Urteil des BFH vom 21.01.2015

Keine Steuerermäßigung bei Vermietung von Räumen an Prostituierte zum Zweck der Prostitution - Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache - Ordnungsgemäße Besetzung des Gerichts auch bei zeitweise geschlossenen Augen des beisitzenden Richters

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 21.1.2015, XI B 88/14
Keine Steuerermäßigung bei Vermietung von Räumen an Prostituierte zum Zweck der
Prostitution - Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache - Ordnungsgemäße
Besetzung des Gerichts auch bei zeitweise geschlossenen Augen des beisitzenden Richters
Tenor
Der Antrag auf Verfahrensruhe wird abgelehnt.
Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des
Finanzgerichts München vom 23. Juli 2014 3 K 2023/12 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
1 I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) erzielte im Besteuerungszeitraum 2010
u.a. Einnahmen aus der Vermietung von Wohnungen in zwei Gebäuden in …. Die Räume
in diesen Wohnungen wurden gegen Entgelt an Prostituierte zum Zweck der Ausübung der
Prostitution überlassen. Die Mietverträge waren als "kurzfristig" bezeichnet, auf
unbestimmte Zeit geschlossen und konnten von beiden Parteien mit einer Frist von einer
Woche gekündigt werden. Die Miete betrug zwischen 135 EUR und 150 EUR pro Tag und
war täglich in bar an die Klägerin zu entrichten.
2 In ihrer Umsatzsteuererklärung für 2010 erklärte die Klägerin die Einnahmen aus der
Vermietung der Wohnungen als Umsätze zum ermäßigten Steuersatz von 7 % gemäß § 12
Abs. 2 Nr. 11 des Umsatzsteuergesetzes (UStG).
3 Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) besteuerte die Umsätze in
dem von der Erklärung abweichenden Jahressteuerbescheid vom 13. Februar 2012
dagegen mit dem Regelsteuersatz von 19 %.
4 Der hiergegen gerichtete Einspruch und die im Anschluss erhobene Klage hatten keinen
Erfolg.
5 Das Finanzgericht (FG) führte im Urteil vom 23. Juli 2014 zur Begründung im Wesentlichen
aus, der ermäßigte Steuersatz sei nicht anwendbar, weil die Klägerin keine Wohn- und
Schlafräume zur kurzfristigen Beherbergung bereitgehalten habe. Die Wohnungen seien in
erster Linie für die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten in Form der Prostitution überlassen
worden. Es liege eine einheitliche steuerpflichtige Leistung vor, da die gewerbliche
Nutzung im Vordergrund stehe. Im Streitfall ergebe sich dies bereits aus der Höhe des
täglich in bar zu entrichtenden Mietzinses und der Tatsache, dass sie einschlägige
Werbung für die Möglichkeit zur Inanspruchnahme der Prostitution in den von ihr
vermieteten Häusern betreibe. Auch eine Aufteilung der Leistung komme nicht in Betracht.
6 Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 1999 veröffentlicht.
7 Mit der Beschwerde beantragt die Klägerin, das Beschwerdeverfahren im Hinblick auf das
beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anhängige Verfahren 1 BvR 3240/13 ruhen zu
lassen, hilfsweise die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.
Entscheidungsgründe
8 II. 1. Der Senat sieht davon ab, das Ruhen des Verfahrens zu beschließen bzw. das
Verfahren auszusetzen.
9 a) Eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist
nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) bei Vorliegen weiterer
Voraussetzungen dann geboten, wenn vor dem BVerfG bereits ein nicht als aussichtslos
erscheinendes Musterverfahren gegen eine im Streitfall anzuwendende Norm anhängig
ist (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 7. Februar 1992 III B 24-25/91, BFHE 166, 418, BStBl II
1992, 408).
10 Dies ist hier nicht der Fall. Zwar wurde gegen das gleichfalls die Zimmervermietungen an
Prostituierte betreffende BFH-Urteil vom 22. August 2013 V R 18/12 (BFHE 243, 32,
BStBl II 2013, 1058) unter dem Az. 1 BvR 3240/13 Verfassungsbeschwerde eingelegt.
Insoweit handelt es sich jedoch um kein die Verfassungsmäßigkeit der im Streitfall
anzuwendenden steuerrechtlichen Normen betreffende Musterverfahren. Es ist weder
ersichtlich noch dargetan, inwiefern § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG verfassungswidrig sein
könnte.
11 b) Allein der Umstand, dass gegen das bezeichnete BFH-Urteil Verfassungsbeschwerde
eingelegt worden ist, rechtfertigt keine Aussetzung des vorliegenden Verfahrens (vgl. z.B.
BFH-Beschluss vom 8. November 2007 VIII B 170/06, BFH/NV 2008, 580, unter II.2.,
m.w.N.).
