Urteil des BFH vom 24.03.2015

Sanierungserlass - Inhaltliche Ausgestaltung des Sanierungskonzepts

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 24.3.2015, X B 127/14
Sanierungserlass - Inhaltliche Ausgestaltung des Sanierungskonzepts
Tenor
Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des
Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 30. Juli 2014 3 K 3354/10 wird als unbegründet
zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Gründe
1 Die Beschwerde des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) ist unbegründet. Keiner
der geltend gemachten Zulassungsgründe ist tatsächlich gegeben.
2 1. Die Revision ist nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2
Nr. 2 Alternative 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) wegen Divergenz zu den Urteilen
des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 12. September 1996 IV R 19/95 (BFHE 181, 447, BStBl
II 1997, 234), vom 12. Oktober 2005 X R 20/03 (BFH/NV 2006, 713), vom 17. November
2004 I R 11/04 (BFH/NV 2005, 1027) oder des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 13. März
2014 IX ZR 23/10 (Der Betrieb --DB-- 2014, 945) zuzulassen.
3 a) Zur schlüssigen Darlegung einer Divergenzrüge nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO gehört
u.a. die Gegenüberstellung tragender, abstrakter Rechtssätze aus dem angefochtenen
Urteil des Finanzgerichts (FG) einerseits und aus den behaupteten
Divergenzentscheidungen andererseits, um eine Abweichung im Grundsätzlichen
deutlich erkennbar zu machen (vgl. Senatsbeschluss vom 10. Mai 2012 X B 57/11,
BFH/NV 2012, 1307, m.w.N.).
4 b) Im Streitfall kann dahinstehen, ob der Kläger abstrakte Rechtssätze aus den
vorgeblichen Divergenzentscheidungen in BFHE 181, 447, BStBl II 1997, 234, in BFH/NV
2006, 713, sowie in BFH/NV 2005, 1027 entsprechend den Vorgaben von § 116 Abs. 3
Satz 3 FGO herausgearbeitet hat. Dem angefochtenen FG-Urteil hat er jedenfalls keinen
abstrakten Rechtssatz entnommen, sondern einen Absatz der Urteilsbegründung wörtlich
wiedergegeben (der sich im Übrigen nicht auf S. 10 --wie in der Beschwerdebegründung
vorgetragen-- findet, sondern auf S. 14).
5 c) Im Übrigen weicht das FG-Urteil von keiner der vom Kläger angeführten BFH-
Entscheidungen ab. Vielmehr ging das FG in Übereinstimmung mit der
höchstrichterlichen Rechtsprechung (z.B. BFH-Urteil vom 26. November 1980 I R 52/77,
BFHE 132, 72, BStBl II 1981, 181) davon aus, dass die Sanierungsabsicht besonders
dargelegt und geprüft werden muss, wenn nur ein Gläubiger seine Forderung erlässt.
Daraus kann nicht --wie der Kläger offensichtlich meint-- abgeleitet werden, das FG habe
in der angefochtenen Entscheidung entgegen der höchstrichterlichen Rechtsprechung die
Auffassung vertreten, ein Teilerlass könne niemals zur Stundung bzw. zum Erlass der
daraus resultierenden Steuer führen.
6 d) Eine Divergenz zum Urteil des BGH in DB 2014, 945 liegt schon deshalb nicht vor, weil
das FG die Frage, ob der sog. Sanierungserlass (Schreiben des Bundesministeriums der
Finanzen --BMF-- vom 27. März 2003 IV A 6-S 2140-8/03, BStBl I 2003, 240, sog.
Sanierungserlass) gesetzeswidrig ist oder nicht, ebenso wie der BGH (dort unter
B.I.1.b cc 1.ß) ausdrücklich offengelassen hat.
7 2. Zwar ist die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO auch dann zuzulassen,
wenn ein Rechtsfehler des FG zu einer "greifbar gesetzwidrigen" Entscheidung geführt
hat. Eine greifbare Gesetzwidrigkeit liegt jedoch nur vor, wenn die angefochtene
Entscheidung objektiv willkürlich erscheint, auf sachfremden Erwägungen beruht und
unter keinem Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist (vgl. BFH-Beschluss vom 1. September
2008 IV B 4/08, BFH/NV 2009, 35). Unterhalb dieser Grenze liegende erhebliche
Rechtsfehler reichen nicht aus, um die Revision zuzulassen (ständige Rechtsprechung,
vgl. z.B. Beschluss vom 2. März 2011 IX B 144/10, BFH/NV 2011, 1367, m.w.N.).
