senatsbeschluss vom 20. Juli 2010 X B 70/10 (BFH/NV
2010, 2007), nach dem auch qualitative Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 Abs. 5 AO
dem Grunde nach geschätzt werden könnten. Geschätzt werden könnten aber nur messbare
Sachverhalte und Vorgänge; Besteuerungsvorgänge also nur insoweit, als sie Quantitäten
zum Gegenstand hätten. Ob nach den jeweiligen landesrechtlichen Vorschriften ein
Baudenkmal vorliege, lasse sich durch die Finanzbehörden nicht schätzen; allenfalls sei die
Höhe der Aufwendungen schätzbar.
13 Auch die systematischen Erwägungen des FG überzeugten nicht, um die
Schätzungsbefugnis nach § 162 Abs. 5 AO auch auf materiell-rechtliche
Tatbestandsvoraussetzungen auszudehnen. Es sei anerkannt, dass nach § 162 Abs. 1 und 2
AO nur quantitative Größen, nicht aber qualitative Merkmale geschätzt werden könnten.
Wenn als Begründung für eine Ausdehnung der Schätzungsbefugnis auf die
Besteuerungsgrundlagen geltend gemacht werde, die Schätzung nach § 162 Abs. 1 und 2
AO sei "endgültig", während die Schätzung gemäß § 162 Abs. 5 AO lediglich "vorläufig"
erfolge (so Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 162 AO Rz 87),
könne dieser Ansatz insbesondere in diesem Falle nicht überzeugen. Sollte nämlich die
zuständige Denkmalbehörde überhaupt nicht entscheiden oder den Antrag ablehnen, sei
fraglich, ob und wann die Finanzbehörde davon erfahre. Hätte in einem solchen Fall die
Finanzbehörde die Sanierungskosten bereits geschätzt und bliebe das FA in Unkenntnis der
Ablehnung des Antrags, bestünde die Gefahr, dass die steuerbegünstigende Schätzung der
Tatbestandsvoraussetzungen zu Unrecht fortbestehe.
14 Folge man der Vorinstanz und dem Senatsbeschluss in BFH/NV 2010, 2007, bleibe es der
Finanzverwaltung verwehrt, in eigener Zuständigkeit eine Schätzung von
Tatbestandsmerkmalen vorzunehmen, während sie im fachfremden Bereich qualitative
Besteuerungsgrundlagen schätzen müsse, obgleich der Gesetzgeber bewusst die Expertise
anderer besonders sachkundiger Behörden vorsehe. Es sei damit sachwidrig, in dieser
Situation der Finanzverwaltung eine besondere Schätzungskompetenz zuzubilligen. Dies
zeigten auch andere Beispiele aus dem Einkommensteuerrecht. So sei unumstritten, dass
die Pauschbeträge für behinderte Menschen nach § 33b EStG nur dann gewährt werden
dürften, wenn die nach § 33b Abs. 7 EStG i.V.m. § 65 der Einkommensteuer-
Durchführungsverordnung vorgeschriebenen Nachweise erbracht würden.
15 Der Bescheinigung der zuständigen Denkmalbehörde, auf deren Gültigkeit weitgehend
gebaut werden könne, werde im Funktionsgebilde des § 7i EStG eine überragende
Bedeutung beigemessen (vgl. z.B. Senatsurteil vom 24. Juni 2009 X R 8/08, BFHE 225, 431,
BStBl II 2009, 960). Auch vor diesem Hintergrund könne die Bescheinigung nicht mit der
Folge ersetzt werden, dass die Finanzbehörde verpflichtet werde, sich im Wege der
Schätzung denkmalschutzrechtlichen Fragen zu widmen.
16 Den Klägern obliege es, den tatbestandlich in § 7i Abs. 2 EStG festgeschriebenen Nachweis
zu erbringen. Auch eine Verteilung der Beweislast nach Sphären führe zu diesem Ergebnis,
denn es liege in den Händen des Steuerpflichtigen, die erforderliche Bescheinigung zu
erwirken. Hierdurch komme es auch nicht zu unsachgemäßen Ergebnissen. Denn sobald
die erforderliche Bescheinigung vorliege, könne über § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO auch ein
bereits bestandskräftiger Steuerbescheid geändert werden. Den Klägern drohe also kein
endgültiger Verlust ihres Anspruchs auf erhöhte Absetzungen.
Entscheidungsgründe
17 II. Die Revision des FA ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Klage
abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
18 Das Verfahren ist nicht auszusetzen (dazu unter 1.). Die Voraussetzungen zum Abzug der
von den Klägern geltend gemachten Sanierungsaufwendungen gemäß § 10f Abs. 1 i.V.m.
