Urteil des BFH vom 01.03.2016

Vorsteuerausschluss bei Erwerb eines Wohnhauses, das zu mehr als 90 % privat genutzt wird --unternehmerische Mindestnutzung--

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 1.3.2016, XI B 51/15
Vorsteuerausschluss bei Erwerb eines Wohnhauses, das zu mehr als 90 % privat genutzt
wird --unternehmerische Mindestnutzung--
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des
Finanzgerichts Münster vom 7. Mai 2015 5 K 2354/12 U wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
1 I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine GmbH & Co. KG, betrieb in den
Jahren 2006 und 2007 (Streitjahre) u.a. einen Gewerbebetrieb. Das streitbefangene, in
den Streitjahren auf ihrem Betriebsgelände errichtete "Betriebsleiterwohnhaus", ein
Einfamilienhaus mit Erd- und Dachgeschoss und einer Gesamtwohnfläche von
234,89 qm, wurde von den Geschäftsführern der Komplementär-GmbH --X und deren
Lebensgefährten Y-- zu eigenen Wohnzwecken genutzt. Zur Wohnfläche gehören ein
Gästezimmer (15,44 qm), ein Gäste-WC (3,71 qm) und eine Diele, über die man zu
den Gästeräumen und zum übrigen Gebäudebereich gelangt.
2 Die Klägerin ordnete das Betriebsleiterwohnhaus --ausgehend von einer hälftigen
unternehmerischen Nutzung-- vollständig ihrem Unternehmen zu und machte den
vollen Vorsteuerabzug aus den Herstellungskosten des Gebäudes sowie aus denen
einer Kläranlage, eines Bohrbrunnens und eines Blockheizkraftwerks, die auch
anderen --unstreitig dem Unternehmen zugeordneten-- Gebäuden dienten, sowie aus
den Anschaffungskosten einer Einbauküche geltend.
3 Nach einer Betriebsprüfung vertrat der Beklagte und Beschwerdegegner (das
Finanzamt --FA--) die Auffassung, das Betriebsleiterwohnhaus könne, da es zu
weniger als 10 % unternehmerisch genutzt werde, nicht dem Unternehmen zugeordnet
werden. Das FA ließ in den Änderungsbescheiden über Umsatzsteuer für 2006 und
2007 vom 3. März 2011 die Vorsteuer aus den Herstellungskosten des
Betriebsleiterwohnhauses sowie diesbezüglich anteilig (zu jeweils 25 %) der
Kläranlage, des Bohrbrunnens und des Blockheizkraftwerks und aus den
Anschaffungskosten der Einbauküche nicht zum Abzug zu. Der Einspruch der Klägerin
wurde mit Einspruchsentscheidung vom 13. Juni 2012 als unbegründet
zurückgewiesen.
4 Das Finanzgericht (FG) gab der Klage nur aus anderen, hier nicht streitigen Gründen in
geringem Umfang statt. Der von der Klägerin begehrte Vorsteuerabzug scheitere an
dem Abzugs- und Aufteilungsverbot gemäß § 15 Abs. 1a des Umsatzsteuergesetzes
(UStG) i.V.m. § 12 des Einkommensteuergesetzes (EStG) --und wenn man dies nicht
annähme-- an § 15 Abs. 1 Satz 2 UStG. Die unternehmerische Nutzung des Objekts
liege unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze von 10 % mit der Folge, dass die Nutzung
insgesamt als nicht unternehmerisch gelte.
5 Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der
Revision. Sie macht geltend, die Revision sei wegen grundsätzlicher Bedeutung der
Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), zur Fortbildung
des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) und zur Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) sowie wegen
Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) zuzulassen.
Entscheidungsgründe
6 II. Die Beschwerde ist unzulässig. Die Klägerin hat keinen Zulassungsgrund i.S. des
§ 115 Abs. 2 FGO den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechend
dargetan.
7 1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115
Abs. 2 Nr. 1 FGO) zuzulassen.
8 a) Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache
setzt voraus, dass der Beschwerdeführer eine hinreichend bestimmte Rechtsfrage
herausstellt, deren Klärung im Interesse der Allgemeinheit an der Einheitlichkeit der
Rechtsprechung und der Fortentwicklung des Rechts erforderlich ist und die im
konkreten Streitfall klärbar ist. Dazu ist auszuführen, ob und in welchem Umfang, von
welcher Seite und aus welchen Gründen die Rechtsfrage umstritten ist (vgl. z.B.
Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 16. März 2015 XI B 109/14, BFH/NV
2015, 1005, Rz 6). Enthält das angefochtene Urteil eine Doppelbegründung, muss
hinsichtlich eines jeden der beiden Begründungsansätze der geltend gemachte
Zulassungsgrund dargelegt werden (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 15. Juli 2011
III B 13/11, BFH/NV 2011, 1918, Rz 13).
9 b) Diesen Erfordernissen genügt der Vortrag der Klägerin nicht.
