Urteil des BFH vom 23.05.2012

Haftung des Eigentümers nach § 74 AO erfasst auch grundstücksgleiche Rechte - Keine Beschränkung auf körperliche Gegenstände - Haftungsbegründende Interessenparallelität bei gemeinschaftlicher Verfügungsberechtigung - Zulässigkeit des Erlasses eines Haftu

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 23.5.2012, VII R 28/10
Haftung des Eigentümers nach § 74 AO erfasst auch grundstücksgleiche Rechte - Keine
Beschränkung auf körperliche Gegenstände - Haftungsbegründende Interessenparallelität bei
gemeinschaftlicher Verfügungsberechtigung - Zulässigkeit des Erlasses eines
Haftungsbescheids
Leitsätze
1. Die Haftung des an einem Unternehmen wesentlich beteiligten Eigentümers von
Gegenständen, die er diesem Unternehmen überlässt, erstreckt sich auch auf ein überlassenes
Erbbaurecht, das dem Unternehmen als Betriebsgrundlage dient.
2. Die Haftung nach § 74 AO wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der dem Unternehmen
überlassene Gegenstand nicht im Eigentum des Haftenden, sondern im Eigentum einer KG
steht, wenn Gesellschafter der KG ausschließlich der Haftende und eine andere am
Unternehmen wesentlich beteiligte Person sind.
Tatbestand
1 I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war mit einem Geschäftsanteil von 50 % als
Kommanditist an der Firma ... KG (KG) beteiligt. Geschäftsführender Komplementär war die
Firma L-GmbH, die u.a. vom Kläger vertreten wurde. Die KG betrieb auf einem seit dem
2. Juli 2002 im Eigentum einer anderen GmbH & Co. KG stehenden Grundstück einen
Autohandel. Dieses Grundstück ist mit einem Erbbaurecht mit Veräußerungsbeschränkung
durch Zustimmung des Grundstückseigentümers zugunsten der Firma X belastet, die mit
notarieller Vereinbarung vom 24. August 1999 durch Formwechsel in die Firma A-KG
umgewandelt wurde. Der Formwechsel wurde am 3. Januar 2000 in das Handelsregister
eingetragen. Komplementär der A-KG ohne Kapitalanteil ist die Firma A-GmbH, an der der
Kläger und Herr K zu je 50 % beteiligt sind. Zudem sind der Kläger und K als
Kommanditisten zu je 50 % an der A-KG mit einer Hafteinlage in Höhe von 1.250.000 EUR
beteiligt. Die A-KG, deren Gesamthandsvermögen nur aus dem Erbbaurecht bestand,
überließ das Grundstück mit Gebäude pachtweise der KG.
2 Im Oktober 2001 wurde die KG zahlungsunfähig. Am 16. Oktober 2001 bestellte das
Amtsgericht (AG) aufgrund eines Insolvenzantrags der Geschäftsführer nach § 21 Abs. 1,
Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 der Insolvenzordnung (InsO) einen vorläufigen Insolvenzverwalter
mit Zustimmungsvorbehalt. Mit Beschluss vom 1. Januar 2002 wurde über das Vermögen
der KG das Insolvenzverfahren eröffnet. Wegen rückständiger Umsatzsteuer der KG für das
Jahr 2000 und für Dezember 2001 erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt --FA--) am 24. Mai 2004 zwei auf § 74 der Abgabenordnung (AO) gestützte
Haftungsbescheide, in denen die Haftung gegenständlich auf das Erbbaurecht am
Grundstück beschränkt wurde. In Bezug auf den Haftungsbescheid wegen Umsatzsteuer
für das Jahr 2000 erließ das FA zugleich gemäß § 219 AO eine Zahlungsaufforderung. Die
Umsatzsteuerforderungen für Dezember 2001 beruhen auf den Feststellungen einer im
Februar 2002 durchgeführten Umsatzsteuersonderprüfung, in deren Rahmen sich aufgrund
der Zahlungsunfähigkeit der KG Vorsteuerberichtigungen ergaben.
3 Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, der Kläger sei
zu Recht als Haftungsschuldner nach § 74 AO in Anspruch genommen worden. Als
grundstücksgleiches Recht erfülle das Erbbaurecht, das gleich einem Grundstück den
Regeln der Zwangsvollstreckung unterliege, den Gegenstandsbegriff dieser Vorschrift.