§ 7i Abs. 1 EStG lagen im Zeitpunkt des finanzgerichtlichen Urteils (noch) nicht vor (unter 2.),
so dass das FA vor Ablehnung der Berücksichtigung der Sanierungsaufwendungen im
Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens zu prüfen hatte, ob und in welcher Höhe der
Abzugsbetrag gemäß § 155 Abs. 2 i.V.m. § 162 Abs. 5 AO bereits vor dem Erlass der
Bescheinigung der Denkmalbehörde anzusetzen war (unter 3.). Die Entscheidung des FA,
im Streitfall die Sanierungsaufwendungen nicht bereits gemäß §§ 155 Abs. 2, 162 Abs. 5 AO
zu berücksichtigen, ist ermessensgerecht (unter 4.).
19 1. Das Verfahren war nicht gemäß § 74 FGO auszusetzen. Nach ständiger Rechtsprechung
des BFH ist es regelmäßig geboten und zweckmäßig, dass das Gericht den Streit um die
Rechtmäßigkeit eines Folgebescheides aussetzt, solange noch unklar ist, ob und wie der
angegriffene Grundlagenbescheid geändert wird. Das gilt auch, wenn die Finanzbehörde
zunächst einen Folgebescheid erlassen hat und der Grundlagenbescheid noch nachgeholt
werden soll (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 7. November 1996 IV R 72/95, BFH/NV 1997, 574). Nur
in seltenen Ausnahmefällen kann deshalb trotz ausstehender Entscheidung über einen
Grundlagenbescheid eine Fortführung des Verfahrens ermessensgerecht sein (vgl. BFH-
Beschluss vom 3. August 2000 III B 179/96, BFHE 192, 255, BStBl II 2001, 33).
20 Eine solche Ausnahmekonstellation ist nach Ansicht des erkennenden Senats im Streitfall
gegeben. Das Kernproblem liegt in den --kontrovers diskutierten-- Fragen, ob die
Finanzbehörde ohne weitere Prüfung den Ansatz von Sanierungsaufwendungen im
Einkommensteuerbescheid verweigern kann, wenn der Steuerpflichtige
Sanierungsaufwendungen gemäß §§ 10f, 7i EStG geltend macht, ohne die erforderliche
Bescheinigung der Denkmalbehörde zu erbringen, oder ob sie nicht vielmehr verpflichtet ist,
eine Ermessensentscheidung zu treffen und --falls dies zu bejahen sein sollte-- ob sie ihr
Ermessen im Einzelfall auch pflichtgemäß ausgeübt hat.
21 Die Notwendigkeit und die Ordnungsmäßigkeit der Ermessensausübung können nur in
einem Verfahren gegen den gemäß §§ 155 Abs. 2, 162 Abs. 5 AO erlassenen
Folgebescheid gerichtlich überprüft werden; in einem Verfahren gegen den
Grundlagenbescheid stellen sich diese Fragen überhaupt nicht. Müsste das Gericht das
Verfahren gegen den Folgebescheid aussetzen, bestünde die Gefahr, dass die genannten
Streitfragen niemals einer gerichtlichen Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren
zugeführt würden (zur Möglichkeit des vorläufigen Rechtsschutzes s. BFH-Beschluss vom
1. Februar 2000 IV B 138/98, BFH/NV 2000, 713; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung,
7. Aufl., § 69 Rz 55, Stichwort Folgebescheid; s. auch Senatsbeschluss in BFH/NV 2010,
2007).
22 2. Nach § 7i Abs. 1 EStG in der im Streitjahr 2008 geltenden Fassung kann der
Steuerpflichtige bei einem im Inland gelegenen Gebäude, das nach den jeweiligen
landesrechtlichen Vorschriften ein Baudenkmal ist, abweichend von § 7 Abs. 4 und 5 EStG
im Kalenderjahr der Herstellung und in den folgenden sieben Jahren jeweils bis zu 9 % und
in den folgenden vier Jahren bis zu 7 % der Herstellungskosten für Baumaßnahmen, die
nach Art und Umfang zur Erhaltung des Gebäudes als Baudenkmal oder zu seiner
sinnvollen Nutzung erforderlich sind, absetzen. Die erhöhten Absetzungen können jedoch
nur in Anspruch genommen werden, wenn der Steuerpflichtige die Voraussetzungen des
Absatzes 1 für das Gebäude und die Erforderlichkeit der Aufwendungen durch eine
Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde nachweist (§ 7i Abs. 2 Satz 1 EStG). Bei der
Bescheinigung nach § 7i Abs. 2 EStG handelt es sich um einen Grundlagenbescheid,
dessen verbindliche Feststellungen sich auf die Tatbestände des zum Landesrecht
gehörenden Denkmalrechts beschränken, nämlich die Denkmaleigenschaft des Gebäudes,
sowie darauf, ob die Aufwendungen nach Art und Umfang zur Erhaltung des Gebäudes als
Baudenkmal oder zu seiner sinnvollen Nutzung erforderlich sind (ständige BFH-
Rechtsprechung, s. z.B. Urteil in BFHE 225, 431, BStBl II 2009, 960, unter II.3.a, m.w.N.).
