Urteil des BFH vom 09.10.2013

Keine Revisionszulassung wegen fehlerhafter Auslegung von behördlichen Äußerungen durch das FG - Verwaltungsakt - Berufung des Steuerpflichtigen auf Treu und Glauben

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 9.10.2013, X B 239/12
Keine Revisionszulassung wegen fehlerhafter Auslegung von behördlichen Äußerungen durch
das FG - Verwaltungsakt - Berufung des Steuerpflichtigen auf Treu und Glauben
Gründe
1 Die Beschwerde der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat keinen Erfolg.
2 Die Revision ist --zum Teil auch wegen nicht ausreichender Darlegung der
Zulassungsgründe-- weder wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß
§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) noch zur Fortbildung des Rechts
gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO noch zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO zuzulassen.
3 1. Wird --wie von den Klägern-- die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend
gemacht, muss der Beschwerdeführer zur schlüssigen Darlegung dieses
Zulassungsgrundes eine bestimmte, für die Entscheidung des Streitfalls maßgebliche
abstrakte Rechtsfrage herausstellen und substantiiert darauf eingehen, inwieweit diese
Rechtsfrage im allgemeinen Interesse an einer einheitlichen Entwicklung und
Handhabung des Rechts der höchstrichterlichen Klärung bedarf (Senatsbeschluss vom
25. Juli 2005 X B 131/04, BFH/NV 2005, 1862). Zugleich muss die Beschwerde erkennen
lassen, welche vom Einzelfall losgelöste Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren geklärt
werden könnte (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 13. Januar 1999
XI B 80/98, BFH/NV 1999, 948).
4 a) Die Kläger sehen zunächst die Rechtsfrage als klärungsbedürftig an, ob die
Ausführungen der Finanzbehörde im Erläuterungsteil eines Einkommensteuerbescheides
"Besonders wichtig: Ihre Steuerakte wurde zum 1.1.1998 gelöscht. Ab diesem Zeitpunkt
sind Sie von der Abgabe der Steuererklärung befreit." einen Verwaltungsakt darstellen.
5 Diese Rechtsfrage ist nicht grundsätzlich bedeutsam. Sie bezieht sich eindeutig auf einen
Einzelfall und kann nicht abstrakt ohne Kenntnis der konkreten Gegebenheiten
beantwortet werden, so dass bereits deswegen kein Interesse der Allgemeinheit an ihrer
Klärung besteht.
6 b) Die weitere von den Klägern etwas allgemeiner formulierte Rechtsfrage, ob und unter
welchen Voraussetzungen ein Steuerpflichtiger die Ausführungen im Erläuterungsteil
eines Steuerbescheides als verbindlichen eigenständigen Verwaltungsakt ansehen kann,
ist nicht klärungsbedürftig und kann daher ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision
führen.
7 aa) An der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage fehlt es, wenn sie --wie im Streitfall--
anhand der gesetzlichen Grundlagen oder der bereits vorliegenden Rechtsprechung
beantwortet werden kann und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine
erneute Prüfung und Entscheidung der Rechtsfrage durch den BFH geboten erscheinen
lassen (ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschluss vom 23. März 2009
XI B 89/08, BFH/NV 2009, 976, m.w.N.; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 115 FGO
Rz 107, m.w.N.).
8 bb) Der BFH hat in ständiger Rechtsprechung, die auch von den Klägern in ihrer
Beschwerdeschrift angeführt wird, entschieden, dass es für die Prüfung, ob die
Finanzbehörde einen Verwaltungsakt erlassen hat, darauf ankommt, ob für den
Adressaten aus der Mitteilung selbst oder aus den Umständen ihres Erlasses objektiv
erkennbar ist, dass eine einseitige, verbindliche, der Rechtsbeständigkeit fähige
Regelung kraft hoheitlicher Gewalt gewollt sei (BFH-Urteile vom 9. April 2008 II R 31/06,
BFH/NV 2008, 1435, und vom 22. Oktober 1986 I R 254/83, BFH/NV 1988, 10).
9 Der Erklärungsgehalt der behördlichen Äußerung ist im Wege der Auslegung zu ermitteln
(§ 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs). Bedeutsam sind der Wortlaut und die
Begründung. Auch kann dem Fehlen einer Rechtsbehelfsbelehrung indizielle Bedeutung
gegen das Vorliegen eines Verwaltungsaktes zukommen, ohne dass allerdings bereits
allein dadurch der Regelungscharakter genommen wird (BFH-Urteile in BFH/NV 1988,
10, und vom 19. Mai 2004 III R 18/02, BFHE 206, 201, BStBl II 2004, 980). Es kommt
deshalb darauf an, wie der Steuerpflichtige nach den ihm bekannten Umständen den
materiellen Gehalt der behördlichen Äußerung unter Berücksichtigung von Treu und
Glauben verstehen konnte. Nicht ausschlaggebend ist, was die Finanzbehörde mit ihr
bewirken wollte, so dass es unbeachtlich ist, ob die Behörde den Willen hatte, einen
Verwaltungsakt zu erlassen. Es reicht aus, wenn der Anschein eines entsprechenden
Entscheidungswillens erweckt wird (BFH-Urteil in BFH/NV 2008, 1435, m.w.N.).
