Urteil des BFH vom 14.12.2011

Fortsetzung des ursprünglichen Prozesses zwecks Prüfung der Umsetzung einer Zusage nach Erledigung der Hauptsache - Wirksamkeit der Kündigung einer Prozessvollmacht - Keine Zulässigkeit eines unstatthaften Rechtsbehelfs wegen fehlerhaft erteilter Rechtsbe

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 14.12.2011, X B 42/11
Fortsetzung des ursprünglichen Prozesses zwecks Prüfung der Umsetzung einer Zusage nach
Erledigung der Hauptsache - Wirksamkeit der Kündigung einer Prozessvollmacht - Keine
Zulässigkeit eines unstatthaften Rechtsbehelfs wegen fehlerhaft erteilter
Rechtsbehelfsbelehrung
Tatbestand
1 I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) betrieb vor dem Finanzgericht (FG) des
Landes Brandenburg ein Klageverfahren (2 K 702/03) wegen der gegen ihn ergangenen
Einkommensteuerbescheide 1994 bis 1997. In der mündlichen Verhandlung vom 25.
Januar 2006 einigten sich die Beteiligten. Der damalige Beklagte (das Finanzamt X) sagte
dem Kläger entsprechend der Einigung den Erlass geänderter Steuerbescheide zu. Hierauf
erklärten der Kläger und das Finanzamt X den Rechtsstreit 2 K 702/03 in der Hauptsache
für erledigt.
2 Gegen die hierauf ergangenen Einkommensteuer-Änderungsbescheide legte der Kläger
Einspruch ein, den er nicht begründete. Diesen verwarf der nunmehr für die Besteuerung
zuständige Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) mit der Begründung
als unzulässig, der mögliche Einwand des Klägers, die Bescheide entsprächen nicht der in
der mündlichen Verhandlung erzielten Einigung, könne nicht in einem erneuten
Einspruchsverfahren, sondern nur durch Fortsetzung des Klageverfahrens 2 K 702/03
geltend gemacht werden.
3 Die hiergegen erhobene (neue) Klage wies das FG mit der Begründung ab, das FA habe
den Einspruch zu Recht als unzulässig verworfen. Der Streit über Inhalt und Umsetzung
einer zur Hauptsacheerledigung führenden Einigung sei nicht durch einen Einspruch,
sondern durch Fortführung des ursprünglichen Klageverfahrens zu klären.
4 Wegen der Nichtzulassung der Revision legte der anwaltlich vertretene Kläger
Beschwerde ein. Zudem begehrt er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für
dieses Beschwerdeverfahren (X S 11/11 (PKH)). Er macht geltend, das angefochtene Urteil
beruhe auf einem Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Das FG habe zu Unrecht angenommen, der Streit über die Umsetzung einer zur
Hauptsacheerledigung führenden Einigung sei durch Fortsetzung des bisherigen
Verfahrens zu klären. Das FG habe es auch versäumt zu überprüfen, ob sich das FA an die
getroffene Einigung gehalten habe. Soweit der Bundesfinanzhof (BFH) in dem Urteil vom
16. November 2000 XI R 28/99 (BFHE 193, 494, BStBl II 2001, 303) in einem solchen Fall
die Fortsetzung des ursprünglichen Klageverfahrens zugelassen habe, beruhe dies darauf,
dass der dortige Kläger diesen Weg gewählt habe. Dies schließe es aber nicht aus,
stattdessen die Frage der zutreffenden Umsetzung der Einigung in einem neuen
Klageverfahren zu klären. Der BFH verlange die Fortsetzung des ursprünglichen
Klageverfahrens zwingend nur in Fällen, in denen die Unwirksamkeit einer erzielten
Einigung, nicht aber die unzutreffende Umsetzung einer wirksamen Einigung geltend
gemacht werde. Zudem habe der Kläger diejenigen Rechtsbehelfe eingelegt, die in den
Rechtsbehelfsbelehrungen der angefochtenen Steuerbescheide angegeben gewesen
seien. Es bedürfe daher auch der grundsätzlichen Klärung, ob er auf die Richtigkeit dieser
Rechtsbehelfsbelehrungen habe vertrauen und entsprechend habe Einspruch einlegen
und Klage erheben können.
5 Mit Schriftsatz vom 16. November 2011 meldete sich für den Kläger die von diesem
bevollmächtigte Anwaltskanzlei (RA A). Mit Schriftsatz vom 29. November 2011 teilte diese
Kanzlei mit, das Mandat sei mit sofortiger Wirkung niedergelegt worden.
Entscheidungsgründe
6 II. A. Die durch den Kläger erfolgte Bevollmächtigung der Anwaltskanzlei RA A ist
ungeachtet der Kündigung des Vollmachtsvertrags durch diese Anwaltskanzlei weiterhin
wirksam. Denn eine solche Kündigung erlangt gemäß §§ 62 Abs. 4, 155 FGO i.V.m. § 87
der Zivilprozessordnung erst Wirksamkeit durch die Anzeige der Bestellung eines
anderen Prozessbevollmächtigten (BFH-Urteil vom 13. Januar 1977 V R 87/76, BFHE
121, 20, BStBl II 1977, 238). Ein neuer Prozessbevollmächtigter ist bisher nicht bestellt
worden.
7 B. Die Beschwerde ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung entspricht nicht den
Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO.
8 1. Der Kläger hat nicht schlüssig das Vorliegen eines Verfahrensfehlers (§ 115 Abs. 2 Nr.
