Urteil des BFH vom 04.03.2015

Korrektur eines Flüchtigkeitsfehlers; Teilnichtigkeit eines Bescheides bei Zusammenveranlagung

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 4.3.2015, X B 39/14
Korrektur eines Flüchtigkeitsfehlers; Teilnichtigkeit eines Bescheides bei
Zusammenveranlagung
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des
Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 20. Februar 2014 1 K 1209/11 wird als unbegründet
zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
1 I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) und ihr verstorbener Ehemann wurden
im Streitjahr 2005 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
2 Obwohl sie ihrer Einkommensteuererklärung eine entsprechende Leistungsmitteilung der
zuständigen Landesversicherungsanstalt beigefügt hatten, erfolgte die
Einkommensteuerfestsetzung ohne den Ansatz der Leibrente des verstorbenen Ehemanns.
Daneben wurden die Sonderausgaben gegenüber der Steuererklärung um 202 EUR
gekürzt und deshalb nur der Sonderausgabenpauschbetrag berücksichtigt.
3 Nach Erhalt der Rentenbezugsmitteilung änderte der Beklagte und Beschwerdegegner
(das Finanzamt --FA--) die Einkommensteuerfestsetzung durch Bescheid vom
24. November 2010. Diesen gab es gegenüber beiden Eheleuten bekannt, obwohl der
Ehemann zwischenzeitlich verstorben war. Als Korrekturvorschrift berief sich das FA auf
§ 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO).
4 Den Einspruch der Klägerin wies das FA als unbegründet zurück. Es liege eine offenbare
Unrichtigkeit nach § 129 AO vor. Der Sachbearbeiter habe zwar die Kennziffer für die
Rente des verstorbenen Ehemanns auf der Anlage R eingetragen, diese aber nicht in das
EDV-System eingegeben. Der Änderungsbescheid sei gegenüber der Klägerin wirksam,
obwohl dieser auch gegenüber dem verstorbenen Ehemann der Klägerin bekanntgegeben
worden sei. Die Adressierung an die Klägerin genüge den Bestimmtheitsanforderungen.
5 Mit ihrer Klage verlangte die Klägerin die Feststellung der Nichtigkeit des
Änderungsbescheides und hilfsweise seine Aufhebung, da keine Änderungsvorschrift
greife.
6 Das Finanzgericht (FG) wies die Klage durch Urteil vom 20. Februar 2014 1 K 1209/11
insoweit als unbegründet ab. Es sah den Änderungsbescheid zwar in Bezug auf den
verstorbenen Ehemann als nichtig an, nicht jedoch hinsichtlich der Klägerin. Der Klägerin
gegenüber sei der Bescheid wirksam bekanntgegeben worden, da das FA diesen
unabhängig vom nichtigen Teil, der allein den verstorbenen Ehegatten betreffe, habe
erlassen können. Die Änderungsmöglichkeit nach § 129 AO habe aufgrund des
vorliegenden Flüchtigkeitsfehlers des FA bestanden. Unerheblich sei, dass das FA
zunächst eine andere Korrekturvorschrift genannt habe. Begründet sei die Klage nur,
soweit Sonderausgaben in Höhe von weiteren 130 EUR nicht berücksichtigt worden seien.
7 Die Klägerin verlangt mit ihrer Beschwerde die Zulassung der Revision wegen
grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und Rechtsfortbildung sowie Divergenz und
Verfahrensmängeln.
Entscheidungsgründe
8 II. Die Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg. Die von der Klägerin genannten
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung
(FGO) liegen entweder der Sache nach nicht vor oder sind nicht den
Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechend vorgetragen
worden.
9 1. Macht ein Beschwerdeführer die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i.S. des
§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO geltend, so hat er zunächst eine bestimmte für die Entscheidung
des Streitfalls erhebliche abstrakte Rechtsfrage herauszustellen. Dafür ist erforderlich,
dass er die entscheidungserhebliche Rechtsfrage hinreichend konkretisiert; nicht
ausreichend ist eine Fragestellung, deren Beantwortung von den Umständen des
Einzelfalls abhängt (Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 116 FGO Rz 171). Des
Weiteren muss die Beschwerdebegründung schlüssig und substantiiert unter
Auseinandersetzung mit den zur aufgeworfenen Rechtsfrage in Rechtsprechung und
Schrifttum vertretenen Auffassungen darlegen, weshalb die für bedeutsam gehaltene
Rechtsfrage im Allgemeininteresse klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist. Dazu
muss ausgeführt werden, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchem
Grunde die Beantwortung der Frage zweifelhaft und streitig ist (ständige Rechtsprechung,
vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 22. März 2011 X B 151/10, BFH/NV 2011, 1165;
Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 116 Rz 32, 35, m.w.N.).