Auch Forderungen und Rechte könnten Gegenstände sein. Das Erbbaurecht habe der KG
als Betriebsgrundstück für den Autohandel gedient. Zudem sei der Kläger --wie von § 74
Abs. 2 AO gefordert-- zu mehr als einem Viertel am Grund- oder Stammkapital der KG
beteiligt gewesen. Seiner haftungsrechtlichen Inanspruchnahme stehe der Umstand nicht
entgegen, dass er nicht selbst, sondern die A-KG erbbauberechtigt und damit Eigentümer
i.S. des § 74 AO gewesen sei. Denn an der A-KG seien ausschließlich der Kläger und der
ebenfalls in Haftung genommene K beteiligt gewesen. Somit liege im Streitfall die
erforderliche Interessenparallelität zwischen dem steuerschuldenden Unternehmen und
dem Eigentümer des überlassenen Gegenstands vor. Im Streitfall hätten beide
Haftungsschuldner in der A-KG den Willen zur Verwendung des Erbbaurechts als
alleinigem Gesamthandsvermögen der A-KG bestimmen können. Die angefochtenen
Verwaltungsakte erwiesen sich zudem frei von Ermessensfehlern.
4 Mit der Revision tritt der Kläger der Auffassung des FG entgegen, im Streitfall seien die
Voraussetzungen einer haftungsrechtlichen Inanspruchnahme nach § 74 AO erfüllt. Bei
einem Erbbaurecht könne es sich nicht um einen dienenden Gegenstand i.S. des § 74 AO
handeln. Nichtkörperliche Wirtschaftsgüter fielen nicht in den Anwendungsbereich dieser
Vorschrift. Zudem habe das FG nicht beachtet, dass nur der Eigentümer des einem
Unternehmen überlassenen Gegenstands hafte. Wie sich aus dem Grundbuch ergebe, sei
Inhaber des Erbbaurechts und Eigentümer i.S. von § 74 AO jedoch nicht er, der Kläger,
sondern die A-KG gewesen. Im Rahmen der Eigentümerhaftung komme es allein auf die
zivilrechtliche Zuordnung des Gegenstands an. In Verkennung des Zwecks der in § 74 AO
normierten Ausfallhaftung habe das FG dennoch eine Haftung des Klägers angenommen.
Die vom Bundesfinanzhof (BFH) in seiner Entscheidung vom 10. November 1983
V R 18/79 (BFHE 139, 242, BStBl II 1984, 127) entwickelten Grundsätze ließen sich nicht
auf den Streitfall übertragen, da im Streitfall nicht alle Gesellschafter der A-KG auch an der
KG beteiligt gewesen seien.
5 Im Übrigen habe das FG den Umstand nicht gewürdigt, dass die
verfahrensgegenständliche Umsatzsteuerschuld aus Dezember 2001 allein durch das
wirtschaftliche Handeln des vorläufigen Insolvenzverwalters entstanden sei. Nach
Bestellung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters habe der Kläger keine
Möglichkeit gehabt, die Nutzung des Grundstücks zu verhindern. Einen objektiven Beitrag
zur Unternehmensfortführung habe er deshalb nicht leisten können. Deshalb fehle im
Monat Dezember 2001 der Zurechnungszusammenhang zwischen der Überlassung des
Erbbaurechts und der entstandenen Umsatzsteuer. Im Übrigen könne im Streitfall in den
haftenden Gegenstand nicht vollstreckt werden, da hierzu ein Vollstreckungstitel und ein
Haftungsbescheid gegen die A-KG erforderlich seien. Nicht ausreichend sei ein Titel
gegen die Gesellschafter einer KG. Anders könne die Rechtslage bei einer GbR sein, die
im Streitfall jedoch nicht vorliege.
6 Das FA schließt sich im Wesentlichen der Rechtsauffassung des FG an. Die Haftung nach
§ 74 AO erfasse auch einem Grundstück gleichstehende Rechte. Im Streitfall bestehe die
Besonderheit, dass beide in Anspruch genommenen Haftungsschuldner wesentlich an
einem Gesamthandsvermögen beteiligt seien. Sie seien zu je 50 % an der Komplementär-
GmbH, die nicht am Vermögen der KG beteiligt und infolgedessen nicht Inhaberin des
Erbbaurechts sei, und an der KG beteiligt und könnten Einfluss auf die Tätigkeit der
Unternehmen nehmen. Die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit
Zustimmungsvorbehalt hindere die Haftung nicht, denn dem Kläger sei die
Verfügungsbefugnis nicht entzogen worden. Zudem sei die Umsatzsteuerschuld aus
Dezember 2001 nicht durch Handlungen des vorläufigen Insolvenzverwalters entstanden;
vielmehr sei sie nach einer Umsatzsteuersonderprüfung festgesetzt worden, in deren
Rahmen Berichtigungen nach § 17 des Umsatzsteuergesetzes vorgenommen worden
seien.
