Urteil des BFH vom 06.11.2014

Aufwendungen für eine Dichtheitsprüfung einer Abwasserleitung als steuerbegünstigte Handwerkerleistung

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 6.11.2014, VI R 1/13
Aufwendungen für eine Dichtheitsprüfung einer Abwasserleitung als steuerbegünstigte Handwerkerleistung
Leitsätze
Die Erhebung des unter Umständen noch mangelfreien Istzustandes, beispielsweise die Überprüfung der Funktionsfähigkeit einer Anlage durch
einen Handwerker, kann ebenso Handwerkerleistung i.S. des § 35a Abs. 3 EStG sein wie die Beseitigung eines bereits eingetretenen Schadens oder
vorbeugende Maßnahmen zur Schadensabwehr.
Tatbestand
1 I. Streitig ist die Berücksichtigung von Aufwendungen für eine Dichtheitsprüfung der privaten Abwasserleitung als steuerermäßigende
Handwerkerleistung nach § 35a des Einkommensteuergesetzes (EStG).
2 In der Einkommensteuererklärung 2010 beantragte der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) für eine Dichtheitsprüfung der Abwasserleitung
seines privat genutzten Wohnhauses eine Steuerermäßigung nach § 35a Abs. 3 EStG in der im Streitjahr (2010) geltenden Fassung. In der
entsprechenden Rechnung sind Arbeitskosten von 357,36 EUR ausgewiesen.
3 In dem Einkommensteuerbescheid 2010 vom 8. Mai 2012 blieben die Aufwendungen unberücksichtigt. Die Einkommensteuer wurde auf
6.160 EUR festgesetzt.
4 Hiergegen sowie gegen die Berücksichtigung einer zumutbaren Belastung bei den Krankheitskosten richtete sich der fristgerecht eingelegte
Einspruch. Hinsichtlich der zumutbaren Belastung wurde das Einspruchsverfahren nach § 363 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO)
ruhend gestellt. Hinsichtlich der Steuerermäßigung nach § 35a Abs. 3 EStG wies der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--)
den Einspruch durch Teileinspruchsentscheidung (§ 367 Abs. 2a Satz 1 AO) vom 14. Juni 2012 zurück. Die Dichtheitsprüfung sei wie die
vom TÜV oder anderen autorisierten Fachkräften durchzuführende Sicherheitsprüfung einer Heizungsanlage im Gegensatz zu einer Wartung
der Heizungsanlage mit einer Gutachtertätigkeit vergleichbar. Nach Rdnr. 12 des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen (BMF)
vom 15. Februar 2010 IV C 4-S 2296-b/07/0003 (BStBl I 2010, 140; ersetzt durch BMF-Schreiben vom 10. Januar 2014 IV C 4-S 2296-
b/07/0003:004, BStBl I 2014, 75, Rdnr. 22) seien Aufwendungen, bei denen eine Gutachtertätigkeit im Vordergrund stehe, nicht nach § 35a
EStG begünstigt.
5 Das Finanzgericht (FG) gab der daraufhin erhobenen Klage statt. Entgegen der Auffassung des FA habe bei der Dichtheitsprüfung nicht die
Gutachtertätigkeit im Vordergrund gestanden. Zielrichtung der Maßnahme sei die Instandhaltung der Abwasserleitung gewesen. Deshalb seien
die streitgegenständlichen Aufwendungen für die Dichtheitsprüfung der Abwasserleitung als steuerermäßigende Handwerkerleistung
anzuerkennen.
6 Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
7 Es beantragt,
das Urteil des FG Köln vom 18. Oktober 2012 14 K 2159/12 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
8 Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
9 II. Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung). Das FG hat zu Recht
entschieden, dass die Aufwendungen des Klägers für die Dichtheitsprüfung der Abwasserleitungen seines privat genutzten Wohnhauses als
steuerermäßigende Handwerkerleistungen nach § 35a Abs. 3 EStG zu berücksichtigen sind.
10 1. Nach § 35a Abs. 3 Satz 1 EStG ermäßigt sich auf Antrag die tarifliche Einkommensteuer für die Inanspruchnahme von
Handwerkerleistungen für Renovierungs-, Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen um 20 %, höchstens um 1.200 EUR. Die
Steuerermäßigung kann nur in Anspruch genommen werden, wenn die Handwerkerleistung in einem in der Europäischen Union oder dem
Europäischen Wirtschaftsraum liegenden Haushalt des Steuerpflichtigen erbracht wird (§ 35a Abs. 4 Satz 1 EStG), und gilt nach § 35a
Abs. 5 Satz 2 EStG nur für Arbeitskosten.
11 a) Handwerkerleistungen sind einfache wie qualifizierte handwerkliche Tätigkeiten, unabhängig davon, ob es sich um regelmäßig
vorzunehmende Renovierungsarbeiten oder um Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen handelt (vgl. Senatsurteil vom 6. Mai 2010
VI R 4/09, BFHE 229, 534, BStBl II 2011, 909). Begünstigt werden handwerkliche Tätigkeiten, die von Mietern und Eigentümern für die
zu eigenen Wohnzwecken genutzte Wohnung in Auftrag gegeben werden, z.B. das Streichen und Tapezieren von Innenwänden, die
Beseitigung kleinerer Schäden, die Erneuerung eines Bodenbelags (Teppichboden, Parkett oder Fliesen), die Modernisierung des
Badezimmers oder der Austausch von Fenstern. Hierzu gehören auch Aufwendungen für Renovierungs-, Erhaltungs- und
Modernisierungsarbeiten auf dem Grundstück, z.B. Garten- und Wegebauarbeiten (BTDrucks 16/643, 10, und BTDrucks 16/753, 11), aber
auch die Reparatur, Wartung und der Austausch von Gas- und Wasserinstallationen (Barein in Littmann/ Bitz/Pust, Das
Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 35a EStG Rz 27).
Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 35a EStG Rz 27).
12 b) Die sachliche Begrenzung der begünstigten Maßnahme ist allein aus dem Tatbestandsmerkmal "im Haushalt" zu bestimmen (Senatsurteil
vom 13. Juli 2011 VI R 61/10, BFHE 234, 391, BStBl II 2012, 232; BMF-Schreiben in BStBl I 2014, 75, Rdnr. 20). Insbesondere
unterscheidet das Gesetz weder nach Wortlaut noch nach Entstehungsgeschichte oder Sinn und Zweck zwischen sachlich begünstigten und
nicht begünstigten Handwerkerleistungen. § 35a Abs. 3 EStG gilt vielmehr insoweit (nicht aber räumlich, vgl. Senatsurteil vom 20. März
2014 VI R 56/12, BFHE 245, 49, BStBl II 2014, 882) ausnahmslos für alle handwerklichen Tätigkeiten. So ist beispielsweise nicht
erforderlich, dass der Leistungserbringer in die Handwerksrolle eingetragen ist. Auch Kleinunternehmer i.S. des § 19 des
Umsatzsteuergesetzes (vgl. BMF-Schreiben in BStBl I 2014, 75, Rdnr. 23) oder die öffentliche Hand können steuerbegünstigte
Handwerkerleistungen erbringen (Apitz in Herrmann/Heuer/ Raupach, § 35a EStG Rz 21; Eversloh in Lademann, EStG, § 35a EStG Rz 86;
Wüllenkemper, Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 52; vgl. BMF-Schreiben in BStBl I 2014, 75, Rdnr. 22, 58 ).
13 2. Nach diesen Grundsätzen hat das FG die Dichtheitsprüfung der Abwasserleitungen des privat genutzten Wohnhauses zu Recht als
steuerbegünstigte Handwerkerleistungen i.S. des § 35a Abs. 3 EStG beurteilt. Denn die Dichtheitsprüfung der Abwasserleitung diente nach
den Feststellungen des FG der Überprüfung der Funktionsfähigkeit einer Hausanlage und ist damit als (vorbeugende) Erhaltungsmaßnahme
zu beurteilen (vgl. Fischer in Kirchhof, EStG, 13. Aufl., § 35a Rz 10).
14 a) Die Erhebung des unter Umständen noch mangelfreien Istzustandes, beispielsweise die Prüfung der ordnungsgemäßen Funktion einer
Anlage durch einen Handwerker, ist ebenso Handwerkerleistung i.S. des § 35a Abs. 3 EStG wie die Beseitigung eines bereits eingetretenen
Schadens oder Maßnahmen zur vorbeugenden Schadensabwehr. Dies gilt auch dann, wenn der Handwerker über den ordnungsgemäßen
Istzustand eines Gewerkes/einer Anlage eine Bescheinigung "für amtliche Zwecke" erstellt. Denn durch das Ausstellen einer solchen
Bescheinigung verliert eine dahingehende handwerkliche Leistung ihren Instandhaltungscharakter nicht. Denn die regelmäßige Überprüfung
von Geräten und Anlagen auf deren Funktionsfähigkeit (einschließlich Dokumentation) erhöht deren Lebensdauer, sichert deren nachhaltige
Nutzbarkeit, dient überdies der vorbeugenden Schadensabwehr und zählt damit zum Wesen der Instandhaltung. Das verkennt die Revision,
wenn sie fordert, zwischen begünstigten Handwerkerleistungen, durch die ein Objekt in seinem Zustand beeinflusst (verändert) werde, und
nicht begünstigten Leistungen eines Handwerkers (Untersuchungen und Gutachten), die lediglich dazu dienten, den aktuellen Zustand eines
Objekts festzustellen, zu unterscheiden. Im Übrigen ist die Erhebung des Istzustandes regelmäßig Voraussetzung für eine spätere --nicht
unbedingt unmittelbar zeitlich nachfolgende und u.U. durch einen anderen Handwerksbetrieb durchgeführte-- Beseitigung des Schadens oder
für Maßnahmen zur vorbeugenden Schadensabwehr und insoweit ohnehin als Annex, also Nebenleistung, zu der damit einhergehenden
steuerbegünstigten Handwerkerleistung ebenfalls begünstigt (Bode, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 35a Rz D 6, Rz F 5; vgl. auch
Eversloh in Lademann, EStG, § 35a EStG Rz 86; differenzierend Barein, a.a.O., § 35a EStG Rz 28).
15 b) Wortlaut sowie Sinn und Zweck des § 35a EStG stehen dieser Auslegung der Vorschrift nicht entgegen. Denn das Gesetz unterscheidet
tatbestandlich nicht zwischen steuerbegünstigten Handwerkerleistungen, die zur Bekämpfung der Schwarzarbeit/Förderung der
Beschäftigung förderungsbedürftig sind, und solchen Handwerkerleistungen, die einer solchen Förderung nicht bedürfen, weil sie ohnehin
oder regelmäßig nicht "ohne Rechnung" in Anspruch genommen werden. Der Gesetzgeber hat vielmehr eine generalisierende, typisierende
und pauschalierende Regelung getroffen, ohne bei den materiellen und "formellen Voraussetzungen" des § 35a EStG, etwa die Einbindung
eines Kreditinstituts oder einer Bank in den Zahlungsvorgang, nach für Schwarzarbeit anfälligeren oder weniger anfälligen Berufsgruppen
und Tätigkeiten zu unterscheiden (vgl. Senatsbeschluss vom 30. Juli 2013 VI B 31/13, BFH/NV 2013, 1786).