23 Im Streitfall konnten die Kläger lediglich eine Eingangsbestätigung der Denkmalbehörde
vorlegen, in der bestätigt wurde, dass ein Antrag der Kläger auf Ausstellung einer
Bescheinigung gemäß §§ 7i, 10f und 11b EStG eingegangen sei, die Antragssumme für die
zu bescheinigenden Aufwendungen für Baumaßnahmen an einem denkmalgeschützten
Gebäude sich auf 392.452 EUR belaufe und eine Bestätigung der unteren Denkmalbehörde
vorliege, nach der das erforderliche Abstimmungsverfahren eingehalten worden sei. Dies ist
keine Bescheinigung i.S. von § 7i Abs. 2 Satz 1 EStG, da es an einer Entscheidung mit
verbindlichem Charakter zur Höhe der berücksichtigungsfähigen Aufwendungen fehlt.
24 3. Das FA hatte folglich eine Ermessensentscheidung zu treffen, ob auch ohne die
notwendige Bescheinigung nach § 7i Abs. 2 EStG der Einkommensteuerbescheid 2008
gemäß § 155 Abs. 2 AO zu erlassen sowie ob und in welcher Höhe der geltend gemachte
Abzugsbetrag gemäß § 162 Abs. 5 AO zu berücksichtigen war.
25 a) Gemäß § 155 Abs. 2 AO kann ein Steuerbescheid auch dann erteilt werden, wenn ein
Grundlagenbescheid noch nicht erlassen wurde. Macht das FA von dieser Möglichkeit im
Rahmen seines Ermessens (so FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 24. September
1980 1 K 166/80, EFG 1981, 2; Schuster in Hübschmann/Hepp/ Spitaler --HHSp--, § 155 AO
Rz 44; Pahlke/Koenig/Cöster, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 155 Rz 47; Klein/Rüsken, AO,
12. Aufl., § 155 Rz 39; Frotscher in Schwarz, AO, § 155 Rz 46; v. Wedelstädt in:
Kühn/v.Wedelstädt, 20. Aufl., AO, § 155 Rz 18; Forchhammer in Leopold/Madle/Rader AO,
§ 155, Rz 24) Gebrauch und erlässt vor Ergehen des Grundlagenbescheides --wie im
Streitfall-- einen Einkommensteuerbescheid, muss es alle betroffenen
Besteuerungsgrundlagen (also auch alle Sonderausgaben) berücksichtigen und selbst
überprüfen (s. BFH-Beschluss vom 24. Februar 1981 VIII B 14/78, BFHE 132, 402, BStBl II
1981, 416; Klein/Rüsken, AO, 11. Aufl., § 155 Rz 41). Dies folgt aus dem
Untersuchungsgrundsatz des § 88 Abs. 2 AO, wonach die Finanzbehörde alle für den
Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen
hat (BFH-Beschluss in BFHE 132, 402, BStBl II 1981, 416, unter 2.b).
26 b) Lassen sich die Besteuerungsgrundlagen nicht ohne Weiteres ermitteln, können die
feststellungsbedürftigen Voraussetzungen nach § 162 Abs. 5 AO geschätzt werden. Die
Ermessensausübung der Finanzbehörde bezieht sich damit zum einen gemäß § 155 Abs. 2
AO auf den Zeitpunkt, zum anderen gemäß § 162 Abs. 5 AO auch auf den Inhalt der
Steuerfestsetzung (so auch Schuster in HHSp, § 155 Rz 44). Die Frage, ob gemäß § 155
Abs. 2 AO ein Folgebescheid zu erlassen ist und --wenn ja-- in welcher Höhe die noch nicht
durch einen Grundlagenbescheid festgestellten (positiven oder negativen) Einkünfte nach
§ 162 Abs. 5 AO anzusetzen sind, kann nur einheitlich beantwortet werden, so dass
insgesamt nur eine Ermessensentscheidung vorliegt.
27 c) Die Befugnis zur Schätzung nach § 162 Abs. 5 AO hat damit einen anderen rechtlichen
Hintergrund als die Schätzung nach § 162 Abs. 1 und 2 AO. Während die letztgenannte
Schätzung notwendig wird, wenn sich die Finanzbehörde oder das Gericht nicht in der Lage
sehen, bestimmte Besteuerungsgrundlagen konkret und präzise zu ermitteln, ist die
Schätzung nach § 162 Abs. 5 AO die Antwort auf die Frage, wie zu verfahren ist, wenn die
Finanzbehörde ihr Ermessen in dem Sinne ausübt, dass sie bereits nach § 155 Abs. 2 AO
einen Folgebescheid erlässt, obwohl ein Grundlagenbescheid noch aussteht.
