Urteil des BFH vom 22.07.2015

Besteuerung der Pensionszahlungen an ehemalige Mitarbeiter des Europäischen Raumfahrtkontrollzentrums (ESOC)

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 22.7.2015, X B 172/14
Besteuerung der Pensionszahlungen an ehemalige Mitarbeiter des Europäischen
Raumfahrtkontrollzentrums (ESOC)
Tenor
Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des
Hessischen Finanzgerichts vom 30. Juni 2014 12 K 682/14 wird als unbegründet
zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
1 I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wird im Streitjahr 1998 einzeln veranlagt.
Er war vom … 1963 bis zu seiner Pensionierung am … 1996 Mitarbeiter beim
Europäischen Raumfahrtkontrollzentrum (ESOC), einem der Operationszentren der
Europäischen Weltraumorganisation (ESA).
2 Grundlage der Pensionszahlung durch die ESA ist die von der ESOC zum 1. Juli 1974
für neueintretende Bedienstete eingeführte Pensionsregelung. Hiernach werden die
Ruhegelder aus dem laufenden Haushalt der ESA gezahlt.
3 Für Bedienstete wie den Kläger, die vor diesem Stichtag bei der ESOC tätig waren,
wurde eine Übergangsregelung getroffen. Sie konnten zur neuen Pensionsregelung
optieren, falls sie ihr Guthaben beim Versorgungsfonds der ESA abtraten. Hierfür hatte
sich der Kläger am 30. Juni 1978 entschieden, weshalb aus seinem Guthaben beim
Versorgungsfonds der Betrag von … DM übertragen wurde.
4 In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr erklärte der Kläger seine
Pensionszahlungen in Höhe von … DM als sonstige Einkünfte. Diese Zahlungen seien
keine Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, sondern hätten ihren Rechtsgrund in
seiner früheren eigenen Beitragsleistung.
5 Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) ordnete die
Pensionszahlungen im Einkommensteuerbescheid den Einkünften aus
nichtselbständiger Arbeit zu.
6 Im Einspruchsverfahren änderte das FA die Einkommensteuerfestsetzung. Soweit die
Versorgungsbezüge Ertrag des übertragenen Guthabens aus dem Versorgungsfonds
sind, qualifizierte das FA diesen als wiederkehrende Bezüge nach § 22 Nr. 1 Satz 3
Buchst. a des Einkommensteuergesetzes (EStG a.F.) in der für das Streitjahr
geltenden Fassung. Im Übrigen ging es von Versorgungsbezügen nach § 19 Abs. 1
Nr. 2 EStG a.F. aus.
7 Im Klageverfahren verfolgte der Kläger sein Begehren fort, sämtliche
Versorgungsbezüge als wiederkehrende Bezüge zu berücksichtigen. Das
Finanzgericht (FG) wies die Klage aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2014,
2025 abgedruckten Gründen ab.
8 Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen der
grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung (FGO), der Erforderlichkeit einer Entscheidung des
Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts nach § 115 Abs. 2 Nr. 2
Alternative 1 FGO, der Divergenz nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO und
Verfahrensmängeln nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO.
9 Das FA tritt dem entgegen.
Entscheidungsgründe
10 II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
11 1. Grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache liegt angesichts des Senatsurteils
vom 22. November 2006 X R 29/05 (BFHE 216, 124, BStBl II 2007, 402) nicht mehr
vor.
12 Macht ein Beschwerdeführer die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i.S. des
§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO geltend, so hat er zunächst eine bestimmte für die
Entscheidung des Streitfalls erhebliche abstrakte Rechtsfrage herauszustellen. Dafür
ist erforderlich, dass er die entscheidungserhebliche Rechtsfrage hinreichend
konkretisiert; nicht ausreichend ist eine Fragestellung, deren Beantwortung von den
Umständen des Einzelfalls abhängt. Des Weiteren muss die Beschwerdebegründung
schlüssig und substantiiert unter Auseinandersetzung mit den zur aufgeworfenen
Rechtsfrage in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen darlegen,
weshalb die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im Allgemeininteresse
klärungsbedürftig und im Streitfall klärungsfähig ist. Dazu muss ausgeführt werden, in
welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchem Grunde die Beantwortung der
Frage zweifelhaft und streitig ist. Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer
Rechtssache reicht nicht der Hinweis darauf, die Revisionsentscheidung sei für eine
größere Zahl von Fällen von Bedeutung; denn daraus ergibt sich nicht, dass die
Rechtsfrage inhaltlich klärungsbedürftig ist (Senatsbeschluss vom 24. Juni 2014
X B 216/13, BFH/NV 2014, 1888).
