Urteil des BFH vom 17.08.2015

Zur Streitwerterhöhung nach § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 17.8.2015, XI S 1/15
Zur Streitwerterhöhung nach § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG
Leitsätze
Betrifft ein Rechtsstreit über Umsatzsteuer zwei Streitjahre und hat der Streitfall i.S. von § 52
Abs. 3 Satz 2 GKG offensichtlich absehbare Auswirkungen für nachfolgende Streitjahre, so
ist die in dieser Vorschrift vorgesehene Erhöhung des Streitwerts auf das Dreifache des
durchschnittlichen Streitwerts für die anhängigen beiden Streitjahre begrenzt.
Tenor
Der Streitwert wird auf 60.690,51 EUR festgesetzt.
Tatbestand
1 I. Die Klägerin, Revisionsbeklagte und Antragstellerin zu 1. (Klägerin) ist Organträgerin
der T-GmbH. Die T-GmbH führte sonstige Leistungen in Gestalt der Ausgabe von
Mahlzeiten an ihre Arbeitnehmer aus, die hierfür einen Preis bezahlten, der sowohl
unter dem marktüblichen Entgelt als auch unter den Selbstkosten der T-GmbH lag. Die
Klägerin versteuerte diese Leistungen in ihren Umsatzsteuererklärungen für die
Besteuerungszeiträume 2006 und 2007 (Streitjahre) und die Folgejahre (2008 bis 2011)
nur mit den von den Arbeitnehmern der T-GmbH für die Mahlzeiten gezahlten Preisen.
Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Antragsgegner (das Finanzamt --FA--) setzte
dagegen hierfür gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 2 i.V.m. § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 des
Umsatzsteuergesetzes (UStG) die Selbstkosten an.
2 Die Antragsteller zu 2. vertraten die Klägerin als Prozessbevollmächtigte in dem
anschließenden Rechtsstreit vor dem Finanzgericht (FG) wegen Umsatzsteuer 2006
und 2007. Währenddessen ruhten die von der Klägerin eingelegten Einsprüche gegen
die Umsatzsteuerbescheide für 2008 bis 2011, die ebenfalls die
umsatzsteuerrechtliche Behandlung der Mahlzeitengewährung betrafen, im Hinblick
auf den Ausgang des Rechtsstreits gemäß § 363 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung.
3 Das FG gab der Klage teilweise statt und setzte im Urteil vom 5. August 2013 als
Bemessungsgrundlage für die Ausgabe der Mahlzeiten anstelle der vom FA zugrunde
gelegten Selbstkosten von 109.563,26 EUR (2006) und 212.142,08 EUR (2007) nur
das --über den bisher versteuerten Preisen liegende-- marktübliche Entgelt in Höhe von
32.091,93 EUR (2006) und 64.432 EUR (2007) an. Im Übrigen wies es die Klage ab.
Die Entscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2013, 2046
veröffentlicht.
4 Gegen das Urteil des FG legte (nur) das FA mit Schriftsatz vom 11. September 2013
die vom FG zugelassene Revision ein und beantragte, das Urteil aufzuheben und die
Klage in vollem Umfang abzuweisen. Nachdem das FA die Revision
zurückgenommen hatte, stellte der Senat das Revisionsverfahren (Aktenzeichen
XI R 37/13) mit Beschluss vom 22. September 2014 ein und entschied, das FA habe
die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
5 Mit dem vorliegenden Antrag begehren die Klägerin und die Antragsteller zu 2. für das
Revisionsverfahren XI R 37/13 die Festsetzung eines nach § 52 Abs. 3 Satz 2 des
Gerichtskostengesetzes (GKG) erhöhten Streitwerts in Höhe von 144.601,14 EUR.