10 a) Soweit die Klägerin --in eine Rechtsfrage gekleidet-- den Bundesfinanzhof (BFH)
auffordert, die Richtigkeit der Rechtsauffassung des FG zu prüfen, ein Fehler des FA bei
Erlass eines Verwaltungsakts, der auf einer pflichtwidrig unterlassenen
Sachverhaltsaufklärung und der Unterstellung eines nicht vorliegenden Sachverhalts
beruhe, könne im Einspruchsverfahren --nunmehr gestützt auf die Korrekturvorschrift des
§ 129 AO-- geändert werden, stellt sie gerade keine abstrakte Rechtsfrage heraus.
Vielmehr formuliert sie eine auf ihren Einzelfall bezogene, nicht als abstrakt, sondern als
konkret zu bezeichnende Rechtsfrage. Sie stellt insoweit auch nicht dar, warum die
Beantwortung dieser Rechtsfrage im Allgemeininteresse klärungsbedürftig sein soll. Eine
grundsätzliche Bedeutung ist hierdurch nicht dargelegt.
11 b) In der BFH-Rechtsprechung ist darüber hinaus geklärt --dies verkennt die Klägerin--,
dass die Finanzbehörde, die über den Einspruch entscheidet, verpflichtet ist, die Sache in
vollem Umfang erneut zu überprüfen (§ 367 Abs. 2 Satz 1 AO). Daraus folgt, dass diese
nicht an die von dem Einspruchsführer gestellten Anträge gebunden ist und daher die ihr
in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterlaufenen Fehler berichtigen kann (so schon
BFH-Urteil vom 28. November 1989 VIII R 40/84, BFHE 159, 410, BStBl II 1990, 561,
unter III.2.a, m.w.N.). Folglich ist das FA berechtigt, insbesondere die Begründung für eine
Änderung auf eine andere --nun als anwendbar erkannte-- Korrekturvorschrift zu stützen.
12 2. Die Revision ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts zuzulassen.
13 Eine solche Zulassung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO setzt voraus, dass über
bisher ungeklärte Rechtsfragen "zur Fortbildung des Rechts" zu entscheiden ist. Dieser
Zulassungsgrund konkretisiert den der Nr. 1 (BFH-Beschluss vom 10. November 2010
VIII B 159/09, BFH/NV 2011, 300). Es gelten insoweit die zur Darlegung der
grundsätzlichen Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO höchstrichterlich entwickelten
strengen Darlegungsanforderungen (Senatsbeschluss vom 22. März 2011 X B 165/10,
BFH/NV 2011, 985). Ein diesen Vorgaben genügendes Vorbringen der Klägerin fehlt.
14 3. Auch eine Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO ist nicht geboten.
15 Eine solche Zulassung der Revision wegen Divergenz setzt voraus, dass das FG bei
gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen
Rechtsfrage eine andere Auffassung vertritt als der BFH, das Bundesverfassungsgericht
(BVerfG), der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, ein anderes
oberstes Bundesgericht oder ein anderes FG. Das FG muss seiner Entscheidung einen
tragenden abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit den ebenfalls tragenden
Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung des anderen Gerichts nicht
übereinstimmt. Zur schlüssigen Darlegung einer Divergenzrüge nach § 116 Abs. 3 Satz 3
FGO gehört u.a. eine hinreichend genaue Bezeichnung der vermeintlichen
Divergenzentscheidung sowie die Gegenüberstellung tragender, abstrakter Rechtssätze
aus dem angefochtenen Urteil des FG einerseits und aus den behaupteten
Divergenzentscheidungen andererseits, um eine Abweichung deutlich erkennbar zu
machen (vgl. Senatsbeschluss vom 21. Januar 2014 X B 181/13, BFH/NV 2014, 523,
m.w.N.). Des Weiteren ist darzulegen, dass es sich im Streitfall um einen vergleichbaren
Sachverhalt oder um eine identische Rechtsfrage handelt (vgl. Senatsbeschluss vom
