Urteil des BFH vom 24.03.2015

Keine sachliche Unbilligkeit bei fehlender einkommensteuerlicher Auswirkung von Sonderausgaben; Anforderungen an die Rüge der Voreingenommenheit eines Richters

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 24.3.2015, X B 4/15
Keine sachliche Unbilligkeit bei fehlender einkommensteuerlicher Auswirkung von
Sonderausgaben; Anforderungen an die Rüge der Voreingenommenheit eines Richters
Tenor
Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des
Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 18. November 2014 9 K 9237/13 wird als unbegründet
zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
1 I. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) setzte gegen den Kläger
und Beschwerdeführer (Kläger), einen im Ruhestand befindlichen Steuerberater, mit
Bescheid vom 30. April 2009 Einkommensteuer 2008 in Höhe von 14.410 EUR,
evangelische Kirchensteuer 2008 in Höhe von 1.342,62 EUR sowie Solidaritätszuschlag
fest. Den Festsetzungen lagen Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 54.968 EUR
zugrunde. Der Saldo aller übrigen Einkünfte betrug 7.002 EUR.
2 Aufgrund der einbehaltenen Kapitalertragsteuer ergab sich ein Einkommensteuer-
Erstattungsanspruch. Aus diesem tilgte das FA zunächst die festgesetzte Kirchensteuer im
Wege der Umbuchung. Den übersteigenden Betrag kehrte es an den Kläger aus.
3 Im anschließenden Einspruchs- und Klageverfahren begehrte der Kläger, die im Jahr 2009
durch Umbuchung gezahlte Kirchensteuer für 2008 bereits im Einkommensteuerbescheid
2008 als Sonderausgabe abzuziehen. Hierzu behauptete er, dass sich diese Zahlung im
Rahmen der Einkommensteuerveranlagung 2009 nicht steuermindernd auswirken werde,
da die Einkünfte aus Kapitalvermögen der Abgeltungsteuer unterlägen und die übrigen
Einkünfte nicht zur Festsetzung von Einkommensteuer führen würden.
4 Einspruch und Klage gegen die Steuerfestsetzung blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht
(FG) führte in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 1028 veröffentlichten
Urteil aus, das Grundgesetz verlange nicht, dass alle im Einkommensteuergesetz (EStG)
genannten Steuerermäßigungsmöglichkeiten bei jedem Steuerpflichtigen in der für ihn
günstigsten Weise zur Anwendung kommen müssten. Vergleichbare Folgen wie im
Streitfall könnten sich auch bei Anwendung des § 10d EStG ergeben (vgl. Beschluss des
Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 9. April 2010 IX B 191/09, BFH/NV 2010, 1270). Der Kläger
könne für 2009 gemäß § 32d Abs. 6 EStG die Einbeziehung der Einkünfte aus
Kapitalvermögen in die Regelveranlagung wählen. Ob ein --im Klageverfahren gegen die
Steuerfestsetzung nicht zu bescheidender-- Antrag auf Erlass der Einkommensteuer aus
Billigkeitsgründen erfolgversprechend wäre, sei "nach den obigen Ausführungen nicht
naheliegend". Diese Entscheidung wurde rechtskräftig.
5 Bereits vor Ergehen des finanzgerichtlichen Urteils im Steuerfestsetzungsverfahren hatte
der Kläger den vorliegend streitgegenständlichen Antrag auf teilweisen Erlass der
Einkommensteuer 2008 aus sachlichen Billigkeitsgründen gestellt. Nach Ablehnung
dieses Antrags führte das FA in seiner Einspruchsentscheidung aus, nach dem für
Sonderausgaben geltenden Abflussprinzip komme es nicht in Betracht, die erst im Jahr
2009 geleistete Kirchensteuerzahlung bereits im Jahr 2008 zu berücksichtigen. Hierin liege
keine Unbilligkeit. Auch vor Einführung der Abgeltungsteuer sei es vorgekommen, dass
Sonderausgaben sich einkommensteuerlich nicht ausgewirkt hätten, weil beispielsweise
im jeweiligen Jahr keine positiven Einkünfte erzielt worden seien. Es habe dem Kläger
freigestanden, noch im Jahr 2008 die Festsetzung von Kirchensteuer-Vorauszahlungen zu
beantragen.
6 Im Klageverfahren brachte der Kläger vor, es sei unbillig, dass er die Kirchensteuer 2008
letztlich aus versteuertem Einkommen habe leisten müssen. Es handele sich um eine
planwidrige Gesetzeslücke, weil nicht erkennbar sei, dass der Gesetzgeber die
Kirchensteuer in derartigen Fällen vom Sonderausgabenabzug habe ausschließen wollen.
Da er im Wesentlichen Einkünfte aus Kapitalvermögen beziehe, habe das FA schon seit
Jahren das sich aus überzahlter Kapitalertragsteuer ergebende
Einkommensteuerguthaben zur Tilgung der festgesetzten Kirchensteuer verwendet. Er sei
sich bewusst gewesen, dass auch für das Streitjahr 2008 eine entsprechende Verrechnung
zu erwarten gewesen sei. Bei wirtschaftlicher Betrachtung sei die Kirchensteuer überdies
bereits im Jahr 2008 entrichtet worden, nämlich in Form zu viel gezahlter
Kapitalertragsteuer.