6 Das FA ist dem Antrag entgegengetreten und beantragt, den Streitwert --entsprechend
seinem Unterliegen vor dem FG-- auf 40.460,32 EUR festzusetzen. Eine Erhöhung
des Streitwerts komme nicht in Betracht, da die Rücknahme der Revision durch eine
Änderung von § 10 Abs. 5 UStG veranlasst worden sei. Aufgrund dieser --auf alle noch
nicht bestandskräftigen Steuerfestsetzungen anzuwendende-- Gesetzesänderung
habe den Einsprüchen der Klägerin gegen die Umsatzsteuerbescheide ab 2008
entsprochen werden müssen. Diese Gesetzesänderung --und nicht das
Revisionsverfahren XI R 37/13-- sei ursächlich für die Umsatzsteuerminderung der
Jahre ab 2008 gewesen.
Entscheidungsgründe
7 II. Der Streitwert wird auf 60.690,51 EUR festgesetzt.
8 1. Der Antrag auf Streitwertfestsetzung ist zulässig.
9 Das nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) hierfür
erforderliche besondere Rechtsschutzbedürfnis (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom
17. November 1987 VIII R 346/83, BFHE 152, 5, BStBl II 1988, 287, unter II. --Rz 19--
; vom 29. Oktober 2008 I R 84/07, juris; vom 18. November 2014 V S 30/14, BFH/NV
2015, 346, Rz 8) liegt im Streitfall vor. Der Anwendungsbereich von § 52 Abs. 3
Satz 2 GKG ist noch nicht geklärt (vgl. z.B. Müller, Betriebs-Berater --BB-- 2013,
2519; Just, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2014, 2481).
10 2. Der Streitwert bestimmt sich im Streitfall nach § 52 Abs. 3 Sätze 1 und 2 GKG.
§ 52 Abs. 3 GKG wurde durch Art. 3 Abs. 1 Nr. 18 Buchst. a des Zweiten Gesetzes
zur Modernisierung des Kostenrechts (2. KostRMoG, BGBl I 2013, 2586) mit
Wirkung vom 1. August 2013 wie folgt gefasst:
"Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf
bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers
offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu
erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe
des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich
absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe
das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf."
11 Diese Vorschriften sind im Streitfall anwendbar. Das FA hat die Revision am
11. September 2013 und damit nach der Änderung von § 52 Abs. 3 GKG zum
1. August 2013 eingelegt (vgl. § 71 Abs. 1 Satz 2 GKG; Art. 3 Abs. 1 Nr. 18 Buchst. a
und Art. 50 2. KostRMoG).
12 3. Nach § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG wäre im Streitfall für das Revisionsverfahren ein
Streitwert von 40.460,33 EUR festzusetzen.
13 a) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des
Rechtsmittelführers im Zeitpunkt der Einlegung der Revision (§ 47 Abs. 1 Satz 1
i.V.m. § 40 GKG).
14 b) Mit der (nur) vom FA eingelegten Revision verfolgte dieses das Ziel, die
Bemessungsgrundlage für die Ausgabe der Mahlzeiten auf den Wert zu erhöhen, der
in den ursprünglichen Bescheiden angesetzt worden war. Für die Revision ergäbe
sich damit nach § 52 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 39 Abs. 1 GKG folgender Streitwert:
Streitjahr
2006
2007
Bemessungsgrundlage nach FA
109.563,26 EUR
212.142,08 EUR
Bemessungsgrundlage nach FG
32.091,93 EUR
64.432,00 EUR
Vom FA begehrte Erhöhung
77.471,33 EUR
147.710,08 EUR
Umsatzsteuer hierauf
(2006: 16 %; 2007: 19 %)
12.395,41 EUR
28.064,92 EUR
Summe (= Streitwert der Revision)
40.460,33 EUR
15 c) Entgegen der Ansicht der Antragsteller im Antrag vom 7. Januar 2015 ist der
Streitwert für das Revisionsverfahren nicht mit dem des erstinstanzlichen Verfahrens
identisch. Dies wäre nur bei unverändertem Streitgegenstand und vollem Unterliegen
des Beklagten der Fall (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 2. Oktober 2014 III S 2/14,
BFHE 247, 119, BStBl II 2015, 37, Rz 13). Das FG hat der Klage der Klägerin jedoch
nicht vollumfänglich stattgegeben.