18. Oktober 2013 X B 135/12, BFH/NV 2014, 156).
16 a) Der Senat vermag nicht zu erkennen, dass die Klägerin dem angefochtenen Urteil des
FG einen "Rechtssatz" entnimmt. So stellt sie ausgehend von den BFH-Urteilen vom
8. Dezember 2011 VI R 45/10 (BFH/NV 2012, 694), vom 16. Januar 1964 V 94/61 U
(BFHE 78, 389, BStBl III 1964, 149) und vom 17. März 1970 II 65/63 (BFHE 99, 96, BStBl
II 1970, 598) lediglich die ihrer Ansicht nach vorliegende Fehlerhaftigkeit der
Entscheidung des FG dar, was allerdings nicht zur Revisionszulassung führen kann (dazu
unter 5.).
17 b) Zudem divergiert das FG-Urteil zu keiner von der Klägerin genannten Entscheidung
des BFH.
18 aa) Soweit die Klägerin auf das BFH-Urteil in BFH/NV 2012, 694 eingeht und eine
fehlerhafte Beachtung der dortigen Grundsätze zu erkennen meint, ist ihre Einschätzung
falsch. Wie in dieser Entscheidung verlangt, hat das FG zutreffend gesehen, dass eine
offenbare Unrichtigkeit auch dann vorliegen kann, wenn der Veranlagungsbeamte Daten
versehentlich nicht in ein Computerprogramm eingibt. Dieser Fehler ist hiernach dann
"offenbar", wenn er auf der Hand liegt, durchschaubar, eindeutig oder augenfällig ist.
Maßgebend ist, ob der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden
unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich als offenbare Unrichtigkeit erkennbar ist.
Unter Beachtung dieser Grundsätze hat das FG auf Seite 11 seines Urteils im Rahmen
seiner Würdigung dargelegt, weshalb es von einer solchen offenbaren Unrichtigkeit nach
Lage der Akten ausgegangen ist. Anhaltspunkte dafür, dass die Außerachtlassung der
Rentenbezüge des Klägers etwa auf einem Rechtsirrtum des Sachbearbeiters oder einem
Ermittlungsdefizit beruhen könnte, hat es nicht angenommen. Diese tatsächliche
Würdigung der Umstände des Streitfalls durch das FG, an die der Senat revisionsrechtlich
grundsätzlich nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, vermag keine Divergenzrüge nach
§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO begründen.
19 bb) Soweit die Klägerin unter Nennung der BFH-Urteile in BFHE 78, 389, BStBl III 1964,
149 und in BFHE 99, 96, BStBl II 1970, 598 auf die aus ihrer Sicht vorliegende
Aufklärungspflichtverletzung des FA abstellt, zeigt sie lediglich die aus ihrer Sicht
vorliegende Rechtsfehlerhaftigkeit des Urteils auf, da das FG diese nicht richtig gewertet
habe. Eine Divergenz in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage liegt insoweit nicht
vor.
20 cc) Die Revision ist auch nicht deshalb wegen Divergenz zuzulassen, weil das FG keine
Nichtigkeitsfeststellung getroffen hat, was aus Sicht der Klägerin einen Verstoß gegen
das Grundgesetz (GG) darstelle und deshalb verfassungswidrig sei. Insoweit fehlt es
bereits an einem entsprechend substantiierten Vortrag der Klägerin. Auch bleibt unklar,
welche Artikel des GG betroffen sein sollen.
21 c) Das finanzgerichtliche Urteil leidet nicht unter einem schwerwiegenden Rechtsfehler,
so dass die Revision auch nicht deshalb zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO)zuzulassen ist.