8 Anhaltspunkte für eine derart gesetzwidrige Entscheidung sind im Streitfall entgegen der
Ansicht des Klägers nicht erkennbar. Das FG hat weder § 222 bzw. § 227 der
Abgabenordnung noch das BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 240 übersehen, sondern das
Vorliegen deren Voraussetzungen im Streitfall geprüft. Trotz erheblicher Zweifel an der
Gesetzmäßigkeit des BMF-Schreibens (S. 13 der Entscheidungsgründe) hat es --auch
unter Bezugnahme auf die nach seiner Auffassung zutreffenden Gründe der
Einspruchsentscheidung nach § 105 Abs. 5 FGO-- ausgeführt, ein begünstigter
Sanierungsgewinn im Sinne des BMF-Schreibens in BStBl I 2003, 240 setze die
Sanierungsbedürftigkeit und die Sanierungsfähigkeit des Unternehmens, die
Sanierungseignung des Schulderlasses sowie die Sanierungsabsicht der Gläubiger
voraus. Es kam in der Folge zu dem Ergebnis, die vom Kläger vorgelegte Analyse erfülle
die Anforderungen, die an einen Sanierungsplan zu stellen seien, nicht und hat die
Entscheidung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) bestätigt, eine
Sanierungsabsicht des Gläubigers habe nicht vorgelegen. Damit musste es die
Sanierungsbedürftigkeit nicht eigens prüfen, da eine Steuerstundung oder ein -erlass
dann ausgeschlossen ist, wenn auch nur eines der im BMF-Schreiben in BStBl I 2003,
240 genannten Kriterien fehlt. Im Übrigen konnte das Gericht von einer weiteren
Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, da es der Entscheidung über den
außergerichtlichen Rechtsbehelf gefolgt und dies in seiner Entscheidung auch festgestellt
hat (§ 105 Abs. 5 FGO).
9 3. Im Kern wendet sich der Kläger gegen die --seiner Meinung nach fehlerhafte--
Würdigung des FG. Ein solcher materiell-rechtlicher Fehler (vgl. insoweit die ständige
BFH-Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss vom 15. Februar 2012 IV B 126/10, BFH/NV
2012, 774, m.w.N.), läge er denn vor, vermag die Revisionszulassung grundsätzlich nicht
zu rechtfertigen (vgl. BFH-Beschluss vom 8. Mai 2014 X B 105/13, BFH/NV 2014, 1213,
m.w.N.).
10 4. Die Revision ist auch nicht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache
(§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) im Hinblick auf die vom Kläger formulierten Rechtsfragen
zuzulassen.
11 a) Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nach ständiger Rechtsprechung
des BFH zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das
(abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung
des Rechts berührt. Außerdem muss die Rechtsfrage klärungsbedürftig und in einem
künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig sein (Senatsbeschluss vom 19. Januar 2011
X B 43/10, BFH/NV 2011, 636, unter II.1.).
12 b) Der Kläger wirft die Frage auf, ob der sog. Sanierungserlass anwendbar sei, um
Steuerfreiheit wegen sachlicher Unbilligkeit beanspruchen zu können, und begründet
dies mit den unterschiedlichen Stimmen zur Gesetzmäßigkeit des BMF-Schreibens in
BStBl I 2003, 240 (z.B. Urteil des FG München vom 12. Dezember 2007 1 K 4487/06,
Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 615 einerseits, und Senatsurteil vom 14. Juli
2010 X R 34/08, BFHE 229, 502, BStBl II 2010, 916 andererseits). Die Gesetzmäßigkeit
des sog. Sanierungserlasses wäre im Rahmen eines Revisionsverfahrens jedoch nicht
klärungsfähig. Das FG hat seine Entscheidung nicht darauf gestützt, das BMF-Schreiben
in BStBl I 2003, 240 ermögliche --gemessen an der Intention des Gesetzgebers-- zu
weitreichende Billigkeitsmaßnahmen, sondern die Entscheidung dieser Frage gerade
offengelassen. Das FG hat vielmehr seine Entscheidung damit begründet, die
Voraussetzungen einer Stundung (Sanierungsabsicht des Gläubigers,
Sanierungsbedürftigkeit des Unternehmens) lägen nicht vor.
13 c) Den weiteren vom Kläger gestellten Fragen
"Wie muss ein Sanierungskonzept ausgestaltet sein, damit es die Voraussetzungen des
BMF-Schreibens vom 27.03.2003 erfüllt?" und "Kann eine Anpassung eines ursprünglich
bearbeiteten Sanierungskonzeptes bei Besserung der wirtschaftlichen Situation nach
Erstellung des Sanierungskonzeptes erfolgen, so dass die Sanierung auch mit geringeren
Forderungsverzichten und anderen Sanierungsbeiträgen der betroffenen Banken
gelingen kann?",
kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu.
14 Die Frage, wie ein Sanierungskonzept ausgestaltet sein muss, ergibt sich unmittelbar aus
dem sog. Sanierungserlass. Danach kann davon ausgegangen werden, dass die
Sanierungsbedürftigkeit und Sanierungsfähigkeit des Unternehmens sowie die
Sanierungseignung des Schulderlasses und die Sanierungsabsicht der Gläubiger
vorliegt, sofern ein Sanierungsplan vorliegt (BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 240). Der
Sanierungsplan muss sich folglich mit den dort genannten Voraussetzungen für eine
Steuerstundung bzw. einen -erlass --bezogen auf den jeweiligen Sanierungsfall--
auseinandersetzen und darlegen, dass die beabsichtigten Maßnahmen, geeignet sind,
ein Unternehmen oder einen Unternehmensträger (juristische oder natürliche Person) vor
dem finanziellen Zusammenbruch zu bewahren und wieder ertragsfähig zu machen
(BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 240, I.1.) oder die Schulden zumindest aus betrieblichen
Gründen erlassen werden (BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 240, I.2.). Welche
Informationen der Sanierungsplan insoweit enthalten muss, ist --ebenso wie die
Möglichkeit der Anpassung eines ursprünglichen Sanierungskonzeptes bei Besserung
der wirtschaftlichen Situation-- eine Frage des Einzelfalles, die keiner grundsätzlichen
Klärung zugänglich ist.