16 4. Der Streitwert für das Revisionsverfahren ist gemäß § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG auf
60.690,51 EUR zu erhöhen.
17 a) Im finanzgerichtlichen Verfahren hat ein Antrag dann i.S. von § 52 Abs. 3 Satz 2
GKG "offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf
noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte", wenn
ohne umfangreiche Prüfung oder aufwändige Überlegungen, also auf den ersten Blick,
erkennbar ist, dass der konkret verwirklichte Sachverhalt auch die Höhe zukünftiger
Steuerfestsetzungen beeinflusst (vgl. Oberverwaltungsgericht --OVG-- Lüneburg,
Beschluss vom 16. Oktober 2014 9 OA 271/14, Neue Zeitschrift für
Verwaltungsrecht - Rechtsprechung-Report --NVwZ-RR-- 2015, 238, Rz 4, m.w.N.;
OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18. Dezember 2014 2 A 10506/14, juris, Rz 42;
Müller, BB 2013, 2519, 2520; Just, DStR 2014, 2481, 2483). Nicht ausreichend ist es,
wenn dieselbe rechtliche Problematik zwar in zukünftigen Zeiträumen auftritt, die
Verwirklichung des entsprechenden konkreten Sachverhalts aber nicht hinreichend
sicher absehbar ist (vgl. z.B. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18. Oktober
2013 1 E 987/13, juris, Rz 8, zur Beihilfe für Krankheitskosten; ebenso Wiegand,
Kranken- und Pflegeversicherung --KrV-- 2014, 137, 139).
18 Insoweit kommt es auf die Bestimmbarkeit der zukünftigen Auswirkungen zum
Zeitpunkt der die Instanz einleitenden Antragstellung an (OVG Lüneburg in NVwZ-RR
2015, 238, Rz 5; Wiegand, KrV 2014, 137, 140). Hierfür sind die dem Kostenbeamten
bzw. dem selbst den Streitwert festsetzenden Gericht vorliegenden Akten
einschließlich des Antrags auf Streitwertfestsetzung und der mit dem Antrag
vorgelegten Unterlagen heranzuziehen. Ist anhand dieser Unterlagen nicht eindeutig
bestimmbar, dass die Entscheidung Auswirkungen für zukünftige Steuerjahre haben
wird, so scheidet eine Erhöhung des Streitwerts nach § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG aus.
Dies ergibt sich zum einen aus dem mit dem 2. KostRMoG verfolgten Ziel der
"Vereinfachung des Kostenrechts" und der Entlastung der Gerichte von der "sehr
umfangreich gewordenen Kostenrechtsprechung" (vgl. BTDrucks 17/11471 (neu),
S. 133). Zum anderen wurde auf Anregung des Bundesrates die im Gesetzentwurf
vorgesehene weite Formulierung des § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG --um "zusätzliches
Konfliktpotential" und "entsprechenden Mehraufwand" möglichst zu vermeiden--
dahingehend eingeschränkt, dass die Berücksichtigung zukünftiger Auswirkungen nur
in den Fällen eine Rolle spielt, "in denen die Auswirkung für die Zukunft offensichtlich
ist" (BTDrucks 17/11471 (neu), S. 311 und 312).
19 b) Nach diesen Grundsätzen ist der Streitwert gemäß § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG zu
erhöhen. Es ist angesichts der ruhenden Einspruchsverfahren für die Folgejahre auf
den ersten Blick anhand der vorliegenden Akten erkennbar, dass zum Zeitpunkt der
Revisionseinlegung offensichtlich absehbare Auswirkungen auf die Höhe der
festzusetzenden Umsatzsteuer in den auf die Streitjahre 2006 und 2007 folgenden
Besteuerungszeiträumen bestanden. Die Höhe beträgt insgesamt 110.918,77 EUR.