22 aa) Die Voraussetzungen dieses Zulassungsgrundes liegen vor, wenn die Entscheidung
des FG objektiv willkürlich erscheint oder auf sachfremden Erwägungen beruht, unter
keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar --d.h. greifbar gesetzeswidrig-- ist
und das Vertrauen in die Rechtsprechung nur durch eine höchstrichterliche Korrektur
wieder hergestellt werden kann. Greifbare Gesetzeswidrigkeit ist anzunehmen, wenn das
Urteil jeglicher gesetzlicher Grundlage entbehrt und auf einer offensichtlich Wortlaut und
Gesetzeszweck widersprechenden Gesetzesauslegung beruht (Senatsentscheidung vom
22. August 2012 X B 155/11, BFH/NV 2012, 2015). Diese besonderen Umstände sind in
der Beschwerdeschrift aufzuführen.
23 bb) Eine greifbare Gesetzeswidrigkeit der Entscheidung läge nicht schon vor, wenn das
FG --aus Sicht der Klägerin-- die unter II.3.a aufgeführten Entscheidungen des BFH falsch
angewandt hätte. Grundsätze der finanzgerichtlichen Sachverhalts- und
Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen und deshalb
der Prüfung des BFH im Revisionsverfahren entzogen (ständige Rechtsprechung, vgl.
z.B. BFH-Beschluss vom 5. Mai 2004 VIII B 107/03, BFH/NV 2004, 1533).
24 Gravierende Fehler sind aus Sicht des Senats auch nicht erkennbar.
25 (1) Das FG hat vielmehr nachvollziehbar geschildert, auf Grund welcher tatsächlichen
Umstände es von einem Flüchtigkeitsfehler des Bearbeiters und damit von einer
offenbaren Unrichtigkeit ausgeht. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, inwieweit
einzelne Länderfinanzverwaltungen für die Anwendung des § 129 AO
Verwaltungsverfügungen erlassen haben. Denn diese können das Ermessen des FA bei
der hier vorliegenden offenbaren Unrichtigkeit nicht einschränken. Vielmehr sind die
Finanzbehörden grundsätzlich verpflichtet, Steueransprüche, die sich aus den eine
Steuerschuld begründenden Tatbeständen ergeben, gegenüber dem Steuerpflichtigen
geltend zu machen bzw. entsprechende Feststellungs- oder Messbescheide zu erlassen,
um dem Gebot der Gleichmäßigkeit der Besteuerung zu genügen. Mit der
Berichtigungsvorschrift des § 129 AO hat der Gesetzgeber unter ganz bestimmten
Voraussetzungen der materiellen Gerechtigkeit (Gleichmäßigkeit der Besteuerung) den
Vorrang vor der Rechtssicherheit (Vertrauensschutz) eingeräumt (so schon BFH-Urteil
vom 28. Oktober 1992 II R 111/89, BFH/NV 1993, 637).
26 (2) Zutreffend sind die Ausführungen des FG zur fehlenden Nichtigkeit des an die
Klägerin adressierten Einkommensteueränderungsbescheides. Die Klägerin und ihr
verstorbener Ehemann wurden im Streitjahr zusammen veranlagt. Folglich kann die
Steuerschuld, die sie als Gesamtschuldner nach § 44 Abs. 1 AO trifft, ihnen gegenüber in
einem zusammengefassten Bescheid nach § 155 Abs. 3 Satz 1 AO geltend gemacht
werden. Dieser bzw. auch Änderungsbescheide können nach dem Tod eines der
Ehegatten gegenüber dem überlebenden Ehegatten und dem Erben des verstorbenen
Ehegatten erlassen werden. Da ein in Form des § 155 Abs. 3 AO ergangener
Zusammenveranlagungsbescheid zwei inhaltlich und verfahrensrechtlich selbständige,
nur der äußeren Form nach zusammengefasste Verwaltungsakte enthält, die (weiterhin)
ein unterschiedliches (verfahrens-)rechtliches Schicksal haben können (vgl. nur BFH-
Urteil vom 24. April 1986 IV R 82/84, BFHE 146, 358, BStBl II 1986, 545, unter II.1.a bb),
genügt es den Bestimmtheitsanforderungen der §§ 119 Abs. 1, 157 Abs. 1 Satz 2 AO,
wenn der Bescheid, der an den überlebenden Ehegatten gerichtet ist, auch an ihn
adressiert ist. Es ist unerheblich, soweit die Steuerfestsetzung des überlebenden
Ehegatten betroffen ist, ob der andere Ehegatte, dessen Name ebenfalls verwendet wird,
noch lebt oder nicht (so auch BFH-Beschluss vom 29. Juli 1998 II R 64/95, BFH/NV 1998,
1455). Ohne Bedeutung für die Steuerfestsetzung gegenüber der Klägerin ist dann auch,
ob der gegen den verstorbenen Ehegatten gerichtete Änderungsbescheid wirksam
bekanntgegeben wurde oder gar als nichtig anzusehen ist. Eine Nichtigkeitserklärung des
gegenüber der Klägerin ergangenen Bescheides hat das FG deshalb zu Recht als
unbegründet angesehen.