3 FGO) gerügt.
9 Ein Verfahrensfehler liegt zwar vor, wenn das FG eine Klage zu Unrecht durch
Prozessurteil als unzulässig abweist (Senatsbeschluss vom 23. April 2009 X B 43/08,
BFH/NV 2009, 1443; BFH-Beschluss vom 22. Juni 2010 VIII B 12/10, BFH/NV 2010,
1846).
10 a) Dieser Fall liegt hier nicht vor. Denn das FG hat die Klage als unbegründet angesehen,
weil es die Auffassung des FA bestätigt hat, über die Frage, ob die im ursprünglichen
Prozess gegebene Zusage von geänderten Steuerbescheiden zutreffend umgesetzt
worden sei, könne nur im Rahmen des ursprünglichen Klageverfahrens und nicht in
einem gesonderten (außergerichtlichen) Rechtsbehelfsverfahren entschieden werden.
Hiervon ausgehend hat das FG auch nicht dadurch verfahrensfehlerhaft gehandelt, dass
es nicht geprüft hat, ob die ergangenen Änderungsbescheide inhaltlich der gegebenen
Zusage entsprachen, weil es hierauf ausgehend vom Rechtsstandpunkt des FG im
vorliegenden Rechtsstreit nicht ankam.
11 b) Die Rechtsauffassung des FG war auch zutreffend. Es entspricht der gefestigten BFH-
Rechtsprechung, dass der Streit über die korrekte Umsetzung einer Zusage, welche dazu
geführt hat, dass der ursprüngliche Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt
worden ist, nur im Wege der Fortführung des ursprünglichen Prozesses geklärt werden
kann. Eine solche Fortsetzung des ursprünglichen Prozesses ist nicht nur dann geboten,
wenn in Frage steht, ob die ursprünglich abgegebenen Erledigungserklärungen
unwirksam sind oder angefochten bzw. widerrufen werden können (vgl. hierzu z.B.
Senatsurteil vom 29. November 1987 X R 1/80, BFHE 151, 118, BStBl II 1988, 121, unter
1. der Urteilsgründe, und BFH-Beschluss vom 4. April 1990 IV B 126/88, BFH/NV 1991,
550).
12 Der ursprüngliche Prozess ist auch dann fortzusetzen, wenn wie im Streitfall darüber zu
entscheiden ist, ob die von der Finanzbehörde in diesem Prozess abgegebene
Änderungszusage korrekt umgesetzt worden ist (Senatsurteil in BFHE 151, 118, BStBl II
1988, 121, und BFH-Urteil in BFHE 193, 494, BStBl II 2001, 303). Entgegen der
Auffassung des Klägers kann der BFH-Rechtsprechung nicht entnommen werden, dass
ein Kläger im Falle einer (angeblichen) Nichteinhaltung einer solchen Zusage ein
Wahlrecht hat, entweder den ursprünglichen Prozess fortzusetzen oder stattdessen ein
neues Rechtsbehelfsverfahren zu führen. Ein solches Wahlrecht kann nicht den
Aussagen des BFH in den Urteilen in BFHE 151, 118, BStBl II 1988, 121 und in BFHE
193, 494, BStBl II 2001, 303 entnommen werden, wonach "der Kläger den Rechtsstreit mit
dem Antrag fortsetzen kann, das Finanzamt zum Erlass des zugesagten
Änderungsbescheids zu verpflichten". Hiergegen spricht der vom BFH für seine
Rechtsprechung angeführte Gesichtspunkt der analogen Anwendung des
Rechtsgedankens des § 68 FGO, der in der seit dem Jahr 2001 geltenden Fassung die
Anwendung der Vorschrift nicht mehr von einem Antrag abhängig macht. Gegen ein
solches Wahlrecht spricht auch der vom BFH in dem im Urteil in BFHE 193, 494, BStBl II
2001, 303 gegebene Hinweis, wonach es prozesswirtschaftlich ist, einen Streit betreffend
die Umsetzung einer Zusage im bisherigen Verfahren austragen zu lassen, da der
Streitstoff dem Gericht und den Beteiligten bekannt ist und ihnen damit Kosten und
Aufwand eines neuen Rechtsstreits erspart bleiben.
13 c) Der gegen die Änderungsbescheide gerichtete Einspruch war auch nicht deshalb
zulässig, weil diese Bescheide den Angaben des Klägers zufolge jeweils eine
Rechtsbehelfsbelehrung enthielten, wonach der Einspruch statthaft sei. Es entspricht der
ständigen Rechtsprechung, dass eine fehlerhaft erteilte Rechtsbehelfsbelehrung nicht
bewirken kann, dass ein gesetzlich nicht statthafter Rechtsbehelf als zulässig anzusehen
ist (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 24. Januar 1989 VIII B 19/88, BFH/NV 1990, 384, und
Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl, § 55 Rz 27, m.w.N. aus der BFH-
Rechtsprechung).
14 2. Der Kläger hat auch nicht in ausreichender Weise die grundsätzliche Bedeutung der
Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) dargelegt.
15 Der Vortrag des Klägers, es sei grundsätzlich bedeutsam, ob er befugt gewesen sei,
Einspruch einzulegen, weil er in den Rechtsbehelfsbelehrungen, welche den
angefochtenen Bescheiden beigefügt waren, hierauf hingewiesen worden sei, ist nicht
ausreichend. Es fehlen Ausführungen, inwiefern die aufgeworfene Rechtsfrage im
allgemeinen Interesse der Klärung bedarf. Insbesondere hat es der rechtskundig
vertretene Kläger versäumt, sich mit der vorstehend unter II.B.1.c genannten BFH-
Rechtsprechung auseinanderzusetzen, die sich mit dieser Frage befasst.