Entscheidungsgründe
7 II. Die Revision des Klägers ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die angefochtenen Haftungsbescheide sind rechtmäßig.
Zu Recht hat das FG das der KG eingeräumte Erbbaurecht als einen im Miteigentum des
Klägers stehenden Gegenstand i.S. des § 74 AO angesehen, so dass die
Voraussetzungen für eine Haftung nach § 74 Abs. 1 AO erfüllt sind.
8 1. Nach § 74 Abs. 1 Satz 1 AO haftet der Eigentümer von Gegenständen, die einem
Unternehmen dienen, mit den überlassenen Gegenständen für diejenigen Steuern des
Unternehmens, bei denen sich die Steuerpflicht auf den Betrieb des Unternehmens
gründet. Voraussetzung für die Haftung ist eine wesentliche Beteiligung an dem
Unternehmen, die nach § 74 Abs. 2 Satz 1 AO dann vorliegt, wenn der Eigentümer der
Gegenstände unmittelbar oder mittelbar zu mehr als einem Viertel am Grund- oder
Stammkapital oder am Vermögen des Unternehmens beteiligt ist. Diese
Haftungsvoraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.
9 a) Im Streitfall ist der KG ein Erbbaurecht und somit ein Gegenstand i.S. des § 74 Abs. 1
Satz 1 AO überlassen worden, der dem Unternehmen für seine wirtschaftliche Betätigung
gedient hat. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Haftung des § 74 AO nicht nur
auf körperliche Gegenstände (Sachen) beschränkt.
10 aa) Die Frage, ob auch Rechte und Forderungen als Gegenstände i.S. von § 74 Abs. 1
Satz 1 AO angesehen werden können, wird im Schrifttum unterschiedlich beantwortet. Mit
der Begründung, der in der Haftungsvorschrift verwendete Begriff des Eigentümers werde
regelmäßig nur im Zusammenhang mit körperlichen Sachen gebraucht, während bei
Rechten die Verwendung des Begriffs Inhaber üblich sei, und unter Hinweis auf den
umfassenderen Begriff des Wirtschaftsguts in den §§ 39, 55 Abs. 3, § 180 Abs. 1 Nr. 3,
§ 181 Abs. 2 und § 271 AO wird die Auffassung vertreten, die in § 74 Abs. 1 AO normierte
Ausfallhaftung beziehe sich nicht auf Forderungen und Rechte (Mösbauer, Die Haftung
des Eigentümers von Gegenständen für Steuern des Unternehmens bei tatsächlicher oder
fiktiver wesentlicher Beteiligung, Deutsche Steuer-Zeitung 1996, 513; Nacke, Haftung im
Steuerrecht, Rz 457; Jestädt, Haftung gemäß § 74 AO und Betriebsaufspaltung,
Deutsches Steuerrecht 1989, 243; Jatzke in Beermann/Gosch, AO § 74 Rz 7).
11 Andererseits wird im Schrifttum die Meinung vertreten, die in § 74 Abs. 1 AO
angesprochenen Gegenstände könnten nicht nur Sachen, sondern auch Rechte bzw. alle
Wirtschaftsgüter materieller und immaterieller Art sein (Klein/Rüsken, AO, 11. Aufl., § 74
Rz 9; Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 74 AO Rz 20; Loose in
Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 74 AO Rz 5; Schwarz in
Schwarz, AO, § 74 Rz 4; Pahlke/Koenig/Intemann, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 74 Rz 4;
Blesinger, Haftung und Duldung im Steuerrecht, S. 79).