7 Das FG wies --nach Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter-- die Klage ab.
Zur Begründung nahm es sowohl auf das Urteil über die Steuerfestsetzung, in dem eine
planwidrige Gesetzeslücke und die Verfassungswidrigkeit der Regelung bereits verneint
worden sei, als auch auf die Einspruchsentscheidung Bezug.
8 Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision.
9 Das FA hält die Beschwerde für unzulässig.
Entscheidungsgründe
10 II. Die Beschwerde ist --bei erheblichen Zweifeln daran, ob die gesetzlichen
Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
überhaupt erfüllt sind-- jedenfalls unbegründet.
11 1. In seiner Beschwerdebegründung benennt der Kläger keinen der in § 115 Abs. 2 FGO
abschließend aufgeführten Revisionszulassungsgründe ausdrücklich. Zwar hat er in der
Beschwerdeeinlegungsschrift erklärt, er habe angenommen, die Sache habe
grundsätzliche Bedeutung. Es fehlt aber auch in diesem Schriftsatz an der Formulierung
einer abstrakten, klärungsbedürftigen und klärungsfähigen Rechtsfrage.
12 2. Selbst wenn man aber zugunsten des Klägers unterstellen wollte, er habe mit seinen --
im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde grundsätzlich unbeachtlichen--
Einwendungen gegen die Richtigkeit des finanzgerichtlichen Urteils zugleich sinngemäß
auch die Rechtsfrage vorgebracht, ob es sachlich unbillig sei, wenn sich die für das letzte
Jahr vor Einführung der Abgeltungsteuer festgesetzte Kirchensteuer im Rahmen des
Sonderausgabenabzugs für das erste Jahr nach Einführung der Abgeltungsteuer nicht
auswirke, weil diejenigen Einkünfte, die nicht solche aus Kapitalvermögen seien, wegen
ihrer Geringfügigkeit nicht zu einer Steuerfestsetzung führten, könnte seine Beschwerde
keinen Erfolg haben.
13 Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nach ständiger Rechtsprechung
des BFH zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das
(abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung
des Rechts berührt. Außerdem muss die Rechtsfrage klärungsbedürftig und in einem
künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig sein (Senatsbeschluss vom 19. Januar 2011
X B 43/10, BFH/NV 2011, 636, unter II.1.).
14 Daran fehlt es hier in mehrfacher Hinsicht.
15 a) Zum einen wäre die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage in einem künftigen
Revisionsverfahren im Streitfall schon nicht klärungsfähig. Er hat zu keinem Zeitpunkt
substantiiert dargelegt, dass sich die Kirchensteuerzahlung des Jahres 2009 im Rahmen
der Einkommensteuerveranlagung 2009 weder bei Wahl der Regelbesteuerung noch bei
Wahl einer Veranlagung nach § 32d Abs. 6 EStG steuermindernd auswirken würde. Er
hat vielmehr lediglich unsubstantiiert behauptet, dass sich im Rahmen der
Regelbesteuerung keine Einkommensteuerfestsetzung ergeben werde. Auf die
Auswirkungen im Rahmen der Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG ist er --trotz
entsprechender Hinweise sowohl des FA als auch des FG-- zu keinem Zeitpunkt
eingegangen. Entsprechend hat das FG schon in seiner --dem Billigkeitsverfahren
vorangegangenen-- Entscheidung zur Einkommensteuerfestsetzung 2008 nicht feststellen
können, dass die Kirchensteuerzahlung im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung
2009 ohne Auswirkung bleiben werde. Angesichts des --dem Kläger anzulastenden--
Fehlens entsprechender Feststellungen wäre in einem künftigen Revisionsverfahren im
Streitfall die Klärung der --vom Senat für den Kläger formulierten-- Rechtsfrage nicht
möglich.
16 b) Zum anderen würde es auch an der Klärungsbedürftigkeit der formulierten Rechtsfrage
fehlen, weil sie offensichtlich so zu beantworten ist, wie das FG es getan hat und sie
daher keinen Anlass zu Zweifeln gibt, die erst ein Revisionsgericht klären müsste (vgl.
hierzu Senatsbeschluss vom 14. April 2011 X B 104/10, BFH/NV 2011, 1343, unter b).
17 Selbst wenn man unterstellt, dass die im Jahr 2009 geleistete Kirchensteuerzahlung für
2008 mangels Festsetzung einer Einkommensteuer für 2009 nicht im Rahmen der
Einkommensteuer-Regelveranlagung für 2009 abziehbar ist, wäre dies aus den vom FA
und FG genannten Gründen nicht unbillig.