20 c) Nach § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG darf jedoch die Erhöhung um die Summe der
offensichtlich absehbaren Auswirkungen "das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht
übersteigen". Das bedeutet für den Streitfall, dass die Erhöhung des Streitwerts auf
das Dreifache des durchschnittlichen Streitwerts der Streitjahre 2006 und 2007
begrenzt ist.
21 aa) Bei der Neuregelung von § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG ging der Gesetzgeber
erkennbar von dem Fall aus, dass nur ein Steuerjahr (Besteuerungszeitraum)
Gegenstand eines Rechtsstreits ist. In der Gesetzesbegründung wird insoweit
ausgeführt, die Nichtberücksichtigung anderer Steuerjahre führe "insbesondere in
finanzgerichtlichen Verfahren, die typischerweise bezogen auf die Steuererklärung
eines Jahres geführt werden, sich aber für eine Mehrzahl von Jahren auswirken, zu
einer systematischen Unterbewertung von Streitwerten im Verhältnis zu ihrer
tatsächlichen wirtschaftlichen Bedeutung für den Kläger" (BTDrucks 17/11471 (neu),
S. 245). Dem sollte die Vorschrift durch eine Erhöhung des Streitwerts in den Fällen
Rechnung tragen, "in denen die Entscheidung absehbar Auswirkungen für den
Betroffenen nicht nur auf das im Streit befindliche Steuerjahr, sondern auch auf
zukünftige Steuerjahre haben wird" (BTDrucks 17/11471 (neu), S. 245). Gleichzeitig
wurde die Erhöhung auf das Dreifache begrenzt (BTDrucks 17/11471 (neu), S. 245
und 312).
22 bb) Dementsprechend ist im Streitfall --in dem nicht nur die Steuerfestsetzung für ein
Jahr rechtshängig war-- die Erhöhung des Streitwerts nach § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG
auf das Dreifache des Durchschnittswerts der beiden Streitjahre 2006 und 2007 zu
begrenzen und der Streitwert (lediglich) auf 60.690,51 EUR zu erhöhen. Dieser Betrag
ergibt sich aus dem Dreifachen des Durchschnittswerts der umsatzsteuerrechtlichen
Auswirkungen in beiden Streitjahren, der im Streitfall (40.460,33 : 2 =) 20.230,17 EUR
beträgt.
23 5. Entgegen der Ansicht des FA ist die Erhöhung des Streitwerts nach § 52 Abs. 3
Satz 2 GKG nicht deshalb ausgeschlossen, weil entscheidende Ursache für die
Rücknahme der Revision und für die Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen für
die den Streitjahren 2006 und 2007 nachfolgenden Jahre die Änderung des § 10
Abs. 5 UStG zum 31. Juli 2014 (vgl. Art. 7 Nr. 2 des Gesetzes zur Anpassung des
nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer
steuerlicher Vorschriften, BGBl I 2014, 1266) gewesen sei. Denn die in § 10 Abs. 5
UStG n.F. vorgesehene Begrenzung der Mindestbemessungsgrundlage auf das
marktübliche Entgelt ergab sich bereits zuvor aus der Rechtsprechung des
Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des BFH (EuGH-Urteil Skripalle
vom 29. Mai 1997 C-63/96, EU:C:1997:263, BStBl II 1997, 841, Rz 31; BFH-Urteile
vom 8. Oktober 1997 XI R 8/86, BFHE 183, 314, BStBl II 1997, 840, unter 1. --Rz 15--
; vom 7. Oktober 2010 V R 4/10, BFHE 232, 537, BFH/NV 2011, 930, Rz 22). Dies
hatte das FG in seinem vom FA mit der Revision XI R 37/13 angefochtenen Urteil
zutreffend dargelegt (vgl. EFG 2013, 2046, Rz 40 ff.).
24 6. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, da es an einem entsprechenden
Gebührentatbestand im GKG fehlt (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 14. Juli 2009
VI S 10/09, Zeitschrift für Steuern und Recht 2009, R866; in BFH/NV 2015, 346,
Rz 24, m.w.N.).
25 7. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3
GKG).