15 5. Schließlich ist die Revision auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen. Das
FG hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2 FGO, Art. 103 Abs. 1
des Grundgesetzes) nicht verletzt.
16 Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das FG, die Beteiligten über den
Verfahrensstoff zu informieren, ihnen Gelegenheit zur Äußerung zu geben, ihre
Ausführungen zur Kenntnis zu nehmen, in Erwägung zu ziehen und sich mit dem
entscheidungserheblichen Kern ihres Vorbringens auseinanderzusetzen. Die Gewährung
rechtlichen Gehörs bedeutet jedoch nicht, dass das FG den Kläger "erhören", sich also
seinen rechtlichen Ansichten anschließen müsste (z.B. BFH-Beschluss vom
26. November 2007 VIII B 121/07, BFH/NV 2008, 397).
17 a) Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist nicht bereits darin zu sehen,
dass das FG von der ihm durch § 105 Abs. 5 FGO eingeräumten Möglichkeit Gebrauch
gemacht hat, von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abzusehen und
sich die in der Einspruchsentscheidung vom 11. November 2010 enthaltene Begründung
des FA zu eigen gemacht hat.
18 Die Vorschrift dient der Entlastung der Gerichte, sofern ihr Zweck, den Beteiligten
Kenntnis davon zu vermitteln, auf welchen Feststellungen, Verhältnissen oder rechtlichen
Erwägungen die Entscheidung beruht, ohne Nachteil für den Rechtsschutz der Kläger
auch durch Bezugnahme auf bereits vorliegende Verwaltungsentscheidungen erreicht
werden kann (BFH-Beschluss vom 10. November 2006 XI B 147/05, BFH/NV 2007, 267,
m.w.N.). Eine Urteilsbegründung, die über die Feststellung, dass das FG der
Verwaltungsentscheidung folgt, hinausgeht, ist in diesen Fällen nicht erforderlich (BFH-
Beschluss vom 20. November 2003 III B 88/02, BFH/NV 2004, 517). Die gebotene
verfassungskonforme Anwendung des § 105 Abs. 5 FGO setzt allerdings voraus, dass
das Gericht wegen des Anspruchs des Rechtsschutzsuchenden auf rechtliches Gehör auf
dessen wesentliches neues Vorbringen im Klageverfahren eingeht (ständige
Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile vom 20. Mai 1994 VI R 10/94, BFHE 174, 391,
BStBl II 1994, 707, und vom 23. April 1998 IV R 30/97, BFHE 186, 120, BStBl II 1998,
626; BFH-Beschluss in BFH/NV 2007, 267, m.w.N.).
19 Der Kläger hat nicht dargelegt, aus welchen Gründen das FG zu weiter gehenden
Ausführungen in den Entscheidungsgründen hätte verpflichtet gewesen sein sollen. Er
hat nicht vorgetragen, dass sich nach Abschluss des außergerichtlichen
Rechtsbehelfsverfahrens im Klageverfahren wesentlich neue Gesichtspunkte hinsichtlich
der Rolle der Sparkasse, die auch nach seinem Vortrag in der Beschwerdebegründung
die Sanierungsmaßnahmen nur begleitet, selbst aber keinen eigenen Sanierungsbeitrag
geleistet hat, ergeben hätten, mit denen sich das FG hätte auseinandersetzen müssen.
Die Bezugnahme des FG auf die Einspruchsentscheidung ist --wie ausgeführt-- für sich
keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör.
20 b) Eine Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das FG sein Urteil auf einen bis
dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem
Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger
Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer
Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste
(BFH-Beschluss vom 13. Juli 2012 IX B 3/12, BFH/NV 2012, 1635).
21 Das FA hat die Sanierungsabsicht der Gläubiger und die Sanierungsbedürftigkeit des
Unternehmens bereits in der Einspruchsentscheidung verneint. Bei dieser Sachlage
musste der auch im Klageverfahren von seinem jetzigen Bevollmächtigten vertretene
Kläger davon ausgehen, dass diese Punkte auch im Klageverfahren von Bedeutung sein
würden, selbst wenn in der mündlichen Verhandlung (die Niederschrift enthält hierzu
keine Aussage) nur die Frage des Ermessensgebrauchs, nicht aber der
Sanierungsabsicht und Sanierungsbedürftigkeit thematisiert worden ist.
22 c) Letztlich rügt der Kläger, das FG habe seine Argumente nicht als durchgreifend
angesehen. Damit kann er jedoch im Verfahren über die Nichtzulassung der Beschwerde
nicht gehört werden.
23 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
24 7. Von einer Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung sieht der
Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.