12 c) Das Ruhen des Verfahrens, das nicht an die einschränkenden Voraussetzungen einer
Verfahrensaussetzung gebunden ist, kann auch hinsichtlich einer
Nichtzulassungsbeschwerde angeordnet werden (vgl. BFH-Beschluss vom 23. Juni 1998
V B 160/96, BFH/NV 1999, 83). Voraussetzung hierfür ist außer der Zustimmung der
Beteiligten, dass die Anordnung aus wichtigen Gründen zweckmäßig ist (§ 155 FGO
i.V.m. § 251 der Zivilprozessordnung). Im Streitfall kommt die Anordnung der
Verfahrensruhe allerdings bereits deshalb nicht in Betracht, weil das FA sich der
entsprechenden Anregung der Klägerin nicht angeschlossen hat (vgl. z.B. BFH-
Beschluss in BFH/NV 2008, 580).
III.
13 Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten
Revisionszulassungsgründe sind entweder nicht gegeben oder nicht den Anforderungen
i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechend dargelegt.
14 1. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) wird nicht
entsprechend den Anforderungen in § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt.
15 a) Wird die Beschwerde mit der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache begründet,
hat der Beschwerdeführer zur Erfüllung der Darlegungsanforderungen eine hinreichend
bestimmte für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche abstrakte Rechtsfrage
herauszustellen, der grundsätzliche Bedeutung zukommen soll. Hierzu ist schlüssig und
substantiiert unter Auseinandersetzung mit den zur aufgeworfenen Rechtsfrage in
Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen darzulegen, weshalb die für
bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und im
Streitfall klärbar ist. Dazu muss auch dargetan werden, in welchem Umfang, von welcher
Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Frage zweifelhaft und streitig ist
(ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 5. Juni 2013 XI B 116/12,
BFH/NV 2013, 1640, und vom 24. Februar 2014 XI B 15/13, BFH/NV 2014, 839, jeweils
m.w.N.). Liegt zu der vom Beschwerdeführer herausgestellten Rechtsfrage bereits
höchstrichterliche Rechtsprechung vor, so gehört zu der Darlegung der
Klärungsbedürftigkeit eine fundierte Stellungnahme dazu, weshalb diese Rechtsprechung
noch nicht zu einer hinreichenden Klärung geführt habe oder aufgrund welcher neuen
Entwicklungen sie nunmehr erneut in Frage gestellt werden müsse (vgl. z.B. BFH-
Beschlüsse vom 15. Oktober 2008 II B 74/08, BFH/NV 2009, 125; vom 8. Oktober 2010
II B 111/10, BFH/NV 2011, 73; vom 22. Juli 2013 I B 158/12, BFH/NV 2013, 1807; in
BFH/NV 2013, 1640, und in BFH/NV 2014, 839, jeweils m.w.N.).
16 b) Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
17 In der Rechtsprechung des BFH ist seit dem Urteil vom 22. August 2013 in BFHE 243, 32,
BStBl II 2013, 1058 geklärt, dass die Vermietung an Prostituierte zum Zweck der
Ausübung ihres Gewerbes keine Vermietung von zur kurzfristigen Beherbergung
bereitgehaltenen Wohn- und Schlafräumen i.S. von § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG ist.
18 Mit dieser Auffassung des BFH setzt sich die Beschwerdebegründung nicht auseinander.
Insbesondere wird nicht ausgeführt, weshalb durch dieses Urteil keine hinreichende
Klärung erfolgt sei. Allein mit dem Hinweis auf die gegen das BFH-Urteil in BFHE 243,
32, BStBl II 2013, 1058 eingelegte Verfassungsbeschwerde wird die grundsätzliche
Bedeutung der Rechtssache nicht dargelegt (BFH-Beschluss vom 2. September 2011
III B 163/10, BFH/NV 2011, 2090).
19 2. Soweit in der Beschwerdebegründung auf --nach Ansicht der Klägerin divergierende--
Urteile anderer FG verwiesen wird, ist der Zulassungsgrund der Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) gleichfalls nicht
hinreichend dargelegt.
20 a) Zur Darlegung einer Divergenz ist erforderlich, dass sich aus der
Beschwerdebegründung ergibt, in welcher konkreten Rechtsfrage das FG in der
angefochtenen Entscheidung nach Ansicht des Beschwerdeführers von der
Rechtsprechung anderer Gerichte abgewichen ist. Er hat rechtserhebliche abstrakte
Rechtssätze im angefochtenen Urteil und in den von ihm angeführten
Divergenzentscheidungen so genau zu bezeichnen, dass die Abweichung erkennbar wird
(ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 29. Mai 2006 V B 159/05,
BFH/NV 2006, 1892, unter II.2.b; vom 22. Juli 2014 XI B 103/13, BFH/NV 2014, 1761,
Rz 8, m.w.N.).
21 b) Daran fehlt es hier. In der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde werden keine -
-divergierenden-- abstrakten Rechtssätze für vergleichbare Sachverhalte dargestellt, so
dass hieraus eine Abweichung verschiedener Gerichte im Grundsätzlichen erkennbar
wäre. Die Begründung erschöpft sich vielmehr darin, Unterschiede im Sachverhalt zu
verschiedenen anderen Urteilen darzustellen.
22 3. Soweit die Klägerin vorbringt, "beim Vorlesen des Falles" durch den Berichterstatter
habe der Beisitzer Herr X die Augen geschlossen, und sie damit die nicht
ordnungsgemäße Besetzung des Gerichts gemäß § 119 Nr. 1 FGO rügen wollte, wäre
diese Rüge nicht ordnungsgemäß erhoben worden.