28 Während nach § 162 Abs. 1 und 2 AO nur quantitative Größen, nicht aber qualitative
Besteuerungsmerkmale geschätzt werden können, umfasst die Schätzungsbefugnis nach
§ 162 Abs. 5 AO alle in einem Grundlagenbescheid festzustellenden
Besteuerungsgrundlagen. Sie knüpft damit in systematischer Hinsicht nicht an die
Voraussetzungen des § 162 Abs. 1 und 2 AO an. Deshalb können die
Besteuerungsgrundlagen nicht nur der Höhe, sondern auch dem Grunde nach geschätzt
werden (so die Senatsbeschlüsse in BFH/NV 2010, 2007; vom 18. Juli 2012 X S 19/12,
BFH/NV 2012, 2008, und vom 29. August 2012 X R 5/12, BFH/NV 2013, 53; FG Nürnberg,
Urteil vom 26. September 2012 3 K 723/12, EFG 2013, 100; FG Münster, Urteil vom
29. August 2012 11 K 977/12 E, EFG 2012, 2194; Sächsisches FG, Entscheidungen vom
11. Januar 2012 2 K 1416/11, EFG 2012, 1633; vom 14. November 2011 4 V 989/11,
Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2012, 530, und vom 5. Juni 2012 1 V 262/12,
EFG 2012, 1883; Seer, a.a.O., § 155 AO Rz 29 und § 162 Rz 87; Buciek in
Beermann/Gosch, AO § 162 Rz 278; Cöster, a.a.O., § 162 Rz 92; Rüsken, a.a.O., § 162
Rz 55; wohl auch Forchhammer, § 162 Rz 51; a.A. Frotscher, a.a.O., § 162 Rz 8 und 65).
29 d) Die vorstehenden Grundsätze gelten auch im Rahmen der §§ 10f, 7i EStG, so dass die
Finanzbehörde bei noch fehlender Bescheinigung der Denkmalschutzbehörde im Rahmen
ihres Ermessens zu entscheiden hat, ob und in welcher Höhe sie die geltend gemachten
Sanierungsaufwendungen bereits in ihrem Folgebescheid berücksichtigt (so
Senatsbeschlüsse in BFH/NV 2010, 2007; in BFH/NV 2012, 2008, und in BFH/NV 2013, 53;
FG Nürnberg in EFG 2013, 100; FG Münster in EFG 2010, 2194; Sächsisches FG in EFG
2012, 1633, und in EFG 2012, 1883; Schmidt/Kulosa, EStG, 33. Aufl., § 7i Rz 7; Kaligin in
Lademann, EStG, § 7i EStG Rz 45a; Kleeberg, in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG, § 7i
Rz C 6; Lambrecht in Kirchhof, EStG, 13. Aufl., § 7i Rz 6; Kratzsch in Frotscher, EStG, § 7i
Rz 43; Bartone in Korn, § 7i EStG Rz 15; Blümich/Erhard, § 7i EStG Rz 44; a.A.
Finanzverwaltung, vgl. z.B. Landesamt für Steuern Bayern, Verfügung vom 22. Juli 2011 -
S 2198 b.2.1 - 9/9 St 32, Deutsches Steuerrecht 2011, 1761; v. Wedelstädt, AO-
Steuerberater 2014, 150).
30 Das bedeutet aber nicht, dass die Finanzbehörde trotz fehlenden Grundlagenbescheides (im
Streitfall Bescheinigung der Denkmalschutzbehörde) die Aufwendungen --vorläufig--
ansetzen muss: Sie hat lediglich ihr Ermessen auszuüben, ob sie überhaupt einen
Folgebescheid bereits erlassen will sowie ob und in welcher Höhe sie die noch fehlenden
Grundlagen übernehmen will bzw. aus welchen Gründen sie davon absieht. Falls die
Finanzbehörde von der Steuererklärung des Steuerpflichtigen abweichen will, muss sie
überprüfbar darlegen, aus welchem Grund die Anerkennung versagt werden soll (so bereits
Senatsbeschluss in BFH/NV 2010, 2007, unter II.2.c bb).
31 e) Die vom FA und BMF hiergegen geltend gemachten Gründe überzeugen den
erkennenden Senat nicht.
32 aa) Weder dem Wortlaut des § 155 Abs. 2 AO noch dem des § 162 Abs. 5 AO ist eine
Eingrenzung des Anwendungsbereichs auf die Grundlagenbescheide, die von der
Finanzverwaltung erlassen werden, zu entnehmen.