10 aa) Sie führt in ihrer Beschwerdebegründung (unter Teil B I.1.1) als Rechtsfrage von
grundsätzlicher Bedeutung an, "ob die Bestimmungen zum Ausschluss des
Vorsteuerabzugs gem. § 15 Abs. 1a UStG i.V.m. § 12 EStG und die Auffassung des
Finanzgerichts Münster, dass die Vorschrift des § 15 Abs. 1a UStG nicht EU-
rechtswidrig sowie die in § 15 Abs. 1 Satz 2 UStG genannte 10 %-Grenze EU-
rechtskonform sei sowie eines sich daraus ergebenden Ausschlusses des
Vorsteuerabzugs zu versagen sei".
11 Die diesbezüglichen Ausführungen der Klägerin betreffen im Wesentlichen die Frage
der Vereinbarkeit des § 15 Abs. 1a UStG i.V.m. § 12 EStG mit Unionsrecht, während
sie sich im Hinblick auf § 15 Abs. 1 Satz 2 UStG --auf den das FG die
Vorentscheidung ebenfalls gestützt hat-- lediglich auf den BFH-Beschluss vom
16. Juni 2015 XI R 15/13 (BFHE 250, 276, BStBl II 2015, 865, Rz 35 ff., 46 ff.) beruft.
Dieses Vorbringen ist jedoch nicht geeignet, die grundsätzliche Bedeutung der
Rechtssache zu begründen, da der Streitfall --anders als der Vorlagebeschluss des
BFH in BFHE 250, 276, BStBl II 2015, 865-- die Frage des Vorsteuerausschlusses in
Bezug auf nichtwirtschaftliche Tätigkeiten nicht betrifft, sondern das nach den
Feststellungen des FG zu mehr als 90 % zu eigenen Wohnzwecken genutzte
Betriebsleiterwohnhaus (Urteil, S. 12 ff.). Insoweit stellt der BFH im Leitsatz seines
Beschlusses in BFHE 250, 276, BStBl II 2015, 865 fest, dass Art. 1 der Entscheidung
des Rates vom 19. November 2004 zur Ermächtigung Deutschlands, eine von Art. 17
der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern abweichenden Regelung anzuwenden
(2004/817/EG), zum Vorsteuerausschluss ermächtigt, wenn --wie hier-- ein
Gegenstand zu mehr als 90 % für private Zwecke des Steuerpflichtigen oder seines
Personals oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke genutzt wird.
12 bb) Ferner sucht die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache damit
zu begründen, das FG habe "die sog. Leerstandszeiten für eine unternehmerische
Nutzung bei der Berechnung der unternehmerischen Nutzung nicht unberücksichtigt
gelassen", was jedoch geboten gewesen sei, "da solche Zeiten nach der
Rechtsprechung zu dem vergleichbaren Sachverhalt bei sog. Ferienwohnungen nach
der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht berücksichtigt werden dürfen".
13 Damit hat sie keine in einem Revisionsverfahren klärungsbedürftige und klärbare
Rechtsfrage bezeichnet, sondern macht im Wesentlichen geltend, die
Vorentscheidung sei falsch. Dies ist grundsätzlich nicht geeignet, die Zulassung der
Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO zu begründen; im Übrigen hat das FG in den
Entscheidungsgründen unter B.II.2. zu Gunsten der Klägerin unterstellt, "dass das
Gästezimmer ganzjährig für Gäste vorgehalten wird und keinerlei
außerunternehmerische Nutzung des Gästezimmers, etwa für private Gäste, erfolgt
ist".
14 2. Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass die Fortbildung des Rechts eine
Entscheidung des BFH erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO).
15 Das Erfordernis einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts (§ 115
Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) ist ein Unterfall des Zulassungsgrundes der
grundsätzlichen Bedeutung (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 11. Dezember 2014
XI B 49/14, BFH/NV 2015, 363, Rz 12), weshalb dieser Zulassungsgrund ebenfalls
eine klärungsbedürftige und klärbare Rechtsfrage voraussetzt (vgl. z.B. BFH-
Beschluss vom 24. Juni 2014 XI B 45/13, BFH/NV 2014, 1584, Rz 35).
16 Eine solche klärungsbedürftige und im Streitfall klärbare Rechtsfrage hat die Klägerin -
-jedenfalls hinsichtlich § 15 Abs. 1 Satz 2 UStG, auf den das FG seine Entscheidung
gleichfalls gestützt hat-- nicht bezeichnet (dazu oben unter II.1.b).
17 3. Die Revision ist nicht wegen Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO)
zuzulassen.
18 a) Zur schlüssigen Darlegung dieses Zulassungsgrundes muss der
Beschwerdeführer tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen
Urteil einerseits und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits
herausarbeiten und einander so gegenüberstellen, dass die behauptete Abweichung
erkennbar wird (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2015,
363, Rz 14, m.w.N.).