23 a) Ein Gericht ist nicht vorschriftsmäßig besetzt, wenn ein Richter während der
mündlichen Verhandlung schläft und deshalb wesentlichen Vorgängen nicht folgt
(ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 4. August 1967 VI R 198/66, BFHE
89, 183, BStBl III 1967, 558, und BFH-Beschluss vom 19. Oktober 2011 IV B 61/10,
BFH/NV 2012, 246). Dass diese Voraussetzungen vorliegen, kann im Allgemeinen
jedoch erst dann angenommen werden, wenn sichere Anzeichen für das Schlafen wie
beispielsweise tiefes, hörbares und gleichmäßiges Atmen oder gar Schnarchen oder
eindeutige Anzeichen von fehlender Orientierung gerügt werden (BFH-Beschluss vom
16. Juni 2009 X B 202/08, BFH/NV 2009, 1659). Denn ein Richter kann dem Vortrag
während der mündlichen Verhandlung auch mit (vorübergehend) geschlossenen Augen
und geneigtem Kopf folgen. Deshalb muss derjenige, der sich darauf beruft, ein Gericht
sei wegen eines in der mündlichen Verhandlung eingeschlafenen Richters nicht
ordnungsgemäß besetzt gewesen, konkrete Tatsachen vortragen, welche eine
Konzentration des Richters auf wesentliche Vorgänge in der mündlichen Verhandlung
ausschließen (BFH-Beschluss vom 17. Februar 2011 IV B 108/09, BFH/NV 2011, 996).
24 b) Aus der Begründung ergeben sich hierfür keine Anzeichen. Die Klägerin trägt selbst
vor, es entziehe sich ihrer Kenntnis, ob der beisitzende Richter X eingenickt sei oder
nicht. Allein aus der Tatsache, dass dieser die Augen geschlossen hatte, ergibt sich nicht,
dass er wesentliche Vorgänge in der mündlichen Verhandlung nicht hätte aufnehmen
können.
25 4. Ein Verfahrensfehler in Form der Verletzung des rechtlichen Gehörs i.S. von § 119 Nr. 3
FGO liegt nicht vor.
26 a) Das Vorbringen, die Unterschiede zu dem vom BFH im Urteil in BFHE 243, 32, BStBl II
2013, 1058 entschiedenen Fall seien in der mündlichen Verhandlung dargestellt, jedoch
"bei den Richtern nicht mehr angekommen", stellt sinngemäß die Rüge der Verletzung
des rechtlichen Gehörs dar.
27 b) Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes i.V.m. § 96
Abs. 2 FGO) umfasst die Pflicht des Gerichts, die Ausführungen der Prozessbeteiligten
zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen; auch muss aus der Begründung der
gerichtlichen Entscheidung erkennbar sein, dass eine Auseinandersetzung mit dem
wesentlichen Vorbringen der Verfahrensbeteiligten stattgefunden hat. Diese richterliche
Pflicht geht jedoch nicht so weit, dass sich das Gericht mit jedem Vorbringen in den
Entscheidungsgründen ausdrücklich befassen müsste, da davon auszugehen ist, dass
das Gericht das Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen hat. Es darf das
Vorbringen außer Acht lassen, das nach seiner Auffassung unerheblich oder
unsubstantiiert ist. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist erst dann verletzt, wenn sich
aus den besonderen Umständen des Einzelfalles deutlich ergibt, dass das Gericht ein
tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei
seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (BFH-Beschlüsse vom
15. Dezember 2010 XI B 46/10, BFH/NV 2011, 448; vom 7. November 2012 I B 172/11,
BFH/NV 2013, 561).
28 c) Das Urteil setzt sich in den Entscheidungsgründen mit der Entscheidung des BFH in
BFHE 243, 32, BStBl II 2013, 1058 auseinander. Aus dem Protokoll über die mündliche
Verhandlung ist außerdem erkennbar, dass die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten
erörtert worden ist. Allein die Tatsache, dass das FG aus den Vorbringen der Klägerin
andere rechtliche Schlüsse gezogen hat, stellt keine Verletzung ihres Rechts auf
rechtliches Gehör dar.
29 5. Die Klägerin hält im Kern mit ihrem Beschwerdevorbringen die Rechtsauffassung des
FG für falsch und stellt die materielle Rechtmäßigkeit der Entscheidung in Frage. Dies
begründet grundsätzlich keinen Revisionszulassungsgrund. Denn das prozessuale
Rechtsinstitut der Nichtzulassungsbeschwerde dient nicht dazu, allgemein die Richtigkeit
finanzgerichtlicher Urteile zu gewährleisten (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-
Beschlüsse vom 15. Februar 2012 XI S 25/11 (PKH), BFH/NV 2012, 1133; vom 27. Juni
2012 VII B 57/11, BFH/NV 2012, 1623; vom 18. September 2012 I B 10/12, BFH/NV 2013,
27; vom 26. März 2013 VIII B 157/12, BFH/NV 2013, 934).
30 6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.