Urteil des BFH vom 09.02.2015

Keine Gerichtskostenfreiheit für einen einem Schwerbehinderten gleichgestellten Beschwerdeführer - Kein Vertretungszwang bei Erinnerungsverfahren

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 9.2.2015, X E 25/14
Keine Gerichtskostenfreiheit für einen einem Schwerbehinderten gleichgestellten
Beschwerdeführer - Kein Vertretungszwang bei Erinnerungsverfahren
Tenor
Die Erinnerung gegen die Kostenrechnung des Bundesfinanzhofs Kostenstelle vom 27.
November 2014 KostL 1820/14 (X B 137/14) wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
Tatbestand
1 I. Der Kostenschuldner und Erinnerungsführer (Kostenschuldner) wendet sich gegen die
Kostenrechnung für ein Beschwerdeverfahren wegen Nichtzulassung der Revision, das er
vor dem Bundesfinanzhof (BFH) geführt hat. Er hatte in dem zugrundeliegenden
finanzgerichtlichen Verfahren die Steuerfreiheit seiner Einkünfte geltend gemacht, die ihm
jedoch vom Finanzgericht (FG) versagt worden war. Der angerufene Senat verwarf die
Beschwerde als unzulässig, weil sie nicht von einer postulationsfähigen Person gemäß
§ 62 Abs. 4 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) eingelegt worden war.
Dem Kostenschuldner wurden die Kosten des Verfahrens auferlegt.
2 Die Kostenstelle des BFH setzte daraufhin in der Kostenrechnung vom 27. November 2014
gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2, § 3 Abs. 1, 2 § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Gerichtskostengesetzes
(GKG) Gerichtskosten in Höhe von 178 EUR an. Mit seiner Erinnerung beantragt der
Kostenschuldner die Befreiung von den Gerichtsgebühren. Er sei durch Bescheid der
Bundesagentur für Arbeit vom 16. Juni 2014 gemäß § 2 Abs. 3 des Neunten Buches
Sozialgesetzbuch (SGB IX) einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt worden
und mache als berechtigte Person die Gerichtskostenfreiheit gemäß § 64 des Zehnten
Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) geltend.
3 Die Vertreterin der Staatskasse beantragt,
die Erinnerung zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
4 II. Die nach § 66 GKG statthafte Erinnerung ist unbegründet.
5 1. Die Entscheidung über die Erinnerung ergeht gemäß § 1 Abs. 5, § 66 Abs. 6 Satz 1
GKG durch den Einzelrichter.
6 2. Der Zulässigkeit der Erinnerung steht nicht entgegen, dass sie durch den nicht
postulationsfähigen Kostenschuldner persönlich eingelegt worden ist. Auch im zeitlichen
Anwendungsbereich der Neufassung des § 62 Abs. 4 FGO sind Erinnerungsverfahren
von dem für Verfahren vor dem BFH grundsätzlich angeordneten Vertretungszwang
ausgenommen (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 15. Oktober 2014 X E 23/14, BFH/NV
2015, 219, Rz 10, m.w.N. aus der BFH-Rechtsprechung).
7 3. Gegen den Inhalt der Kostenrechnung als solche erhebt der Kostenschuldner keine
Einwendungen. Eine Prüfung von Amts wegen führt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die
Kostenrechnung dem Grunde und der Höhe nach den gesetzlichen Vorschriften
entspricht. Die Höhe der Gerichtsgebühren richtet sich nach dem Streitwert (§ 3 Abs. 1,
§ 34 Abs. 1 GKG) sowie den in Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG aufgeführten
Gebührentatbeständen. Diese gesetzlichen Vorschriften wurden erkennbar von der
Kostenstelle zutreffend angewendet. Auch gegen die Bemessung des Streitwerts
bestehen keine Bedenken.
8 4. Im Gegensatz zur Auffassung des Kostenschuldners besteht kein Anspruch auf seine
Befreiung von den Gerichtskosten.
9 a) Zwar sind gemäß § 64 Abs. 2 SGB X Geschäfte und Verhandlungen, die aus Anlass
der Beantragung, Erbringung oder der Erstattung einer Sozialleistung nötig werden,
kostenfrei, wobei dies auch für die im GKG bestimmten Gerichtskosten gilt. Der Begriff der
Sozialleistung umfasst dabei alle Vorteile, die nach den Vorschriften des
Sozialgesetzbuches dem Einzelnen --zumindest mittelbar-- zugutekommen (siehe Roos
in v. Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl., § 64 Rz 7).
10 Der Kostenschuldner erstrebte jedoch die Zulassung der Revision gegen ein Urteil des
FG, das die von ihm geltend gemachte Steuerfreiheit seiner Einkünfte des Jahres 2010
zum Gegenstand hatte. Dieses Begehren kann zweifelsfrei nicht als Sozialleistung i.S.
des § 64 Abs. 2 SGB X angesehen werden.
11 b) Eine persönliche Kostenfreiheit gemäß § 64 Abs. 3 Satz 2 SGB X, die auch
finanzgerichtliche Verfahren umfasst, wird lediglich den Trägern der Sozialhilfe, der
Jugendhilfe und der Kriegsopferfürsorge gewährt (siehe auch Dalichau, SGB X,
Verwaltungsverfahren, § 64 IV.2). Der Kostenschuldner, der nicht zu diesem
Personenkreis gehört, kann damit auch aus § 63 Abs. 3 SGB X keinen Anspruch auf
Befreiung von den Gerichtskosten ableiten.
12 c) Eine weitere Befreiungsnorm ist nicht ersichtlich. Selbst wenn eine Kostenbefreiung
kraft Landesrecht gegeben wäre --wovon jedoch nicht auszugehen ist--, könnte ein
Landesgesetz ohne eine entsprechende bundesrechtliche Ermächtigung keine Befreiung
von Gerichtsgebühren aussprechen, die vor Gerichten des Bundes entstehen. Diesem
Grundsatz steht der Hinweis in § 2 Abs. 3 Satz 2 GKG auf den Fortbestand der auf
Landesrecht beruhenden weiter gehenden Kostenbefreiungen nicht entgegen (so BFH-
Beschluss vom 11. November 1997 VII E 6/97, BFHE 184, 237, BStBl II 1998, 121; siehe
auch Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Vor § 135 FGO
Rz 12).
13 5. Mit der Gleichstellung gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX hat der Kostenschuldner zwar u.a.
Rechte erworben wie die Anrechnung auf die Pflichtplatzquote des Arbeitgebers (§ 71
Abs. 1 SGB IX), den Anspruch auf behinderungsgerechte Beschäftigung und bevorzugte
Berücksichtigung bei beruflichen Bildungsmaßnahmen (§ 81 Abs. 4 Nr. 1, 2 und 3
SGB IX), besonderen Kündigungsschutz (§§ 85, 90 Abs. 1 Nr. 1, 91 SGB IX) oder
Anspruch auf Beratung, Vertretung und Hilfe gegenüber der Schwerbehindertenvertretung
(§ 95 Abs. 1 SGB IX; siehe zu dem Vorstehenden auch Luthe in: juris PraxisKommentar
SGB IX, § 2 SGB IX Rz 107). Die Befreiung von Gerichtskosten gehört hierzu jedoch
nicht.
14 6. Das Verfahren über die Erinnerung ist gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht
erstattet (§ 66 Abs. 8 GKG).