19 b) Dies ist vorliegend nicht geschehen.
20 aa) Die Klägerin führt aus der angegriffenen Vorentscheidung den Rechtssatz an,
dass "§ 15 Abs. 1a UStG ... im Hinblick auf die Verweisung auf § 12 EStG auch nicht
EU-rechtswidrig" sei; damit weiche das FG-Urteil von dem Urteil des FG München
vom 23. Februar 2006 14 K 3585/03 (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG--
2006, 1018) sowie von dem Beschluss des Großen Senats des BFH vom
21. September 2009 GrS 1/06 (BFHE 227, 1, BStBl II 2010, 672) und von dem Urteil
des FG Köln vom 19. Mai 2011 10 K 4126/09 (EFG 2011, 1410) ab.
21 bb) Ob die Klägerin hiermit eine Abweichung aufgezeigt hat, kann dahinstehen.
Jedenfalls hat sie mit der zitierten Aussage des FG zu § 15 Abs. 1a UStG i.V.m. § 12
EStG keinen Rechtssatz bezeichnet, der dessen Entscheidung trägt, da das FG sein
Urteil auch auf § 15 Abs. 1 Satz 2 UStG gestützt hat.
22 Bezüglich dieses zweiten Begründungsansatzes hat die Klägerin eine Divergenz, die
die Zulassung der Revision nach sich zöge, nicht bezeichnet. Ihr Vortrag, das FG
München habe gegen sein Urteil in EFG 2006, 1018 (rechtskräftig nach Rücknahme
der Revision, BFH-Beschluss vom 23. August 2006 V R 25/06, nicht veröffentlicht)
die Revision zugelassen, und ihre bloßen Hinweise auf den BFH-Beschluss in BFHE
250, 276, BStBl II 2015, 865 sowie auf den Beschluss des Großen Senats des BFH
vom 27. Juli 2015 GrS 1/14 (BFHE 251, 408, Deutsches Steuerrecht 2016, 210) sind
hierfür nicht geeignet.
23 4. Die Revision ist schließlich nicht wegen eines Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2
Nr. 3 FGO) zuzulassen.
24 a) Mit der Rüge, das FG habe den Grundsatz rechtlichen Gehörs verletzt, indem es
der von der Klägerin angebotenen Beweiserhebung nicht nachgegangen sei, hat die
Klägerin weder eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103
Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) noch einen Verstoß des FG gegen die
Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) hinreichend geltend gemacht.
25 aa) Wird das Übergehen von Beweisanträgen bzw. ein Verstoß gegen die
Sachaufklärungspflicht gerügt, muss neben dem Beweisthema und dem angebotenen
Beweismittel vorgetragen werden, inwiefern das Urteil des FG auf der unterlassenen
Beweiserhebung beruhen kann und welches Ergebnis die Beweisaufnahme
voraussichtlich ergeben hätte (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 31. August 2015
VI B 13/15, BFH/NV 2015, 1672, Rz 7).
26 bb) Dem wird die Beschwerde nicht gerecht. Es fehlt bereits an der Darlegung der
ermittlungsbedürftigen Tatsachen sowie dessen, was eine Beweisaufnahme an
Tatsachen ergeben hätte (vgl. BFH-Beschluss vom 18. November 2010 XI B 28/10,
BFH/NV 2011, 204, Rz 16).
27 Soweit die Klägerin in der Beschwerdebegründung (unter Teil B. IV.1.2.) anführt,
"durch die Vernahme des Herrn ... hätte sich entsprechend der Schriftsätze der
Klägerin vom ... eine zumindest 10%ige unternehmerische Nutzung der gesamten
Immobilie gemäß der in den vorgenannten Schriftsätzen aufgeführten Nutzung der
Räume ergeben", gibt sie lediglich mutmaßliche Schlussfolgerungen des Zeugen oder
ihre eigenen Schlussfolgerungen aus einer zu erwartenden Zeugenaussage wieder,
nicht jedoch diejenigen Tatsachen, aufgrund derer das FG eine solche
Schlussfolgerung zu ziehen hätte.
28 cc) Zudem hat das FG in den Entscheidungsgründen unter B.3 ausgeführt, aus
welchen Gründen die Beweisantritte der Klägerin aus den Schriftsätzen vom
10. Oktober 2012 und 18. Juli 2014 erledigt seien und die mit Schriftsätzen vom
13. Dezember 2012, 29. April 2013 und 26. Februar 2015 angetretenen Beweise nicht
zu erheben waren; damit hat sich die Klägerin in der Beschwerdebegründung nicht
auseinandergesetzt.
29 b) Soweit die Klägerin die Verletzung von § 76 Abs. 2 FGO i.V.m. § 102 Satz 1 FGO
rügt, hat sie weder einen Verfahrensmangel dargelegt noch ist ein solcher ersichtlich.
30 5. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO).
31 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.