Unklarheiten gehen zu Lasten der Behörde (BFH-Urteil vom 11. Mai 1999 IX R 72/96,
BFH/NV 1999, 1446, m.w.N.).
10 cc) Diese Rechtsprechungsgrundsätze gelten ebenso für die Auslegung der
Ausführungen der Finanzbehörde in dem Erläuterungsteil eines Steuerbescheides. Auch
hier ist zu prüfen, ob die Ausführungen lediglich als Hinweis, Vorbereitungshandlung oder
Meinungsäußerung oder ob sie nicht vielmehr als hoheitliche Maßnahme mit
Regelungscharakter zu verstehen sind. Es ist daher nicht erkennbar, dass es weiterer
abstrakter Grundsätze, die in einem künftigen Revisionsverfahren herausgearbeitet
werden könnten, bedarf, um beurteilen zu können, ob im Streitfall ein Verwaltungsakt
vorliegt oder nicht.
11 2. Im Kern ihres Vorbringens rügen die Kläger, dass das Finanzgericht (FG) den Inhalt
des Erläuterungsteils des Steuerbescheides vom 13. Februar 1998 --ihrer Auffassung
nach-- fehlerhaft ausgelegt hat.
12 a) Fehler in der Beweis- und Sachverhaltswürdigung stellen materiell-rechtliche Fehler
dar (ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschlüsse vom 30. Januar 2007
VII B 338/05, BFH/NV 2007, 1372; vom 15. Februar 2012 IV B 126/10, BFH/NV 2012,
774, jeweils m.w.N.). Eine Rüge der Verletzung materiellen Rechts vermag indes die
Revisionszulassung grundsätzlich nicht zu rechtfertigen (vgl. BFH-Beschlüsse vom
27. April 2007 VIII B 250/05, BFH/NV 2007, 1675, und vom 29. April 2008 IX B 15/08,
BFH/NV 2008, 1350).
13 b) Die Revision könnte ausnahmsweise nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO
zugelassen werden, wenn ein Rechtsfehler des FG zu einer "greifbar gesetzwidrigen"
Entscheidung geführt hat. Voraussetzung hierfür ist es allerdings, dass die Entscheidung
des FG in einem solchen Maße fehlerhaft ist, dass das Vertrauen in die Rechtsprechung
nur durch eine höchstrichterliche Korrektur der finanzgerichtlichen Entscheidung
wiederhergestellt werden könnte (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss vom
28. August 2007 VII B 357/06, BFH/NV 2008, 113, m.w.N.). Diese Voraussetzung kann
dann vorliegen, wenn das Urteil auf einer offensichtlich Wortlaut und Gesetzeszweck
widersprechenden Gesetzesauslegung beruht (vgl. BFH-Beschluss vom 8. Februar 2006
III B 128/04, BFH/NV 2006, 1116). Unterhalb dieser Schwelle liegende, auch erhebliche
Rechtsfehler reichen dagegen nicht aus, um eine greifbare Gesetzwidrigkeit oder gar eine
Willkürlichkeit der angefochtenen Entscheidung anzunehmen (vgl. BFH-Beschlüsse vom
7. Juli 2005 IX B 13/05, BFH/NV 2005, 2031, und vom 12. Mai 2011 IX B 121/10, BFH/NV
2011, 1391). Bei einer vermeintlich fehlerhaften Auslegung einer behördlichen Äußerung
ist nicht von einem qualifizierten Rechtsanwendungsfehler auszugehen, solange die
Ausführungen des FG keinen Fehler von so erheblichem Gewicht aufweisen, der
geeignet wäre, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen (vgl.
Senatsbeschluss vom 17. März 2010 X B 118/09, BFH/NV 2010, 1277).