13 Allerdings kann auf eine ausführliche Darlegung der Klärungsbedürftigkeit verzichtet
werden, wenn sie offenkundig ist und nähere Angaben unnötige Förmelei wären (vgl.
Senatsbeschluss vom 27. März 2014 X B 75/13, BFH/NV 2014, 1073, m.w.N.).
14 An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es insbesondere auch dann, wenn die Rechtsfrage
anhand der gesetzlichen Grundlagen und der bereits vorliegenden Rechtsprechung
beantwortet werden kann und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine
erneute Prüfung und Entscheidung der Rechtsfrage durch den BFH geboten
erscheinen lassen (Senatsbeschluss vom 21. Januar 2014 X B 181/13, BFH/NV
2014, 523, m.w.N.).
15 a) Es reicht also nicht aus, dass die Pensionsleistungen der ESA im Vergleich zu
dem vom Senat im Urteil in BFHE 216, 124, BStBl II 2007, 402 entschiedenen Fall der
Ruhegehaltszahlungen an ehemalige Bedienstete der
Nordatlantikvertragsorganisation (NATO) einzelne Besonderheiten aufweisen und
eine Vielzahl von offenen Einspruchsverfahren existiert.
16 b) Es fehlen außerdem abstrakte Gründe für die Klärungsbedürftigkeit der Frage nach
der steuerlichen Qualifikation der Pensionszahlungen der ESA.
17 Grundsätzlich handelt es sich bei der ESA wie der NATO um Koordinierte
Organisationen, die jeweils rückwirkend für die Zeit ab 1. Juli 1974 ein einheitliches
Pensionssystem für ihre in den Ruhestand tretenden Bediensteten einführten. Nach
diesem System werden die Ruhegehälter bei allen koordinierten Organisationen
(ESA, Europarat, NATO, Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit --OECD--,
Westeuropäische Union und Europäisches Zentrum für mittelfristige
Wettervorhersage) aus dem laufenden Haushalt der einzelnen Organisation gezahlt.
Die bisherige Finanzierung der Ruhegehälter aus einem Versorgungsfonds
(Kapitalansammlungsfonds) wurde übergeleitet (vgl. nur Schreiben des
Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- vom 16. August 1977 IV C 6-S 1311-
25/77 II, BStBl I 1977, 436, unter Tz. 1). Dieses Pensionssystem gilt auch für die
Europäische Patentorganisation (vgl. BMF-Schreiben vom 3. August 1998 IV C 6-
S 1311-97/98, BStBl I 1998, 1042, Tz. 1).
18 c) Es bedarf vorliegend auch keiner neuen Entscheidung des BFH aufgrund des
Klägervorbringens. Alle wesentlichen Argumente hat der Senat im Urteil in BFHE 216,
124, BStBl II 2007, 402 berücksichtigt und erwogen, ist ihnen aber nicht gefolgt. Vor
diesem Hintergrund ist die Thematik in einem Revisionsverfahren nicht erneut
klärungsbedürftig.
19 aa) Soweit der Kläger auf das unterschiedliche System zur Ermittlung des jeweiligen
Grundgehalts verweist, von dem die Beiträge zu den Altersversorgungssystemen der
NATO und der ESA berechnet und einbehalten werden, ist diese Frage nicht
entscheidungserheblich. Entscheidend ist vielmehr, ob aufgrund der Einbehalte
bereits steuerpflichtiger Lohn zugeflossen ist. Dies hat der Senat im Einklang mit der
Rechtsprechung des VI. Senats in seinem Urteil in BFHE 216, 124, BStBl II 2007, 402
hinsichtlich der Berechnung der Gehälter der NATO verneint. Er hat ausdrücklich
ausgeführt, dass es für diese Frage allein auf einkommensteuerrechtliche Grundsätze
ankomme. Unerheblich sei, wie die Höhe der Gehälter zustande gekommen sei
(unter II.3.d).
20 Insoweit unterscheiden sich die Berechnung der Gehälter der NATO und der ESA
nicht. Auch im Fall der Berechnung der Gehälter der ESA erfolgt lediglich ein Abzug
eines Rechenpostens analog zu der für die Besteuerung der NATO-Bezüge zu
ermittelnden Rechengröße. Steuereinnahmen verzeichnet weder die deutsche noch
eine andere Finanzverwaltung.
21 bb) Inländische Steuereinnahmen aufgrund der ESA-Bezüge liegen auch nicht
deshalb vor, weil die übrigen Einkünfte des ESA-Bediensteten während seiner aktiven
Dienstzeit unter Anwendung des Progressionsvorbehalts nach § 32b EStG besteuert
werden. Insoweit fehlt es bereits an der sich hieraus für das Gehalt des ESA-
Bediensteten ergebenen Steuer. Die mittelbare Wirkung auf andere Einkünfte reicht
nicht aus.