27 4. Sofern die Klägerin mit ihrem Vorbringen Verfahrensfehler gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3
FGO rügt, können diese nicht zur Zulassung der Revision führen. Weder ist eine
Verletzung des rechtlichen Gehörs substantiiert dargelegt worden noch liegt eine
Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) vor. Es ist auch kein Verstoß
gegen den klaren Inhalt der Akten (§ 96 Abs. 1 FGO) gegeben.
28 a) Soweit die Klägerin die Verletzung des rechtlichen Gehörs rügt, fehlt es bereits an
einem entsprechend substantiierten Vortrag.
29 Zwar hat das Gericht im Rahmen des Anspruchs der Beteiligten auf rechtliches Gehör die
Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu
ziehen. Es muss seine Entscheidung begründen und daraus muss erkennbar sein, dass
das Gericht sich mit dem wesentlichen Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
auseinandergesetzt hat (vgl. z.B. BVerfG-Beschluss vom 15. April 1980 2 BvR 827/79,
BVerfGE 54, 86, m.w.N.). Diese richterliche Pflicht geht jedoch nicht so weit, dass sich
das Gericht mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich befassen
müsste (vgl. dazu Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 119 Rz 10a, m.w.N.).
Es darf das Vorbringen außer Acht lassen, das nach seiner Auffassung unerheblich oder
unsubstantiiert ist. Das rechtliche Gehör ist erst dann verletzt, wenn sich aus den
besonderen Umständen des Einzelfalles deutlich ergibt, dass das Gericht ein
tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei
seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (ständige
Rechtsprechung, vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 5. November 2014 X B 223/13, BFH/NV
2015, 202, m.w.N.).
30 Inwieweit das FG seine diesbezügliche Pflicht verletzt haben soll, bleibt unklar, da die
Klägerin lediglich schlagwortartig darauf verweist, das Gericht habe ihr während der
mündlichen Verhandlung kein ausreichendes rechtliches Gehör gewährt.
31 b) Die Rüge der Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach § 76 Abs. 1 FGO macht
Ausführungen dazu erforderlich, welche Beweise das FG von Amts wegen hätte erheben
bzw. welche Tatsachen es hätte aufklären müssen, aus welchen Gründen sich ihm die
Notwendigkeit einer Beweiserhebung auch ohne Antrag hätte aufdrängen müssen,
welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer Beweisaufnahme
voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern die Beweiserhebung auf der Grundlage des
materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen
können (Senatsbeschlüsse vom 19. Oktober 2005 X B 86/05, BFH/NV 2006, 118, unter
2.a, und vom 18. Mai 2011 X B 124/10, BFH/NV 2011, 1838, unter II.2.d).
32 Zwar macht die Klägerin geltend, das FG hätte die Akte --gemeint ist anscheinend die
Festsetzungsakte in Papierform-- beiziehen müssen, doch erläutert sie nicht, inwieweit
das FG von seinem materiell-rechtlichen Standpunkt aus zu einer anderen Entscheidung
hätte kommen können. Entscheidend ist nämlich für das FG nicht, ob die Papierakte
bereits bei der Berichtigung der Einkommensteuerfestsetzung im November 2010
vorgelegen hat. Das FG stellt auf Seite 11 seines Urteils nach Lage der ihm vorliegenden
Akten vielmehr darauf ab, dass der Sachbearbeiter die auf der Anlage R noch fehlende
Kennziffer eingetragen und den Rentenbezug als Dauertatbestand gespeichert, die
erklärten Renteneinkünfte aber nicht erfasst hatte. Dies wertet es --aus Sicht des Senats
gut vertretbar-- als Flüchtigkeitsfehler, nämlich als schlichtes Übersehen erklärter
Einkünfte.