12 bb) Nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch bezeichnet der Begriff "Gegenstand" eine
körperliche Sache, an der Eigentum und Besitz erlangt werden können. Ein solches --an
zivilrechtlichen Vorgaben ausgerichtetes-- Begriffsverständnis würde jedoch dem Sinn
und Zweck des § 74 AO nicht gerecht. Im Gegensatz zu § 69 AO begründet die Regelung
eine verschuldensunabhängige Ausfallhaftung, die auf § 7 Abs. 4 des
Gewerbesteuerrahmengesetzes vom 30. Juni 1935 (RGBl I, S. 830) zurückgeht und die
später in § 115 der Reichsabgabenordnung (RAO) übernommen wurde. Anlass für die
Einführung des Haftungstatbestands war die Befürchtung, dass die Beitreibung einer
Gewerbesteuerschuld gegenüber einem Unternehmer sich deswegen als unmöglich
erweisen könnte, weil alle pfändbaren, dem Betrieb dienenden Gegenstände einem
anderen als dem Unternehmer gehören, insbesondere wenn der Unternehmer mit
gepachteten Betriebsmitteln wirtschaftet (BFH-Urteil vom 27. Juni 1957 V 298/56 U,
BFHE 65, 122, BStBl III 1957, 279). In solchen Fällen sollte eine Beitreibung der
Steuerschuld wenigstens dann ermöglicht werden, wenn der Eigentümer der dem Betrieb
dienenden Gegenstände wesentlich an dem Unternehmen beteiligt ist.
13 Die Beschränkung der Haftung auf bestimmte Steuerverbindlichkeiten und auf die
überlassenen Gegenstände deutet darauf hin, dass der eigentliche Grund der Haftung
nicht die rechtliche Beteiligung am Unternehmen ist, sondern der objektive Beitrag, den
der Gesellschafter durch die Bereitstellung von Gegenständen, die dem Unternehmen
dienen, für die Weiterführung des Gewerbes leistet (Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts vom 14. Dezember 1966 1 BvR 496/65, BVerfGE 21, 6,
BStBl III 1967, 166; Senatsurteil vom 13. November 2007 VII R 61/06, BFHE 220, 289,
BStBl II 2008, 790). Entscheidendes Kriterium ist die Parallelität des --durch die
wesentliche Beteiligung vermittelten-- Einflusses auf die unternehmerische Tätigkeit des
Unternehmens und des Einsatzes des (eigenen) Vermögens für diese Tätigkeit (BFH-
Urteil in BFHE 139, 242, BStBl II 1984, 127).
14 cc) Aufgrund dieser Zielsetzung erscheint bei der Bestimmung des Gegenstands der
Haftung i.S. des § 74 AO eine Differenzierung zwischen körperlichen Sachen und
immateriellen Wirtschaftsgütern jedenfalls dann nicht sachgerecht, wenn in solches
Vermögen vollstreckt werden kann. Denn in beiden Fällen wird dem Unternehmen ein
Wirtschaftsgut überlassen, das die Aufnahme oder die Fortsetzung des Geschäftsbetriebs
ermöglicht und das einer Verwertung im Rahmen einer Zwangsvollstreckung zugänglich
ist. Die Möglichkeit der Vollstreckung in ein Grundstück, z.B. durch die Eintragung einer
Zwangshypothek oder durch Zwangsversteigerung, steht außer Frage. Auch ein
Erbbaurecht, d.h. das Recht auf oder unter der Oberfläche eines Grundstücks ein
Bauwerk zu haben, unterliegt als grundstücksähnliche Berechtigung nach § 864 Abs. 1
der Zivilprozessordnung (ZPO) der Immobiliarvollstreckung. Nach § 11 Abs. 1 des
Gesetzes über das Erbbaurecht (ErbbauRG) finden die sich auf Grundstücke
beziehenden Vorschriften mit Ausnahme der §§ 925, 927 und 928 des Bürgerlichen
Gesetzbuchs sowie die Vorschriften über Ansprüche aus dem Eigentum grundsätzlich
entsprechende Anwendung. Das auf Grund des Erbbaurechts errichtete Bauwerk gilt als
wesentlicher Bestandteil des Erbbaurechts (§ 12 Abs. 1 ErbbauRG). Diese Vorschriften
belegen die Annäherung des Erbbaurechts an das Recht eines Grundstückseigentümers.
Es ist kein hinreichender Grund ersichtlich, warum ein an einem Unternehmen wesentlich
Beteiligter, der die Aufnahme des Geschäftsbetriebs durch Verpachtung eines
Grundstücks ermöglicht, der Haftung des § 74 AO unterliegt, während ein ebenso
Beteiligter, der den Bau eines Betriebsgebäudes und damit ebenfalls die Aufnahme des
Geschäftsbetriebs durch die Einräumung eines Erbbaurechts ermöglicht, nicht dem mit
§ 74 AO verbundenen Haftungsrisiko ausgesetzt sein sollte. Zumindest bei
grundstücksähnlichen Berechtigungen, wie z.B. dem Erbbaurecht, dem
Bergwerkseigentum oder der Abbaugerechtigkeit, gebieten Sinn und Zweck der
Ausfallhaftung eine Auslegung des Gegenstandsbegriffs des § 74 AO, die den
Anwendungsbereich der Haftungsnorm auch auf solche Rechte erstreckt.