22 cc) Wie im Fall der NATO-Bediensteten werden die Ruhegehaltszahlungen der ESA-
Bediensteten folglich nicht aus versteuerten Beiträgen derselben finanziert. Es liegen
(lediglich) Gehaltskürzungen vor. Das sich hieraus ergebende Innehaben von
Ansprüchen gegenüber der ESA als Arbeitgeberin führt auch nicht zu dem Zufluss
von Einnahmen und damit noch nicht zu steuerpflichtigem Arbeitslohn (so auch
weiterhin die aktuelle Rechtsprechung des VI. Senats des BFH in seinen Urteilen vom
15. September 2011 VI R 36/09, BFH/NV 2012, 201, und vom 5. Juli 2012 VI R 11/11,
BFHE 238, 408, BStBl II 2013, 190), gleichgültig wie der Arbeitgeber dies intern
kassentechnisch organisiert (Senatsurteil in BFHE 216, 124, BStBl II 2007, 402, unter
II.2.c).
23 2. Eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO setzt
voraus, dass über bisher ungeklärte Rechtsfragen "zur Fortbildung des Rechts" zu
entscheiden ist. Dieser Zulassungsgrund konkretisiert den der Nr. 1
(Senatsbeschluss vom 21. August 2014 X B 159/13, BFH/NV 2014, 1743). Er liegt
aus den unter II.1. genannten Gründen nicht vor.
24 3. Eine Zulassung der Revision wegen Divergenz nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative
2 FGO ist nicht geboten.
25 a) So ist bereits nicht erkennbar, inwieweit eine solche Divergenz des FG-Urteils zur
BFH-Rechtsprechung vorliegen soll. Der Kläger rügt lediglich einen aus seiner Sicht
gegebenen Widerspruch zur geltenden Gesetzeslage selbst.
26 b) Im Übrigen ist auch kein qualifizierter Rechtsanwendungsfehler des FG erkennbar,
der die Zulassung der Revision nach ständiger Rechtsprechung des BFH
ausnahmsweise bei "greifbarer Gesetzwidrigkeit" der angefochtenen Entscheidung
gestatten würde (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 4. Juni 2014 X B 95/13, BFH/NV
2014, 1355, unter 2.a, m.w.N.). Ein derartiger Fall liegt bereits aus dem unter II.1.c
Gesagten hier nicht vor.
27 4. Schließlich liegt auch der vom Kläger beanstandete Verfahrensmangel nach § 115
Abs. 2 Nr. 3 FGO nicht vor. Vorliegend hat das FG seine Sachaufklärungspflicht nach
§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO nicht verletzt.
28 Gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts
wegen (Amtsermittlungsgrundsatz). Danach ist es grundsätzlich Aufgabe des
Gerichts, die tatsächlichen Grundlagen der zu treffenden Entscheidung zu ermitteln
(z.B. BFH-Beschluss vom 17. September 2003 I B 18/03, BFH/NV 2004, 207). Diese
Verpflichtung des FG zur Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen bedeutet
nicht, dass jeder fernliegenden Erwägung nachzugehen ist. Wohl aber muss das FG
die sich im Einzelfall aufdrängenden Überlegungen auch ohne ausdrücklichen
Hinweis der Beteiligten anstellen und entsprechende Beweise erheben. Die
Sachaufklärungspflicht des FG kann allerdings nicht losgelöst von den
Mitwirkungspflichten der Beteiligten (§ 76 Abs. 1 Satz 2 FGO) gesehen werden
(ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, vgl. nur Senatsbeschluss vom
20. November 2013 X B 164/13, BFH/NV 2014, 374, m.w.N.). Vielmehr begrenzt die
Mitwirkungspflicht der Beteiligten die Amtsermittlungspflicht.
29 Vorliegend ist schon nicht erkennbar, inwieweit das FG den
entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht vollumfänglich erforscht haben soll.
Vielmehr hat es alle entscheidungserheblichen Gesichtspunkte bei seiner
Urteilsfindung berücksichtigt.
30 5. Im Kern wendet sich der Kläger mit seinem gesamten Vorbringen gegen die --
seiner Meinung nach fehlerhafte-- Beweis- und Sachverhaltswürdigung des FG. Dies
wäre indes ein materiell-rechtlicher Fehler, der eine Revisionszulassung grundsätzlich
nicht rechtfertigen kann (ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. z.B. Senatsbeschluss
vom 8. April 2014 X B 70/13, BFH/NV 2014, 1043).
31 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
32 7. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO
ab.