33 Gemäß § 162 Abs. 5 AO können die "in einem Grundlagenbescheid festzustellenden
Besteuerungsgrundlagen" geschätzt werden. Davon sind alle in einem Grundlagenbescheid
feststellbaren Besteuerungsgrundlagen umfasst. Dies sind nicht nur quantitative
Feststellungen, sondern insbesondere bei ressortfremden Grundlagenbescheiden auch
qualitative Feststellungen. Das zeigt eindrücklich der im Streitfall relevante
Grundlagenbescheid nach § 7i Abs. 2 EStG, dessen verbindliche Feststellungen sich auf die
Tatbestände des zum Landesrecht gehörenden Denkmalrechts beschränken, nämlich die
Denkmaleigenschaft des Gebäudes, sowie darauf, ob die Aufwendungen nach Art und
Umfang zur Erhaltung des Gebäudes als Baudenkmal oder zu seiner sinnvollen Nutzung
erforderlich sind (vgl. Senatsurteil in BFHE 225, 431, BStBl II 2009, 960, unter II.3.a).
34 bb) Auch die Entstehungsgeschichte beider Vorschriften lässt keine Rückschlüsse auf eine
Eingrenzung der Schätzungsbefugnis auf quantitative Besteuerungsgrundlagen und die
Ausgrenzung ressortfremder Grundlagenbescheide zu.
35 Die Regelungen wurden auf Vorschlag des Bundesrates durch das Gesetz zur Änderung
des Einkommensteuergesetzes, des Körperschaftsteuergesetzes und anderer Gesetze vom
20. August 1980 (BGBl I 1980, 1545) in die Abgabenordnung eingefügt. Grund war, dass die
Finanzämter in der damaligen Praxis beim Erlass von Folgebescheiden häufig mit
geschätzten Werten gearbeitet hatten, wenn ein an sich erforderlicher Grundlagenbescheid
(z.B. über Verlustanteile, Einheitswerte usw.) noch nicht vorlag. An der Zulässigkeit dieses
Verfahrens hatte der BFH jedoch in dem Urteil vom 17. Mai 1978 I R 50/77 (BFHE 125, 423,
BStBl II 1978, 579) Zweifel geäußert, so dass von Seiten des Bundesrates befürchtet wurde,
die allgemeine Bestätigung dieser Zweifel würde zu erheblichen Verzögerungen bei der
Steuerfestsetzung führen. Dies hätte --laut Bundesrat-- einerseits schwerwiegende
Verzögerungen im Steuereingang und damit vorübergehende Einnahmeausfälle zur Folge
gehabt. Andererseits weist der Bundesrat aber auch ausdrücklich darauf hin, dass in vielen
Fällen Steuerpflichtige mit Anspruch auf Abschreibungen nach § 7b EStG a.F. nicht mehr zur
Einkommensteuer veranlagt werden könnten, bevor nicht der Einheitswert des Gebäudes
festgestellt worden sei. Dies würde zu steuerpolitisch nicht vertretbaren Verzögerungen im
Erstattungsverfahren führen (vgl. BTDrucks 8/3648, 35). Zur Behebung der bestehenden
Rechtsunsicherheiten werde durch Änderungen des § 155 Abs. 2 AO klargestellt, dass ein
Steuerbescheid auch dann erteilt werden könne, wenn in einem Grundlagenbescheid
gesondert festzustellende Besteuerungsgrundlagen noch nicht festgestellt seien.
Korrespondierend damit habe in § 162 Abs. 3 AO (jetzt § 162 Abs. 5 AO) auch klarstellend
geregelt werden müssen, dass die Finanzbehörde --wie bisher in der Praxis-- diese
Besteuerungsgrundlagen schätzen könne (BTDrucks 8/3648, a.a.O.).
36 Die Gesetzgebungsmaterialien nennen zwar nur Grundlagenbescheide, die von anderen
Finanzbehörden festgestellt werden, schließen aber ressortfremde Grundlagenbescheide
nicht aus. Das in der Gesetzesbegründung aufgeführte Beispiel zeigt zudem, dass die
nunmehr gesetzliche Normierung der Schätzungsbefugnis nicht nur der schnelleren
Steuererhebung dienen, sondern ebenfalls dadurch zugunsten des Steuerpflichtigen wirken
sollte, dass dieser zeitnah Abschreibungsmöglichkeiten nutzen kann.
37 cc) Auch die vom BMF vorgebrachten systematischen Gründe erfordern keine Eingrenzung
des Anwendungsbereichs der §§ 155 Abs. 2, 162 Abs. 5 AO auf Grundlagenbescheide der
Finanzbehörden.