15 b) Die Haftung nach § 74 AO ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil das Erbbaurecht
nicht dem Kläger selbst, sondern der A-KG zustand.
16 Die Haftung nach § 74 AO setzt voraus, dass der am Unternehmen wesentlich Beteiligte
zugleich Eigentümer des dem Unternehmen dienenden Gegenstands ist. Im Streitfall war
nicht der Kläger, sondern die A-KG erbbauberechtigt und als solche im Grundbuch
eingetragen. Das Erbbaurecht befand sich somit im Gesamthandsvermögen der A-KG.
Für den Fall der Zugehörigkeit des einem Unternehmen dienenden Gegenstands zu
einem Gesamthandsvermögen einer GbR hat der BFH zu § 115 RAO entschieden, dass
dieser Umstand für die Haftung dann ohne Bedeutung ist, wenn Träger dieses
Gesamthandsvermögens nur die am Unternehmen wesentlich beteiligten Personen sind,
weil diese Personen als Personengruppe die Gegenstände zu Eigentum haben. Denn die
haftungsbegründende Interessenparallelität könne nicht dahinter zurückstehen, dass ein
Gegenstand dem Unternehmen diene, über den alle wesentlich beteiligten Gesellschafter
des Unternehmens nur gemeinschaftlich verfügen könnten (BFH-Urteil in BFHE 139, 242,
BStBl II 1984, 127).
17 Bei dieser Betrachtung kann es nicht entscheidend auf die Rechtsform der Gesellschaft
ankommen, in deren Vermögen sich der dem Unternehmen überlassene Gegenstand
befindet. Ausschlaggebend ist vielmehr der Umstand, dass die Verfügungsberechtigung
ausschließlich bei Personen liegt, die über ihre jeweiligen Beteiligungen entscheidenden
Einfluss auf die Gesellschaft ausüben und über deren Wirtschaftsgüter verfügen können,
so dass die Überlassung eines Gegenstands an ein Unternehmen nur ihnen zugerechnet
werden kann. Daher lassen sich die vom BFH für die GbR entwickelten Grundsätze unter
bestimmten Umständen auf eine KG übertragen. Sind an einer solchen Gesellschaft als
Kommanditisten und Gesellschafter der Komplementär-Gesellschaft ausschließlich
Personen beteiligt, die eine wesentliche Beteiligung an dem Unternehmen halten, dem
der Gegenstand überlassen worden ist, bedarf es keiner zusätzlichen Beteiligung der
Komplementär-Gesellschaft, um den Haftungstatbestand des § 74 AO zu erfüllen. Denn
aufgrund der gesellschaftsrechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse sind die an der KG
beteiligten natürlichen Personen jedenfalls als wirtschaftliche Eigentümer des
Gegenstands i.S. des § 74 AO anzusehen. Dies gilt erst recht, wenn der Gegenstand nicht
im Eigentum der Komplementär-Gesellschaft, sondern im alleinigen Eigentum der
Kommanditisten steht. Denn in diesem Fall decken sich die Anteile der Kommanditisten
am Gesamthandsvermögen mit den Anteilen am überlassenen Gegenstand.
18 Nach den Feststellungen des FG war der Kläger in mehrfacher Hinsicht an der A-KG
beteiligt. Zum einen war er zusammen mit K als Kommanditist zu 50 % an ihr beteiligt;
zum anderen war er zusammen mit K auch zu 50 % an der A-GmbH, der Komplementärin
der A-KG, beteiligt. Das Gesamthandsvermögen der A-KG bestand lediglich aus dem
Erbbaurecht, das nur den Kommanditisten zustand; die A-GmbH hatte keinen eigenen
Kapitalanteil. Wie bereits ausgeführt, sind bei dieser Fallkonstellation die in Haftung
genommenen Kommanditisten als Eigentümer des Erbbaurechts anzusehen, so dass die
Haftungsvoraussetzungen des § 74 AO erfüllt sind.
19 c) Der Erlass des angefochtenen Haftungsbescheids war nicht deshalb unzulässig, weil
auf dessen Grundlage keine Vollstreckung hätte erfolgen können.