18 aa) Zum einen stünde dem Kläger das Verfahren nach § 32d Abs. 6 EStG zur Verfügung,
das vom Gesetzgeber gerade für Fälle wie den vorliegenden geschaffen worden ist,
wobei eine höhere Einkommensteuer einschließlich Zusatzsteuern schon aufgrund des
Satzes 1 nicht möglich ist. Ein Antrag gilt dann nicht als gestellt (vgl. nur Schmidt/Weber-
Grellet, EStG, 33. Aufl., § 32d Rz 22). Somit wäre der Kläger durch die Einführung der
Abgeltungsteuer von vornherein nicht benachteiligt worden und könnte schon deshalb
keinen Billigkeitserlass begehren.
19 bb) Im Übrigen hat das FA zutreffend darauf hingewiesen, dass der Kläger noch im Jahr
2008 die Festsetzung von Kirchensteuer-Vorauszahlungen hätte beantragen können.
Eine solche "Gestaltung" zur Erlangung eines im Folgejahr nicht mehr möglichen
Sonderausgabenabzugs hat die Rechtsprechung grundsätzlich anerkannt; dies gilt
insbesondere für die Vorauszahlung von Steuern und steuerlichen Nebenleistungen, und
zwar selbst ohne das Vorliegen einer förmlichen Festsetzung (vgl. BFH-Urteile vom
7. November 2001 XI R 24/01, BFHE 197, 175, BStBl II 2002, 351, und vom 16. Oktober
2002 XI R 51/01, BFH/NV 2003, 597; ausführlich auch Kulosa in
Herrmann/Heuer/Raupach, § 10 EStG Rz 41, m.w.N.).
20 cc) Schließlich trifft auch der vom FA in der Einspruchsentscheidung angeführte
Gesichtspunkt zu, wonach es den Sonderausgaben wesensimmanent ist, dass sie beim
Fehlen hinreichender positiver Einkünfte keine steuerliche Auswirkung haben.
21 3. Der Kläger rügt ferner, der Einzelrichter habe mitgeteilt, der Senatsvorsitzende habe
sich mit dem Fall gründlich befasst und keinen Anlass für eine Billigkeitsentscheidung
gefunden. Dies zeige, dass das FG den Fall schon vor der mündlichen Verhandlung
entschieden habe.
22 Der Senat wertet dieses Vorbringen zugunsten des Klägers --der nicht ausdrücklich
angegeben hat, welche Verfahrensvorschrift er als verletzt ansieht-- als Rüge der
Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör sowie der Pflicht des FG, seiner
Entscheidung das Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) zugrunde zu
legen. Auch eine solche Verfahrensrüge erweist sich jedoch im Ergebnis als
unbegründet.
23 Allerdings ist dem Kläger zuzugeben, dass der Einzelrichter in seinem Urteil wörtlich
formuliert hat, er habe dem Kläger "ausdrücklich gesagt, dass ... alle mit seiner Klage
gegen die Einkommensteuerfestsetzung befassten Senatsmitglieder ... sich dahin gehend
geäußert [hätten], dass sein ... Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung nach § 163 AO
mangels Vorliegens einer sachlichen Unbilligkeit im Falle einer Klage beim FG keinen
Erfolg haben werde". Diese im FG-Urteil enthaltene Aussage überrascht ein wenig, weil
der FG-Senat in seiner Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung
tatsächlich nur formuliert hatte, der Erfolg eines Billigkeitsantrags sei "nicht naheliegend",
und auch aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Vollsenat nichts
Abweichendes hervorgeht.
24 Auch wenn die --vom Einzelrichter in seinem Urteil selbst eingeräumte-- überaus klare
Formulierung in der mündlichen Verhandlung darauf hindeuten mag, dass der
Einzelrichter seine Entscheidung zu diesem Zeitpunkt bereits abschließend getroffen
hatte --was nicht als prozessordnungsgemäß anzusehen wäre--, kommt im Streitfall eine
Aufhebung des angefochtenen Urteils nicht in Betracht. Denn der Kläger hat weder
vorgetragen, welche Teile seines Vorbringens in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht
vom Einzelrichter nicht berücksichtigt worden sein sollen, noch hat er angegeben, an
welchem konkreten Sachvortrag er sich durch die mögliche Voreingenommenheit des
Einzelrichters als gehindert angesehen habe. Dies wäre für eine erfolgreiche
Verfahrensrüge aber erforderlich gewesen. Der Kläger hat im Rechtsmittelverfahren
umfangreiche materiell-rechtliche Einwendungen gegen die Richtigkeit des
angefochtenen Urteils vorgebracht, die der Senat geprüft, aber aus den vorstehend
unter 2.b dargelegten Gründen nicht für durchgreifend erachtet hat. Vor diesem
Hintergrund ist ausgeschlossen, dass das finanzgerichtliche Urteil anders ausgefallen
wäre, wenn der Einzelrichter sich nicht schon während der mündlichen Verhandlung auf
das Ergebnis seiner Entscheidung festgelegt hätte.
25 4. Die "Anregung" des Klägers, Streitfälle, bei denen es um die Beurteilung von
Ermessensentscheidungen gehe, nicht auf den Einzelrichter zu übertragen, betrachtet der
Senat entsprechend dem Wortlaut der Beschwerdebegründung nicht als Verfahrensrüge,
sondern lediglich als Anregung an das FG.
26 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
27 6. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie einer weiteren Begründung
sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.