33 Unerheblich ist vorliegend, ob der Veranlagungssachbearbeiter des FA einen Prüfhinweis
nicht beachtet hat. Eine Feststellung des FG, dass ein solcher --im Jahr 2010 üblicher--
Prüfhinweis bereits im Jahr 2006 verwandt worden ist, findet sich im Urteil nicht. Da die
Klägerin die Feststellungen im FG-Urteil insoweit nicht mit einer Verfahrensrüge angreift,
binden diese (fehlenden) Feststellungen den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO, so dass
davon auszugehen ist, dass kein entsprechender Prüfhinweis ausgeworfen worden ist.
Entscheidender Veranlagungszeitraum in Bezug auf die Berichtigungsmöglichkeit bleibt,
dies verkennt die Klägerin, allein das Jahr 2006, in dem die (Erst-)Veranlagung
vorgenommen worden ist, und nicht das Jahr 2010 als Jahr des Erlasses des
Änderungsbescheides.
34 c) Soweit die Klägerin rügt, die in der mündlichen Verhandlung gewonnenen neuen
Erkenntnisse seien vom FG unberücksichtigt geblieben, liegt ein Verstoß gegen den
klaren Inhalt der Akten nicht vor.
35 aa) Zum Gesamtergebnis des Verfahrens i.S. des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO gehört auch die
Auswertung des Inhalts der dem Gericht vorliegenden Akten. Ein Verstoß gegen den
klaren Inhalt der Akten und damit eine Verletzung des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO ist
gegeben, wenn das FG seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde gelegt hat, der
dem schriftlichen oder protokollierten Vorbringen der Beteiligten nicht entspricht, oder
wenn es eine nach den Akten klar feststehende Tatsache unberücksichtigt gelassen hat
und die angefochtene Entscheidung darauf beruht (Senatsbeschluss vom 22. November
2013 X B 114/13, BFH/NV 2014, 346, unter II.1.a, m.w.N.).
36 bb) Soweit die Klägerin einen Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO rügt und dabei
anscheinend darauf abstellt, das FG habe unberücksichtigt gelassen, dass das FA
zunächst eine Korrektur ohne Hinzuziehung der Papierakte vorgenommen habe, macht
sie geltend, das FG hätte im Rahmen seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des
Verfahrens gewonnenen Überzeugung nicht zu ihren Gunsten die Fehlerhaftigkeit der
Korrekturprüfung durch das FA berücksichtigt. Anders als von ihr angenommen, wendet
sie sich damit allein gegen die aus ihrer Sicht fehlerhafte Sachverhalts- und
Beweiswürdigung des FG. Hierin liegt jedoch nicht eine Geltendmachung eines
Verfahrensfehlers, sondern einer falschen materiellen Rechtsanwendung, die
grundsätzlich nicht zur Zulassung der Revision führt (ständige BFH-Rechtsprechung, z.B.
Senatsbeschluss vom 31. Januar 2013 X B 21/12, BFH/NV 2013, 759, m.w.N.).
37 d) Soweit die Klägerin auf eine mögliche fehlerhafte Sachverhaltsdarstellung im FG-Urteil
abstellt, kann sie diese im vorliegenden Verfahren nicht rügen. Vielmehr muss die
Klägerin dies durch einen fristgebundenen Antrag auf Tatbestandsberichtigung (§ 108
FGO) geltend machen (Senatsbeschluss vom 10. August 2011 X B 100/10, BFH/NV
2011, 2098, unter 2.b). Einen solchen Antrag hat die Klägerin jedoch nicht gestellt.
38 5. Letztlich erschöpft sich die gesamte Beschwerdebegründung --trotz vordergründiger
Heranziehung der Zulassungsgründe des § 115 Abs. 2 FGO-- darin, die materiell-
rechtlichen Fehler des FG-Urteils aus Sicht der Klägerin aufzuzeigen, womit allerdings
die Zulassung der Revision nicht erreicht werden kann (vgl. auch Senatsbeschluss vom
6. Februar 2013 X B 164/12, BFH/NV 2013, 694, m.w.N.).
39 6. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie einer weiteren Begründung
sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.