38 (1) Das BMF äußert zunächst Bedenken, dass es der Finanzverwaltung bei Zugrundelegung
der Senatsrechtsprechung verwehrt sei, in eigener Zuständigkeit nicht numerische
Tatbestandsmerkmale zu schätzen, während sie im fachfremden Bereich qualitative
Besteuerungsgrundlagen schätzen müsse. Das BMF übersieht dabei jedoch, dass sich die --
auch die qualitative Merkmale umfassende-- Schätzungsbefugnis gemäß §§ 155 Abs. 2, 162
Abs. 5 AO unterschiedslos auf alle Grundlagenbescheide bezieht. Eine Ungleichbehandlung
von ressortfremden Grundlagenbescheiden mit denen anderer Finanzbehörden ist damit
nicht erkennbar.
39 (2) Die Überlegung des BMF, die Schätzung nach §§ 155 Abs. 2, 162 Abs. 5 AO sei nicht in
allen Fällen als lediglich vorläufig anzusehen, sondern könne auch zur Folge haben, dass
die steuerbegünstigende Schätzung der Tatbestandsvoraussetzungen zu Unrecht
fortbestehe, wenn nämlich die zuständige (ressortfremde) Behörde überhaupt nicht
entscheide oder den Antrag ablehne und die Finanzbehörde davon nicht oder verspätet
erfahre, kann im Ergebnis nicht zur Versagung der Schätzungsbefugnis führen.
40 Zum einen ist darauf zu verweisen, dass dieses --nicht wünschenswerte-- Ergebnis die
mögliche Folge der Regelungen der §§ 155 Abs. 2 AO, 162 Abs. 5 AO ist. Zum anderen
kann die Finanzverwaltung den nicht mehr änderbaren Ansatz von materiell unrichtigen
Besteuerungsgrundlagen dadurch vermeiden, dass sie von der Möglichkeit Gebrauch macht,
den auf §§ 155 Abs. 2, 162 Abs. 5 AO gestützten Steuerbescheid im Hinblick auf die
geschätzten Besteuerungsgrundlagen gemäß § 165 Abs. 1 Satz 1 AO für vorläufig zu
erklären. Damit kann die Finanzbehörde dann, wenn der Grundlagenbescheid nicht erlassen
wird, gemäß § 165 Abs. 2 Satz 1 AO die im "vorauseilenden Folgebescheid" (Buciek, a.a.O.,
§ 162 Rz 282) erfolgte Schätzung korrigieren und die geschätzten Besteuerungsgrundlagen,
hier die Sanierungsaufwendungen, wieder außer Ansatz lassen (vgl. auch Buciek, a.a.O.,
§ 162 Rz 282 und § 165 Rz 22). Die durch § 165 Abs. 2 Satz 1 AO ermöglichte anderweitige
Festsetzung setzt nicht den Wegfall der Ungewissheit voraus, sondern ergeht im Regelfall
unter Fortbestand der tatsächlichen Ungewissheit (vgl. BFH-Beschluss vom 20. Juli 2004
XI B 189/03, BFH/NV 2005, 206, unter 2.a).
41 (3) Es spricht ebenfalls nicht gegen die Anwendung der §§ 155 Abs. 2, 162 Abs. 5 AO, dass
in diesem Verfahrensstadium eine andere Behörde als die gesetzlich vorgesehene eine
Besteuerungsgrundlage (vorläufig) schätzt. Auch dies ist die Konsequenz der gesetzlich
vorgesehenen Möglichkeit, nach § 155 Abs. 2 AO "vorauseilende Folgebescheide" zu
erlassen. Dass es in Ausnahmefällen, wie bei der Gewerbesteuer gemäß Art. 108 Abs. 4
Satz 2 des Grundgesetzes, nicht möglich ist, von §§ 155 Abs. 2, 162 Abs. 5 AO Gebrauch zu
machen, ändert nichts an dem grundsätzlichen Befund.
42 dd) Es bedarf keiner teleologischen Reduktion der §§ 155 Abs. 2, 162 Abs. 5 AO dergestalt,
dass ressortfremde Grundlagenbescheide nicht in den Anwendungsbereich dieser
Vorschriften fallen.
43 Dem FA und dem BMF ist zwar zuzugeben, dass sich der Gesetzgeber bewusst dazu
entschieden hat, die Kompetenz von Fachbehörden außerhalb der Finanzverwaltung in die
Beurteilung von bestimmten Sachverhalten einzubeziehen, um sowohl der
Finanzverwaltung die Handhabung zu erleichtern als auch sie für den Steuerpflichtigen
berechenbar auszugestalten (vgl. dazu z.B. BFH-Urteil vom 21. Februar 2013 V R 27/11,
BFHE 240, 487, BStBl II 2013, 529, unter Rz 32). Eine Schätzung der "ressortfremden"
Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 Abs. 5 AO erfordert daher eine nicht unerhebliche
Anstrengung.