14 c) Ein derart schwerwiegender Auslegungsfehler des FG ist indessen --auch nicht
ansatzweise-- erkennbar. Das FG hat seine Auffassung, die Hinweismitteilung könne
nicht so ausgelegt werden, dass es den Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --
FA--) daran hindere, die Einkommensteuer für die Jahre 2005 bis 2009 festzusetzen,
zunächst damit begründet, es liege kein Freistellungsbescheid vor, da sich die Mitteilung
ausdrücklich nur auf die Abgabe einer Steuererklärung und nicht auf die Pflicht zur
Steuerzahlung beziehe. Seine Ablehnung, in der Mitteilung eine verbindliche Zusage zu
sehen, stützt das FG darauf, dass die von der Finanzverwaltung in dem Schreiben des
Bundesministeriums der Finanzen vom 24. Juni 1987 (BStBl I 1987, 474) geforderten
Voraussetzungen im Streitfall nicht erfüllt seien. Aus beiden Begründungen wird
erkennbar, dass das FG den Hinweismitteilungen weder einen Regelungsinhalt
dergestalt, dass die Kläger für künftige Jahre von der Steuerzahlungspflicht befreit sein
sollen, noch einen entsprechenden Bindungswillen des FA beigemessen hat. Diese
Auslegung ist nicht im Geringsten fehlerhaft, sondern vielmehr sehr gut vertretbar.
15 3. Die Revision ist auch nicht gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO zur Fortbildung
des Rechts zuzulassen. Der Zulassungsgrund für eine Revision zur Fortbildung des
Rechts ist gegeben, wenn über bisher ungeklärte abstrakte Rechtsfragen zu entscheiden
ist, insbesondere, wenn der Streitfall im allgemeinen Interesse Veranlassung gibt,
Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen Rechts oder des
Verfahrensrechts aufzustellen, Gesetzeslücken auszufüllen oder wenn gegen eine
bestehende höchstrichterliche Rechtsprechung Argumente vorgetragen werden, die der
BFH noch nicht erwogen hat (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BFH-Beschluss vom
17. Juni 2009 II B 33/08, BFH/NV 2010, 42, m.w.N.). Für diesen Zulassungsgrund gilt
ebenso wie für den der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, dass
es sich um eine klärungsbedürftige und im Streitfall klärbare Rechtsfrage handeln muss
(vgl. BFH-Beschluss vom 15. Dezember 2004 X B 48/04, BFH/NV 2005, 698, m.w.N.). Die
von den Klägern aufgeworfene Rechtsfrage ist, wie bereits ausgeführt, nicht
klärungsbedürftig.
16 4. Die Rechtssache hat auch hinsichtlich der Frage eines Vertrauensschutzes wegen der
von den Klägern dargelegten zweifachen Konsultation der Servicestelle des FA keine
grundsätzliche Bedeutung. Denn ob und in welchem Umfang sich ein Steuerpflichtiger
gegenüber der Finanzbehörde auf den Grundsatz von Treu und Glauben berufen kann,
richtet sich --so auch im Streitfall-- nach den tatsächlichen Umständen des jeweiligen
Einzelfalls, so dass die Beurteilung nicht über den konkreten Fall hinausreicht und daher
nicht grundsätzlich bedeutsam ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 12. Februar 2009
VII B 82/08, BFH/NV 2009, 970; vom 14. Januar 2010 VIII B 104/09, BFH/NV 2010, 605,
und vom 13. Oktober 2011 IX B 99/11, BFH/NV 2012, 163).
17 5. Die Zulassung kann auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
erfolgen. Die Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO wurden von den
Klägern nicht erfüllt.
18 a) Zur schlüssigen Darlegung einer Divergenzrüge nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO gehört
u.a. eine hinreichend genaue Bezeichnung der vermeintlichen Divergenzentscheidungen
sowie die Gegenüberstellung tragender, abstrakter Rechtssätze aus dem angefochtenen
Urteil des FG einerseits und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen
andererseits, um eine Abweichung deutlich erkennbar zu machen. Des Weiteren ist
darzulegen, dass es sich im Streitfall um einen vergleichbaren Sachverhalt und um eine
identische Rechtsfrage handelt (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 5. Oktober 2010
X B 72/10, BFH/NV 2011, 273, m.w.N.).
19 b) Daran fehlt es im Streitfall. Die Kläger nennen zwar die Entscheidungen des BFH vom
27. Januar 1972 IV R 157/71 (BFHE 105, 1, BStBl II 1972, 465), vom 20. Dezember 2002
VII B 67/02 (BFH/NV 2003, 444) sowie vom 19. Juli 2005 VI B 4/05 (BFH/NV 2005, 1755),
räumen aber gleichzeitig ein, dass diesen ein unterschiedlicher Sachverhalt zugrunde
liegt, so dass es bereits nach ihrem eigenen Vorbringen an einer Vergleichbarkeit fehlt.
20 Dem Urteil des FG München vom 28. September 2004 2 K 2951/03 (Entscheidungen der
Finanzgerichte 2005, 294) liegt ebenfalls kein vergleichbarer Sachverhalt zugrunde.
Zudem ist zu bezweifeln, ob diesem Urteil der tragende abstrakte Rechtssatz entnommen
werden kann, dass die Erläuterungen in einem Steuerbescheid grundsätzlich einen
Verwaltungsakt beinhalten und eine über den Veranlagungszeitraum hinausgehende
Wirkung entfalten können.