20 Wie bereits ausgeführt, unterliegt ein Erbbaurecht als grundstücksähnliche Berechtigung
nach § 864 Abs. 1 ZPO der Immobiliarvollstreckung. Im Streitfall ist die A-GmbH am
Gegenstand der Vollstreckung nicht beteiligt; das Gesamthandsvermögen steht
ausschließlich den Kommanditisten der A-KG zu, die beide nach § 74 AO in Haftung
genommen worden sind. Deren Anteile am Gesamthandsvermögen sind pfändbar, wobei
sich die Haftung auf den Anteil des jeweiligen Haftungsschuldners an dem überlassenen
Gegenstand beschränkt (Boeker in HHSp, § 74 AO Rz 14). Zu Recht weist das FA darauf
hin, dass im Falle einer Liquidation der A-KG das Erbbaurecht auf die beiden
Haftungsschuldner aufgeteilt werden müsste, so dass weitere
Vollstreckungsmöglichkeiten eröffnet würden. Wie der BFH mit Urteil vom 22. November
2011 VII R 63/10 (BFHE 235, 126, BStBl II 2012, 223) entschieden hat, erstreckt sich die
Haftung des Eigentümers nach § 74 AO nicht nur auf den überlassenen Gegenstand,
sondern sie erfasst auch in Fällen der Weggabe oder des Verlustes von Gegenständen
nach der Haftungsinanspruchnahme die erlangten Surrogate. Somit würde sich die
Haftung auch auf einen Anteil am Liquidationserlös erstrecken. Bei diesem Befund ist die
von der Revision behauptete Unzulässigkeit einer haftungsrechtlichen Inanspruchnahme
des Klägers infolge einer gegenwärtigen oder zukünftigen Unmöglichkeit der
Vollstreckung nicht ersichtlich.
21 2. Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Haftung für die Umsatzsteuer Dezember
2001 nicht dadurch entfallen, dass das AG am 16. Oktober 2001 nach § 21 Abs. 1, Abs. 2
Nr. 2 Alternative 2 InsO einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt hat.
22 Die Behauptung der Revision, infolge des Wegfalls der unternehmerischen
Handlungsmöglichkeiten durch Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters habe eine
haftungsbegründende Interessenparallelität nicht mehr bestanden, trifft nicht zu. Nach wie
vor hat der Kläger durch die Einräumung des Erbbaurechts einen objektiven Beitrag zur
Fortführung der Geschäfte der KG erbracht, an der er auch weiterhin wesentlich beteiligt
war. Aufgrund seiner Beteiligung bestanden auch weiterhin Einflussmöglichkeiten auf die
Tätigkeit der KG. Denn im Fall der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters ohne
Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots (vgl. § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO) verbleibt
die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis wie auch die Prozessführungsbefugnis beim
Schuldner (Haarmeyer in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, Bd. 1, § 22
Rz 133, 184). Daran vermag auch der Zustimmungsvorbehalt nichts zu ändern. Denn der
vorläufige Insolvenzverwalter mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt kann nicht als
Vermögensverwalter i.S. von § 34 Abs. 3 AO angesehen werden (BFH-Beschluss vom
27. Mai 2009 VII B 156/08, BFH/NV 2009, 1591). Deshalb wird der Schuldner auch nicht
aus seiner Pflichtenstellung verdrängt, so dass die ihm obliegenden steuerlichen Pflichten
nunmehr ausschließlich vom Insolvenzverwalter zu erfüllen wären (vgl. Maus in
Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 12. Aufl., § 22 Rz 188, m.w.N.). Nach den Feststellungen
des FG, gegen die der Kläger keine Verfahrensrügen erhoben hat und die infolgedessen
nach § 118 Abs. 2 FGO für den Senat bindend sind, sind sämtliche haftungsrelevanten
Steueransprüche vor der Insolvenzeröffnung am 1. Januar 2002 entstanden. Zudem
beruhen die Umsatzsteuernachforderungen für Dezember 2001 auf
Vorsteuerberichtigungen wegen Zahlungsunfähigkeit, die sich aufgrund einer im Februar
2002 durchgeführten Umsatzsteuersonderprüfung ergaben. Die Behauptung des Klägers,
die Umsatzsteuerschuld aus Dezember 2001 habe der vorläufige Insolvenzverwalter
durch eigenes wirtschaftliches Handeln zur Entstehung gebracht, findet damit keine
Stütze in den tatrichterlichen Feststellungen.