44 Es ist jedoch zu bedenken, dass der Erlass des Folgebescheides vor dem Ergehen des
Grundlagenbescheides verbunden mit der gemäß § 162 Abs. 5 AO möglichen Schätzung
der Besteuerungsgrundlagen eine Ermessenentscheidung der Finanzbehörde ist. Bei der
Ausübung dieses Ermessens, nämlich der Entscheidung, ob und wie sie ihr Ermessen
ausübt, kann und muss die Finanzbehörde berücksichtigen, dass die Schätzung von
nichtsteuerlichen Sachverhalten mangels Sachkenntnis schwierig sein kann. Diese
Schwierigkeiten allein können indes nicht dazu führen, es der Finanzbehörde generell zu
verwehren, auf eine Steuerveranlagung vor dem Erlass des ressortfremden
Grundlagenbescheides zu verzichten bzw. es ihr zu gestatten, die ressortfremden
Besteuerungsgrundlagen bei einer "vorauseilenden Veranlagung" von vornherein überhaupt
nicht anzusetzen.
45 ee) Eine teleologische Reduzierung der §§ 155 Abs. 2, 162 Abs. 5 AO ist auch nicht insoweit
vorzunehmen, dass diese Vorschriften in den Fällen nicht anwendbar sind, in denen durch
das Grundlagenverfahren selbst Nachweise geschaffen werden, die ihrerseits materiell-
rechtliche Voraussetzungen für eine Steuervergünstigung sind.
46 Zwar weisen das FA und das BMF insoweit zu Recht auf § 38 AO hin und darauf, dass bei
dem (Noch-)Nichtvorliegen einer tatbestandlich erforderlichen Bescheinigung (noch) kein
Anspruch auf die Steuervergünstigung entstanden ist (BFH-Urteil vom 10. August 1994
II R 103/93, BFHE 175, 288, BStBl II 1994, 951; vgl. auch zu den bei § 162 Abs. 1 und 2 AO
unbestrittenen Schätzungsverboten Buciek, a.a.O., § 162 Rz 90; Cöster, a.a.O., § 162,
Rz 95 f.; Seer, a.a.O., § 162 Rz 90 f.). Auf der anderen Seite ermöglicht es aber § 155 Abs. 2
AO, einen Folgebescheid vor dem Ergehen eines Grundlagenbescheides zu erlassen.
47 Damit stehen sich in der Konstellation, in dem die Bescheinigung ein Grundlagenbescheid
ist, zwei Rechtspositionen gegenüber, die es gegeneinander abzuwägen gilt. Auf der einen
Seite ist die Verfahrensvereinfachung für die Finanzbehörde zu bedenken, die lediglich das
Vorhandensein der entsprechenden Bescheinigung einer sachnäheren Behörde zu prüfen
hat. Auf der anderen Seite muss der berechtigte Anspruch des Steuerpflichtigen
berücksichtigt werden, bei Vorlage aller erforderlichen Belege die beantragte
Steuervergünstigung auch zeitnah in der Steuerveranlagung berücksichtigt zu wissen.
48 Nach Auffassung des erkennenden Senats kann diese Interessenkollision nicht dazu führen,
dass für die Finanzverwaltung überhaupt keine Möglichkeit besteht, einen "vorauseilenden
Folgebescheid" mit einer (vorläufigen) Berücksichtigung der noch nicht nachgewiesenen
Besteuerungsgrundlage zu erlassen. Wie bereits dargestellt, kann die Finanzbehörde im
Rahmen ihres Ermessens die unterschiedlichen Interessenlagen (z.B. Schwierigkeit der
Ermittlung, Bedeutung der Bescheinigung für den Steuerpflichtigen, Verhalten der anderen
Behörde u.ä.) im Einzelfall abwägen und auch zu dem Ergebnis kommen, dass sie mangels
Nachweises die angestrebte Steuervergünstigung bis zum Erlass eines
Grundlagenbescheides vorläufig nicht berücksichtigen will. Sie hat dies lediglich
nachvollziehbar darzulegen.
49 Für das vom Senat gefundene Abwägungsergebnis spricht zudem, dass ein Steuerpflichtiger
--falls §§ 155 Abs. 2, 162 Abs. 5 AO in einer solchen Konstellation nicht anwendbar wären--
dadurch schlechter gestellt wäre, dass die Sachverhaltsmerkmale, die zu einer
Steuervergünstigung führen, in einem separaten Verfahren einer ressortfremden Behörde
geprüft werden und er auf deren Grundlagenbescheid (ggf. lange) zu warten hat. Würde der
betreffende steuerlich relevante Umstand nicht durch einen Grundlagenbescheid, sondern
im Veranlagungsverfahren selbst geprüft, müsste das FA bereits bei der Steuerfestsetzung
die Entscheidung über die Erfüllung der Voraussetzungen einer Steuervergünstigung treffen.
50 4. Der erkennende Senat teilt jedoch nicht die Auffassung des FG, das FA habe im Streitfall
rechtsfehlerhaft keine Ermessensentscheidung gemäß §§ 155 Abs. 2, 162 Abs. 5 AO
getroffen.
51 a) Während die Auslegung von Verträgen zu der dem FG obliegenden Feststellung der
Tatsachen gehört, die der BFH lediglich daraufhin überprüfen kann, ob die gesetzlichen
Auslegungsregeln (§§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs), die Denkgesetze und die
Erfahrungssätze zutreffend angewandt worden sind (vgl. z.B. Senatsurteil vom 9. Dezember
2009 X R 41/07, BFH/NV 2010, 860, unter II.3.b), ist die Auslegung des Inhalts von
Verwaltungsakten durch das FG im Revisionsverfahren in vollem Umfang nachprüfbar (BFH-
Urteil vom 26. November 2009 III R 93/07, BFH/NV 2010, 856).
52 b) Bei der dem erkennenden Senat im Streitfall obliegenden Auslegung ist zu
berücksichtigen, dass eine Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung (§ 5 AO) von den
Gerichten nur in den von § 102 FGO --ggf. i.V.m. § 121 Satz 1 FGO-- gezogenen Grenzen
überprüft werden kann (Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des
Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603). Nach
dieser Vorschrift ist die gerichtliche Prüfung darauf beschränkt, ob die Behörde bei ihrer
Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem ihr
eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise
Gebrauch gemacht hat (Senatsurteil vom 12. Dezember 2013 X R 39/10, BFH/NV 2014, 670,
Rz 13). Ebenfalls liegt ein Ermessensfehler --in Form der Ermessensunterschreitung-- vor,
wenn die Behörde das Ermessen, das ihr nach dem Gesetz eingeräumt ist, überhaupt nicht
ausübt. Auch insoweit unterliegt die nach Ermessen zu treffende Entscheidung der
gerichtlichen Nachprüfung gemäß § 102 FGO (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 2. November 1994
VII R 94/93, BFH/NV 1995, 754). Wegen der Befugnis und Verpflichtung des Gerichts zur
Überprüfung behördlicher Ermessensentscheidungen müssen die bei der Ausübung des
Verwaltungsermessens angestellten Erwägungen aus der Entscheidung erkennbar sein
(ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 2. September 2010 VI R 3/09, BFHE
230, 500, BStBl II 2011, 233, unter II.2.c, m.w.N.).
53 c) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das FA nach Ansicht des erkennenden
Senats in der Einspruchsentscheidung vom 15. Dezember 2011 sein Ermessen
ordnungsgemäß ausgeübt. Zwar hat es zunächst ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es
im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder der
Auffassung sei, eine Berücksichtigung der Steuerbegünstigung nach § 10f EStG komme im
Rahmen einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen ohne Vorlage der gesetzlich
geforderten Bescheinigung --entgegen der Senatsrechtsprechung-- nicht in Betracht.
54 In einem weiteren Begründungsstrang hat das FA aber --insoweit der Senatsrechtsprechung
folgend-- Ermessensüberlegungen angestellt und begründet, warum es im Streitfall
insbesondere unter Hinweis auf die von den Klägern vorgelegten Unterlagen, die keine
Informationen darüber enthielten, auf welche einzelnen Baumaßnahmen sich die in dem
Antrag genannten Sanierungskosten in Höhe von 392.452 EUR konkret bezogen, nicht habe
ausschließen können, dass es sich um Aufwendungen gehandelt habe, die nicht gemäß
§§ 10f, 7i EStG begünstigt seien. Unter Berücksichtigung der fehlenden eigenen Sachkunde,
der Tatsache, dass der erforderliche Grundlagenbescheid auch im Rechtsbehelfsverfahren
noch nicht vorgelegt werden konnte, sowie der Gefahr von ungerechtfertigten
Steuervergütungen hat das FA entschieden, die Steuerermäßigung nach § 10f EStG im
Streitfall erst bei Vorlage der Bescheinigung des Denkmalamtes zu gewähren. Der
erkennende Senat sieht diese Begründung als nachvollziehbar und ausreichend an.
55 d) Damit kommt es nicht mehr darauf an, dass das FG zu Unrecht von einer eigenen
Schätzungsbefugnis gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 FGO ausgegangen ist. Bei einer
Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung gemäß §§ 155 Abs. 2, 162 Abs. 5 AO ist für
eine finanzgerichtliche Schätzung gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz FGO kein Raum.